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33

Tezozomoc schien es wirklich mit unserer Hinrichtung unanständig eilig zu haben.

Der Tag war noch gar nicht recht aus den Federn und blinzelte erst aus rötlichen Wolkenrändern, als man uns zum letzten Gang abholte.

Uns mit den Tröstungen der Religion zu versehen, hielt Tezozomoc offenbar nicht für nötig, es war ihm wohl eine überflüssige Zeitvergeudung, und überdies gehörte die Feindschaft gegen die Kirche zu seinen politischen Grundsätzen.

Wir wurden aus Mitla herausgeführt auf den freien Platz unweit des Grabes, das wir entdeckt hatten, und da fanden wir schon die gefangenen Offiziere Quirogas, jeden für sich damit beschäftigt, mit Spaten und Schaufel Gruben auszuheben.

»Es scheint«, sagte Richard, »wir sollen unser eigenes Grab graben.«

Es war wirklich so, wie Richard vermutete, auch jeder von uns bekam Spaten und Schaufel in die Hand, und dann kam jener Señor Hernandez und bedeutete uns, auch wir hätten unsere letzte Ruhestätte in der mexikanischen Erde zu bereiten, aber etwas rasch, der General werde sogleich erscheinen. Es war eine nicht gerade erhebende Beschäftigung, die Gruben auszuschaufeln, in denen wir kurze Zeit später als stumme Männer liegen würden.

»Wenigstens zuschaufeln müssen sie hernach unsere Löcher selber«, sagte Richard.

Aber das war doch nur ein etwas magerer Trost.

Nachdem Richard einige Spatenstiche getan hatte, stützte er sich auf den Stiel seines Werkzeuges und fragte: »Ob Thea wohl im Einverständnis mit Tezozomoc weggebracht worden ist?«

»Es hat den Anschein«, sagte ich, »denn sie haben ja gar nichts dergleichen getan, daß Thea nicht mehr da ist.«

Sie hatten wirklich keinerlei Erstaunen gezeigt, und es lag die Vermutung nahe, daß zum mindesten ein heimliches Gewährenlassen im Spiel war, in Gegenrechnung für Forsts außergewöhnliche Verdienste in der ganzen Sache.

Richard wollte etwas erwidern, ich nehme an, eine launige Bemerkung über Mister Forsts großartige Rettergebärde, aber da stieß ihm einer der Soldaten den Kolben in die Seite, als eine etwas unsanfte Mahnung zur Eile. Sie machten überhaupt wenig Umstände mit uns, wenn einer den begreiflichen Wunsch hatte, die Angelegenheit durch mangelnden Eifer etwas hinauszuziehen. Señor Hernandez stieg vor uns auf und ab wie ein kollernder Truthahn und vergalt uns alle Grobheiten, die er seinerzeit unsertwegen von Tezozomoc hatte einstecken müssen, durch ein beispielloses Fluchen und Schimpfen, und seine Leute gaben sich alle Mühe, seine Umgangsformen mit uns in Handgreiflichkeiten zu übertragen.

Ich dachte, es sei schließlich gleichgültig, ob wir nachher mit einigen Blasen an den Händen in der mexikanischen Erde liegen würden, und von Señor Hernandez wegen seiner beleidigenden Ausfälle etwa ritterliche Genugtuung zu verlangen, hatte wahrscheinlich auch wenig Aussicht auf Erfolg. Ich beeilte mich also, die peinliche Arbeit möglichst rasch zu Ende zu bringen, und Richard und Paul taten desgleichen. Mein Bedauern galt den Offizieren, deren Kraft offenbar von der Todesangst so gebrochen war, daß sie durch die äußersten Mittel angetrieben werden mußten, und vor allem unserem armen Enrico, der stöhnend und jammernd seine Arbeit tat, als sei das kläglichste Leben wertvoller als alles andere.

Es dauerte immerhin an die zwei Stunden, ehe wir fertig waren und Hernandez seinen Hornisten Befehl erteilen konnte, ein Zeichen zu geben. Das Blasen klang wie eine Parodie auf die Posaunen des Jüngsten Gerichts, und Tezozomoc schien schon ungeduldig darauf gewartet zu haben, denn er kam gleich darauf zwischen den Ruinen von Mitla hervor wie der Weltenrichter in Person, gefolgt von seinen Offizieren und einer Rotte von Galgenvögeln, die sich bemühten, möglichst militärisch aufzuziehen.

Die folgenden Ereignisse habe ich nur undeutlich in Erinnerung behalten, denn ich hatte mir vorgenommen, meine Aufmerksamkeit von der Außenwelt abzuziehen, und es gelang mir auch, ganz in die Vorstellung einzutauchen, jetzt seien Theas Blicke unverwandt auf uns gerichtet.

Ich glaube, es war Señor Herrera, der von einem Wisch etwas ablas, das Urteil jedenfalls, und dann wurden wir jeder vor sein Grab gestellt, so daß wir es im Rücken hatten. Die Offiziere standen auf den Flügeln, wir vier nahmen ungefähr die Mitte der langen Reihe ein; ich hatte Richard zur Rechten und den Obersten Aguayo zur Linken. Wie sich die Offiziere bei diesen letzten Vorbereitungen betrugen, weiß ich nicht, ich fürchte, sie haben sich nicht durch heldenhafte Haltung ausgezeichnet, wenn ich nach dem Obersten Aguayo schließen soll, der ein aschgraues Gesicht hatte und kaum auf den Beinen stehen konnte.

Ehe wir auf unsere Plätze gingen, reichten wir einander die Hände, auch Enrico, obzwar er schon jetzt mehr tot als lebendig war. Paul war sehr ruhig, und Richard sah mir, obzwar sein Mund zuckte, fest in die Augen, während ihm das Bruchstück eines alten Studentenliedes auf die Lippen kam:

»Und kommt der letzte Augenblick,
Ich hab geliebt, das war mein Glück –
Nun ist es aus –«

Ich sah noch, wie sich Tezozomocs Krieger in einer Doppelreihe uns gegenüberstellten, dann band mir ein Kerl ein unsagbar schmieriges Tuch um die Augen, und kaum war dies geschehen, so gingen mir in der völligen Finsternis zwei leuchtende wehmütig-heiter strahlende Sterne auf. Es waren Theas Blicke, die das Dunkel durchdrangen und mich vergessen ließen, daß ich vor den Mündungen der Gewehre stand und das Grab hinter mir war.

Von ganz weither, von einer Erde, die ich schon verlassen hatte, kam ein Kommando, ein Klappen, noch ein Kommando und unmittelbar daraus ein betäubendes Krachen.

Wie leicht ist der Tod, sagte ich mir, man spürt ihn überhaupt gar nicht.

Was so zu mir selber sprach, war offenbar mein unsterbliches Teil, das den Körper abgeworfen hatte, und nun erwartete ich das Eindringen der überwältigenden Fülle von Licht, in das einzugehen jedes Menschen geheimste Hoffnung ist. Es wurde auch wirklich plötzlich Licht, aber ich erstaunte nicht wenig, daß sich der Schauplatz nicht im mindesten verändert hatte. Da stand die Doppelreihe von Tezozomocs Soldaten, und Tezozomoc selbst hielt da mit seinen Offizieren zu Pferd, und ich stand am Rand meines Grabes und Richard neben mir am Rand des seinen, der Kerl, der mir vorhin die Augen verbunden hatte, nahm eben auch Richard die Binde ab.

Jetzt erst bemerkte ich, daß sich der Schauplatz doch etwas verändert hatte. Der Oberst Aguayo zu meiner Linken war fort. Eines seiner Beine stand noch über den Rand seines Grabes hinaus, sonst aber lag er mit durchschossener Brust in der Grube, und auch mein zweiter Nachbar zur Linken war verschwunden und ebenso der übernächste. Alle Offiziere Quirogas waren fort, lagen erschossen in ihren Löchern, nur wir vier lebten.

Wir lebten!

Und noch in einer Hinsicht hatte sich der Schauplatz verändert. Es war jemand hinzugekommen. Auf einem isabellfarbenen Pferd saß in ihrer Cowboytracht, amazonenhaft kühn, umglänzt vom Zauber sieghaften Weibtums, niemand anderes als Martha Mirar.

Und nun bemerkte ich noch etwas. Tezozomoc und seine Offiziere wußten sich vor unbändiger Heiterkeit kaum zu fassen, sie barsten fast vor Lachen, schlugen sich auf die Schenkel und wanden sich wie in Krämpfen. Die Soldaten hatten die Gewehre fortgeworfen, grölten aus vollem Hals und hielten sich die Bäuche. Sie konnten nicht mehr, nein, sie konnten einfach nicht mehr, und es war nicht der mindeste Zweifel, daß wir vier die Ursache all dieser hemmungslosen Vergnügtheit waren, wir vier ins Leben Wiedergekehrten.

Es mag wohl sein, daß unsere Mienen einigen Anlaß zu solcher Heiterkeit gaben, aber immerhin lagen da etwa zwei Dutzend allen Ernstes Erschossene in den Gräbern, und die brüllende Fröhlichkeit dünkte mich, als ich zum Bewußtsein der Lage zurückgekehrt war, nicht ganz am Platz.

Richard mochte ähnlicher Meinung sein. Denn kaum hatte man ihm das Tuch abgenommen, als er nach einem ersten erstaunten Herumschauen die Stirn senkte, wie ein Stier, der von seinen Hörnern Gebrauch machen will. Dann trat er einige Schritte auf Tezozomoc zu und rief drohend: »Möchten Sie mir nicht gefälligst Aufklärung geben, was das vorstellen soll?«

Tezozomoc aber, noch immer ganz erschüttert von dem ungeheuren Spaß, den er sich gemacht hatte, konnte des Lachens kaum Herr werden: »Strafe«, schrie er, während es ihn schüttelte, »Strafe ... haha ... haben Sie ja verdient, Señor Brög ... hahaha ... aber bedanken Sie sich ... bei unserer göttlichen Martha Mirar, daß ich Sie ... hahaha ... zur Strafe der Todesangst begnadigt habe. Sie ... und Ihre Freunde allein, schließlich haben Sie ja auch nur mit Pesos gegen mich gekämpft und nicht mit den Waffen ... wie die da ... aber dennoch, bedanken Sie sich nur recht schön bei Martha Mirar ...«

»Ja!« sagte Martha Mirar und ritt an Richard heran, »ich bin es gewesen, die der Gerechtigkeit in den Arm gefallen ist und dieses blutrünstige Scheusal«, sie nickte Tezozomoc holdselig zu, »zur Milde bewogen hat.«

»Indem ich«, sie drängte ihr Pferd noch näher an Richard und neigte sich mit ihrem spitzbübischsten Lächeln aus dem Sattel zu ihm nieder, »indem ich der Excelencia gewisse Mitteilungen über unser Verhältnis gemacht habe ...«

Richard wich einen Schritt zurück und starrte Martha Mirar mit jäh erwachendem, mißtrauischem Verstehen an. Der Keim entfaltete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit. »Du bist es gewesen?« sagte er und zog den Kopf ein, als schwebe die Schlinge, die er fühlte, körperlich greifbar über ihm.

»Ja«, lächelte Martha Mirar schelmisch weiter, »und ich bedauere nur, daß uns die junge Dame durch – andere Einflüsse entzogen worden ist. Ich hätte ihr recht gern das seltene Vergnügen verschafft, vor dem ich euch ja leider nicht bewahren konnte. Es war das Äußerste, wozu sich die Excelencia verstehen wollte ...«

»Und jetzt«, rief Tezozomoc noch immer lachend, »sind auch alle Hindernisse gefallen, Ihr freundliches Anerbieten anzunehmen, Señor Brög. Die Freiheit des Vaterlandes befiehlt es mir sogar dringend, Ihnen Gelegenheit zu geben, daß Sie den Verrat vergessen machen. Ihr Scheckbuch ist der beste Weg dazu ...«

Richard sollte niemals dazu kommen, darauf eine Antwort zu geben, denn es entstand plötzlich ein Geschrei, das aller Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war Enrico, der sich da so unvermutet durch ein rasendes Gebrüll hervortat.

Man hatte ihm die Binde abgenommen, und er hatte, wie ich annehme, eine Weile unbeachtet dagestanden und still vor sich hingesonnen. Und seht brach er plötzlich in ein Geheul aus und schrie, indem er mit beiden Fausten seine Brust bearbeitete: »Ferdinand Rottmüller ... Ferdinand Rottmüller ... die Liverpool Navigation Bank, London, Oxfordstreet 27, Ferdinand Rottmüller ... Liverpool Navigation Bank ... Ferdinand Rottmüller ...«

Die dünne Haut der Narbe hüpfte und schwankte unter den Stößen der fürchterlichen Erregung, die in seinem Kopf tobte. Und er schrie unablässig, indem er gegen seine Brust hämmerte: »Ferdinand Rottmüller ... Liverpool Navigation Bank ...«

Zuerst glaubte ich, er sei verrückt geworden, aber auf einmal verstand ich, was in diesem Kopfe vor sich gegangen war. Die grausame Gewalt der Todesangst hatte die Schleier dieses Hirns zerrissen, der Bergsturz, der sein Gedächtnis verschüttet hatte, war durch das Erdbeben dieser Minuten zwischen Leben und Tod gespalten worden und hatte den Blick in die Tiefe seiner Vergangenheit freigegeben.

Der Mann ohne Namen hatte seinen Namen wiedergefunden. Und überdies auch noch die Bank, auf der sein Vermögen lag.

Was aber nun geschah, war vielleicht noch merkwürdiger, und das verstand ich weit weniger rasch. Denn Richard schaute den brüllenden Wiedergeborenen eine Weile durchdringend an und runzelte in scharfem Nachdenken die Stirn, und dann schritt er auf ihn zu, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn: »Ferdinand Rottmüller?« fragte er, »Sie sind Ferdinand Rottmüller?«

»Ferdinand Rottmüller«, schrie der gewesene Heinrich Schwarz, auch Enrico genannt, »Liverpool Navigation Bank.«

Da trat Richard zur Seite, und indem ein unsagbar wonniges Lächeln sein Gesicht verklärte, holte er zu einer weiten Gebärde aus. Sein Arm beschrieb einen Halbkreis, der eine Verbindung zwischen dem Mann mit dem wiedergefundenen Namen und Martha Mirar herstellte, und er sagte mit einer Verbeugung, wie jemand, der einem anderen, Würdigeren den Vortritt einräumt: »Heli – sieh deinen Ferdinand!«

Mein Blick folgte seiner Bewegung und suchte Martha Mirar. Sie hatte wie die anderen den Mann, der von uns der Unbedeutendste war, bisher nicht beachtet. Aber nun sah sie ihn, sah ihn zum erstenmal mit Bewußtsein an, oder vielmehr sie sah ihn, wenn Richard recht hatte, nicht zum erstenmal.

Es war offenbar ein Erkennen, und seine Wirkung war die eines Bombenabwurfes in eine holdselig blühende Seelenlandschaft. Martha Mirar hing auf ihrem Pferd, gar nicht mehr die stattliche Amazone, sondern völlig verstört und totenblaß und starrte den Mann, den Richard »ihren Ferdinand« genannt hatte, an wie eine grabentstiegene Leiche, was er ja auch in gewissem Sinne war.

Noch immer stand die weitausholende, verbindende Gebärde Richards offen in der Luft, und auf einmal kam Bewegung in Martha Mirars Lähmung. Sie riß ihr Pferd herum und jagte davon, so rücksichtslos durch die zusammengedrängte Masse von Tezozomocs Streitmacht, daß alles verblüfft und fluchend durcheinander taumelte.

Ich packte Richard am Rockkragen und drehte ihn mir zu: »Ich verstehe nicht ...«

»Verstehst du nicht?« rief er verzückt, »es ist Ferdinand Rottmüller ... Ich kenne doch den Namen aus den Briefen in ihrem Schreibtisch. Jetzt segne ich den Tag, an dem ich sie gefunden habe.«

Wer die Sache gar nicht verstand und auch nicht verstehen konnte, war Tezozomoc. »Ja, was ist denn –«, fragte er, er kam jedoch nicht weiter, jemand pfiff gellend: »Ein Flieger!«

Kein Mensch hatte während dieser Vorgänge daran gedacht, etwa die Nase in die Luft zu stecken und nach Fliegern auszuschauen. Aber nun war einer unvermutet da, ganz nahe, kreuzte schon über unseren Köpfen, und das Flugzeug trug auf seinen Tragflächen in breiten Bändern die Farben Rot-Weiß-Rot.

»Ein Regierungsflugzeug –«, schrie Tezozomoc, »Flugzeugabwehrschützen!«

Sie hatte unstreitig Mut, die Excelencia Tezozomoc, mehr als Señor Quiroga, aber nicht mehr lange. Denn gleich darauf knickte sie zusammen und fiel vornüber auf den Hals des Pferdes, fast zugleich mit einem scharfen Knall. Tezozomoc rutschte wie ein Hampelmann, dessen Schnüre man durchgeschnitten hat, seitlich aus dem Sattel, und dann sprühte eine Garbe von Schüssen von der Felswand über Quetzalcoatls Grab herab und schlug mitten in Tezozomocs Armee ein.

Ich hatte keineswegs die Absicht, ein überflüssiges Heldentum an den Tag zu legen und mich etwa versehentlich für die Freiheit des mexikanischen Vaterlandes abschlachten zu lassen.

»In die Gräber!« rief ich und sprang in das, welches mir am nächsten gelegen war, und ich war kaum darin, so sprang mir jemand auf den Rücken und duckte sich neben mich.

»Ferdinand Rottmüller!« murmelte er, »wissen Sie, ich bin Ferdinand Rottmüller!«

»Ja! jetzt weiß ich es«, sagte ich, »und ich glaube, ich merke mir's bis an mein Lebensende.«

Da hockten wir in der Enge und ließen die Schlacht toben.

Sie dauerte nicht lange, denn Tezozomocs Truppen waren alle hübsch auf einem Haufen beisammen, keiner hatte versäumen wollen, den ungeheuerlichen Spaß Seiner Excelencia mit anzusehen. Sie hatten in ihrem sträflichen Leichtsinn versäumt, Posten auszustellen, der Anmarsch der Regierungstruppen war unbemerkt geblieben, und der Überrumpelung folgte die vollständige, vernichtende Niederlage der führerlosen Armee.

Die Freiheit des Vaterlandes war wieder gerettet, und als alles soweit in Ordnung war, hörten wir das Flugzeug unweit unserer Deckung auf das offene Gelände niedergehen.

Wir hatten gewartet, bis kein Schuß mehr fiel, denn ich hatte keine Lust, mich dem dummen Witz einer verirrten Kugel auszusetzen.

»Ich glaube, jetzt können wir unsere zweite Auferstehung feiern«, sagte ich, indem ich aus dem Grab kroch.

Und in demselben Augenblick sah ich Thea vor mir stehen. »Sind Sie im Flugzeug gewesen?« rief ich außer mir vor Glück.

»Ja ... ja ... wo ist Paul?«

Ich deutete auf das Nachbargrab, über dessen Rand sich eben Paul erhob. Und dann gab es einen Wolkenbruch von Lachen und Weinen, während wir uns General Sangrada vorstellten, dem Sieger von Mitla, dem glorreichen Bezwinger von Tezozomocs Pronunciamiento, dem Retter des Vaterlandes.

»Ich wäre also dennoch zu spät gekommen«, sagte Thea mit einem verebbenden Schauer des Entsetzens.

»Sie kommen immer zurecht«, erwiderte Richard ungemein stilvoll, »aber das war noch die kleinere Gefahr ... aus der größeren hat mich dieser Herr hier befreit«, er reichte Ferdinand Rottmüller die Hand, und ich kann mir denken, daß es für einen eben erst Wiedergeborenen etwas viel auf einmal war, in diese Zusammenhänge einzudringen.

»Und Mister Forst?« fragte ich.

»Wollen Sie ihn sehen?« fragte Thea lachend zurück.

Wir folgten ihr nach unserem Haus, die Treppe hinan zu Theas Zimmer, und als wir eintraten, sahen wir ihn auf einem Sessel sitzen, mit Stricken so fest an Lehne und Beine gebunden, daß er sich offenbar die ganzen Stunden über nicht hatte rühren können. Er glich ganz einem jener Zauberkünstler, die sich vom Publikum fesseln lassen und dann auf unbegreifliche Weise befreien, nur daß er eben kein Zauberkünstler war. Übrigens war er sehr rot im Gesicht, röter, als ich ihn jemals gesehen hatte, und das kam vielleicht von dem Knebel her, der ihm zwischen den Zähnen steckte.

»Sie werden es mir verzeihen, Mister Forst«, sagte Thea, indem sie ihm den Knebel aus dem Mund nahm, »daß ich Sie so schlecht behandeln mußte. Mister Forst war nämlich so liebenswürdig, mir gestatten zu wollen, einiges von meinen Sachen mitzunehmen, und dann war ich so undankbar, ihm, während er auf diesem Sessel saß und mir den Rücken zuwandte, eine Schlinge um den Hals zu werfen und gleich so fest zuzuziehen, daß er die Besinnung verlor. Ja, ich habe ihm sogar die Nase zugehalten, bis er den Mund auftun mußte und ich ihm den Knebel geben konnte. Aber das ... ja also ... es war ein Battisthemd, und ganz sauber ...«

»Vielleicht tröstet Sie das ein wenig, Mister Forst«, sagte Richard, »aber das kommt alles von der übertriebenen Höflichkeit gegen Damen.«

»Es ist doch etwas Schönes um den Sport«, fügte ich hinzu. »Und was tun wir nun mit Ihnen, verehrter Freund?« sann Richard, während Mister Forst seine erstarrten Glieder rieb, um den Kreislauf des Blutes wieder in Gang zu bringen: »Sie werden einsehen, daß wir Sie General Sangrada übergeben müssen.«

»Nein«, sagte Thea, »Mister Forst ist es doch gewesen, der mich auf den Gedanken gebracht hat, es zu machen wie er mit Tezozomoc. Und er war sogar so freundlich, mir zu verraten, wo die Regierungstruppen stehen. Im übrigen fährt Ihr kleiner Fordwagen vorzüglich, Richard, man hat ein einziges Mal nach mir geschossen, so schnell war ich durch.«

»Erholen Sie sich«, sagte Richard mit väterlicher Milde, »solange es Ihnen beliebt, Mister Forst. Wir werden also General Sangrada nichts von Ihrer Anwesenheit verraten.«

Aber dann, als wir schon an der Tür waren, wandte er sich noch einmal um: »Es würde mich nur ungemein interessieren zu erfahren, warum Sie nicht um Hilfe gerufen haben, wenn Sie mit der Dame allein nicht fertig werden konnten.«

Es war Richards letzte Bosheit gegen Mister Forst, und ich glaube nach dem wilden Ausdruck von Forsts Stimme schließen zu dürfen, daß eine ganze unrasierte Kaktushecke voll Stacheln in seinem Herzen zurückgeblieben war. Und während ich diese auch mir nicht unerwünschte Beobachtung machte, legte ich eine duftige Redeblume zu Theas Füßen nieder: »Wer wäre je mit Thea fertig geworden«, sagte ich, »wenn sie sich einmal etwas ernstlich in den Kopf gesetzt hat.«

Am Abend fand das große Siegesfest statt.

Es gab ein Versteck in Richards Vorräte, das sowohl Quirogas als Tezozomocs Scharfblick entgangen war. Und so um die siebente Flasche Matthäus Müller herum wandte sich Ferdinand Rottmüller plötzlich an mich, zu dem er von seinen namenlosen Zeiten her noch immer das meiste Vertrauen zu haben schien.

»Sagen Sie – die Dame zu Pferd ... wer war denn das eigentlich?«

Die wunderbare Entdeckung, die er gemacht hatte, nahm ihn ohne Zweifel so in Anspruch, daß er alle übrigen Eindrücke etwas langsam verarbeitete.

»Die Dame?« fragte ich zögernd, »hm ... das war die Sängerin Martha Mirar.«

»Martha Mirar?« fragte er mißtrauisch, »… ich dächte, Herr Brög hätte sie Heli genannt ... Brög ... Heli ...?«

Er hielt auf einmal inne, und sein Blick kehrte sich von mir ab, seinem Innern zu, wo vielleicht der Schutt über den Trümmern seines Gedächtnisses immer noch in Bewegung war und eben wieder ein weiteres Stück seiner Vergangenheit enthüllte.

Ich merkte, Richard hatte ihn noch nicht aufgeklärt, und hielt mich nicht für befugt, dies an seiner Statt zu tun, denn ich bin keiner von jenen Leuten, die einen Freund um ein Vergnügen bringen wollen.

Überdies erhob sich setzt auch General Sangrada und feierte in längerer Rede die Freiheit des Vaterlandes und unseren Anteil an ihrer Rettung. Um den Genuß, diese Rede anhören zu dürfen, kam nur Mister Forst, denn um dieselbe Zeit befand er sich in dem kleinen vorzüglichen Fordwagen, den ihm Richard bereitwillig überlassen hatte, schon ein gutes Stück auf dem Weg nach Oaxaca. Mister Forsts beschleunigter Abgang war uns einen Fordwagen wert. Er wäre uns einen Rolls-Royce wert gewesen ... einen ganzen Autopark voll Rolls-Royce.


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