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6

Es war unter diesen Umständen eine merkwürdige Mahlzeit, die uns in einem steifen, gotischen Speisezimmer vereinigte, das so echt war, als sei es eine überaus geglückte Nachahmung. Richard war von einer gefährlichen unterirdischen Heiterkeit und so liebenswürdig wie ein Borgia, der sein Opfer bewirtet. Direktor Breadsley, ein rosiger, umgänglicher Herr mit der Glatze eines lebenskundigen Biedermannes, spielte den freundlichen alten Onkel mit einer vollendeten Gelassenheit. Er sah wirklich nur um weniges älter aus als einer von uns, offenbar ein sehr spät geborener Bruder von Richards Mutter. Freilich schien mir, als sei seine Harmlosigkeit nur über eine gewisse Unsicherheit gestülpt, und manchmal hatte ich von ihm den Eindruck eines Menschen, der auf Stelzen durch einen Sumpf geht, von dem er die eine oder andere unangenehme Überraschung befürchtet. Aber vielleicht täuschte ich mich damit.

Und Paul zerbrach sich unentwegt den Kopf über meine Andeutung, die offenbar nicht ausführlich genug gewesen war, ihm die Lage völlig zu erhellen. Jedenfalls brannten meine Worte in ihm gleich einer Lunte, und ich war neugierig, wann sie an die Pulverkammer geraten würde.

Ich hielt es für angebracht, ihn anderweitig zu beschäftigen, und lenkte das Gespräch auf schwedische Felsbilder und die Ähnlichkeit der altgermanischen Bandornamentik mit der der Azteken und erreichte wirklich damit, daß Paul das Wort ergriff und nun eine halbe Stunde nichts mehr zu hören war als von Ausstrahlungen der Kultur und vorgeschichtlichen Wanderungen und megalithischen Steinkreisen und Hieroglyphen und Runenschriften und den Verhältniszahlen der Pyramiden in Ägypten und Mexiko und ihren Beziehungen zur Astronomie. Alles das half mir aber nicht darüber hinweg, daß es mir vorkam, als sei dieses Diner eine Henkersmahlzeit und Richard der höflich lächelnde Scharfrichter.

»Wir wollen«, sagte Richard, als er die Tafel aufhob, »bevor wir es uns gemütlich machen, noch einige meiner neuen Erwerbungen ansehen. Mir liegt viel daran, dein Urteil zu hören, Onkel! Es ist einiges darunter, über das ich den Fachmann befragen möchte. Dein untrüglicher Instinkt, deine außerordentliche, nie irregehende Kenntnis in diesen Dingen ... ich bitte dich, sie einmal nicht der offiziellen Wissenschaft und den Sammlungen des Britischen Museums zuzuwenden, sondern meinen bescheidenen, tastenden Liebhaberneigungen zur Verfügung zu stellen.«

Direktor Breadsley zog die Augenbrauen hoch und schaute Richard mit einem wachsamen Blick an. Vielleicht suchte er einen Vorwand, dieser Prüfung, die ihm anscheinend unbehaglich war, zu entgehen, aber es fiel ihm wohl nichts Triftiges ein, da er nun einmal als Mann der Wissenschaft aufgeboten war.

Und dann führte uns Richard durch seine Raritätenkammer von Haus und zeigte uns einzelne Stücke – wie mir vorkam, ziemlich wahllos – eine unendliche Menge von Figuren des javanischen Schattenspieltheaters – »sehr billig, von einem Schiff, aus dem die Pest war, da haben sie's um jeden Preis losschlagen wollen« – und japanische Masken und tibetanische Räuchergefäße, und dann kamen wir zum Eigentlichen – Breadsleys ureigenstem Gebiet, wie Richard mit besonderer Verbindlichkeit sagte, nämlich den Bildern. Es gab einige Brouwers und Jan Steens und alte Sienesen, wie sie sich zu Dutzenden bei besseren Sammlern herumtreiben, und zuletzt standen wir vor einer Leinwand, auf der es ziemlich dunkel war, aber nicht so sehr, daß man nicht doch einen liegenden Frauenakt hätte erkennen können und zwei musizierende Männer, einer mit einem Ding, das, ich glaube, Gamba hieß, und ein anderer mit einer Flöte. Und vielleicht war noch ein dritter da, wenigstens gab es Andeutungen davon im Hintergrund, die vielleicht besser zum Vorschein gekommen wären, wenn man die Kruste von Staub und Schmutz entfernt hätte. Und das Ganze war, soweit erkennbar und ich davon etwas verstehe, geradezu glorreich gemalt wie von einem ganz großen Meister.

»Das ist mein Glanzstück«, sagte Richard mit einem unheimlich triumphierenden Lächeln, »die Perle meiner Sammlung, ein echter Giorgione. Ein Gegenstück zu seinem berühmten Konzert.«

Dem Direktor Breadsley schien der Anblick dieses Bildes den Atem zu verschlagen, aber ich sagte mir, das sei wohl der Neid des Kenners, der einen andern im Besitze eines Stückes sieht, das man gerne selbst unter den Schätzen seines Museums hätte. »Wo – wo hast du das her?« fragte er kurzatmig.

»Drüben gekauft«, antwortete Brög obenhin, »in Amerika. Der Mann wollte es mir nicht für Europa verkaufen. Sagte, er habe sich verpflichtet, es nur für Amerika herzugeben, und solchen Unsinn. Schließlich habe ich es ihm dreifach überzahlt, damit ich es nach England mitnehmen konnte.«

Es kam mir seltsam vor, daß auf der blanken Stirn Breadsleys auf einmal eine ganze Reihe von Schweißperlen zu sehen war, die immer größer wurden und schließlich ineinanderliefen. Im übrigen betrug er sich ganz so, wie es einem Kenner zukommt, der einen schwierigen Fall zu entscheiden hat. Er trat vor und zurück und wieder vor, zwinkerte mit den Augen, legte den Kopf schief auf die Schulter, ja, er wackelte sogar, was nicht jeder Kenner trifft, mit den Ohren. Und endlich sagte er mit einem Ausdruck tiefen Bedauerns: »Mein lieber Junge, diesmal hast du daneben gegriffen ... ich kann dir nicht helfen. Das ist niemals ein Giorgione gewesen.«

»Oh«, machte Richard, »das täte mir aber leid.«

»Wenn du viel Geld dafür ausgegeben hast, kann es dir auch leid tun, mein Junge. Es ist ein minderwertiger Versuch in der Art des Giorgione. Du weißt doch, wie selten die Giorgiones sind. Und daß einer den Augen der Wissenschaft entgangen wäre, ist doch im höchsten Grad unwahrscheinlich. Ja, ja, du mußt dich damit abfinden, daß du hereingefallen bist. Denn schau nur ...«, und damit begann Breadsley, indes er sich den Schweiß von der Stirn wischte, eine längere Erörterung mit erstens, zweitens und drittens von Komposition und Valeurs und Pinselführung, daß man hätte meinen können, dieses Bild sei von einem Koch oder einem Haarkünstler in seinen Mußestunden gemalt. Als er geendet hatte, war von dem Gemälde nichts übrig als eine übel mißhandelte Leinwand, es war, figürlich gesprochen, von den Klauen dieser vernichtenden Kritik in der Luft zerrissen.

Brög hatte den schwitzenden Kunstrichter sprechen lassen, während sich seine höhnische Vergnügtheit nur immer mehr zu steigern schien, je mehr dieser den falschen Giorgione in Grund und Boden trat. Seine Augen hielten den Onkel unter einem blanken, scharfen Leuchten fest, mit einem raubtierhaften Blick wie dem einer Katze, die mit einer rettungslos verlorenen Maus spielt.

Schließlich gingen Breadsley der Atem und die Beweisgründe aus.

Richard genoß noch eine Weile das Schweigen der Zertrümmerung, das dem Urteil folgte. Dann sagte er langsam und bedächtig: »Ich wäre untröstlich, ja ganz untröstlich, wenn ich nicht ...«

»Was denn?«

»Wenn ich nicht ein Zeugnis für die Echtheit hätte, ein Zeugnis, das dem deinen die Wage hält.«

»Ich verstehe nicht.«

Aber Brög schmetterte heil und fröhlich in Breadsleys krebsrotes Gesicht hinein: »Das Zeugnis des Direktors Thomas A. Breadsley vom Britischen Museum, eines Gelehrten von Weltruf, das bestätigt, daß dies ein echter Giorgione ist.«

»Was soll das heißen?« krächzte Breadsley, und ein neuerlicher Schweißausbruch, noch heftiger als der vorige, näßte seine Stirn.

»Es soll heißen, daß ich im Besitz eines Briefes bin, in dem Professor Breadsley dem amerikanischen Händler bezeugt, daß er einen echten Giorgione von ihm gekauft hat. Dieser Brief ist nicht billig gewesen, er hat mich ebensoviel gekostet als das Bild selbst. Aber beide gehören nun einmal zusammen, und ich bedauere es nicht, so viel dafür angelegt zu haben, da ja nun die Echtheit bewiesen ist.«

Ich muß gestehen, daß die Angelegenheit anfing, meine Fassungskraft zu übersteigen, und Paul war es deutlich anzusehen, daß sie die seine längst überstiegen hatte.

Aber Breadsley war auf einmal sehr ruhig geworden, ganz unwahrscheinlich ruhig, ruhig wie ein Faß Ekrasit vor der Entzündung oder wie eine Schlange in Angriffsstellung, die ihre Ringe zusammenlegt und den Kopf hin und her wiegt. Er war auch gar nicht mehr krebsrot, sondern ganz blaß, und er sagte, während er die Zähne zu einem bedrohlichen Lächeln entblößte: »Möchtest du mir nicht nähere Aufklärung über deine seltsamen Behauptungen geben?«

»Mit Vergnügen«, sagte Richard mit der gleichen unzerstörbaren Heiterkeit, »… es läuft sozusagen auf ein praktisches Christentum hinaus. Die Rechte soll nicht wissen, was die Linke tut. Direktor Thomas A. Breadsley vom Britischen Museum, der Gelehrte von Weltruf, hat bei einer gründlichen Überprüfung ein Bild im Britischen Museum, das bisher unter dem Namen Giorgione ging, als plumpe Fälschung oder Nachahmung erkannt, unwürdig, das Publikum und die Forschung weiterhin irrezuführen, und hat dieses in die tiefsten Abgründe der Magazine verbannt. Und Direktor Thomas A. Breadsley, der Gelehrte von Weltruf, hat eine Weile später dasselbe Bild als den echten Giorgione, der es in der Tat ist, nach Amerika verkauft und hat, um die Bedenken des Käufers zu beschwichtigen, ihm ein Zeugnis der Echtheit ausstellen müssen unter gewissen Sicherstellungen gegen Mißbrauch freilich. Sicherstellungen, die allerdings vor der Überzeugungskraft meiner Dollars wesenlos geworden sind.«

»So!« sagte Breadsley, und mir begann beim Anblick der Brandung von kalter Wut in diesem Mann um Richard bange zu werden.

»Ja«, fuhr Brög unbekümmert fort, »und dieser Giorgione ist nicht der einzige Fall dieser Art, den Thomas A. Breadsley mit Hilfe seines getreuen Mister Forst durchgeführt hat. Und zum Ausgleich der Sache hat Thomas A. Breadsley, der Gelehrte von Weltruf, eine ganze Anzahl von Fälschungen als echte Stücke in die Galerie des Britischen Museums aufgenommen, um an den Provisionen der Händler seinen Anteil zu verdienen.«

»Du scheinst also der Meinung zu sein, daß aus unseren Magazinen Bilder verschwinden können. Nun, es würde sich ja feststellen lassen, ob der ausgeschiedene sogenannte Giorgione dort noch vorhanden ist.«

»Ich bin überzeugt davon«, sagte Brög strahlend, »irgendeine Leinwand wird schon in euren Magazinen liegen, die man zur Not für diese hier ausgeben kann. Es laufen genug arme Teufel von Malern herum ... nicht wahr! Um ein paar lumpige Pfund machen die alles, wissen vielleicht nicht einmal, zu welchem Zweck. Aber das da, dieses Bild ist das richtige, das einmal dem Britischen Museum gehört hat.«

Breadsley zog die Lippen von den Zähnen zurück, und es kam ein breites, noch recht wohl erhaltenes Gebiß zum Vorschein, dem jede Art von Nüsseknacken zuzutrauen war: »Gefasel!« sagte er verächtlich, »es würde dir schwerfallen, das zu beweisen.«

»Du meinst, weil du dir die Mühe gegeben hast, den Stempel des Britischen Museums auf der Rückseite zu beseitigen! Aber da haben sie jetzt in den Banken so allerhand Mittelchen, weißt du, um den Fälschern auf die Sprünge zu kommen. Die ausgelöschten Tinten leben da wieder auf, man sieht ganz genau, was einmal dagestanden hat.« Und damit hob Richard das Bild mit der Gewandtheit und der Kraft eines Möbelpackers von der Wand und lehnte es umgekehrt vor uns hin. Und da stand auf der Kehrseite der Leinwand groß und breit und unverkennbar der Stempel des Britischen Museums vor unser aller Blicken.

Ich glaube, dies war auch der Augenblick, in dem endlich der Funke der von mir entzündeten Lunte die Pulverkammer in Paul Nosters Kopf erreichte. Er stieß ein kurzes Wiehern durch die Nase und murmelte etwas, und wenn ich nicht irre, so sollte das heißen: Unerhört! Dabei sah er den gelehrten Kollegen von Weltruf mit dem Entsetzen an, das der gute Bürger für ein plötzlich in seine Lebenswege einbrechendes sittliches Monstrum empfindet.

Breadsley aber bewahrte eine bewunderungswürdige Kaltblütigkeit. »Hast du mich deshalb eingeladen«, sagte er, »um mir diesen Blödsinn zu erzählen? Und hast du darum auch deine – Freunde dazu bemüht?«

Richards Jungengesicht war voll frühlingsfrischer Heiterkeit: »Ich habe meine Freunde beigezogen, damit das Wissen um diese Dinge nicht untergeht, wenn ich etwa ... plötzlich von der Bühne abtreten sollte. Und was dich betrifft, so möchte ich, daß du dir darüber klar bist, daß du einen guten, dauerhaften Strick um deinen Hals trägst, und daß es in meinem Belieben steht, ihn zuzuziehen.«

»Nach dieser Eröffnung wirst du dich nicht wundern, wenn ich mit Nachdruck erkläre, daß du mir seit jeher als der widerwärtigste Kerl, als der aufgeblasenste dumme Junge erschienen bist, den die Sonne jemals zu bescheinen das zweifelhafte Vergnügen gehabt hat. Und du wirst dich weiter nicht wundern, wenn ich den Wunsch habe, diese gastliche Stätte zu verlassen.«

»Halt!« sagte Richard, als Breadsley sich nach diesen Worten umwandte und aus unserer Mitte verschwinden wollte. »Nur noch eine kurze Feststellung. Für den Fall, daß ich etwa ... unerwartet plötzlich von der Bühne abtreten sollte. Man kann nicht wissen! Und da du ja, falls ich etwa ohne Testament sterben sollte, als mein einziger Verwandter in Frage kommst, wird es dich gewiß interessieren ... nun, dieser Fall wird nicht eintreten. Ich möchte dich nicht darüber im Zweifel lassen, daß ein Testament da ist, und daß ich über mein Vermögen verfügt habe. Ich habe einen Erben.«

Breadsley stand, von einem unsichtbaren Lasso in seinem glorreichen Abgang gehemmt. »Ich habe mir's gedacht«, knurrte er zähnefletschend, »da läuft wohl irgendwo ein unehelicher Balg von dir herum.«

»Ich danke dir für diesen schmeichelhaften Irrtum«, belehrte ihn Brög sonnig, »aber es ist nichts dergleichen. Mein Universalerbe steht hier.«

Es war selbst für einen Breadsley zu viel auf einmal, »Wer? Wo?« keuchte er.

»Mein Freund Paul Noster!« sagte Richard mit einer schwungvollen Handbewegung.

Es gab einen kleinen Krach! In der glasgedeckten Bildergalerie Brögs standen in gleichen Abständen Stühle an der Wand, diese steiflehnigen, furchtbar hochmütig aussehenden Stühle aus irgendeinem der Schlösser Ludwigs des Vierzehnten, echte Stühle, ohne Zweifel. Und aus dem nächststehenden dieser Stühle saß Paul Noster inmitten einer kleinen Wolke aus der Polsterung aufsteigenden Staubes, während in den alten Beinen des Stuhles der Schreck über die plötzliche Belastung noch knackend nachklang.

Zuerst sah es aus, als sei Breadsley wirklich auf dem besten Weg zu zerspringen. Aber dann warf er sich mit einem Ruck herum und setzte seinen unterbrochenen Abgang fort. Er schritt die lange Galerie hinab, und es schien mir, als ziehe er einen stark entwickelten Kometenschweif von Pech- und Schwefeldämpfen hinter sich her.

Als ich mich den andern wieder zuwandte, saß Paul noch immer auf dem Stuhl aus Ludwigs des Vierzehnten Zeiten und rieb sich die Stirn mit einem Ausdruck, als sei ihm eben eröffnet worden, daß er zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt sei.

»Ja ... Richard! Richard!« stammelte er endlich, »was fällt dir ein?«

»Ihr müßt verzeihen, sagte Brög kleinlaut, »daß ich euch zu Zeugen dieser verwandtschaftlichen Auseinandersetzung gemacht habe. Aber es war notwendig, damit ihr – man konnte es fast wörtlich nehmen – im Bilde seid. Und ich brauche euch wohl nicht eigens zu bitten, alle diese Dinge vorläufig gegen jedermann geheimzuhalten.«

»Ich kann das unter keinen Umständen annehmen«, erwiderte Paul mit finsterer Entschlossenheit.

»Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Das Testament ist gestern in aller Form gemacht worden und liegt bei meinem Notar.«

»Richard!« beschwor Paul, nun wieder ganz wehmütig, »wie sollte ich –«

»Du tust mir einen unschätzbaren Gefallen, ja mehr als das. Es ist eine Art Lebensversicherung für mich. Diesem Menschen ... diesem Breadsley ist alles zuzutrauen. Da war so eine Geschichte mit seinem Vorgänger am Museum, das war einer von jenen Leuten, die einen Gutschein für hundertjährige Lebensdauer zu haben glauben. Er saß da, und Breadsley konnte nicht um ihn herum. Dann ist dieser lederne, zählebige Vordermann plötzlich unter seltsamen Umständen gestorben, und Breadsley rückte an seine Stelle. Ich weiß natürlich nichts und habe mich gehütet, hineinzusteigen. Ich will auch nichts geradezu behaupten, wofür mir die Beweise fehlen, aber ich habe mir so meine Gedanken gemacht. Und ich finde ein gewisses Gefühl von Sicherheit darin, einen Universalerben zu haben und einen Riegel vor alle Hoffnungen zu schieben.«

Paul starrte in die aufgerissenen Abgründe.

Und dann meinte Brög, wir hätten so viel geredet, daß uns ein Glas Portwein nicht unwillkommen sein dürfte. Ich hatte zwar nichts geredet, aber hatte doch gegen den Portwein nichts einzuwenden, den uns der geräuschlose Malaie in Richards Rauchzimmer brachte. Über Paul aber vermochten auch die zwei Gläser Wein nichts, die wir ihm einflößten, er saß vollkommen hilflos in einem Klubsessel versunken, die Arme lagen auf den Lehnen, und er schien sich durchaus nicht damit abfinden zu können, auf einmal ein Universalerbe geworden zu sein.

»Paul, raffe dich auf«, ermunterte ich ihn, »das Unglück ist gar nicht so groß, wie du glaubst.«

»Es ist selbstverständlich«, unterstützte mich Richard, »daß du schon jetzt über mein Geld verfügst. Zum Besten der Wissenschaft. Du brauchst bloß zu sagen, was du unternehmen willst. Es gibt kein Hindernis für deine Arbeit und deine wissenschaftlichen Ziele mehr. Eine Rechtfertigung vor dir selbst, sozusagen, weißt du.«

Es machte Richards Seelenkenntnis alle Ehre, dies gesagt zu haben. Dieses Wort von der Rechtfertigung war wie ein Rettungsseil, das Paul zugeworfen wurde. Er ergriff es. Seine Arme auf den Sessellehnen belebten sich, in seine Eingesunkenheit kam Haltung, er richtete sich empor, er stand aus und begann, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer hin und her zu gehen. Es war, als hätte ihm die Wissenschaft in eigener Person zugerufen: Steh auf und wandle!

»Du darfst mir nicht böse sein«, flüsterte mir Richard über die Portweinflasche hinweg zu: »daß ich nicht dich ausersehen habe ... Aber du kannst dir selbst helfen, während er ... Und dann, daß es Paul ist, also ein Kollege, ärgert – ihn mehr.«

Ich denke, ich bin nie so großartig gewesen wie in diesem Augenblick. »Es ist selbstverständlich!« sagte ich. Und da kam auch schon Paul vom Fenster auf uns zugewandelt und blieb vor uns stehen und war eine Flamme von innerer Ergriffenheit: »Wenn es denn sein soll ... und ich ... dann kann ich ja mein Lebenswerk ...«

»Jawohl«, schob ihm Richard voran, »in jeder Hinsicht.«

»Also, das ist die wichtigste Frage: der Zusammenhang zwischen der alteuropäischen, der urgermanischen Kultur und jener der Mayas und Zapoteken!«

Aha! dachte ich, die Bandornamentik und die Felsbilder!

»Nicht der mindeste Zweifel«, loderte Paul, »nicht der mindeste Zweifel für mich. Ich – ich weiß es. Aber die anderen! Da handelt es sich um den streng wissenschaftlichen Nachweis. Und er könnte erbracht werden. Die schwedischen Felsbilder, Schiffe und Männer und Dinge darauf, die man nicht anders deuten kann denn als Elefanten, Kamele und andere Tropentiere. Sie sind mit ihren Schiffen über See gefahren, diese Leute, in grauester Vorzeit schon. Vor Kolumbus haben die Wikinger schon Amerika entdeckt, Winland! Und vor den Wikingern waren noch andere drüben. So erklärt sich's. Die fremden Tiere auf den Felsbildern und die Anklänge an Ureuropa drüben.«

»Das ist einleuchtend!« sagte Richard, als sei schon jetzt auch für ihn der letzte Zweifel ausgeschlossen.

»Ja, und dann! Dieser weiße Gott oder König der mexikanischen Legende! Quetzalcoatl!«

»Jawohl, Quetzalcoatl natürlich!« bestätigte Richard.

»Sie erzählen, daß ein weißer Mann übers Meer gekommen sei, der ihnen Glaube, Sitte, Recht, Getreidebau und alle Handwerke gelehrt habe. Ein weißer Mann, eben dieser Quetzalcoatl, den sie dann zu ihrem König und Gott gemacht haben. Dieser weiße Mann ist keine Mythe, er ist eine historische Gestalt.«

»Nichts ist gewisser«, schürte Richard das gelehrte Feuer.

»Eine historische Gestalt!« schrie Paul auf dem Siedepunkt, »irgendeiner von diesen vorzeitlichen Seefahrern. Im äußersten Fall ein Wikinger, schon im Dämmern der Geschichte. Und es handelt sich darum, das Grab dieses weißen Königs zu finden. Ich werde es finden und ihm sein Geheimnis entreißen!«

»Hm!« machte Richard, und auf einmal war es, als ersticke die Fröhlichkeit seiner aufmunternden Zustimmung unter einem Schatten von Bedenken. Er schien plötzlich gar nicht mehr so darauf erpicht, Pauls Pläne zu fördern und seine Begeisterung anzufachen. Aber davon merkte Paul in seiner Hingerissenheit natürlich nichts und fuhr fort: »Aus diesem Grab werde ich mir die Beweise holen, es wird sprechen müssen, dieses Grab, der Tote wird auferstehen und für mich zeugen.«

»Hm!« machte Richard noch einmal, und dann betrachtete er aufmerksam seine Nägel: »Hast du bedacht, Paul ... man soll die Toten ruhen lassen. Es tut nicht gut, alte Gräber aufzureißen.«

»Die Wissenschaft!« posaunte Paul, »die Wissenschaft kann vor Sentimentalitäten nicht haltmachen.«

»Das sind keine Sentimentalitäten, mein Lieber. Was wissen wir von den geheimen Kräften, die in solchen Gräbern eingeschlossen sind und die wir mit frevelnder Hand entfesseln? Diese Priester und Könige der Vorzeit, die dem magischen Menschen noch näherstanden, mögen im Besitz von seltsamen Kenntnissen gewesen sein, mit denen sie die Gräber gebannt haben. Wir beschwören Furchtbares herauf, wir geben uns Mächten preis, denen wir keinen Namen wissen.«

Es war mir überaus verwunderlich, Richard so sprechen zu hören, Richard Brög, der unter uns Jungen der unentwegteste Vertreter des gesunden Menschenverstandes gewesen war. Die Mitglieder des theosophischen Vereins, den einige der Kameraden gebildet hatten, pflegte er nicht anders als die Nachteulen zu nennen.

Ich kam mir ungeheuer überlegen vor, ihn mit seiner eigenen Vergangenheit in die Enge treiben zu können, und strahlte im hellsten Licht der Aufgeklärtheit: »Richard«, sagte ich, »seit wann bist du unter die Okkultisten gegangen? Machst du auch diesen modrigen Unfug mit? Glaubst du an Zauberei und Magie und das ganze Brimborium, das sich jetzt so breitmacht?«

»Gewisse Dinge geben jedenfalls zu denken«, erwiderte Richard. »Diese Sache mit dem Grab des Tut-ench-Amon zum Beispiel ...«

»Nun, die Leute haben Pech gehabt! Ein paar dumme Zufälle haben die alten Weiber in Aufruhr gebracht. Eine giftige Fliege – was ist das schon für eine Zauberei!«

»Man kann es auch anders auslegen«, sagte Richard kopfschüttelnd.

Aber ich war entschlossen, ihn gründlich abzuführen: »Wie ich für meine Zeitung in Moskau war, hat sich dort eine merkwürdige Geschichte abgespielt. Jeder Russe ist davon überzeugt, daß die unterirdischen Gänge im Kreml, diese Gänge mit den Gräbern von Bischöfen, Patriarchen und Fürsten voll von Schätzen sind. Da ist die Mitra des Patriarchen Nikon, die allein einen Wert von vierzig Millionen Mark haben soll. Ein Edelstein ist darin, der Julius Cäsar gehört hat. Und es sollen sich dort Reste der großen Bibliothek des Zaren Iwan des Schrecklichen befinden, in der sich die aus dem Brand geretteten Manuskripte der alexandrinischen Bibliothek erhalten haben. Es wird erzählt, daß Napoleon im Jahre 1812 in dieses Gewölbe hinabgestiegen ist, um der Sache nachzugehen. Aber er soll so fürchterliche Dinge dort unten zu sehen bekommen haben, daß er das Gewölbe außer sich vor Schrecken fluchtartig verlassen hat. Napoleon! Nun, die Bolschewiken haben keine Ehrfurcht vor den Gräbern toter Bischöfe und Fürsten, hingegen können sie alle Arten von Kostbarkeiten sehr gut brauchen. Eine Abteilung Rotgardisten ist beauftragt worden, die Schätze aufzusuchen und ans bolschewikische Tageslicht zu bringen. Aber die Leute sind ganz bestürzt zurückgekommen und haben zuerst gar nicht recht sagen wollen, was sie so eingeschüchtert hat. Schließlich haben sie bekannt, sie hätten die Mumie eines Patriarchen aus dem Sarg heben wollen, aber sie sei so schwer gewesen wie ein Stein und habe angefangen zu wimmern. Da hat man nun eine Kommission hinuntergeschickt, um die Sache zu untersuchen. Wirklich, der mumifizierte Kirchenfürst ist schwer wie ein Stein und wimmert ganz erbärmlich. Die Arbeiter werfen die Werkzeuge hin und laufen davon. Aber die Kommission hält aus und geht dem Spuk auf den Grund. Und findet, daß man den alten Herrn nicht aus den Sarg heben kann, weil er in Ketten angeschlossen gewesen ist, und daß man, wenn an ihm gezogen wird, einen Blasebalg am Kopfende des Sarges in Bewegung setzt, der ein Ächzen und Wimmern hervorbringt. Und ganz ähnlich war es mit den unheimlichen Erscheinungen bei den anderen Särgen. Ich kann sonst die Bolschewiken nicht leiden, aber diese Sache haben sie angepackt wie vernünftige moderne Menschen.«

»Du wirst hoffentlich nicht sagen wollen«, meinte Richard mit einem Lächeln, »daß ich mich vor Blasebälgen und dergleichen fürchte.«

Es war Vorsicht am Platze, dieses Lächeln warnte mich. »Fürchten! Nein!« sagte ich, »nur daß du einer gewissen Suggestion ...«

»Es ist mir sicherlich auch nicht um mich«, fuhr Richard mit demselben gefährlichen Lächeln fort, »das wirst du wohl auch nicht glauben, sondern um die anderen.« Er wies mit einer Bewegung des Kopfes auf Paul Noster hin.

Von alledem hatte Paul Noster nichts gehört. Er hatte in der Handbücherei des Rauchzimmers einen großen Atlas entdeckt und sich damit in eine Ecke gesetzt, wo er ihn aus den Knien hielt und den Finger auf der Karte von Mexiko spazieren schickte. Sein Blick umfaßte das Land seiner Sehnsucht von Meer zu Meer, und seine Phantasie wühlte offenbar bereits in der Erde und grub die fabelhaftesten Beweise aus, die Beweise für seine Überzeugung, vor der ihm Leben und Tod zu einem Nichts zusammenrannen.

Richard Brög sah eine Weile zu, dann stand er auf und legte Paul die Hand auf die Schulter: »Nun, und wann glaubst du mit deinen Vorbereitungen fertig zu sein?«

Paul schaute auf, das Gesicht geladen von archäologischen Spannkräften, die Funken zu sprühen schienen. Er stieß den Finger auf einen Punkt der Karte und sagte ein Wort, ein einziges Wort: »Mitla!« Ich vergaß es damals gleich wieder, aber es sollte mir dann später noch recht deutlich in Erinnerung kommen.

Ich weiß nicht, wie es kam, daß mir in diesem Augenblick plötzlich neben seinem Gesicht das des Mister Forst erschien, mit jenem Ausdruck höhnischer Schadenfreude, als er gesagt hatte: »Es gibt Dinge, hinter die Sie niemals kommen werden.«


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