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Das war, wie gesagt, am Tag vor Theas Hochzeit.
Die Feier war nicht übertrieben prunkvoll, aber von erlesenem Geschmack. Richard hatte sich ausgebeten, alle Anordnungen selbst zu treffen, und die einzige Verschwendung, die man ihm hätte vorhalten können, bestand in einem ungeheuerlichen Aufwand von seltensten und kostbarsten Blumen. Die Hochzeitsgesellschaft war klein: außer uns dreien nur noch einige Verwandte von Pauls und Theas Seite, die auf Richards Kosten aus Österreich herbeigeholt worden waren, um die Familien nicht vor den Kopf zu stoßen.
Alles verlief völlig programmäßig, und dann hielt Richard eine Rede, durch die tausend Teufelchen seines alten Humors sprühten. Diese glänzende Laune blieb ihm bis zum Schluß des Festes treu, und als die Fremden aufgebrochen waren und wir darauf warteten, daß sich Paul und Thea zurückziehen würden, sagte Richard: »Also, das Auto steht schon draußen, und wir bringen euch noch zur Bahn.«
»Zu was für einer Bahn?« fragte Paul verwundert.
»Euston Station. Euer Zug geht um 11 Uhr 35!« Richard zog zwei grüne Heftchen hervor und steckte sie Paul in die Hand. »Hier sind die Rundreisekarten, jetzt im Herbst ist Schottland am allerschönsten, der ganze Ossian ist auf den Beinen, und für die ersten acht Tage sind die Hotelzimmer vorausbestellt.«
»Rundreisekarten ... Hotelzimmer ... es fällt mir gar nicht ein zu reisen, ich will bei meiner Arbeit bleiben.«
»Die Welt wird es erwarten können, dein Buch um vier Wochen später zu bekommen.«
»Ich habe die Koffer schon gepackt«, sagte Thea, »wir brauchen uns bloß umzuziehen ...«
Ach, Thea war also an der Verschwörung mitbeteiligt. Es fiel mir auf einmal ein, daß ja auch noch niemand daran gedacht hatte, für Paul und Thea nun etwa ein gemeinsames Schlafzimmer vorzusehen, und ich verstand, daß Thea und Richard stillschweigend darin einig waren, dem ersten jungen Glück dieser Ehe nicht eben dieses Haus zum Schauplatz zu geben, das Haus des Mannes, der auf seine Liebe hatte verzichten müssen.
Es blieb Paul nichts übrig, als sich zu fügen, und als wir erst einmal im Auto saßen und zur Euston Station fuhren, schien er sich mit dem, was über ihn beschlossen worden war, auch ganz bierehrlich abgefunden zu haben. Richard hatte die Zeit so genau bemessen, daß uns die Pein langen Herumstehens aus dem Bahnhof erspart blieb, wir hatten Paul und Thea kaum in dem für sie bestellten Abteil untergebracht, so setzte sich der Zug auch schon in Bewegung.
Theas Taschentuch und Pauls neue schottische Reisemütze winkten letzte Grüße.
Richard stand noch eine Weile und dann sagte er: »So – nun reisen sie ins Glück.«
Wir fuhren heim, und Richard war auf einmal sehr schweigsam und in sich gekehrt geworden, und auch mir war nicht nach viel Reden zumute, denn mir kam jetzt erst die Schwere meines Verzichtes voll zum Bewußtsein. Es blieb also Ferdinand Rottmüller überlassen, die Unterhaltung zu führen, und ich glaube, er hat während der Fahrt beträchtlichen Unsinn geredet, wie er es jetzt zumeist tat. Sein erloschener Blick in die Zukunft schien ihm jedenfalls nicht die mindeste Ahnung von dem eingegeben zu haben, was uns noch bevorstand.
Am nächsten Morgen kam Richard zu mir auf mein Zimmer. Er sah ganz blaß und übernächtigt aus, und sein Lächeln war grau und trüb. »Du wirst mich entschuldigen müssen. Ich ziehe mich jetzt für einige Zeit zurück.«
»Wohin?«
»Du weißt ja, daß ich drüben in dem Buddhistenkloster eine Zelle für mich habe. Ich fühle das Bedürfnis nach gründlicher Einsamkeit. Die kann ich nirgends so gut haben wie dort.«
Ich konnte nichts gegen seinen Entschluß einwenden. Vielleicht war es wirklich am besten, wenn er jetzt eine Weile mit sich allein war, und ich dachte mit keinem Gedanken daran, daß sich in diesem Kloster der Erleuchtete befand, der Yogi, der damals Richard die Unheilsprophezeiung auf den Weg mitgegeben hatte. Richard reichte mir die Hand, und dann griff er zögernd in die Westentasche und nahm etwas hervor, das er mir zwischen zwei Fingern hinhielt.
»Das habe ich unter meinen Sachen gefunden«, sagte er.
Es war ein kleiner Goldreif in Form einer Schlange. Der Leib war von grüner Farbe mit einer grauen Zeichnung auf dem Rücken, und der Kopf, der in den Schwanz biß, bestand ganz aus grünem Schmelzfluß. Auf der platten Nase saß ein kleines Horn, und die schwarzen, weiß umrandeten Augen sahen uns spitz und mit bösartiger Überlegenheit an. Ich hatte mich genug in der mexikanischen Archäologie umtun müssen, um mir gleich sagen zu können, daß dieser Ring ein toltekisches Altertum war.
»Du findest auch«, sagte Richard, »daß sie auf das Haar der Schlange gleicht, die damals aus dem Kopf des Quetzalcoatl gekrochen ist? Ein Kunstwerk ... wunderschön ... nicht wahr? Und – bitte«, er drehte an dem Kopf der Schlange, und ich sah, daß er sich abschrauben ließ und hohl war. Auf seinem Grund erblickte ich einen erstarrten Tropfen, irgendeine verharzte Flüssigkeit, etwa wie ein Körnchen Weihrauch oder Opium. »Er hat auch einen Inhalt.«
Warum habe ich damals nicht gleich Richard den Ring aus der Hand gerissen? Warum ließ ich es geschehen, daß er den Kopf wieder aufschraubte und den Reif in die Westentasche steckte? Nichts warnte mich, keine Stimme erhob sich in mir, die mich an meine Freundespflicht gemahnt hätte. Ich war vollständig vernagelt, aber vielleicht wollte es das Schicksal so, daß geschehen mußte, was geschah.
»Das Ding lag in einem sonst immer versperrten Wandschrank – bei anderen Andenken«, sagte Richard nachdenklich, »und ich weiß bei Gott nicht, wie ich dazu gekommen bin. Vielleicht war es einmal ein Geschenk von ihr – von Anita. Aber dann muß ich es vollkommen vergessen haben ... ich finde in meinem Gedächtnis nicht eine Spur mehr ...«
»Hast du sie ... hast du Anita wiedergesehen?« fragte ich vorsichtig.
»Nein – seit damals ... am Feuersee ... nicht mehr.« Und dann gab er mir noch einmal die Hand und sagte ganz beruhigend heiter: »Aber ich glaube – nun wird sie nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
Nach diesem Gespräch sah ich Richard etwa vier bis fünf Tage nicht. Ich war von meiner Arbeit und von den Sitzungen mit der Gesellschaft für psychische Forschungen sehr in Anspruch genommen, und wenn ich bisweilen daran dachte, Richard zu besuchen, so hielt ich mir immer sogleich entgegen, daß er sich gründliche Einsamkeit gewünscht hatte. Als ich eines Tages aus der Stadt zurückkam, sagte man mir, es sei ein Mann aus dem Buddhistenkloster da gewesen, und ich werde dringend gebeten, sogleich hinüberzukommen.
Es war wirklich ein Haus des Schweigens, das ich betrat. Der Diener, der mich empfing, schien taubstumm zu sein, er führte mich wortlos zu einem mageren älteren Herrn mit glänzendem kahlem Schädel. Der Vorstand oder Oberbonze oder Yogi, oder was er sonst sein mochte, steckte in einer Kutte, und die Hände hielt er in den weiten Ärmeln versteckt. »Ihr Freund hat Sie gerufen«, sagte er, »er hat die Hüllen der Täuschungen abgeworfen. Er hätte es nicht selbst tun dürfen. Und er wird nun tief unten wieder beginnen müssen.«
Und dann stand ich an Richards Leiche. Er lag in seiner Zelle auf dem eisernen Bettgestell, und sein Gesicht trug einen so glücklichen Ausdruck, als habe ihn der letzte Blick nach innen das Land seligster Verklärung sehen lassen. Der Schlangenring stak an seiner linken Hand, aber als ich hernach den Kopf abschraubte, zeigte es sich, daß die Höhlung leer war.
Der Brief, der auf dem Tische lag und an mich gerichtet war, lautete:
»Wenn einer versteht, was ich getan habe und warum ich es getan habe, dann bist Du es. Du warst der Zeuge meiner Qual und wirst es begreifen, daß ich gehen muß, da meine Kraft nicht ausreicht, zu entsagen. Anita ist da gewesen. Du hast recht, sie liebt mich über den Tod hinaus, und darum hat sie mir jetzt den Weg gezeigt. Ich habe nur eine Bitte an Dich: Keine Nachricht an Paul und Thea während ihrer Reise. Und Du wirst es auch zu verhindern wissen, daß die Zeitungen etwas über meinen Tod berichten, solange unsere Freunde weg sind. Diese vier Wochen soll ihr Glück ungestört und ungetrübt sein. Und nun, Lieber, Getreuer, Dank für alles und – vielleicht darf man es sagen – auf Wiedersehen!«
Er war immer ein Tapferer gewesen, mein armer Freund, und hatte nie etwas davon gehalten, Umstände zu machen. So war er auch aus dem Leben gegangen, tapfer und ohne Umstände. Und ich glaube nicht, daß er, wie der alte Buddhist meinte, tief unten wieder hat beginnen müssen.
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