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5. Kapitel: Der ältere Buddhismus. Der Jinismus

Wir greifen zurück in die Zeit, die auf die ältesten Upaniṣaden folgte. Aus der Fülle verschiedenartiger Keime, die jene frühe Schau begleiten, ist mancherlei aufgeblüht. Vom Sāṃkhya und vom Yoga haben wir gesprochen. Sie schienen uns in Kreisen zu erwachsen, die die alten Ideen weiter verarbeiteten und in gewisser Richtung in ihren Konsequenzen weiterführten. Aehnlich, doch mit größerer Entschiedenheit die neuen Gesichtspunkte betonend, erwächst die Lehre, deren Predigt den Buddha für alle Zeiten, weit über Indien hinaus, zu einem der großen Menschheitsführer gemacht hat.

Von den äußeren Schicksalen dieser gewaltigen Persönlichkeit zu reden, ist hier nicht der Ort. Ueber den Bericht der ältesten Lebenslegende von seiner Abstammung aus einem vornehmen, am Fuße des Himālaya begüterten Geschlechte, von seinem Weggang aus dem Luxus des väterlichen Hauses, seinem Ringen um die rechten Mittel zur Erreichung des erkannten Zieles, seiner Erleuchtung unter dem heiligen Feigenbaum, dem jahrzehntelangen Herumwandern im nordöstlichen Indien als Lehrer und Leiter einer stets wachsenden Gemeinde und seinem in hohem Alter erfolgten Tode, den man um 480 v. Chr. anzusetzen pflegt, über all das mag sich der Leser aus den zahlreichen speziellen Buddhabüchern unterrichten.

Auch auf die Tradition der Lehre, ein mit Problemen verwickeltster Art beladenes Thema, über das die Forschung noch lange nicht das letzte Wort gesprochen hat, kann hier nur flüchtig hingedeutet werden [R70]. Die älteste uns überkommene Darstellung findet sich in einem sehr umfangreichen Korpus von Werken, welches unter dem Namen »Dreikorb« ( Tipiṭaka) Schriften über die Zucht oder Gemeindeordnung ( Vinaya-piṭaka), sowie über die Lehre in Dialogen, Predigten, Versen und Prosaerzählungen ( Sutta-piṭaka) und scholastische Handbücher ( Abhidhamma-piṭaka) enthält. Die Sprache dieses Kanons, schwerlich das Idiom, in dem der Buddha gepredigt hat, sondern eine wahrscheinlich auf mehreren mittelindischen Dialekten aufgebaute Literatursprache, heißt Pāli. So spricht man von dem Pālikanon zum Unterschiede von dem Kanon, der in der klassischen Hochsprache des Sanskrit abgefaßt war. Dieser Sanskritkanon, wahrscheinlich auf denselben Materialien wie der Pālikanon aufgebaut, hat sich in alten Originalen nicht erhalten, ist aber teilweise aus chinesischen Uebersetzungen späterer Zeit bekannt. Die buddhistischen Sanskritwerke, die uns vorliegen, gehören durchweg der nachchristlichen Zeit an und stellen größtenteils Weiterentwicklungen der ursprünglichen Lehre dar. Der philosophisch sehr wichtige Inhalt dieser Literatur wird uns in einem späteren Kapitel beschäftigen; im vorliegenden ziehen wir allein den Pālikanon in Betracht. Ueber seine allmähliche Entstehung (denn daß es sich nicht nur hinsichtlich des Ganzen, sondern auch bis tief ins Einzelne um Kompilationen handelt, scheint gewiß) sind wir nicht durch verbürgte Zeugnisse unterrichtet. Er selbst spricht von zwei Konzilien, eines gleich nach dem Tode des Meisters, das andere hundert Jahre später, auf denen Vinaya- und Suttapiṭaka redigiert worden sein sollen. Spätere Tradition fügt ein drittes Konzil in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts unter dem Kaiser Aśoka hinzu, dem eine erneute Feststellung des ganzen Kanons (also mit Einschluß des Abhidhammapiṭaka) zu verdanken wäre. Ohne auf eine kritische Untersuchung dieser Ueberlieferung einzugehen, läßt sich über Suttapiṭaka und Abhidhammapiṭaka -- den Vinaya scheiden wir hier als uns nicht interessierend aus -- folgendes sagen: In den nächsten beiden auf Buddhas Tod folgenden Jahrhunderten wird das Suttapiṭaka kompiliert worden sein. Unter seinen Bestandteilen macht der Dīghanikāya (die Sammlung der langen Texte) im großen und ganzen den Eindruck, die ursprüngliche Lehre am besten zu überliefern, ohne daß man freilich sagen dürfte, hier hätten wir die reine Lehre des Buddha vor uns. Einer der besten Kenner des Pālikanons hat daher seine auf dem Dīghanikāya fußende Darstellung mit Recht »die Buddhalehre in ihrer erreichbar ältesten Gestalt« genannt.

In dieser Lehre stehen als leitend im Vordergrunde die Gedanken, daß dieses Dasein leidvoll ist, daß es aber einen Ausweg aus dem Leiden gibt, der lehrbar ist. Während der Geist der belehrenden Dialoge des Dīghanikāya also auf die Erlösung gerichtet ist, der sich alles andere als Mittel zum Zweck unterordnet, tritt in anderen Teilen des Suttapiṭaka neben diesem Geiste eine andere Tendenz hervor, die stärker auf diese Mittel hinsieht. Solche Neigung zur Systematisierung der gleichsam wissenschaftlichen Elemente, mit denen die Lehre wohl von früh an arbeitete, wird eklatant im Abhidhammapiṭaka. Was Werkzeug war, wird in diesen scholastischen Lehrbüchern in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, und dadurch verändert sich, ohne daß wesentlich Neues hinzukäme, doch das ganze Bild, indem uns statt einer lebendigen Erlösungspredigt ein konstruiertes System entgegentritt. Ob dieser Zustand, wie man bis jetzt glaubt, tatsächlich schon in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts erreicht war, kann erst eingehendere Spezialforschung lehren. Mögen aber die Bücher des Abhidhamma wirklich schon so frühe ihre heutige Form erhalten haben, ganz klar wird vieles in ihnen erst durch die Erklärungen der buddhistischen Kommentatoren, besonders des Buddhaghosa im fünften nachchristlichen Jahrhundert. Wie weit dieser nun im alten Sinne gearbeitet hat, wie weit er neue Gedanken hinzufügt, das ist ein weiteres schwieriges Problem, wie es in ähnlicher Form immer wieder die historische Erforschung indischer Geistesprodukte kompliziert.

Alle diese Bedenken erwähne ich hier nur als Einleitung zu der wichtigsten Frage buddhistischer Forschung, die auch dem Fernstehenden nicht verborgen bleiben darf. Zwei Möglichkeiten gibt es, den Buddhismus darzustellen, beide können den Materialien, die uns vorliegen, Genüge tun: die eine wird den Stoff nach den Gesichtspunkten der älteren Literaturdenkmäler ordnen, in denen die vier edlen Wahrheiten und die drei großen Stadien des Heilsweges im Vordergrunde stehen; die andere greift nach dem systematisch-philosophischen Begriffsschema der späteren Zeit, aus der Predigt wird ein scholastisches System. Eine solche Auffassung wird sich auf den Standpunkt stellen, daß der Buddha nur, um seine Lehre zu verbreiten, populär gesprochen, für sich aber hinter der Predigt ein philosophisches System verborgen gehalten habe. Auch bei der hier nötig werdenden Entscheidung sind wir nur auf Wahrscheinlichkeitserwägungen angewiesen. Diese scheinen mir aber nun durchaus gegen die Annahme eines ursprünglich systematischen Buddhismus zu sprechen. Vor allem kommt hier die ganze Persönlichkeit des Stifters und die Stimmung der alten Gemeinde in Betracht, soweit wir sie eben aus den allgemein als älter anerkannten Teilen des Kanon zu erfassen vermögen. Wie sich in jenen älteren Teilen des Kanons Materialien zu einem System (z. B. Bemerkungen über den Wahrnehmungsprozeß, über die Grundlosigkeit des Seelenbegriffs, über die Bedeutung des Kausalgesetzes im Empirischen usw.) erkennen lassen, so in der Methode des Abhidhamma Elemente der formalen Logik, und wie man im Abhidhamma noch nicht dazu gekommen ist, die Theorie aus dem Gebrauch zu abstrahieren, so steht es auch mit den speziell philosophischen Problemen im älteren Kanon. Daher glauben wir, an der durch die Texte indizierten Folge festhaltend, die Buddhapredigt (wenn dies ungenaue Wort einmal gestattet sein soll) als das Aeltere, die buddhistische Systematik als das Jüngere ansehen zu dürfen. In diesem Sinne werden wir in diesem Kapitel den älteren Buddhismus zuerst in seiner ältesten uns erreichbaren Gestalt betrachten und dann einige Züge aus den späteren systematischen Teilen des Pālikanons hinzufügen, während die im Sanskrit überlieferten Lehren einem späteren Kapitel vorbehalten bleiben.

»Wie das große Meer nur von einem Geschmack durchdrungen ist, vom Geschmacke des Salzes, also ist auch diese Lehre ( dhamma) und diese Ordnung ( vinaya) nur von einem Geschmack durchdrungen, vom Geschmack der Erlösung« [R71].

Dieser alte Satz besagt also, daß die Lehre des Buddha eine Heilslehre sein will, eine praktische Methode zur Befreiung von einem Uebel, wie der Arzt sie dem Kranken gegenüber handhabt. Auch Śāṇḍilya und Yājñavalkya wollten in erster Linie das Heil lehren, nicht eine intellektuelle Wissenschaft, wenn sie ihre Hörer zum Absoluten hinzuführen suchten. Der Unterschied ihrer Heilslehre aber von der des Buddha liegt in der Betonung: Die alten Upaniṣaden betonen das Ziel, das Eingehen zum Absoluten, die Zuwendung zu ihm, neben dem alles andere leidvoll ist. Aber recht gesehen ist der Ātman ja die Essenz von allem, recht verstanden ist ein jeder schon mit dem Höchsten vereinigt, es bedarf nur der Realisation dieser Tatsache. Die Schwierigkeiten, die sich hier weiterem Nachdenken auftun, wurden von den alten Weisen noch nicht empfunden; die jüngeren Upaniṣaden haben die Lösung versucht, indem sie Materie und Geist sonderten. Damit war die Abwendung vom Materiellen in den Vordergrund des Heilsweges gestellt. In ähnlicher Weise setzen die buddhistischen Gedanken die alten Upaniṣaden fort: Die Abwendung steht im Vordergrunde, freilich nicht von der Materie als einheitlichem Begriff -- warum der hier nicht stehen kann, werden wir bald sehen --, sondern nur gleichsam von dem Verhalten der Materie, von ihrer psychologischen Bedeutung. Die alten Weisen glaubten die Anziehungskraft des Werdens zu Brahman nicht begründen zu brauchen, überwältigend schien das Ziel, wenn nur erkannt, zu locken, und doch begründeten sie es schon, wenn sie es frei von Alter und Kummer und Tod nannten. Nun aber treten diese Gedanken in den Vordergrund, denn die Abwendung soll begründet werden, der Buddha lehrt dem Menschen, daß er krank sei, damit er zur Heilung dieser Krankheit schreite. Das ist der Sinn der vier edlen Wahrheiten vom Leiden, welche die Legende dem Meister bei seiner ersten großen Predigt zu Benares kurz nach Erreichung der Erleuchtung ( bodhi) in den Mund legt.

Die erste Wahrheit stellt die Tatsache des Leidens für das ganze menschliche Leben fest: Geburt und Alter und Krankheit und Tod, das Unerfreuliche des Lebens, kurz alle unsere Beziehungen zur Welt sind Leiden.

Wie kommt der Buddha zu dieser Feststellung? Stärker als in den jüngeren Upaniṣaden tritt bei ihm der Gedanke der Weltabwendung hervor, er erscheint als die Grundlage des buddhistischen Weltverhältnisses. Hier glauben wir engste Zusammenhänge mit der alten Upaniṣadlehre zu sehen: Das Ideal, das jenseits alles Werdens das unveränderliche Sein darstellte, das die Alten »Brahman« nannten und das ihnen als zu erstrebendes Ziel erreichbar schien, wird zwar im Buddhismus fallen gelassen. Die Brahmanen, die von dem Weg zur Vereinigung mit Brahman reden, werden mit einer Reihe von Blinden verglichen, die sich aneinander festhalten; sie reden von etwas, was sie nicht sehen. Von der Vereinigung mit Brahman zu sprechen ist so unüberlegt, wie wenn einer sagen wollte: »Ich liebe die Schönste in dem und dem Lande und möchte sie besitzen«, ohne ihren Aufenthaltsort, ihren Namen oder ihr Aussehen zu kennen [R72]. In dieser Ablehnung des Brahman-Gedankens spricht neben den Rivalitätsgefühlen des Neuerers die Ehrfurcht vor dem Metaphysischen, das jeder Erkenntnis transzendent ist. Wir haben gesehen, daß auch Yājñavalkya diesen Standpunkt kennt, und wir werden das Problem bei der Besprechung des Nirvāṇa wieder berühren; hier handelt es sich darum, daß das Brahman vom Buddhismus aufgegeben wird, daß aber sein Korrelat, die Wertung aller Vergänglichkeit als leidvoll, aufs schärfste herausgearbeitet ist. Kann man auch von dem absoluten Sein nicht reden, so bleibt es doch stillschweigend das Ideal. Nur das Werden umgibt den Menschen, der ewige Wechsel, in dem kein Bestand ist. Daß diese dauernde Veränderung nicht etwa als Aktivität erzeugend, sondern als schlechthin leidvoll empfunden wird, zeigt deutlich, daß all das am Maßstab des unbewegten Absoluten gemessen ist. Alles, was wird, muß vergehen, alles ist vergänglich und deshalb Leiden. Der Pessimismus, der aus diesem buddhistischen Grunddogma spricht, darf freilich nicht mit Resignation verwechselt werden; die vierte edle Wahrheit wird uns das aufs deutlichste zeigen.

Hier aber soll erst noch die Vergänglichkeitslehre in zwei andern philosophisch wichtigen Aspekten betrachtet werden, nämlich hinsichtlich der beiden Begriffe Materie und Seele.

Der Begriff der Materie ist in den ältesten Upaniṣaden noch nicht zu seinem Rechte gekommen. Während die primitiveren Anschauungen gewisser Stücke von Schöpfungen des Ātman reden, die als die Urfaktoren der materiellen Welt betrachtet werden, erörtern die Reden Yājñavalkyas diese Frage nicht, gleichsam als wenn man gefühlt hätte, daß jene primitiven Antworten nicht genügten, ohne daß doch ein Weg zu tieferer Lösung sichtbar war. Wir sahen dann in den jüngeren Upaniṣaden den Gedanken einer feinstofflichen, von aller Schöpfung unabhängigen Urmaterie sich durchsetzen und so die Lücke in den Anschauungen der Alten durch Entscheidung nach einer Richtung hin sich schließen. In anderer Richtung hat das buddhistische Denken das Problem zu bewältigen gesucht. Seine Vorstellung des ewigen Werdens und Vergehens scheute aufs tiefste vor der Annahme eines festen Urgrundes zurück, sie war ihm eine sinnlose Gedankenkonstruktion. An der Stelle dessen, was in der Sāṃkhyalehre »Prakṛti« (feinstoffliche Urmaterie) heißt, steht im Buddhismus die Gesetzmäßigkeit als solche. Die alte Literatursprache der Buddhisten gebraucht dafür das Wort Dhamma (Sanskrit dharma). Dhamma bedeutet vor allem Gesetz, Norm. So ist es die ständige Bezeichnung für die Norm, die der Buddha verkündigt hat, es ist aber auch die Norm, die das Weltgeschehen beherrscht, die in der unaufhörlichen Veränderung das Wesentliche, das Reale ist, so daß Materielles wie Seelisches oft einfach a fortiori »Dhamma« genannt wird [R73].

Damit erhebt sich nun die Frage über das Außenweltproblem im alten Buddhismus. Ist die Welt da draußen -- von der inneren Welt wird nachher zu reden sein -- nur ein subjektives Phänomen eines objektiv unerkennbaren Dinges an sich oder ist sie reine Illusion, gedankliche Schöpfung aus dem Nichts? Beide Auffassungen haben im späteren Buddhismus ihre Vertreter gefunden; einflußreiche Schulen, die wir noch näher kennenlernen werden, haben sie ausgearbeitet und als den wahren Sinn der alten Buddhalehre hingestellt. Es ist nicht zu leugnen, daß mancher Ausspruch im Kanon auf solche Deutung hinzuführen scheint. Betrachten wir aber die Stimmung des Ganzen, so drängt sich doch das Gefühl auf, daß die eben formulierten Fragen falsch gestellt sind, daß sie dem alten Buddhismus Probleme aufdrängen, die sich für ihn nicht so darstellten. Buddhas Ablehnung von Spekulationen um ihrer selbst willen ist sattsam aus dem Kanon bekannt und oft hervorgehoben worden. Er lehnte sie ab, weil sie nicht zur Befreiung vom Leiden beitrügen. Denn Erlösung vom Leiden wollte er lehren und nichts anderes. Unter diesem Gesichtspunkt ist ihm alles, was innerhalb und außerhalb des Menschen ist, schlechthin »gegeben«. Auf die Frage, wodurch gegeben, würde er geantwortet haben, daß man jedes Gegebene als Glied einer anfanglosen Kausalreihe zu verstehen habe, deren Aufhebung das Ziel ist. So bedeuten die Dhammas im weitesten Sinne »Gegebenheiten«.

Die Anschauung, daß alles Empirische dem Gesetz des Werdens und Vergehens unterworfen ist, führt auch zur Ablehnung des Selbst- und Seelenbegriffs, wie ihn die alten brahmanischen Weisen im Ātman gefunden hatten. Der Mensch besteht nach buddhistischer Auffassung aus fünf Hauptteilen oder Khandhas (Sanskrit skandha), nämlich aus Körperlichkeit ( rūpa), Empfindung ( vedanā), Wahrnehmungsbewußtsein ( saññā), Bildekräften ( sankhāra) und geistigem Bewußtsein ( viññāṇa). Jeder dieser Faktoren ist dem Gesetz beständiger Veränderung unterworfen, und daher kann weder einer von ihnen noch alle zusammen das einheitliche Substrat sein, das man »Selbst« oder »Seele« zu nennen gewohnt ist. Ansprechend ist der Anlaß der Khandha-Lehre in jener Spaltung der Gesamtwesenheit vermutet worden, die der Meditierende erlebt, wenn er das auf einer Stufe gefundene Ich jedesmal in der nächst höheren überwindet, ohne ein absolutes Ich zu erreichen [R74]. Diese Auffassung ist also jener des Sāṃkhya von der Isolierung des absoluten Puruṣa diametral entgegengesetzt, und doch ergibt sie in gewisser Hinsicht ein ähnlich klingendes Resultat, was uns an die oben berührte Gemeinsamkeit des Abwendungsprinzips in Sāṃkhya und Buddhismus erinnert und die Atmosphärenähnlichkeit der beiden doch so verschiedenen Geistesrichtungen zeigt. Wie dort der aus dem psychologisch-metaphysischen Ahaṃkāra stammende Wahn ( abhimāna) des Puruṣa, mit der Materie zusammenzugehören (»das bin ich, das ist mein«, Maitr. Up. 3, 2), zu seiner Bindung führt und ihn an der Erreichung der Erlösung, d. h. der Realisierung seiner absoluten Natur hindert, so ist es im Buddhismus von seinem psychologisch-ethischen Standpunkt der Wahn »ich bin« ( asmimāno) [R75], dessen man sich entäußern muß, der Irrglaube an ein festes Substrat in dem beständigen Wechsel der inneren Zustände. Schön wird diese Grundlehre durch das Bild der Flamme veranschaulicht: Das Selbst ist gleichsam eine Flamme, die durch das Ergreifen der Sinnenwelt mittels der fünf Khandhas genährt wird. Scheinbar immer die gleiche, ist diese Flamme doch beständig eine andere; sie führt diese immerfort sich erneuernde Existenz, d. h. sie brennt, solange ihr Brennstoff zugeführt wird; wenn das aufhört, erlischt sie. Dies Erlöschen ist die Erlösung, über die nachher zu reden sein wird. Hier aber kann uns das Bild der Flamme noch über eine Schwierigkeit hinweghelfen, die auch in buddhistischen Kreisen auf die Dauer schwer empfunden worden ist.

Zu den Grundlehren des Buddhismus gehört die Lehre von der Wiedergeburt, die als ein keines Beweises mehr bedürftiges, selbstevidentes Dogma aus der Vorzeit übernommen ist. In dem ganzen Umfang ihrer moralischen Bedeutung beherrscht sie die Ethik des Buddhismus und hat vielfach die Phantasie zu weitgehendster Ausmalung angeregt. Der Wiedergeburtsgedanke nun scheint sich auf den ersten Blick mit der Ablehnung eines festen Persönlichkeitssubstrats kaum vereinigen zu lassen. Aber diese Vereinigung gelingt, wenn man die Fortdauer der Existenzen im Bilde der Flamme erfaßt, als die sich die seelische Existenz in einem Leben darstellte. In diesem Sinne ist es nicht dasselbe Wesen und es sind auch nicht verschiedene Wesen, die in der Reihe der Existenzen einander ablösen [R76]. Dazu kommt, daß der beständige Wechsel, dem alles Erfahrbare unterliegt, streng von dem Kausalitätsgesetz beherrscht wird. Durch das Kausalitätsgesetz ist die moralische Fortwirkung der Taten gesichert, die seit den ältesten Upaniṣaden mit der Wiedergeburtslehre verknüpft ist. Wenn durch die brennende Lampe eines Mannes benachbartes Stroh in Brand gerät, durch das brennende Stroh das Haus, durch das brennende Haus das Dorf, so haben die Dorfleute recht, wenn sie den Mann zur Verantwortung ziehen, denn seine Entschuldigung, die Flamme seiner Lampe habe nichts zu tun mit dem Feuer, das das Dorf in Brand gesetzt hat, ist nicht stichhaltig [R77]. Auf diese Weise ist die persönliche Verantwortlichkeit trotz des Mangels der Subjektsidentität gesichert. Solche Fortwirkung der Tat, ganz abgesehen vom Fortleben der Persönlichkeit, scheint schon lange vor Buddha nicht unbekannt gewesen zu sein. Es gibt sehr alte Upaniṣadstellen, die das andeuten [R78]. Jedenfalls hat offenbar vom ältesten Buddhismus an die moralische Bedeutung des Wiedergeburtsdogmas zu den selbstverständlichen Grundbestandteilen der Lehre gehört.

An die erste edle Wahrheit, welche die Tatsache des Leidens konstatiert, schließt sich die zweite vom Ursprung des Leidens als Begründung an. Dieser Ursprung wird gefunden in der taṇhā (Sanskrit tṛṣṇā), d. h. in dem Durst, in der sinnlichen Begierde. Neben dieser kurzen programmatischen Erklärung findet sich im Kanon noch eine ausführlichere Begründung des Leidens, die unter dem Namen des Kausalnexus (Pāli: paṭiccasamuppāda, Sanskrit: pratītyasamutpāda, wörtlich: »das Entstehen in Abhängigkeit«) bekannt ist, später auch als die Kette der zwölf Nidānas, d. h. Ursachen. Die älteste Tradition stellt diese Formel nach Zeit und Bedeutung in nächste Nähe der vier edlen Wahrheiten, weiß aber auch von ihrer »Tiefe«, d. h. von der Schwierigkeit ihrer Erfassung. So hat die Formel auch in der modernen abendländischen Forschung zu sehr verschiedenen Deutungen Anlaß gegeben, deren Diskussion hier nicht am Platze ist [R79]. Wir versuchen statt dessen, die Formel nach ihren zwölf Gliedern zu entwickeln, um nachher einige Bemerkungen über ihre Bedeutung im Ganzen anzuschließen. Dem Wesen einer Kausalreihe entsprechend kann unsere Formel vorwärts oder rückwärts betrachtet werden. Beide Darstellungsarten finden sich im Kanon, aber die zugänglichere scheint die rückwärtige, von unten beginnende, welche daher dem Folgenden zugrundegelegt werden soll.

»Vor meiner Erleuchtung, ihr Mönche«, so läßt man den Buddha einmal erzählen, »kam mir der Gedanke: ›Elend ist's mit der Welt! Man wird geboren und altert und stirbt und entsteht wieder, aber kein Ausweg aus diesem Leiden ist zu sehen, keine Möglichkeit, dem Alter und dem Tode zu entrinnen; ach, wann wird sich ein Ausweg auftun!‹ Da kam mir, o Mönche, der Gedanke: ›Was muß denn da sein, damit Altern und Sterben möglich sei, wodurch sind denn Alter und Tod bedingt?‹ Und indem ich der Sache auf den Grund ging, kam mir die Einsicht: Geburt ( jāti) muß da sein, durch Geburt bedingt sind Alter und Tod.« In diesen Worten haben wir die beiden ersten Glieder unserer Formel kennengelernt: (1.) Alter und Tod geht zurück auf (2.) Geburt. Wodurch aber ist Geburt bedingt? Durch (3.) Werden ( bhava). Der Begriff des Werdens führt uns in die Vorgeschichte des jetzigen aktuellen Lebens. Dies war nur möglich, weil sich der Mensch des vorangegangenen Lebens in den Strom des Geschehens eingelassen hatte, d. h. das Werden ist bedingt durch (4.) das Ergreifen ( upādāna). Ohne Ergreifen der sinnlichen Welt wäre ja kein zu neuer Geburt führendes Leben möglich gewesen. Das Ergreifen der sinnlichen Welt aber geschieht auf Grund (5.) des Durstes ( taṇhā, tṛṣṇā), der sinnlichen Begierde nach den Dingen der Welt. Diese Begierde nährt sich durch die Wahrnehmung angenehmer Dinge, so ist Begierde bedingt durch (6.) Empfindung ( vedanā). Empfindung aber ist verursacht durch (7.) Berührung ( phassa, sparśa) der Dinge mit den Sinnen. Also kommt Berührung durch (8.) die Sinne ( ṣaḍāyatana) zustande. Die Sinne wiederum setzen eine (9.) Person voraus, welcher Begriff hier mit dem alten uns aus den Brāhmaṇatexten bekannten Kompositum »Name-und-Gestalt« ( nāma-rūpa) wiedergegeben wird. Name-und-Gestalt aber bildet sich im Mutterleibe, wenn das (10.) Bewußtsein ( viññāṇa, vijñāna), die spirituelle Grundlage der Persönlichkeit, in die Mutter eingegangen ist, und die Eigenart dieses Bewußtseins ist bestimmt durch die (11.) Gestaltungen ( sankhāra, saṃskāra), d. h. die reinen und unreinen Bildekräfte auf dem Gebiete von Körper, Rede, Geist, die in dem früheren Leben lebendig waren, samt ihren Wirkungen; und daß solche Gestaltungen stattfinden konnten, durch die das alte Viññāṇa angeregt wurde, sich in einem anderen Mutterleibe zu erneuern, das verschuldete (12.) das Nichtwissen ( avijjā, avidyā) dessen, was der Buddha als das Erlösende gelehrt hat.

Ueberblicken wir die Formel im ganzen von Anfang an: (1.) Nichtwissen, (2.) Gestaltungen, (3.) Bewußtsein, (4.) Name-und-Gestalt, (5.) Sinne, (6.) Berührung, (7.) Empfindung, (8.) Durst, (9.) Ergreifen, (10.) Werden, (11.) Geburt, (12.) Kummer, Alter und Tod, so müssen wir zuerst betonen, was sie gewiß nicht ist: eine Darstellung kosmischer Entwicklung. Weltprobleme hat der Buddha als für die Erlösung unerheblich zu erörtern abgelehnt. Ihm kommt es darauf an, zu zeigen, wie sich der leidvolle Kreislauf ( saṃsāra) vollzieht, in welchen der gewöhnliche Mensch verstrickt ist. Das Ergebnis dieser Lehre ist, daß alle Stadien des Saṃsāra kausal abhängig sind. Wenn man aber die Ursache eines Zustandes kennt, dann hat man ein Mittel zu seiner Aufhebung gefunden, denn wenn die Ursache aufgehoben ist, so ist damit auch die Wirkung aufgehoben. Das ist der Sinn des Schemas, welches oft als Quintessenz des Kausalnexus aufgestellt wird: »Wenn dies ist, wird auch jenes; auf Grund des Entstehens von diesem entsteht auch jenes; wenn dies nicht ist, dann wird auch jenes nicht; durch die Aufhebung von diesem wird auch jenes aufgehoben« [R80].

Die aktuelle Formel nun, in welcher dieser Sinn anschaulich gemacht werden soll, trägt den Charakter primitiven Philosophierens. Der Zusammenhang der einzelnen Glieder ist nicht immer im strengen Sinne kausal, wie oft von der Forschung bemerkt worden ist. Die Aufzählung der Glieder ist nicht das Resultat sorgfältiger Auslese. Wenn die einfache Entwicklung der Formel, wie ich sie oben versucht habe, den alten Sinn trifft, so kann man sich dem Eindruck des gleichsam Extemporierten kaum entziehen. Dieser Mangel macht es verständlich, daß Variationen vorkommen, daß z. B. manchmal »Nichtwissen« und »Gestaltungen« fehlen und zwischen »Bewußtsein« und »Name-und-Gestalt« reziproke Kausalität konstatiert wird. Bei strenger Systematik müßte ein solcher Wegfall das Ganze schwer schädigen, bei der Konzeptionsart unserer Formel macht es wenig aus. Der anfang- und endlose Saṃsāra soll veranschaulicht werden. Das kann kürzer oder länger geschehen. In der vollständigen Fassung sind drei aufeinanderfolgende Existenzen -- das müssen wir, meine ich, den indischen Exegeten unbedingt glauben --, Symbol des unendlichen Kreislaufs der Wiederverkörperung. Vom Anfang an gerechnet stellen Nr. 3-9 das aktuelle Leben dar, Nr. 1-2 liegen in dem vorangehenden, während Nr. 10 hinüberleitet vom aktuellen zum zukünftigen, welches in Nr. 11-12 angedeutet ist. Fängt man von unten an, so ist Nr. 11-12 das aktuelle Leben, und die beiden anderen Gliedergruppen bilden die dahinterliegenden aufeinanderfolgenden Lebensläufe.

In den jüngeren Upaniṣaden haben wir eine Evolutionsreihe kennengelernt, die einem neuen Gesichtspunkt, dem Sāṃkhya, angehört. In welcher Beziehung haben wir uns nun den buddhistischen Kausalnexus zu der Evolutionsreihe des Sāṃkhya zu denken? Neben der Aehnlichkeit, daß auf beiden Seiten eine Reihe kausal verknüpfter Glieder auftritt, steht die weitere, daß gleich in Kāṭhaka die Sāṃkhyareihe ebenso wie unsere buddhistische hier dem Zwecke der Erlösung dient. In der Upaniṣad eine Stufenleiter von Prinzipien, die von oben angefangen eine Entwicklung darstellt, von unten betrachtet die Möglichkeit gibt, durch Yoga zur Freiheit von allem Niederen emporzuklimmen, -- im Buddhismus eine Kausalreihe, welche mit der Wurzel des Saṃsāra, dem Nichtwissen, anhebt, um beim Leiden zu enden, und, rückwärts genutzt, die Möglichkeit der Aufhebung an die Hand gibt, wie wir gesehen haben. So darf man bei solcher Aehnlichkeit die beiden Reihen als innerlich verwandt ansehen, sei es nun, daß der Buddha den Kausalnexus in Anlehnung an früh empfangene Sāṃkhya-Yoga-Belehrung konzipiert hat, sei es, daß er allgemein in philosophischen Kreisen der Zeit verbreiteten Tendenzen folgte. Aber ebenso deutlich wie die Aehnlichkeiten scheinen mir die Unterschiede der beiden Reihen: auf der Sāṃkhyaseite ein gleichmäßig dem Makrokosmos wie dem Mikrokosmos zugewandtes Interesse, das Arbeiten mit ewigen Substraten, Materie und Seele, die Kombination von Welterklärung und Erlösungsmethode, -- im ältesten Buddhismus alles Interesse auf den Menschen, sein Leiden und seine Erlösung konzentriert, Leugnung aller festen Substrate und Aufstellung des Prinzips des reinen Werdens.

Nachdem die zweite edle Wahrheit den Ursprung des Leidens auf den Durst ( taṇhā) zurückgeführt hat, lehrt die dritte die Aufhebung des Leidens als die restlose Aufhebung des Durstes. Aber auch schon die teilweise Vernichtung der immer wieder zum Werden führenden Begierde hat heilsame Folgen. Je nach den Fortschritten auf dem Erlösungswege ist der Strebende »ein in den Strom Gelangter« ( sotāpanno), d. h. einer, der nicht wieder in Hölle, Tierverkörperung usw. hinabsinken kann, oder »ein nur einmal noch Wiederkehrender« ( sakadāgāmī), d. h. einer, dem nur noch eine irdische Geburt zum Abschluß des Heilsweges nötig ist, oder »ein Nichtwiederkehrender« ( anāgāmī), d. h. einer, der, ohne zur Erde zurückzukehren, in einer letzten himmlischen Existenz das Ziel erreicht. Ist aber der Durst restlos aufgehoben, die Flamme der Begierde gänzlich erloschen, dann ist die Vollendung ( arahatta) erreicht, das Nirvāṇa (Pāli: nibbāna). Dieser Zustand entspricht dem oben besprochenen Zustand des Erlösten bei Lebzeiten in der Rede Yājñavalkyas, wie denn der Ausdruck »Nirvāṇa« aus der brahmanischen Terminologie übernommen ist [R81]. Stirbt der Vollendete dann, so bedeutet das keine wesentliche Veränderung mehr, denn die im leiblichen Tode fortfallenden Substrate sind ja schon vorher bedeutungslos geworden, -- auch dies in völliger Uebereinstimmung mit dem Standpunkt der zentralen Upaniṣadlehre. Diese vollkommenere Form des Nirvāṇa heißt auch Parinirvāṇa.

Die Bedeutung des Nirvāṇa-Begriffs im alten Buddhismus ist nun zunächst eine negative und muß es sein, denn Nirvāṇa ist ja die Losgelöstheit von allem Vergänglichen, d. h. Leidvollen. Aber deshalb ist es nicht eine absolute Negation, wenn auch manche Stellen im Kanon darauf zu führen scheinen, was nicht verwunderlich bei einer Frage sein kann, deren Entscheidung immer wieder als nicht zulässig in den alten Texten abgelehnt wird. Daß Nirvāṇa nicht das Nichts sein kann, ergibt sich allein schon daraus, daß, wie wir noch sehen werden, das Durchgehen durch den Bereich des Nichts eine die Erlösung vorbereitende Stufe der Meditation ist. Eine schöne Verdeutlichung gibt ferner das beliebte Bild der Flamme. Nirvāṇa ist das Verlöschen der Persönlichkeitsflamme, deren Brennstoff (die sinnliche Welt) verzehrt ist. In den Upaniṣaden wird das Erlöschen des Feuers nicht als absolutes Aufhören, sondern nur als ein Verschwinden aus dem Bereiche der Wahrnehmbarkeit verstanden, und in diesem Sinne wird der Ātman als der reine Geist dem Feuer verglichen, dessen Brennstoff verbrannt ist. Aehnlich vergleicht der Yoga das Stillwerden des Denkorgans ( citta) mit dem Zur-Ruhe-kommen des brennholzlosen Feuers in seinem Ursprungsort [R82]. So hat auch der Buddha dank seiner Fühlung mit Upaniṣadgedanken das Nirvāṇa gemeint. Frei von allem Erfahrbaren, das vergänglich und leidvoll ist, kann dieser Zustand nicht gedacht, noch weniger mit Worten ausgedrückt werden. Die absolute Realität ist transzendent. Daß trotz alledem das Nirvāṇa gelegentlich wie ein Paradies erscheint, ist ebenso begreiflich wie die in den Upaniṣaden auftretende Tendenz, das über alle Begriffe erhabene Brahman durch anschauliche Schilderungen weltlicher Herrlichkeit zu vergröbern.

Den Weg zu diesem Ziel lehrt die vierte edle Wahrheit, nämlich den edlen achtteiligen Pfad: »Rechter Gesichtspunkt, rechtes Wollen, rechte Rede, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Besinnung, rechte Versenkung« [R83].

Neben diesem achtteiligen Pfad findet sich aber in fast allen Suttas des Dīghanikāya eine andere ausführlichere Darstellung des Heilsweges, die als eine erweiterte und tiefergehende Parallele des edlen achtteiligen Pfades anzusehen ist [R84]. Voran steht hier der Glaube ( saddhā), das Vertrauen in den Buddha als den erleuchteten Lehrer, in die Lehre ( dhamma) als die zur Erlösung führende und in die Mönchsgemeinde ( sangha) als die den verkündeten Pfad wandelnde. Auch die Brahmanen kennen den Begriff des Glaubens. In der Einleitungsgeschichte der Kāṭhaka-Upaniṣad ist der Jüngling erfüllt vom Glauben an die Macht des Allhabeopfers, das sein Vater darbringt, und fügt sich selbst diesem ein, wodurch er in das Reich des Todesgottes gelangt.

Der Glaube also an die heilige Dreiheit von Buddha, Norm und Gemeinde ist die Vorbereitung zu der ethisch-asketischen Selbstzucht, die im achtteiligen Pfade angedeutet ist. Die Einzelheiten dieser Selbstzucht und der ganze weitere Verlauf des Heilsweges werden den Leser sogleich an früher über den Yoga Mitgeteiltes erinnern, und wirklich bildet der Yoga den wesentlichen Teil des buddhistischen Erlösungsweges. Nun ist aber der buddhistische Yoga, wie sich bei der Betrachtung des Heilsweges zeigen wird, viel entwickelter als jener, den wir in den Upaniṣaden beobachten konnten; er steht auf einer Stufe, die in so durchgebildeter Form erst in den viele Jahrhunderte späteren Yogasūtras unter den Brahmanen literarisch bezeugt ist. Daß trotzdem dem Buddhismus nicht das Verdienst zugesprochen werden kann, hier schöpferisch vorgegangen zu sein, geht einmal aus den Unterredungen im buddhistischen Kanon hervor, wo diese Yogamethode bei den Brahmanen als bekannt vorausgesetzt ist, andererseits wird es durch die Legende der ältesten Tradition bezeugt. Nach dieser hat Gotama vor Erreichung der Erleuchtung ( bodhi), die ihn aus einem Bodhisattva zu einem Buddha machte, bei zwei brahmanischen Lehrern den Yoga betrieben, hat die beiden aber, nachdem er die von ihnen gelehrte Versenkung leicht erfaßt hatte, als unzureichend für sein hohes Ziel verlassen [R85]. Damit ist also durch die Legende zum mindesten die Ueberzeugung der alten Gemeinde ausgedrückt, daß die ausgebildete Yogamethode vom alten Buddhismus nicht geschaffen, sondern aus der brahmanischen Umwelt übernommen und nur dem spezifisch buddhistischen Standpunkt angepaßt worden sei. Diese Zeugnisse bekräftigen die inneren Kriterien darüber, daß die systematische Zusammenfassung Patañjalis auf altem gemeinindischem Traditionsgut basiert, d. h. aus denselben Quellen gespeist ist, aus denen auch der Buddhismus geschöpft hat.

Die sittliche Selbstzucht, die dem aus der Heimat in die Heimatlosigkeit gezogenen Buddhajünger obliegt, beginnt mit einer Reihe moralischer Vorschriften, die, mutatis mutandis, auch für den Laienanhänger gelten. Diese Verbote bzw. Gebote sind alle aus der allgemeinen brahmanischen Ethik übernommen oder wenigstens an sie angelehnt. An der Spitze steht die Schonung alles Lebens ( ahiṃsā), und zwar in Taten, Worten und Gedanken, oder, positiv ausgedrückt, ein mildes Verhalten zur Umwelt. Ferner ist verboten, etwas zu nehmen, was nicht freiwillig gegeben ist; das positive Korrelat dazu ist die dem Laien gebotene Freigebigkeit, die notwendige Grundlage des auf Betteln gestellten Mönchsordens. Das weitere Verbot der Unkeuschheit, dessen Name brahmacarya (Brahman-Wandel) ursprünglich die Lebensführung des brahmanischen Schülers bezeichnet, ist für den Laien nur im weiten Sinne gemeint, für den Mönch aber bedeutet es völlige geschlechtliche Enthaltsamkeit, auch in Gedanken. Wahrhaftigkeit und Meidung berauschender Getränke sind weitere allgemeine Gebote. Nur für den Mönch dagegen ist die Pflicht, sich an der bescheidenen Lebensweise genügen zu lassen, welche die Ordensregel vorschreibt. Mit dem alten Yogagebot, die Sinne sorgfältig zu bewachen und zu zügeln, beginnt dann schon die nähere Yogavorbereitung, die wir auch in der »wachsamen Besonnenheit« sehen. Aber auch alles Frühere ist für den Mönch schon als entferntere Yogavorbereitung gedacht, daher die Vorliebe für die negative Fassung. Die Ethik ist nämlich für den Buddhajünger wie für jeden Yogin nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Wegräumen von Hindernissen bei dem spirituellen Aufstieg. Und nun beginnen die eigentlichen Vorbereitungen für das zentrale Stadium des Heilsweges. Aeußerlich handelt es sich um einen einsamen Platz in rechter Umgebung, um rechtes Sitzen und um Kontrollierung der Atmung -- alles in Parallele zu den Yogavorbereitungen der Upaniṣaden --, innerlich um die Beseitigung der »fünf Hemmnisse«, die dem Ablauf der Meditation entgegenstehen können.

So ist der Samādhi vorbereitet, die Jhānas (Meditation, geistige Versenkung) können ihren vierfach gestaffelten Lauf nehmen. Auf der ersten Jhāna-Stufe ist die Loslösung von allem Bösen erfolgt, die Grunddogmen von der universellen Vergänglichkeit usw. beschäftigen den Geist des Meditierenden, bis seelische Freude und körperliches Wohlbehagen ihn ganz erfüllen. Auf der zweiten Stufe hat das Denken aufgehört, der Geist ist in sich eins geworden, innerer Friede waltet, Freude und Wohlbehagen. Auf der dritten Stufe blaßt die seelische Freude ab, während im Körper noch Wohlbehagen empfunden wird, die Seele hat sich, wie Heiler schön sagt, zur heiligen Indifferenzstimmung erhoben, aber das Vorhandensein von Besinnung und Vollbewußtsein zeigt, daß sich nicht etwa ein Zustand der Bewußtlosigkeit vorbereitet. Auf der vierten Stufe ist der vollkommene Gleichmut erreicht, Lust und Leid in Seele und Körper sind geschwunden, die Atmung ist aufgehoben, die Besonnenheit aber ist geblieben. Mit Geisteshelle durchdringt der Meditierende seinen Körper; er ist an der Schwelle des Nirvāṇa [R86].

Das Resultat des Emporsteigens auf der Jhāna-Skala, die seelische Indifferenzstimmung ( upekkhā), wird noch auf andere Weise erreicht, nämlich durch die vier »Ueberschreitungen aller Grenzen« ( appamaññā). Mit der Kraft seiner Liebe, seines Mitleids und seiner Mitfreude umfaßt der Mönch nacheinander alle Wesen, durchdringt er alle Himmelsgegenden, und wenn er so sein Selbst ganz den andern hingegeben hat, dann gibt er schließlich auch die andern auf und läßt die Kraft seines Gleichmuts ( upekkhā) durch das All dringen. Diese Uebungen finden sich in verschiedenen Stücken an verschiedenen Stellen des Erlösungssystems, aber über ihre Bedeutung kann kein Zweifel sein. Sie können uns in vortrefflicher Weise zum Verständnis der Rolle dienen, welche Liebe und Mitgefühl in der allgemein-indischen Ethik asketischer Richtung gespielt haben. Die Liebe zu allen Wesen, obwohl immer gefordert, ist eben nicht das Höchste. Indem sie nur Mittel zum Zweck des erstrebten Gleichmuts ist, fehlt ihr die innerliche Wärme, die wir bei dieser Empfindung zu denken gewöhnt sind und die auch in Indien hervortritt, wo das Heil nicht in einem aller Erfahrung entzogenen Absoluten, sondern in den liebenden Armen eines persönlichen Gottes gesucht wird.

Wird in den soeben beschriebenen Reihen der seelische Gleichmut, gleichsam die Ausleerung des Gemütes angestrebt, so bezwecken andere Uebungen das Zur-Ruhe-kommen des Geistes, die Entintellektualisierung. Oder man kann unter Zuhilfenahme der buddhistischen Welteinteilung (Welt im weitesten Sinne mit Einschluß der Götterregionen usw.) die sittliche Zucht der sinnlichen Welt ( kāmadhātu) zurechnen, die eben geschilderten Versenkungsformen der Welt der Form ( rūpadhātu) und die nunmehr zu schildernden der Welt des Formlosen ( arūpadhātu). Bald sind es die eigene Gestalt und dann andere Formen, bald die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum-Aether, von denen der meditierende Mönch nacheinander seinen Intellekt löst, um dann eine Stufenfolge in Angriff zu nehmen, die öfter als Fortsetzung der vier Jhāna-Stufen erscheint. Zuerst wird durch Eliminierung aller materiellen Objekte und aller Mannigfaltigkeit die Idee der Raumendlichkeit gewonnen und dann, durch Abstraktion auch vom Raume, die Unendlichkeit des geistigen Bewußtseins als zweite Stufe erreicht. Aber auch diese Stufe wird überwunden; vom Bewußtsein abstrahierend gelangt der Meditierende zur Vorstellung, daß nichts vorhanden ist, er erhebt sich zur »Sphäre des Nichts«. Doch auch hier liegt ja noch ein geistiger Akt vor, das Nichts wird gedacht. So ist eine weitere Stufe zu erklimmen, die Sphäre, die jenseits von Bewußtsein und Bewußtlosigkeit liegt, und von hier aus wird schließlich das Ende von Bewußtsein und Empfindung erreicht.

Wie verhält sich diese Stufenreihe, die in Bewußtlosigkeit endet, zu jener, die zur seelischen Indifferenz führt? Diese Frage ist hier jedenfalls ganz vom altindischen Standpunkt, soweit das eben möglich ist, zu beantworten, ein Werturteil auf Grund einer Vergleichung mit den mystischen Versenkungen anderer Kulturkreise ist nicht Sache unserer Betrachtung. Nehmen wir den Kanon als Ganzes, wie er vorliegt, so sind die Reihen, sowohl einzeln als kombiniert, zum Nirvāṇa führende Wege. Je vollkommener die Loslösung von allem, was wir als unsern Bestand ansehen, desto näher wird sie an jenen allem empirischen Denken unerreichbaren Zustand heranreichen, dessen ungeheuere Realität für uns eben nur negativ ausdrückbar ist. Versuchen wir aber kritisch ein älteres buddhistisches Stadium hinter den uns jetzt vorliegenden Texten zu erspüren, so tut sich freilich eine Möglichkeit dazu auf. Das berühmte Stück des Dīghanikāya, das die letzten Tage des Meisters schildert, läßt ihn nach seinen Abschiedsworten an die Jünger die ganze Skala der vier Jhānas und anschließend die Stufen der Formlosigkeit durchlaufen. Damit ist aber der Buddha noch nicht ins Nirvāṇa eingegangen, vielmehr wird berichtet, daß er dann die beiden Reihen wiederum rückwärts durchlaufen habe, um von neuem die Jhāna-Stufen und diesmal nur diese zu ersteigen. Unmittelbar von der vierten Jhāna-Stufe hat der Erhabene dann das vollkommene Nirvāṇa erreicht. Man hat hieraus, wohl mit Recht, gefolgert, daß die Jhāna-Skala den ältesten Samādhi der Buddhisten darstellt und die Skala der intellektuellen Loslösungen einer späteren Glaubensperiode angehört, wozu noch der interessante Umstand tritt, daß die Lebenslegende den schon erwähnten brahmanischen Lehrern, die der zukünftige Buddha unbefriedigt verließ, als den Höhepunkt ihrer Lehre die Erreichung der Sphäre des Nichts bzw. der jenseits von Bewußtsein und Bewußtlosigkeit liegenden Sphäre zuschreibt.

Der sittlichen Selbstzucht und der Versenkung reiht sich als dritte Kategorie des Heilsweges die Weisheit ( paññā) an. Die erlösende Erkenntnis ist die direkte und selbstverständliche Frucht der Versenkung, sie war es für den Meister selbst, sie ist es für jeden seiner Jünger, der die Stufen des Samādhi bis zum Ende hinaufzuklimmen vermag. Da übersieht er die lange Reihe seiner früheren Geburten (man erinnere sich, daß es sich hier nicht um ein identisches Ich, sondern um eine Kausalkette handelt), da erfaßt er das Gesetz vom Karman, der moralischen Wirkung der Taten, und den ganzen von diesem Gesetz beherrschten Umlauf ( saṃsāra) der Wesen durch die Höllen, die Himmel und die irdischen Existenzen, da schaut er in ihrer ganzen Schwere die edlen Wahrheiten vom Leiden, von der Entstehung des Leidens, von der Aufhebung des Leidens und von dem Wege, der zu dieser Aufhebung führt, und begreift das Geheimnis der ursächlichen Entstehung ( paṭiccasamuppāda).

Neben dieser vollkommenen Erkenntnis stehen als Früchte der Versenkung noch andere wunderbare Fähigkeiten, die den in der Meditation Gereiften frei von den Hemmungen der Erdenschwere zeigen [R87]. Obwohl nicht selten erörtert, darf man doch sagen, daß diese Kräfte im alten Buddhismus (ebenso wie im brahmanischen Rājayoga) nur als Beiprodukte angesehen werden und ganz zurücktreten hinter der Errungenschaft der Weisheit, die allein zur endgültigen Erlösung, zum Nirvāṇa hinüberleitet.

Nachdem wir so eine Anschauung von den wesentlichen Zügen der buddhistischen Heilslehre gewonnen haben, wie sie uns im Suttapiṭaka und vor allem im Dīghanikāya entgegentritt, wenden wir uns zur Ergänzung dieses Bildes zu dem Abhidhammapiṭaka, dem dritten Teil des Pālikanons, der die alte buddhistische Scholastik darstellt. Bringt diese Scholastik auch nichts wesentlich Neues in materieller Hinsicht, so erweitert sie doch das Bild, indem sie die durch das Suttapiṭaka verstreuten Bemerkungen über psychische und physische Verhältnisse in ihrer Weise systematisch zusammenstellt. Aus der lebendigen Lehre werden die Begriffe herausgeschält und zur leichteren Memorierung säuberlich vereinigt.

Besonders zeigt sich dies Vorgehen in dem Werk Dhammasangaṇi [R88]. Während der zweite Teil dieses Namens etwa »Zusammenstellung« bedeutet, ist der erste Teil dhamma jenes vieldeutige und schwer wiederzugebende Wort, über das schon oben gesprochen wurde. In unserem Kompendium wird es in sehr weitem Sinne gebraucht, so daß eine Uebersetzung wie »Gegebenheiten« am Platze zu sein scheint. Denn ganz in dem schon beschriebenen Sinne werden alle behandelten Faktoren nur betrachtet, insofern sie dem Menschen »gegeben« sind. Die Absicht der Dhammasangaṇi ist nun aber nicht etwa, ein System der Phänomenologie aus philosophischer Interessiertheit aufzustellen, sondern, durchaus in der praktischen Zielbewußtheit des alten Buddhismus, alle Gegebenheiten in Unterordnung unter den Zweck der Erlösung als gut, schlecht oder indifferent zu charakterisieren. Indem man dem Schüler eine Uebersicht der inneren und äußeren Gegebenheiten, sozusagen eine moralische Topographie, an die Hand gibt, will man ihm die rechte Einstellung ermöglichen, welche allein zur Arhatschaft führen kann. Die Methode, welche dabei in Anlehnung an die alten Dialoge befolgt wird, ist die katechetische. Dabei spielt zahlenmäßige Einteilung, offenbar wegen ihrer Geeignetheit, das Auswendiglernen zu erleichtern, eine große Rolle. In dem Abschnitt über Form werden z. B. die betreffenden Gegebenheiten nacheinander unter einem Gesichtspunkt, unter zweien, dreien usw. bis elf zusammengestellt, oder die Gegebenheiten, welche Ursache sein können, werden zuerst, je nachdem sie Gutes, Schlechtes oder Indifferentes verursachen, zu je dreien vereinigt, worauf dann eine weitere Einteilung nach den Schauplätzen dieses kausalen Geschehens stattfindet (sinnliche Welt, Formwelt, Welt der Formlosigkeit). Zur Feststellung der einzelnen Begriffe steht noch nicht die Definition, wie wir sie später im Nyāya kennenlernen, zur Verfügung, vielmehr bedient man sich der Methode des Wörterbuchs [R89], d. h. man stellt eine Reihe ungefähr synonymer Begriffe zusammen, deren gemeinsame Eigenschaften den zu erklärenden Begriff bestimmen, eine Methode, deren Anwendung schon in den ältesten Upaniṣaden zu beobachten ist.

Aus der Fülle des in dieser Weise von der Dhammasangaṇi gebotenen Stoffes können wir hier nur ein Gebiet herausgreifen, welches besonders geeignet ist, die vorangegangene Skizze der altbuddhistischen Weltanschauung zu ergänzen. Unser Kompendium teilt die Gegebenheiten (dhamma) einmal [R90] in formhafte ( rūpino) und formlose ( arūpino) ein und nennt als formhafte die vier großen Elemente ( mahābhūtā) nebst der aus ihr abgeleiteten Form, als formlose die vier von uns schon erwähnten geistig-seelischen Skandhas und das Nirvāṇa-Element. Mit den formhaften Gegebenheiten, denen das zweite Buch der Dhammasangaṇi gewidmet ist, wollen wir uns jetzt kurz beschäftigen.

Der Begriff »Form« ( rūpa) ist nun in unserem Kompendium nicht ganz eindeutig. Der alte Begriff der Sichtbarkeit ist erhalten, so daß Form als Objekt des Gesichtssinnes zum Unterschied von den Objekten der anderen Sinne aufgefaßt wird. In diesem Sinne war wohl ursprünglich der Gegensatz der formhaften Sphäre zu der formlosen gedacht. Dann aber wurde diesen beiden Sphären eine dritte, die sinnliche ( kāmāvacaro) hinzugefügt, und in dieser zeigt der Begriff der Form unter Beibehaltung seiner speziellen Bedeutung »Sichtbares« eine starke Erweiterung. Man spricht von der »gesamten Form« ( sabbaṃ rūpaṃ), welche die vier großen Elemente ( mahābhūtā) und alles aus ihnen Stammende umfaßt [R91], wobei, wie wir sogleich sehen werden, das Sichtbare nur ein kleiner Teil ist. Da aber diese »gesamte Form« gänzlich in Hinsicht auf den Menschen betrachtet wird, ergibt sich als Synonym dazu der erste der fünf Skandhas: Rūpa-Skandha.

Die vier Grundelemente, die von nichts anderem abgeleitet sind, sind das harte Erdelement, das anschmiegsame und zusammenhaltende Wasserelement, das heiße Feuerelement und das erfüllende Luftelement, alle sowohl im Menschen ( ajjhattaṃ) als außerhalb ( bahiddhā) [R92].

Alles übrige der »gesamten Form« ist aus diesen abgeleitet. Vor allem die fünf Sinne und ihre Objekte: das Sehen mit seinem Objekt Farbe und Gestalt, das Hören und der Ton, das Riechen und der Geruch, das Schmecken und der Geschmack, sowie der Tastsinn, dessen Objekte die Grundelemente Erde, Feuer, Luft sind.

Bei dieser Gelegenheit sei auf die Beschreibung der Verhältnisse hingewiesen, die nach unserem Kompendium beim Sehen in Betracht kommen [R93]. Da ist das sichtbare Objekt, das stößt ( paṭihaññnati) gegen das unsichtbare Sehvermögen, welches auch seinerseits gegen das Objekt stößt. So entsteht ein Sehkontakt ( cakkhu-samphasso), dem nun eine Empfindung ( vedanā) angenehmer, unangenehmer oder indifferenter Art, eine Wahrnehmung ( saññā), eine Willensbetätigung ( cetanā) und ein Sehbewußtsein ( cakkhu-viññāṇaṃ) ihr Dasein verdanken. Es handelt sich hierbei noch nicht um die Konstruktion eines Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesses, wie er später mit Hilfe der hier zusammengestellten Materialien unter schärferer Fassung der Begriffe saññā und viññāṇa ausgebildet worden ist, sondern nur (offenbar in Anlehnung an die Skandha-Einteilung) um die Beschreibung dessen, was alles als eine Folge jenes Sehkontakts erschien. Eine ganz parallele Darstellung wird dann auch den Bereichen der übrigen Sinnesvermögen zuteil. Besonders beachtenswert ist, daß das Organ als unsichtbar bezeichnet wird, daß also nicht von dem fleischlichen Auge, sondern wirklich von der Sehkraft die Rede ist. Von einem Medium, das den Stoß und Gegenstoß zwischen Sinn und Objekt vermittelt, ist nicht die Rede, auch beim Geräusch nicht.

Wir fahren nun in der Liste der abgeleiteten Form fort. Zunächst folgen drei weitere Kräfte [R94] ( indriya): Weiblichkeit, Männlichkeit und Lebenskraft. Dann die Mitteilung ( viññatti) durch den Körper und durch die Sprache. Es folgt das Element des Raumäthers ( ākāsadhātu), das also nicht zu den Grundelementen gestellt wird. Hieran schließen sich drei Formqualitäten: Leichtigkeit, Bildsamkeit, Bereitschaft, die sowohl geistige als körperliche Eigenschaften bedeuten. Dann drei Stadien des Werdens: Anwachsen ( upacayo), Bestehen ( santati) und Verfall ( jaratā), gefolgt von ihrem Oberbegriff, der aber nicht als solcher bezeichnet wird: die Vergänglichkeit ( aniccatā) der Form. Hier sehen wir die spätere Entwicklung zur Zerlegung aller Existenz sich anbahnen. Zwar heißt es noch nicht »Momentanheit« statt »Vergänglichkeit«, aber die Zerlegung des Werdens in drei Stadien weist doch in diese Richtung. Auch im Vaiśeṣika-System werden wir diese Dreiheit wieder treffen. Die Liste schließt mit dem Begriff der körperlichen Ernährung, was an das Nahrungselement im Śvetaketu-Abschnitt der Chāndogya-Upaniṣad erinnert.

Ueberblicken wir diese Aufzählung, so erhalten wir Aufschluß über den Inhalt des Begriffs »gesamte Form«. Ein angemessenes Aequivalent in unserer heutigen Ausdrucksweise gibt es freilich nicht dafür. Soll dennoch sabbaṃ rūpaṃ zusammenfassend charakterisiert werden, so müßte man etwa von dem Menschen in materieller Hinsicht und der nichtmenschlichen Materie, insofern sie auf den Menschen Bezug hat, sprechen.

Methodologisch liegt das Hauptgewicht der Liste auf der Beschreibung durch Aufzählung der unter Rūpa fallenden Faktoren, daneben tritt nur ganz kurz ein Ableitungsgedanke auf, in dem die vier großen Elemente als die Grundlage und alles übrige als daraus stammend hingestellt wird. Mit diesem Gedanken sind wir aber in die Sphäre des Sāṃkhya versetzt. Die Unterschiede sind freilich groß, wenn wir den prinzipiellen Standpunkt der Sāṃkhyaphilosophie, wie er sich in voller Schärfe im klassischen System zeigt, ins Auge fassen: dort einerseits ein feinmaterielles Grundprinzip, die Prakṛti, aus der alles stammt, so daß die ganze Außenwelt und der Mensch mit seinem physischen und geistig-seelischen Organismus nur Umwandlungen der Prakṛti sind, und auf der anderen Seite ein völlig anderes Prinzip, der Puruṣa, die Lichtquelle, durch den der feinmaterielle Apparat des Menschen geistig wird, hier im Buddhismus aber keinerlei metaphysische Substrate und eine Auffassung des Materiellen nur als »Gegebenheiten« für den geistig-moralischen Menschen, so daß für den allein maßgebenden Heilszweck Seelisches und Materielles als gleicherweise vergängliche Gegebenheiten ihre Verschiedenheit zu verlieren scheinen. Aber trotz dieser prinzipiellen Divergenz bestehen Aehnlichkeiten zwischen dem Rūpa der alten Buddhisten und der Prakṛti des Sāṃkhya, wenn wir die Zeugnisse des letzteren im Mokṣadharma des großen Epos betrachten, wie sie im folgenden Kapitel dargestellt sind. Dort werden wir Anschauungen kennenlernen, die ähnlich der buddhistischen wesentlich psychologisch eingestellt sind und die kosmische Bedeutung der Sāṃkhyaprinzipien in den Hintergrund treten lassen, welche die großen Elemente als Grundlage betrachten, und die offizielle Prinzipienreihe des Sāṃkhya um Faktoren vermehren, die teilweise an die Faktoren unserer Liste erinnern. Diese Aehnlichkeiten, die im einzelnen zu diskutieren hier der Raum fehlt, scheinen Beziehungen nahezulegen zwischen buddhistischen Kreisen und gewissen Sāṃkhyaschulen, als deren Reflex die epischen Stücke anzusehen sein dürften. Vielleicht weist all das darauf hin, daß in der allgemeinen philosophischen Atmosphäre des alten Indiens prinzipiell getrennte Kreise sich doch beständig beeinflußten. Wir sehen das deutlich bei den mittelalterlichen Systemen, wir möchten es für die ältere Zeit vermuten, wenn auch die verhältnismäßige Spärlichkeit des Materials und die Schwierigkeiten der Chronologie eine genauere Formulierung solcher Hypothesen kaum gestatten.

Ganz kurz sei noch ein weiterer Punkt aus der Dhammasangaṇi erwähnt, der geeignet ist, das bis jetzt über die Lehre vom Karman Gesagte zu ergänzen. Wir haben gesehen, wie der Gedanke der Brāhmaṇatexte, daß die Opferhandlung eine Kraft erzeuge, welche im Diesseits oder Jenseits eine entsprechende Wirkung auslöst, in den ältesten Upaniṣaden moralisch umgedeutet wurde: »Gut wird einer durch gute Tat, böse durch böse.« Der Buddhismus hat diesen Gedanken als feststehende Tatsache übernommen. Nun aber werden die Verhältnisse genauer durchgedacht. Unser Kompendium begnügt sich nicht mit guten und schlechten Gegebenheiten, sondern fügt ihnen eine dritte Kategorie hinzu: die indifferenten. Im Bilde zu sprechen: nicht jede Gegebenheit ist zeugend, es gibt auch unfruchtbare [R95]. Das sind nämlich erstens die Wirkungen ( vipāka) guter oder schlechter seelischer Gegebenheiten, wenn sie in der Sphäre der Sinnlichkeit, der Form, der Formlosigkeit oder im Bereiche des heiligen Lebens realisiert sind. Zweitens können indifferent sein Betätigungen auf geistigem Gebiet, Meditationen usw., die unter dem Terminus kiriyā (wörtlich: Tat) zusammengefaßt werden. Drittens ferner die gesamte Form, weil außerhalb der moralischen Kausalität liegend, und endlich viertens das Nirvāṇa-Element, weil allem Werden enthoben. Von den Schwierigkeiten, die sich hier dem Verständnis im einzelnen entgegenstellen und die auch mit Hilfe Buddhaghosas nicht vollständig zu beheben sind, sehen wir hier ab und betonen nur die geistesgeschichtlich wichtige Tatsache, daß die Karman-Theorie hier vor neue Probleme gestellt wird, denn an den Fragestellungen kann man ja am besten den philosophischen Fortschritt beobachten.

Gerade in Hinsicht der Fragestellungen ist ein anderes Buch des Abhidhammapiṭaka von Interesse, das Kathāvatthu (d. h. etwa »Streitfragen«). In diesem Werke, dessen Abschluß die einheimische, vielfach angezweifelte Tradition in die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts setzt, werden in der Form von Thesen und Widerlegungen Punkte der Lehre behandelt, hinsichtlich derer innerhalb der zahlreichen buddhistischen Schulen Meinungsverschiedenheiten bestanden. Da nun der uns vorliegende Pālikanon die Rezension einer bestimmten Schule, der Theravādins (d. h. Anhänger der Lehre der Aeltesten) darstellt, werden alle abweichenden Anschauungen natürlich als abzulehnende Ketzereien behandelt.

Die Streitpunkte beziehen sich auf alle Gegenstände des buddhistischen Gesichtskreises, besonders auf das Wesen des Buddha und derjenigen, die die Stufe der Heiligkeit ( arahattaṃ) erreicht haben, auf Psychologisches und Außenweltliches, auf Ethik und Karman. Trotz dieses Reichtums ist das Kathāvatthu nicht so ergiebig für die Erweiterung unserer Kenntnisse im einzelnen, wie man auf den ersten Blick denken könnte. Die gegnerischen Anschauungen kommen eigentlich nur in der an die Spitze der jeweiligen Diskussion gestellten Behauptung zum Ausdruck, so daß man zum genaueren Verständnis der heterodoxen Standpunkte auf die Erklärungen des um viele Jahrhunderte späteren Kommentators angewiesen ist, der aber an manchen Stellen so deutlich die entwickelteren Ideen seiner Zeit hineininterpretiert, daß man bei ihm auch sonst -- die Verläßlichkeit der Tradition bis zu einem gewissen Grade zugegeben -- auf historisch unsicherem Boden zu stehen glauben muß. Immerhin lassen sich eine Reihe von wichtigen Tendenzen im ganzen erkennen. Da wird z. B. die Ansicht vertreten, daß die Seele ( puggalo) im Menschen als ein wirkliches Faktum im höchsten Sinne zu konstatieren sei. Diese höchst ketzerische Ansicht, deren Bekämpfung von altersher ein Hauptpunkt buddhistischer Bemühung gewesen ist, beruht nun nicht nur auf dem Bedürfnis, ein festes Substrat in der Mannigfaltigkeit des Lebens zu haben, sondern konnte sich auch auf altheilige Buddhaworte stützen, da dem Meister in den ältesten Sammlungen Reden in den Mund gelegt werden, in denen er von der Persönlichkeit spricht, die eine Last trägt, von der sie sich befreien muß, oder von einer, die zum Heile der Menschen und Götter geboren ist usw. Der Strenggläubige hatte natürlich eine reiche Zahl von Stellen zur Verfügung, die jedes Seelensubstrat aufs strengste ablehnen. So mußte er die Zitate des Gegners als bildlich gemeint erklären. Das ist ein Keim der Lehre von der doppelten Wahrheit, der populären und der philosophischen, die im späteren Buddhismus eine große Rolle spielen sollte.

Bei den zahlreichen Streitpunkten, welche die Buddhologie betreffen, sehen wir ebenfalls Tendenzen von großer späterer Bedeutung. Die Gegner der Theravādins zeigen nämlich öfter die Neigung, den Buddha immer mehr aus der menschlichen Sphäre herauszuheben. Solche Tendenz verrät sich freilich schon in den alten Suttas -- wir dürfen da wohl an spätere Einfügungen oder Bearbeitungen denken --, aber hier geht es systematisch weiter und deutet auf die vollkommene Verflüchtigung der Persönlichkeit, wie sie im mahāyānistischen Sanskritkanon zur Ausbildung eines transzendenten Buddhabegriffs geführt hat [R96].

Zahlreiche andere ketzerische Meinungen in psychologischer Hinsicht verdienen des weiteren Erwähnung, weil sie sich nicht wie wiederum andere im engeren Rahmen des Buddhismus halten, sondern auf immer wieder in der ganzen indischen Philosophie behandelte Probleme gehen. So die Behauptung, daß alle Sinne Karman-Resultate seien, daß mehrere Sinneswahrnehmungen gleichzeitig möglich seien, daß der Raum etwas Sichtbares sei (z. B. der Zwischenraum zwischen zwei Bäumen) u. a. m. Wir können darauf ebensowenig eingehen wie auf die Methode der Widerlegung, die hauptsächlich darin besteht, daß der Widerspruch der ketzerischen Behauptung mit einer auch vom Gegner (der ja immer guter Buddhist ist) zugegebenen Wahrheit eines überlieferten Buddhawortes positiv und negativ nachgewiesen wird [R97]. Auch von der nachkanonischen Pāliliteratur, die noch mancherlei philosophisch Interessantes bietet, kann hier nicht mehr die Rede sein [R98].

Die Betrachtung des alten Buddhismus hat uns gezeigt, wie eng diese Lehre bei aller ihrer Eigenart mit dem geistigen Leben ihrer indischen Vor- und Umwelt verbunden war: Die Wiedergeburtslehre und das Erlösungsstreben sind Erbteile der Vorzeit, mit der sie auch durch die Zusammenhänge zwischen Brahman und Nirvāṇa, sowie durch die allgemeine Ethik verbunden ist. In den Anklängen an Sāṃkhya-Ideen, in der starken Betonung des Yoga weist sie die Atmosphäre ihrer Umwelt auf. Trotzdem hat Buddhas Werk den Stempel der Selbständigkeit. Aber mit dieser Selbständigkeit steht er nicht allein da. Mannigfach waren zu seiner Zeit die Zusammenschlüsse Erlösungsbedürftiger, die, auf der Basis einer gemeinsamen Weltanschauung, geeint durch eigene Regeln für das Leben der Mönche und Laien, einen Heilsweg predigten und wandelten. Das wissen wir aus dem buddhistischen Kanon selbst, der uns ein buntes Bild des damaligen religiös-philosophischen Lebens entrollt. In diesem Bilde begegnen öfter die Vertreter einer Sekte, die wahrscheinlich schon damals ein erhebliches Alter erreicht hatte, aber erst durch einen Zeitgenossen des Buddha, gleich ihm aus adeligem Geschlecht und in derselben Gegend wirkend, eine geschichtliche Bedeutung gewonnen hat. Der Ehrenname dieses Mannes ist Mahāvīra, seine Anhänger nennen ihn auch gern Jina (Sieger); darnach pflegt man die Lehre dieser Sekte, die der Jina nicht inauguriert, sondern nur reformiert hat, Jinismus zu nennen, die Anhänger Jinisten oder Jainas.

Unsere Kenntnis des Jinismus, den die Forschung erst spät vom Buddhismus zu unterscheiden gelernt hat, steht nun für das Altertum auf recht schwachen Füßen, was die Philosophie anlangt. Der Kanon [R99] ist zwar erst um 500 n. Chr. redigiert und in einer Dialektform der mittelindischen Sprachperiode aufgezeichnet worden, die Entstehung der ältesten kanonischen Texte jedoch glaubt man ins dritte oder vierte Jahrhundert v. Chr. setzen zu dürfen, aber gerade für das nähere Verständnis vieler uns hier interessierender Punkte müssen nachkanonische systematische Werke des indischen Mittelalters als Quelle herangezogen werden. Immerhin wird man die Hauptlinien des alten Systems auf Grund innerer Kriterien zu erkennen vermögen und damit eine ungefähre Vorstellung von den ältesten Lehrmeinungen in hypothetischer und vorläufiger Weise gewinnen können. Neben großen Aehnlichkeiten mit dem Buddhismus, die sich teils aus dem allgemein indischen Charakter der beiden Religionen erklären, teils aus der Tatsache, daß beide in erster Linie für Mönchsgemeinden gedacht sind, stehen nämlich Diskrepanzen, die ein primitiveres und realistischeres Denken zeigen, als wir es im Buddhismus kennengelernt haben [R100].

Ebenso wie der Buddhismus ist der Jinismus eine Erlösungslehre. Gleich ihm hat er aus dem Gemeingut indischer Tradition die Lehre von der Wiedergeburt (saṃsāra) als feststehende Tatsache übernommen. Aus dem Saṃsāra herauszukommen ist das Ideal, und dies wird verwirklicht durch die Erreichung des Nirvāṇa, das, an der obersten Stelle der Welt, dort wo die Nicht-Welt beginnt, lokalisiert, dem Erlösten unvergängliches übernatürliches Glück bietet. Dieses Glück zu erreichen besitzt die Seele von Natur alle Eigenschaften, aber diese Eigenschaften sind bei den meisten verdunkelt durch äußere Einwirkungen, so daß alle Seelen mit Ausnahme weniger, in der Erkenntnis beschränkt und im sittlichen Wandel unvollkommen, Lust und Leid in unzähligen Existenzen durchmachen müssen. Ursache dieses Geschicks ist das Karman, ein Ausdruck, den wir seit den ältesten Upaniṣaden als einen Gemeinbesitz indischer Weltanschauung kennen. Seit Yājñavalkya ist Karman, die Tat in ihrer moralischen Auswirkung, der Grund der Neuverkörperungen und die Ursache des Schicksals in jeder neuen Geburt. Die Folgen der Taten sind es, die im Buddhismus dem Prozeß, der an die Stelle des Seelensubstrates getreten ist, die Richtung geben. Im Sāṃkhya wird der Puruṣa durch die Taten befleckt und zur Wanderung genötigt. Ueberall also ist die Erlösung aus dem Saṃsāra das Freiwerden vom Karman und seinen Folgen. Dieser Satz gilt auch im Jinismus, aber sein Sinn ist ein ganz anderer: Karman ist hier die Bezeichnung für feinmaterielle, sinnlich nicht wahrnehmbare Stoffe, die in die Seele eindringen und in ihr Veränderungen hervorrufen. Diese primitiv-realistische Auffassung zeigt deutlichen Zusammenhang mit allgemein verbreiteten Zauberanschauungen, die auch im altindischen Kultus und Zauber zu finden sind, indem schädliche Einflüsse magischer Art auf den Menschen als Eindringen feinmaterieller Substanzen aufgefaßt werden. Solche Gedanken sind offenbar in der alten Gemeinde, die Mahāvīra reformierte, lebendig gewesen und mit der unterdessen zum indischen Gemeinbesitz gewordenen Karman-Lehre zusammengebracht worden. Während nach der höheren brahmanischen Auffassung die Taten und ihre moralische Bedeutung automatisch für das Schicksal des Menschen in seiner Existenzenreihe bestimmend sind, ist im Jinismus die Betätigung der Seele Veranlassung für das Einströmen guter bzw. schlechter Substanzen.

Der primitive Realismus, der sich hier offenbart, zeigt sich auch sonst in den Jinistischen Anschauungen über die Seele. Im Gegensatz zu der alten Upaniṣadauffassung ist die Seele von begrenzter Größe, die sich nach dem Umfang der verschiedenen Körper richtet, welche sie im Laufe ihrer Wanderung auszufüllen hat. Ferner werden als Folge der Assimilation von schlechtem oder gutem Karman-Stoff sechs Seelentypen ( leśya) unterschieden, die sich in den Farben der Seele manifestieren. Vor allem aber ist die Ausdehnung des Seelenbegriffs charakteristisch. Nicht nur Mensch, Tier und Pflanze, sondern auch die Elemente sind beseelt, enthalten »Leben«, was das Wort für Seele, jīva, ursprünglich bedeutet. Die Seelen werden nach der Zahl ihrer Sinne eingeteilt, deren es bis fünf geben kann; so hat die einem Erdpartikel einwohnende Seele einen Sinn, das Gefühl. Von weiteren Einzelheiten können wir hier absehen, das Wesentliche für uns ist die Tatsache, daß die animistische Anschauung sich im Jinismus zu halten vermocht hat. Diese Weite des Seelenbegriffs macht auch die besonders starke Betonung des bekannten Gebotes der Schonung ( ahiṃsā) aller Wesen in der jinistischen Moral verständlich; die realistische Auffassung dieses Gebotes steht in den alten Texten gleichwertig neben der höheren ethischen.

Von der beseelten Entität ( astikāya) wird die unbeseelte Welt unterschieden, die in vier, mit der Zeit ( kāla) fünf, Substanzen oder Entitäten zerfällt. Da ist der Raum ( ākāśa), der im indischen Altertum allgemein als ein feinmaterieller Stoff angesehen wurde. Dieser Raum-Aether gewährt allem Seienden Platz, während der Bewegung und Ruhe zwei andere Substanzen dienen. Ihre Namen Dharma und Adharma bieten der Erklärung Schwierigkeiten. Dharma bedeutet, wie wir schon gesehen haben, seit altersher etwa »Norm« und wird auch in diesem Sinne beständig von den alten jinistischen Texten gebraucht. Daneben aber erscheint dasselbe Wort in vollkommen divergierendem Sinne als Bezeichnung für jene ätherartige Substanz, die das Medium der Bewegung ist, während Adharma das Medium der Ruhe bezeichnet.

Die vierte Substanz der nicht beseelten Welt ist die Materie ( pudgala). Sie ist feinmateriell, d. h. unsichtbar, z. B. als Karman-Stoff, oder grobmateriell, z. B. als sichtbarer Körper der Lebewesen. Die Fähigkeit, zu dem Allerverschiedensten werden zu können, kommt daher, daß sie aus unendlich vielen, unsichtbaren, nicht mehr zerlegbaren kleinsten Teilen besteht, durch deren verschiedene Kombination alle ihre Manifestationen hervorgebracht werden. Wir haben hier also eine Atomtheorie im einfachsten Stadium vor uns. Das ist für die Geschichte der indischen Philosophie sehr bedeutsam, da sowohl die späteren Buddhisten als auch die wichtige brahmanische Schule des Vaiśeṣika eine solche Theorie entwickelt haben. Leider reichen unsere Kenntnisse nicht hin, die Prioritätsfrage zu entscheiden, da wir zumal über die Anfänge des Vaiśeṣikasystems keinerlei sehr alten Zeugnisse besitzen. Jedenfalls zeigt sich für uns zuerst im Jinismus eine solche Theorie, die übrigens sehr wohl an verschiedenen Stellen unabhängig ausgedacht sein kann. Der alte Buddhismus hat sicherlich durch seine Lehre vom ständigen Werden und Vergehen die Idee der Zeitatome sehr nahegelegt; einem realistisch gerichteten Denken konnte so der Gedanke materieller Atome leicht aufsteigen. Dazu kommt der seit alters beliebte Gegensatz des unsagbar Großen und des unsagbar Kleinen, wie wir ihn bei der ältesten Ātman-Beschreibung (s. oben S. 46) im Sinne einer coincidentia oppositorum kennengelernt haben. So liegt es nahe, dem großen Ākāśa etwas Winziges gegenüberzustellen [R101].

Alles, außer Seele und Raum-Aether nebst den Medien der Bewegung und Ruhe, ist aus den Atomen der Materie gebildet. Die Materie ist ewig, sonst nach Qualität und Quantität vollkommen unbestimmt, sie kann jede Form und jede Eigenschaft annehmen. Diese Ideen zeigen, daß der Jinismus die metaphysischen Spekulationen der alten Upaniṣaden nicht annimmt, ja er wehrt sich gegen ihre Behauptung des einen realen Seins mittels einer besonderen dialektischen Methode. Von jedem Ding kann man »in gewisser Hinsicht« ( syāt, wörtlich: »es mag sein«) sagen, daß es ist ( asti), daß es nicht ist ( nāsti), und daß beides nicht zutreffe, es also unsagbar ( avaktavya) sei. Diese drei Prädikate werden in verschiedener Weise zu sieben Sätzen zusammengestellt und bilden so den später für den Jinismus bezeichnenden Syādvāda, d. h. die Lehre von dem »Gewissermaßen« [R102]. Daß der Syādvāda ins Altertum zurückreicht, ist durchaus nicht unwahrscheinlich, denn derartige dialektische Versuche, die Denkmöglichkeiten zu erschöpfen, wie »es ist oder es ist nicht oder es ist und ist nicht zugleich oder es ist weder noch ist es nicht« finden sich nicht selten in altbuddhistischen Texten. Dem Syādvāda stehen als logische Ergänzung die sieben Ausdrucksarten ( naya) zur Seite; es sind dies Methoden, nur die gerade interessierende Seite des behandelten Gegenstandes hervorzuheben und die andern Seiten unbeachtet zu lassen [R103].

Wir kehren nun zu dem eingangs schon berührten Zentralgedanken des Jinismus zurück. Die Erlösung besteht, wie wir sahen, darin, daß das Einströmen ( āsrava) neuen Karman-Stoffes in die Seele durch Abwehr ( saṃvara) verhindert und die Vernichtung des schon aufgenommenen Karman durch Tilgung ( nirjarā) bewirkt wird. Zwei dieser Termini sind Jinisten und Buddhisten gemeinsam, aber bezeichnend für ihre verschiedene Stellung ist es, daß das Einströmen oder die Ueberschwemmungen [R104] bei den Buddhisten im bildlichen Sinne von schlechten psychischen Regungen gebraucht werden, bei den Jinisten aber naiv-realistisch. Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß die Anhänger Mahāvīras bzw. dieser selbst die buddhistischen Ideen vergröbert haben, vielmehr werden wir uns die Sache so vorstellen dürfen, daß seit den ältesten Upaniṣaden ein geistig-idealistischer Zug im altindischen Denken stärker ausgeprägt wurde, den der Buddhismus aufnahm und fortsetzte, während ein naiv-realistischer, der, aus der Vorzeit kommend, immer weiter daneben herlief, in der alten vom Jina nur reformierten Gemeinschaft präserviert wurde. Dieselbe Beobachtung läßt sich noch an manchen Stellen des jinistischen Erlösungsweges machen. Dieser Erlösungsweg mit seinen einleitenden Morallehren, die auch für Laien gelten, seinen speziell mönchischen ethisch-asketischen Vorbereitungen und seiner Aufgipfelung in den Meditationsstadien zeigt sehr weitgehende Parallelität mit dem buddhistischen, wodurch wir einen guten Maßstab für das erhalten, was eine Mönchsgemeinde in jenen Zeiten zur Erreichung ihres Ideals zu tun pflegte.

Ein Punkt soll hier nur noch mit einem Worte hervorgehoben werden. Das Tapas, die körperliche Askese, findet im alten Jinismus starke Betonung. Der ganze eigentliche, auf die Vorbereitungen folgende Erlösungsweg wird als »Tapas« bezeichnet, und zwar wird äußeres und inneres Tapas unterschieden. Während unter letzterem spirituelle Uebungen verstanden werden, ist äußeres Tapas vor allem Fasten, das im jinistischen Mönchsleben hohe Wertschätzung genießt. Hierin liegt ein sehr erheblicher Gegensatz zum Buddhismus. Die älteste Lebenslegende erzählt von dem Bodhisattva (d. h. dem Buddha vor Erlangung der Buddhaschaft) ausdrücklich, daß er, Tapas übend, bis zur völligen Abzehrung gefastet, dann aber solch körperliche Askese als nicht zum Heile führend verworfen habe. Diese Abwendung von der Selbstqual und die Schonung des Körpers, um ihn zu einem für höhere geistige Prozesse geeignetem Gefäß zu machen, ist ganz im Sinne des brahmanischen Yoga, der sich über die seit sehr alten Zeiten in Indien geübte Hingabe an das Tapas erhoben hatte, wie wir in den jüngeren Upaniṣaden gesehen haben. Wie aber weder die Tieropfer noch der Glaube an einen gnädigen Gott den Ideen Yājñavalkyas und Buddhas gewichen sind, so hat auch das Tapas neben dem Yoga in anderen Kreisen sein Ansehen weiter behaupten können. Wir finden die Selbstqual im Jinismus, wir haben sie, ins Riesenhafte und Märchenhafte gesteigert, u. a. auch im Mahābhārata, und zwar vor allem in jenen Büchern, in denen das ethisch-philosophische Moment keine bedeutende Rolle spielt.

Mit der buddhistischen und jinistischen Bewegung ist die geistige Aktivität jener Zeit keineswegs erschöpft [R105]. Aus dem Kanon der beiden Gemeinschaften erfahren wir noch von einer ganzen Reihe weiterer Schulen, die von Buddhisten und Jinisten gleicherweise bekämpft werden. Freilich erscheinen diese wichtigen Nachrichten nicht ganz in dem Lichte, das wir wünschen möchten. Einmal pflegt ja wie in politischen, so in religiösen und philosophischen Kämpfen die Darstellung der gegnerischen Meinung nicht allzu objektiv auszufallen, auch ist die Sachkenntnis nicht selten unzureichend, so daß Irrtümer und Verwechselungen entstehen, wie sie z. B. den Buddhisten in ihrer Charakterisierung der Jinisten nachgewiesen worden sind [R106]. Ferner haben wir mit der altindischen Schematisierungssucht zu rechnen, die alle irgend möglichen Standpunkte systematisch und abstrakt aufzustellen geneigt ist, so daß Zweifel entstehen müssen, ob alle diese Möglichkeiten auch historische Wirklichkeiten gewesen sind. Trotzdem wird sich bei einiger Vorsicht ein von den Tatsachen nicht zu sehr abweichendes Bild der zur Zeit der ältesten kanonischen Texte lebendigen Weltanschauungen gewinnen lassen, zumal da Buddhisten und Jinisten, die sich ja selbst feindlich gegenüberstehen, oft in der Schilderung ihrer gemeinsamen Gegner übereinstimmen. Auch von brahmanischer Seite erhalten wir Bestätigungen: der Beginn der Śvetāśvatara-Upaniṣad zeugt, wie wir gesehen haben, für die Lebendigkeit gewisser, die Zeit bewegender Grundfragen, und manche Teile des Mokṣadharma (d. i. ein Teil des zwölften Buches des Mahābhārata) reflektieren einige der aus buddhistischer und jinistischer Ueberlieferung bekannten Anschauungen. Dem engen Rahmen unserer Darstellung gemäß begnügen wir uns mit der Hervorhebung einiger wichtiger Tendenzen, die uns bis jetzt noch nicht begegnet sind [R107].

Unter den Vertretern dieser Tendenzen tritt im jinistischen Kanon ein Mann namens Gosāla besonders hervor, der Führer einer religiösen Bettlerschar, der eine Zeitlang mit Mahāvīra zusammenwirkte, bis es, wie die jinistischen Quellen berichten, wegen Gosālas anstößigen Praktiken zur Trennung der beiden kam [R108]. Auch die buddhistischen Schriften nehmen mehrfach von ihm Notiz. So heißt es in einer Buddharede über ihn: »Wie von allen gewebten Gewändern, die es gibt, ein hären Gewand das schlechteste heißt -- in der Kälte ist es kalt, in der Hitze heiß, von schmutziger Farbe, schlecht riechend, rauh anzufühlen --, so, ihr Jünger, heißt von allen Lehren der anderen Asketen und Brahmanen die Lehre des Makkhali (Beiname des Gosāla) die schlechteste [R109]«. Der Inhalt dieser Lehre wird uns an anderer Stelle mitgeteilt [R110]: »… Es gibt nicht eigenes Handeln, nicht fremdes Handeln, nicht Menschenhandeln, es gibt nicht Stärke, nicht Energie, nicht Menschenkraft, nicht Menschenanstrengung. Alle Individuen, Kreaturen, Wesen, alle Arten des Lebendigen haben ihre Daseinsform nicht kraft freien Willens, aus eigener Kraft und Energie, sondern nur infolge von Schicksalsbestimmung, Umgebung, angeborenem Wesen, und erfahren nur so Glück und Leid als Zugehörige der sechs Wesensklassen … Da ist nicht zu denken: Durch diese sittliche Zucht, diese Observanzen, diese Askese, diesen heiligen Wandel werde ich die noch nicht vollkommen reife Tatvergeltung ( kamma) zur vollkommenen Reife bringen oder die schon vollkommen reife Tatvergeltung, sie in einer Reihe Existenzen ertragend, erschöpfen. So ist es nicht. Glück und Leid sind wie mit Scheffeln zugemessen, und die Dauer der Seelenwanderung hat ihren bestimmten Termin, es gibt keine Verkürzung und keine Verlängerung derselben, keine Vergrößerung und keine Verkleinerung. Wie ein hingeworfenes Garnknäuel abläuft, nur indem es sich aufwickelt, geradeso werden Toren sowohl wie Weise, nur indem sie den Kreislauf der Seelenwanderung vollenden, des Leidens Ende herbeiführen.« Diese Anschauungen nehmen der indischen Ethik ihr festestes Fundament, indem sie die moralische Bedeutung der Karman-Doktrin leugnen; so können wir Buddhas Urteil über sie wohl verstehen.

Aehnliche Lehren von der Unfreiheit des Menschen werden von Buddhisten und Jinisten noch öfters erwähnt. Bald ist es die Zeit oder das angeborene Wesen oder die Notwendigkeit u. a. m., die den Menschen ohne Rücksicht auf seine Taten den vorbestimmten Weg führen. Was aber hier als unsittliche Ketzerei erscheint, ist im großen Epos doch wieder ethisch-asketischen Zwecken dienstbar gemacht worden. Die Ergebung in das unabänderliche Schicksal führt dort zu dem philosophischen Gleichmut, von dem aus sich dem still Duldenden wieder Erlösungsmöglichkeiten auftun.

Neben diesen fatalistischen Tendenzen finden sich auch rein materialistische, die nichts anerkennen als die vier Elemente. Keine Wirkung guter Taten gibt es, keinen Heilsweg und kein Jenseits, -- mit dem Tode ist alles zu Ende, denn keiner hat noch die Seele gesehen oder sie zeigen können, wie man ein Schwert aus der Scheide zieht oder Oel aus dem Oelsamen herauspreßt. Oder es werden die fünf üblichen Elemente angenommen und die Seele als ihr Produkt, das dahinschwindet, wenn die Elemente sich im Tode trennen. Da gibt es ferner Realisten, die die fünf Elemente als ewig annehmen und als sechste ewige Substanz die Seele, eine Anschauung, die das Vaiśeṣikasystem vorzubereiten scheint. Endlich hören wir im buddhistischen wie im jinistischen Kanon von Agnostikern, die weder ja noch nein auf irgendeine theoretische Frage antworten wollen, weil man doch nichts vollkommen erklären könne. Daß von hier Fäden zum Syādvāda des Jinismus und zu der buddhistischen Zurückhaltung bei der Entscheidung letzter Fragen führen, ist öfters bemerkt worden, kann aber hier nicht näher behandelt werden. Es kam uns nur darauf an, aus dem Reichtum der nicht immer befriedigend auseinandergehaltenen und oft nur angedeuteten Lehrmeinungen einen kleinen Ausschnitt zu geben, um die Fülle der Wasseradern und Gerinnsel zu veranschaulichen, die das Gebiet der uns hier beschäftigenden Hauptströme erfüllt haben.


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