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Am Anfang der indischen Geistesgeschichte stehen die Hymnen des Ṛgveda, eine Sammlung von mehr als tausend kürzeren und längeren Liedern religiösen Inhalts. Mit staunenswerter Gedächtniskraft sind sie durch Jahrtausende nur mündlich überliefert worden. Als schon längst Schrift gewohnheitsmäßig gebraucht wurde, hat man noch lange Zeit diesen heiligsten Besitz durch die mündliche Weitergabe von Lehrer zu Schüler vor den Unberufenen gesichert. Und doch ist der Wortlaut in getreuster Erhaltung bis aufs Kleinste auf unsere Tage gekommen, wie die vergleichende Sprachwissenschaft und die indische Philologie mit Sicherheit festgestellt haben.
In diesen Hymnen lassen sich nun auch Tendenzen und Anfänge philosophischen Denkens beobachten, so daß sie neben ihrer unvergleichlichen Bedeutung für die religionsgeschichtliche, literarhistorische und sprachliche Forschung auch für die Geschichte der indischen Philosophie von erheblichem Wert sind.
Hinsichtlich des Entstehungsortes dieser Liedersammlung können wir mit Sicherheit auf den Nordwesten Indiens hinweisen. Das Indusgebiet, das Fünfstromland ist im wesentlichen die Gegend, welche von den Hymnen selbst durch mehrfache Erwähnung von Flußnamen als ihr Heimatland bezeichnet ist. Weit schwieriger dagegen ist die Datierung. Bei dem Mangel historischer Anhaltspunkte in den Liedern selbst und dem völligen Fehlen archäologischen Materials hat man lange als einziges Mittel zu ganz ungefährer Datierung eine Schätzung des Abstandes der Hymnenzeit von späteren feststehenderen Daten der indischen Geschichte vorgenommen. Die Unsicherheit dieser Methode führte dann vor einigen Jahrzehnten einen deutschen und einen indischen Gelehrten fast gleichzeitig zu dem Versuch, aus gewissen astronomischen Andeutungen in den Hymnen selbst die Zeit der ṛgvedischen Kulturperiode zu berechnen. Leider sind auch diese Berechnungen nicht ohne Bedenken, so daß von irgendeiner sicheren Datierung der ganzen Sammlung oder gar einzelner Gruppen oder Lieder nicht gesprochen werden kann. Nur etwa folgendes wird gesagt werden dürfen: Wahrscheinlich liegt die untere Grenze für die ganze Sammlung, so wie wir sie heute vor uns haben, weit mehr als tausend Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung. Nun setzt aber das Werk eine lange kulturelle Entwicklung voraus, wie allgemein anerkannt ist, und wir dürfen ferner annehmen, daß die uns überlieferten 1028 Hymnen nur eine Auswahl aus einem allmählich im Schoße priesterlicher Familien entstandenen Liederschatze darstellen. Solche Ueberlegungen führen zu der Vermutung, daß die Entstehungszeit der Hymnen vielleicht in noch höhere Vergangenheit hinaufzurücken sei [R7].
Wenden wir uns nun zu dem Kulturbild, das die Hymnen uns entrollen, so ist vor allem im Auge zu behalten, daß wir es hier im großen und ganzen weder mit erzählenden noch beschreibenden Liedern zu tun haben -- obwohl es auch an solchen nicht ganz fehlt --, sondern mit Hymnen an die Götter, die durch Preis gestärkt und zum Opfer eingeladen werden sollen, damit sie Sieg und Beute, Rinder und Söhne, Regen und langes Leben gnädig gewähren. Der Sänger ist in der Hauptsache der Priester. Er singt für seinen Auftraggeber, der ihn für die Gewinnung der Götter durch Preis und Opfer mit Gaben belohnt. Und der Auftraggeber ist ein Krieger, ein Führer der Bewaffneten in den Kämpfen, die die Arier sowohl untereinander als auch gegen die dunklen Ureinwohner führen. Denn sie sind eingewandert in dieses Land als Träger einer höheren Kultur, deren sie sich stolz bewußt sind gegenüber der »schwarzen Haut«. Diese Feinde opfern nicht den rechten Göttern, stumpfnasig sind sie und von stammelnder Sprache. So haben wir Krieger und Priester, noch nicht als Kasten, aber doch als natürlich geschiedene Stände. Wohl wissen auch die Könige gelegentlich Lieder zu singen, aber es ist doch Sache des Priesters, das heilige Wort zu handhaben. Für das mit geheimnisvoller Kraft erfüllte Wort, für die magische Formel tritt schon hier die Bezeichnung auf, die in späteren Zeiten in den Mittelpunkt des Interesses rücken wird: brahman. Und diese Kraft ist nicht nur in den Worten des Priesters, sie wohnt auch in seiner Person und befähigt ihn zu dem gefährlichen Umgang mit den Göttern beim Opfer. Diese Fähigkeit aber kann nicht erworben werden, sie erbt sich in gewissen Familien fort. So haben die Könige, die wir uns als kleine Stammesfürsten denken müssen, ein natürliches Interesse daran, einen Mann aus solcher Familie neben sich zu haben, und dies ist der Beginn des Hauspriestertums, das eine dauernde Rolle in der indischen Geschichte gespielt hat. Zu dem Stande der Krieger, die sich um den König scharen, und dem Stande der Priester gesellte sich als dritter das viehzüchtende und ackerbauende Volk. Eine vierte Schicht darf man endlich in den zu Sklaven gemachten dunklen Ureinwohnern sehen; es ist bezeichnend, daß ein altes indisches Wort für Kaste ( varṇa) eigentlich »Farbe« bedeutet. Ohne auf diese allgemeinen Kulturverhältnisse näher eingehen zu können [R8], wenden wir uns zu den Göttern, denen die Hymnen gewidmet sind. Freilich können wir nur einige wichtigste von ihnen charakterisieren, um die Atmosphäre der uns hier speziell beschäftigenden Tendenzen fühlbar zu machen.
Eine Rangordnung der bunten Götterwelt im Sinne einer Hierarchie kennen die Hymnen nicht, aber tatsächlich treten gewisse Gestalten besonders in den Vordergrund, während andere weniger häufig, noch andere selten angerufen werden. Diese verschiedene Beliebtheit hängt wohl damit zusammen, daß die Hymnen Material aus verschiedenen Zeitaltern und aus verschiedenen Kultkreisen enthalten. Wir finden uralte Götter wie den Vater Himmel, deren Kult schon der Vergangenheit angehört, dann zentrale Gestalten wie den Schlachtengott Indra, dem neben dem Feuergott Agni die größte Zahl von Liedern gewidmet ist, ferner Götter wie den Herrn des Brahman, Bṛhaspati, die in jüngerer Zeit aufgekommen sind, endlich solche wie Viṣṇu, die in den Hymnen noch ganz zur Seite stehen, aber eine große Zukunft haben.
Einer der zentralen Götter der Hymnen ist also Indra. Ursprünglich wohl ein Gewittergott -- er führt als Waffe den Donnerkeil --, tritt er uns im Ṛgveda als der führende Kämpfergott entgegen. Ein Riese von ungeheurer Kraft, ein Freund des berauschenden Somatrankes, welcher die wichtigste Darbringung beim Opfer für die Götter bildet, ist er den Schmeicheleien und Bitten seiner opfernden Verehrer gern zugänglich. Gewaltige Taten hat er vollbracht: Er hat den schlangengestaltigen Dämonen Vṛtra erschlagen, der die Ströme zurückhielt; nun strömen die Wasser dem durstigen Lande, Fruchtbarkeit und Fülle gewährend. Er hat die roten Kühe aus der Gewalt feindlicher Mächte befreit und so den Ariern den ersehnten Rinderbesitz ermöglicht. Uralte auf Naturvorgänge aufgebaute Mythen sind hier ins Reale und Gegenwärtige hineingeflossen, und auf der anderen Seite sind seine Taten gegen die feindlichen Ureinwohner wiederum mythisch verhüllt, der feindliche Heerführer erscheint oft als böser Dämon, und die Summe historischer Kämpfe ist so in geschichtlose Allgemeingültigkeit erhoben. Man begreift leicht, daß der Gott, der auf einem von falben Rossen gezogenen goldenen Wagen kämpft, von den Sturmgöttern begleitet, in der Luft und auf der Erde siegend, gern als König und Herrscher bezeichnet wird, denn es sind ja Krieger, Könige, die ihn durch den Mund der Sänger feiern, durch das Opfer der Priester sättigen und mit Soma zu seinen Taten stärken.
So bedarf der Krieger des Priesters als Mittlers zwischen sich und dem Gott, der König des Hauspriesters. Diesem Verhältnis im Irdischen entspricht eine göttliche Analogie. Neben dem König Indra steht ein göttlicher Hauspriester, der Herr des Brahman, Bṛhaspati oder, wie er noch deutlicher genannt wird, Brahmaṇaspati. Als göttliches Prototyp des irdischen Priesters handhabt er das heilige Lied, die magische Formel. Dank dieser Fähigkeit vermag er sich neben Indra im Kampfe als Helfer zu stellen, ja er tut auch allein des Königs Taten: an der Spitze der Ahnen der priesterlichen Geschlechter hat er selbst durch die Macht des mit mystischer Kraft erfüllten Wortes den Felsen gespalten und die Kühe befreit. Das Ritual beweist, daß Bṛhaspati einer jüngeren Zeit als Indra entstammt [R9]. So ist in dieser Gestalt der Grund zu neuer Entwicklung gelegt, deren soziale, religiöse und schließlich auch philosophische Bedeutung sich in der Brāhmaṇaperiode (Kap. 2) enthüllen wird.
Nächst Indra sind Agni, dem Feuergott, die meisten Lieder gewidmet, aber die Bitten, die an ihn gerichtet werden, beziehen sich nicht wie bei Indra auf Macht und Sieg, sondern auf häusliche Wohlfahrt und Nachkommenschaft. Das ist sehr begreiflich bei diesem Gotte, der so viel von seiner Naturbedeutung bewahrt hat und in der Flamme des häuslichen Herdes als der milde Freund des Menschen sich dauernd darstellte. Aber die Flamme des Feuers lodert ja nicht nur auf dem häuslichen Herd, sondern auch auf dem Opferplatz. So wird der Gott in mannigfache Beziehung zum Opfer gesetzt: er ist der Bote zwischen Menschen und Göttern, denen er die Opfergaben zuführt. Daß er daneben auch als Priester bezeichnet wird, läßt sich gut aus der in den Hymnen herrschenden Verknüpfungsphantasie verstehen. Aber im Gegensatz zu dem Priestertum Bṛhaspatis, das aus dem abstrakten Begriff der magischen Brahmankraft erwachsen ist, bleibt Agni immer im Zusammenhang mit seiner materiellen Natur. Seine Geburt aus den Reibhölzern, seine Beziehung zu dem Sonnenfeuer, kurz alles, was mit seinem elementaren Wesen zusammenhängt, ist den Sängern, auch wenn sie von seiner Persönlichkeit sprechen, immer gegenwärtig.
In ähnlicher Weise finden wir in anderen Göttergestalten das Naturhafte festgehalten. So bei der Göttin Morgenröte ( Uśas), der wohl die schönsten Lieder gewidmet sind. Wenn sie sich lichtvoll aus dem Dunkel der Nacht erhebt, wird sie in mannigfachen Wendungen einer schönen Frau verglichen und ihr heilvolles Wirken in reizvollen Bildern dargestellt. Mit ihr steht ein Götterpaar in Beziehung, die Aśvins, deren Naturbedeutung im Ṛgveda nicht mehr recht deutlich ist. Ihre Verwandtschaft mit den griechischen Dioskuren drängt sich auf, zumal durch ihre Beziehung zu einem jungen Weibe, der Göttin Morgenröte oder der Sonnentochter. Den Hymnen gelten sie als Helfer im Ungemach, sie retten aus Seenot und sonstiger Gefahr, dem Alternden verleihen sie Jugend, der alten Jungfer einen Gatten u.ä.
Zu dem Kreise der Sonnengötter ist vielfach auch der Gott Viṣṇu gerechnet worden, obwohl seine Sonnenbedeutung in den Hymnen nicht hervorgehoben wird. Sein charakteristischster Zug sind seine drei Schritte, mit denen er den Weltraum ausmißt; ihren höchsten werden wir nachher noch als Aufenthalt der Seligen kennenlernen. Viṣṇus geringe Rolle in der uns überlieferten Liedersammlung steht aber im auffallenden Gegensatz zu seiner überragenden Stellung in späterer Zeit. So ist die Vermutung nicht unwahrscheinlich, daß sein Kult ursprünglich außerhalb der Familien gepflegt wurde, von denen die uns vorliegenden Lieder stammen, und erst allmählich in die uns bekannte Sphäre eingedrungen ist [R10].
Aehnlich wie Viṣṇu tritt ein anderer Gott in den Hymnen zurück, Rudra, den wir hier erwähnen, weil sich aus ihm eine zweite überragende Götterfigur in späterer Zeit entwickelt hat: der große Gott Śiva. Im Gegensatz zu allen bisher besprochenen Göttern steht bei Rudra die Furchtbarkeit im Vordergrunde. Während sonst positive Güter und Gewährungen erfleht werden, überwiegt ihm gegenüber ein Negatives: nicht von seinem Zorn geschlagen, nicht von seinen furchtbaren Waffen getroffen zu werden ist hier die hervortretendste Bitte der Sänger. Zwar kann auch er heilen, nicht nur Seuche verbreiten, aber seine Schrecklichkeit überwiegt, und das mag der Grund sein, daß er in den Hymnen so weit hinter den andern wohltätigen Göttern zurücktritt und andererseits die dunklen Gestalten niedriger unarischer Kulte in sich aufnehmen konnte, durch die er zum Śiva des Hinduismus wurde. Denn die Produkte der primitiven Beängstigung niederer Schichten fehlen im Ṛgveda fast ganz, nicht etwa weil der vedische Arier als solcher davon frei zu denken ist, sondern weil wir uns in den Hymnen im Kreise der Hochstehenden und im Bereiche der großen Opfer bewegen. Das Wenige, was wir an niederem Aberglauben in den Liedern des Ṛgveda finden, wird reichlich ergänzt durch die Sammlung der Atharvaveda, deren endgültige Form zwar später, deren Material aber gewiß uralt ist.
Im Ṛgveda jedoch sind es die großen vornehmen Götter, an die sich Krieger und Priester wenden, und der Ton dieses Verkehrs ist im allgemeinen nicht der des unwürdigen Knechtes gegenüber dem unerreichbar hohen Herrn. Mit schmeichelndem Lobe erfreut man den Gott, aber man weiß auch, daß das recht gesprochene Wort des Menschen eine Potenz ist; ist es doch dasselbe Brahman, durch das Bṛhaspati so Großes vollbracht hat. Indem man den Gott mit Trank und Speise sättigt, verehrt man ihn nicht nur, sucht ihn nicht nur gnädig zu stimmen, sondern der Opfernde ist sich auch bewußt, daß er mit seinen Gaben dem Gott etwas gibt, was dieser braucht, und daß er ihn so gleichsam verpflichtet. Der berauschende Somatrank, dessen Verherrlichung ein ganzes Buch der Ṛgvedasammlung füllt, hat Indra zu seinen großen mythischen Taten gestärkt, er wird ihn auch zu tätiger Hilfe in der kommenden Schlacht anspornen usw. Die Erfüllung seiner Wünsche darf man von den Göttern erwarten, weil man »fromm« ist, d. h. ein rechter Verehrer des Gottes durch Lied und Opfer. In diesen Verhältnissen finden wir zwei bemerkenswerte Züge: Einmal eine gewisse Neigung zur Selbständigkeit, indem der Mensch dem Gotte gegenüber das Gefühl der eigenen Leistung hat, die einer Gegenleistung wert ist. Diese Tendenz ist beachtenswert, weil sie sich im Verlaufe der späteren Entwicklung zu einer Zurückdrängung des Glaubens an die Macht der alten Götter auswirkt. Die andere hier zutage tretende Tatsache ist der fast völlige Mangel des ethischen Gesichtspunktes: weder werden die Götter um moralische Förderung gebeten, noch scheint der Verehrer selbst im allgemeinen von dem Bewußtsein moralischer Schwäche bedrückt zu werden.
Im Gegensatz dazu ist von solchen Gefühlen dem Gott Varuṇa gegenüber häufig die Rede. Wie Indra wird er als großer Herrscher angesehen, aber während bei diesem die Kriegernatur des Königs im Vordergrunde steht, ist Varuṇa durch die Weisheit des alles durchschauenden Richters gekennzeichnet. Wie ein irdischer König hat er seine Späher überall, kein Vergehen bleibt ihm verborgen. Er ist der Herr der Satzungen, die für die Menschen gelten, und steht in enger Beziehung zu dem ṛta, der Weltordnung, die sich in den Gesetzen der Natur und der Moral ausspricht. So findet in den Liedern an Varuṇa das Schuldgefühl des schwachen Menschen deutlichen Ausdruck. Mit Lied und Opfer allein ist es ihm gegenüber nicht getan; man bekennt ihm begangene Vergehen gegen die sittliche Ordnung, ja selbst für unbewußte Verfehlungen fürchtet man seinen Zorn und erbittet seine Verzeihung, denn er ist ein gewaltiger Herrscher, der den Sünder mit Wassersucht strafen kann, der durch seine Zauberkraft ( māyā) vielerlei vermag.
Bei der notwendigerweise flüchtigen Schilderung der hier ausgewählten Götter hat ein Zug noch keine Berücksichtigung erfahren, der uns hinüberleiten kann zu dem in der jüngsten Schicht der Hymnen hervortretenden Streben, von der Vielheit der Götter zu einem einzigen Gott oder Prinzip zu gelangen. Schon bei dem Versuche, die einzelnen Götter in ihrer Eigentümlichkeit zu skizzieren, haben wir gesehen, wie Indras Großtaten, die Befreiung der Wasser und die Gewinnung der Kühe, auch seinem geistlichen Helfer Bṛhaspati zugeschrieben wurden. In ähnlicher Weise werden diese Taten auch dem Feuergott Agni nachgerühmt, wenn er, aus rituellen Gründen mit Indra zum Paare vereinigt, gepriesen wird. Vermögen schon solche noch recht individuellen Züge der Verknüpfungsneigung der Sänger nicht standzuhalten, so zeigen Taten allgemeineren Charakters wie die Ausmessung der Erdenweiten, die Stützung des Himmelsgewölbes u. ä. diese Tendenz in noch höherem Grade. Sie werden dem gerade angeredeten Gott ebenso leicht beigelegt wie die Eigenschaften der Macht, des Lichts, der Güte usw. Diese Neigung, die Konturen der göttlichen Persönlichkeiten zu verwischen, hängt gewiß damit zusammen, daß die Hymnen des Ṛgveda nicht das Erzeugnis der breiten Volksschichten sind, die sich die Götter anschaulich vorzustellen lieben und von jedem einzelnen seine Geschichte zu erzählen wissen. Die Lieder des Ṛgveda sind wesentlich für den Verkehr mit den Göttern beim Opfer gedichtet, die Potenzen des Opferplatzes aber sind durch ihre Einordnung in das Zeremonial hinlänglich bestimmt, und der singende Priester kann es sich wohl erlauben, aus dem Schatze fertiger Wendungen dem jeweils angeredeten Gott möglichst viel Erfreuendes zukommen zu lassen. Je mehr nun die Götter, ihrer lebendigen Individualität entkleidet, zu unpersönlichen Potenzen in dem großen Mechanismus des Opferrituals wurden, desto stärker wuchs die Neigung, die einzelnen Faktoren zu verknüpfen, zwischen ihnen, ja schließlich hinter ihnen, geheimnisvolle Beziehungen zu suchen und zu finden. All das wird uns erst in den Brāhmaṇas deutlich vor Augen treten, aber ahnen läßt sich diese Tendenz schon im Bereiche der Hymnensänger. Der feste Boden des alten Götterglaubens lockert sich, ein neues Denken keimt auf, dem das Ueberlieferte nicht mehr einfach selbstverständlich ist.
Den neuen Fragen vermag das Alte nicht standzuhalten. Durch »Dunst und Geschwätz, in das eingehüllt die Hymnensänger dahinwandeln«, dringt man zu klarer Frage durch und beantwortet sie: »Was nur eines ist, bezeichnen die Sänger mit vielen Namen, sie nennen es Agni, Yama, Mātariśvan« (1, 164, 46). Der Vers findet sich in einem großen Rätselliede, das in absichtlich dunklen Fragen und Antworten Kosmisches und Rituelles in Beziehungen setzt. Die zitierten Worte erheben sich daraus mit eigentümlicher Klarheit, gleichsam als Resultat langen Tastens in dem Wirrsal von Fäden, die magisches Geheimwissen und selbständiges Grübeln im Universum erkannt zu haben glauben. Besonders beachtenswert ist es, daß der gesuchte Urgrund, für den die Götter nur einzelne Namen sind, dem Dichter ein Neutrum ist. Wir erkennen darin den Versuch radikaler Abwendung von den Persönlichkeiten der alten Götter und einen ersten Anlauf zur Konzeption eines von aller Menschenähnlichkeit freien Weltprinzips, wie es nach Jahrhunderten von den Sehern der Upaniṣaden gefunden werden sollte.
In der Zeit, die uns hier beschäftigt, ist diese Idee des Einen aufs innigste mit kosmogonischen Gedanken verknüpft. Alles Erklären heißt ja Kausalzusammenhänge aufdecken. Waren die Götter nicht mehr selbstverständlich, so mußte auch die einfache Gegebenheit der von ihnen irgendwie hergestellten Welt erklärungsbedürftig werden. In späteren Zeiten wird die Vielheit der Dinge und der Seelen die Denker beunruhigen und sie nach dem Einheitspunkt suchen lassen, in der Zeit der jüngsten Hymnen drückt sich diese Tendenz noch durch den Zweifel an der Vielheit der Götter aus, dem dann gleichsam automatisch die Frage nach dem Woher der Welt folgt. Der großartigste Versuch, diese Frage zu beantworten, ist der 129. Hymnus des zehnten Buches der Ṛgvedasammlung, dem ein erster Platz unter den spekulativen Dichtungen hohen Altertums aller Völker gesichert ist. Es scheint daher angebracht, durch eine möglichst getreue Uebersetzung eine ungefähre Vorstellung von der Ausdrucks- und Denkweise des Originals zu geben:
»1. Nicht war das Nichtseiende, noch war das Seiende damals, nicht war der Luftraum, noch der Himmel, der darüber ist. Was regte sich? Wo? In wessen Obhut? Was war das Wasser, das unergründliche, tiefe?
2. Nicht war da Tod, nicht Unsterblichkeit, nicht war das Kennzeichen von Tag und Nacht. Es atmete windlos das Eine durch eigene Kraft, außer dem war weiter nichts anderes.
3. Dunkel war vom Dunkel im Anfang umhüllt, ein unterschiedsloses Gewoge war dieses Ganze. Das Eine, welches als Lebenskeim von dem Leeren eingeschlossen war, entstand durch die Macht seiner inneren Erhitzung.
4. Das Verlangen überkam es (das Eine) zuerst (nach der Entstehung), und dieses war der erste Erguß des Geistes. Das Band vom Seienden zum Nichtseienden fanden (so) die Weisen, als sie mit Nachdenken in ihrem Herzen forschten.
5. Quer war ihre Schnur gespannt: Gab es ein Unten, gab es ein Oben? Samenspender gab es, Mächte gab es; Urkraft war unten, Anspannung oben.
6. Wer weiß es denn, wer könnte es hier verkünden, woher entstand, woher diese Schöpfung? Die Götter sind später durch die Schöpfung dieses (Weltalls entstanden). Wer weiß es also, woraus sie geworden ist;
7. woraus diese Schöpfung geworden ist, ob er sie gemacht hat oder nicht: der über sie wacht im höchsten Himmel, der weiß es gewiß oder er weiß es auch nicht« [R11].
Versuchen wir die dunklen Worte dieses Liedes in den Formen unseres Denkens wiederzugeben, so scheint der erste Vers den unbeschreiblichen Urzustand ausdrücken zu sollen. Indem der Seher unseres Hymnus den Begriff des Seins wie den des Nichtseins hinsichtlich des Anfangs ablehnt, antizipiert er Ideen, die seiner Zeit weit voraus sind. Das beweist schon die älteste Erklärung dieses Verses in einem alten Brāhmaṇatext [R12]. Dort wird aus der Leugnung von Sein und Nichtsein geschlossen, daß das Denken gemeint sein müsse, also ein positiver Faktor hineininterpretiert. Die Frage, ob und wie aus dem Nichtseienden das Seiende entspringe, hat viele Jahrhunderte später einen dauernden systematischen Streitpunkt der philosophischen Schulen gebildet. Für bescheidenere Geister unter den Liedersängern war das Problem freilich einfach: Ein Hymnus des Ṛgveda, der den priesterlichen Gott Brahmaṇaspati als Weltschöpfer unter dem Bild des Schmiedes feiert, konstatiert einfach, daß so aus dem Nichtseienden das Seiende entstand.
Aber auch unser Sänger malt den unsagbaren Zustand durch Negationen weiter aus: Luftraum und Himmel waren noch nicht, der Ozean fehlte, Tod und Unsterblichkeit herrschten noch nicht, d. h. es gab weder sterbliche Wesen noch unsterbliche Götter, Sonne und Mond, die Kennzeichen des Tages und der Nacht, fehlten, Dunkelheit war überall, ein unterschiedsloses Gewoge. Wir dürfen unserem Dichter zutrauen, daß er dieses Gewoge im Sinne seiner ersten Worte als Bild der Unbeschreiblichkeit gedacht hat. Bei anderen Liedersängern erscheint hier der Gedanke von den Urwassern. Ob das eine Vergröberung der Vorstellung unseres Dichters ist oder ob der Verfasser des Schöpfungshymnus die vorhandene Anschauung sublimiert hat, können wir nicht entscheiden, da wir das Zeitverhältnis der kosmogonischen Hymnen untereinander nicht kennen.
In diesem unbestimmten Gewoge ist nun ein Eines, welches nur durch das neutrale Demonstrativpronomen »das« ( tad) bezeichnet wird, eine Bezeichnung, die wir später beim Brahman der Upaniṣaden wiederfinden werden. Dieses Eine scheint an dem allgemeinen Zustand der Unbestimmtheit teilzuhaben, aber es ergreift nun die Existenz (auf diesen Vorgang weisen die dunklen Fragen in Vers 1 hin), und zwar aus sich selbst auf dem geheimnisvollen Wege, der dem Dichter aus seiner Umwelt bekannt war. Mit »innerer Erhitzung« ist hier das Wort tapas übersetzt. Tapas ist die durch Kasteiung erwirkte innere Erregung, kraft deren der einzelne sich über die Grenzen der gewöhnlichen Menschenkraft zu erheben vermag. »Aus dem entflammten Tapas« -- heißt es in einem unserer Sammlung nachträglich hinzugefügten Liede [R13], das schon ganz den Typus der Brāhmaṇaideen zeigt -- »ward Ordnung und Wahrheit geboren.«
In diesem Einen, das sich durch Tapas realisiert hat, entsteht nun das Verlangen, dessen Natur, wie Vers 4 deutlich macht, sexuell ist. Damit ist der Schlüssel zu den dunklen Worten in Vers 5 gegeben, bei dem wir an die spätere Brāhmaṇa-Anschauung von der Selbstteilung des Urprinzips zwecks Begattung denken dürfen. Aber der Dichter scheut sich, konkrete Vorgänge als das Resultat seines Grübelns darzustellen. Das Problem des Schöpfungsvorganges, das er dunkel andeutet, ist klarer Lösung nicht zugänglich: Keiner kann Bestimmtes darüber wissen, sicher nicht die Götter, die selbst zum Geschaffenen gehören, vielleicht der oberste Herr des Ganzen, der vorsichtig nur der »Aufseher« des Weltalls genannt wird; aber auch das erscheint unserem Sänger nicht sicher, und so schließt das Gedicht scheinbar skeptisch, in Wahrheit wohl nur unsagbare Schau verhüllend.
Das ist demnach das philosophische Ergebnis des Schöpfungshymnus: In einem Unbestimmten, das nicht als Urmaterie angesehen werden kann, ist irgendwie das Eine, welches durch Tapas entsteht und auf dunklen Zeugungswegen schafft. Ob dieses Eine mit dem obersten Gott der geschaffenen Welt identisch ist, bleibt offen. Die Götter haben mit den Ursprüngen nichts zu tun, sie gehören zum Geschaffenen.
Zu solcher Gedankentiefe ist kein anderer ṛgvedischer Dichter fähig gewesen, aber in Abstufungen verschiedenen Grades finden sich die Gedanken des Schöpfungshymnus auch in anderen Liedern. Daß der Welt wie den Göttern eine Einheit zugrunde liegen müsse, daß über den Göttern ein Einzigartiger stehe, das ist die Ueberzeugung aller Sänger, die von dem neuen Denken erfaßt sind. Aber die philosophische Problemstellung des Schöpfungshymnus, wie Nichtsein mit Sein durch das Eine verknüpft sei, tritt zurück hinter dem religiösen Interesse, wie der Eine, auf den alles zurückgeht, zu fassen, d. h. zu benennen sei.
Dieses Suchen und Sehnen nach dem einen Gotte kommt schön zum Ausdruck in einem Liede (10, 121), das wir den Fragehymnus nennen wollen, weil am Ende jedes Verses die Frage wiederholt wird: »Wer ist der Gott, daß wir ihm opfernd dienen?« Spätere Theologenpedanterie hat aus diesem Refrain einen Gott »Wer« herausgetüftelt und so die schöne Frage zu einer schlechten Behauptung gemacht. Auch ist, wie wir aus Indizien, die nichts mit dem Inhalt zu tun haben, wissen, der zehnte Vers, der den Fragerefrain beantwortet, indem er den Gott Prajāpati nennt, erst später hinzugefügt worden [R14]. Prajāpati, eine Personifikation der Schöpferkraft der Natur, spielt in den Brāhmaṇatexten, von denen nachher zu reden sein wird, eine prominente Rolle und würde im Bereich der philosophischen Ṛgvedahymnen, in denen wir überall Wege zu den Brāhmaṇa-Anschauungen erkennen können, nicht fehl am Ort sein. Aber die Stärke des Fragehymnus liegt gerade in dem Fehlen einer Antwort. Diese Frage läuft Sturm gegen die alten Götter. Das zeigt sich auch in dem von Deußen eingehend erörterten Umstand, daß sich das Lied in Bau und Ausdrucksweise an ein Indralied anlehnt, nicht aus literarischer Schwäche des Dichters, sondern um für den unbekannten neuen Gott den Platz des populären Indra in Anspruch zu nehmen [R15].
Dieser unbekannte höchste Gott wird nun als Schöpfer und Regierer in mannigfachen Ausdrücken gepriesen. Dabei fällt auch einiges Licht auf die ersten Ursprünge, wie sie unser Dichter sich vorstellt: Dem Gewoge des Schöpfungshymnus entsprechen hier die Urwasser, in denen der höchste Gott zum goldenen Keim ( hiraṇyagarbha) ward; wie das geschah und in welcher Form er vorher existierte, wird nicht angedeutet; der Dichter begnügt sich mit der Feststellung, daß er, geboren, der einzige Herr der Welt war und die Urwasser überschaute. In diesen ruhen die Keime zu allem, aber namhaft gemacht, als aus ihnen hervorgegangen, werden nur einige Faktoren, nämlich Agni (Feuer), Dakṣa (Tüchtigkeit, eine öfter bei der Schöpfung erwähnte Personifikation) und das Opfer, alle natürlich später als der Eine, denn es wird ausdrücklich betont, daß der unbekannte Gott als einziger Lebensgeist der Götter aus den Urwassern hervorging, daß er als einziger Gott über den Göttern stand. Wir haben hier also eine dem Schöpfungshymnus sehr ähnliche, aber weniger tiefe und klar gedachte Vorstellung vor uns. Das Hauptinteresse ist eben der Herrschaft des einen Gottes zugewendet, das Problem der Entstehung ist in die zweite Linie gerückt.
Während in dem Fragehymnus der unbekannte Gott nicht benannt wird, besitzen wir zwei andere Lieder in unserer Sammlung, die ihn als Viśvakarman bezeichnen. Die Bedeutung dieses Namens (der, dessen Werk das All ist) zeigt, daß diesem Gotte eine abstrakte Konzeption der neuen Richtung zugrunde liegt, was auch durch das Fehlen des Namens in den älteren Hymnen bestätigt wird. Die ihm gewidmeten beiden Lieder des zehnten Buches (81 und 82) ergänzen und erweitern das Bild, das wir aus dem Schöpfungs- und dem Fragehymnus gewonnen haben. Das erste der Lieder, das von dem obersten Gott, wofür wir hier wohl einfach »Gott« sagen dürfen, als »unser Vater« spricht, erfaßt den Schöpfungsvorgang unter verschiedenen Gesichtspunkten. Vor allem interessiert uns hier die Anschauung, daß Gott die Welt als ein Opferer geschaffen habe. Der Schöpfungshymnus berührt die priesterlich-magische Sphäre nur insofern, als er das Tapas in die Darstellung der Ursprünge hineinzieht; der Fragehymnus erwähnt das Opfer als einen der wichtigen Faktoren, deren Hervorgehen aus den Urwassern besonders hervorgehoben zu werden verdient; der erste Hymnus an Viśvakarman aber stellt die rituelle Versinnbildlichung der Weltschöpfung in die erste Reihe. Gott ist vor der Schöpfung allein, die Götter gehören ja im Bereiche der neuen Richtung zum Geschaffenen, wie kann er da als Opferer auftreten, wem soll das Opfer gelten? Die Antwort, er bringe es sich selbst dar, zeigt wohl schon durch ihre Seltsamkeit, daß der Kern der Sache nicht getroffen sein kann. Das Opfer ist hier eben auf dem Wege, seine ursprüngliche Bedeutung zu verlieren, nach der es einem göttlichen Empfänger als Gabe dargebracht wird. Der Glaube an die magische Gewalt der Riten hat im alten Indien durch das Wanken des Glaubens an die alten Götter nicht gelitten, vielmehr ist er dadurch, wie wir in den Brāhmaṇas zur Evidenz sehen werden, selbständig geworden. Aus der Idee, daß die Opfergabe, richtig dargebracht und vom rechten Wort (brahman) begleitet, die Götter verpflichte, hat sich der Gedanke entwickelt, daß die mystische Kraft der rituellen Handlung mit gesetzmäßiger Notwendigkeit wirke. In diesem Sinne möchten wir es verstehen, wenn der Urgott in seiner ursprünglichen Einsamkeit die Welt als Opfer darbringt: er verwirklicht seine Schöpferabsicht rituell. Es paßt gut dazu, daß der opfernde Gott als »durch Gebet sich Reichtum wünschend« von unserm Hymnus dargestellt wird. Indem er sich den Besitz der zu schaffenden Welt mit einem magisch wirksamen Spruche herbeiwünscht, wird dieser Wunsch Wirklichkeit: die Welt steht da -- und er geht in die räumlich und zeitlich von ihm verschiedene ein. Diese Schöpfung der Welt durch den Urgott aus eigenster Kraft wird im folgenden noch unterstrichen durch rhetorische Fragen nach dem Orte, auf dem er bei seinem Schaffen gestanden, nach dem Material, aus dem er alles gebildet habe, denn er hat weder eines Standortes noch irgendwelchen Materiales außerhalb seiner selbst bedurft. In den gewohnten Gleisen kultischer Verehrung klingt das Lied aus.
Auch das zweite Lied ist von Religiosität erfüllt. Viśvakarman wird als Schöpfer und Regierer der Welt gepriesen, er hat den Göttern ihre Namen gegeben, und seinen Verehrern wird der Ort verheißen, wo jenseits der sieben Seher (d. h. des großen Bären) der Eine oder das Eine ist. Dieses Eine, das offenbar mit dem Urgott identifiziert wird, scheint doch wieder von ihm unterschieden zu werden, denn während es nach der uns schon geläufigen Anschauung als erster Keim in den Urwassern enthalten ist, wird andererseits von ihm gesagt, daß es »im Nabel des Ungeborenen« ruhe. Die Dunkelheit der Ausdrucksweise verbietet eine sichere Deutung, vermuten aber ließe sich vielleicht, daß mit dem Ungeborenen Viśvakarman gemeint sei. In diesem Falle könnte man annehmen, daß unser Dichter an der Vorstellung von dem in die Urwasser als Keim eingehenden und dann aus ihnen entstehenden Urgott Anstoß genommen hätte. Um von Gott jeden Gedanken der Entstehung fernzuhalten, hätte er das Eine, das Gott nur in gewissem Sinne ist, zum Durchgang durch die Urwasser bestimmt, während Gott eben schlechthin von aller Geburt frei, d. h. der Ungeborene wäre. Zu der religiösen Haltung der Viśvakarmanlieder würde ein solcher Gedanke gut stimmen.
Ein Zug verdient noch besondere Hervorhebung: bei der Schöpfung im einzelnen ist der Urgott von den Sehern der Vorzeit unterstützt worden. Das wird in unserem Liede deutlich ausgesprochen und scheint auch im ersten Viśvakarmanhymnus angedeutet, wenn wir dort lesen: »Was war das für ein Holz, was war das für ein Baum, aus dem sie Himmel und Erde zimmerten?« Einen solchen Zug haben wir schon bei dem priesterlichen Gotte Bṛhaspati kennengelernt: In Begleitung der singenden Ahnherrn der priesterlichen Geschlechter hat er durch die Macht des heiligen Wortes ( brahman) Indras Tat, die Kuhgewinnung, vollbracht. So nehmen die Viśvakarmanlieder die Anschauungen von der Kraft des Opfers und von der Macht der Priester in die neue Gottesvorstellung auf und weisen den Weg zu dem Standpunkt der Brāhmaṇas.
Rituelle Vorstellungen sind es auch, die in einem späten Hymnus unserer Sammlung (10, 90) -- die vier Kasten werden hier zum erstenmal ausdrücklich bezeichnet -- mit dem primitiven Gedanken vom Weltriesen und dem neuen von dem einheitlichen Urprinzip der Welt in dem berühmten Liede vom Puruṣa zusammengeflossen sind. Der Puruṣa (wörtlich: der Mann, hier der Urmensch) wird von den Göttern und Sehern in einem gewaltigen Opfer als Opfertier dargebracht. Aus seinen Gliedern, Organen und Funktionen entstehen dadurch alle Teile der Welt, ebenso wie Götter, Menschen und Tiere, und diese Darbringung des Puruṣa ist gleichzeitig ein Opfer an den Puruṣa, von dem in Wirklichkeit nur ein Viertel auf Erden ist, während drei Viertel von ihm das Unsterbliche im Himmel sind, d. h. das Urprinzip ist nur zum kleinsten Teil in der Welt verwirklicht.
Mag auch das Bild des Giganten, der, geopfert, zur Welt wird, auf den ersten Blick grotesk anmuten, so verdient doch der zugrunde liegende Gedanke, daß alles Existierende nur Umwandlung eines organischen Urprinzips ist, unser volles Interesse. Denkgeschulteren Zeiten blieb es vorbehalten, diesen Gedanken dahin zu formulieren, daß die Welt als Produkt nichts anderes ist als ihre Ursache in neuer Form.