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2. Kapitel: Die Brāmaṇatexte

Von den Hymnen des Ṛgveda wenden wir uns zu der zweiten Periode der indischen Geistesgeschichte, als deren literarisches Produkt vor allem die Brāhmaṇas vorliegen, weitschichtige, von vielen rivalisierenden Priesterschulen in größerer Zahl nebeneinandergestellte Texte, die Sinn und Zweck der mannigfachen Opfer und Riten zu erklären bestimmt sind. Daneben kommen als weitere Erzeugnisse dieser Periode noch die Sammlungen der Opfersprüche (Yajurveda) und die Zauberlieder des Atharvaveda in Betracht.

Ueber die Zeit der Brāhmaṇaperiode lassen sich nur ganz ungefähre Angaben machen. Alle ihre Erzeugnisse sind später als die Hymnen des Ṛgveda, aber wieviel später, wissen wir nicht; und sie sind früher als die ältesten Upaniṣaden (vgl. Kap. 3).

Innerhalb der Periode selbst, die viele Jahrhunderte betragen haben muß, die einzelnen Werke anzuordnen, dürfen wir uns hier versagen, da die Darlegung der sehr komplizierten Verhältnisse keinen hinreichenden Nutzen für unsern Ueberblick ergeben würde. Glücklicher sind wir auch hier wieder hinsichtlich der Gegend, in der wir die Aktivität der Brāhmaṇazeit zu suchen haben; die Angaben der Texte selbst beantworten unsere Frage: auf ihrem Vormarsch nach Osten sind die Arier jetzt in die Ebene gelangt, die sich westlich der Jamnā und zwischen Jamnā und Gangā erstreckt.

Wie der Schauplatz, so hat sich auch der soziale Zustand gegenüber den Hymnen geändert: Große Könige, scharfe Kasteneinteilung und Monopolisierung von Kultus und Erziehung durch die Brahmanen. Der Anspruch dieser obersten Kaste ist ins Maßlose gesteigert. Sie bezeichnen sich ganz offen als Menschengötter, die mit den Göttern droben gemeinsame Ansprüche beim Opfer haben. »Die Opferspenden sind für die Götter, die Geschenke für die Menschengötter …, diese beiden Arten von Göttern versetzen ihn (in dessen Auftrag das Opfer vollzogen wird), wenn sie befriedigt sind, in die Himmelswelt« [R16]. Diese Andeutung mag hier genügen, sie wird im folgenden ihre Ergänzung finden, denn unsere Quellen sind ja das Werk dieser Menschengötter, der Brahmanen.

Die Brahmanen dieser Periode kennen alle die Götter der Hymnen, von denen wir einige der wichtigsten wie Indra, Agni, Bṛhaspati, Varuṇa usw. oben charakterisiert haben. Die alten Götter waren ja auch von den neuen Denkern der Hymnenzeit nicht geleugnet worden, nur zurückgedrängt wurden sie durch das Suchen nach dem Einen, sie waren Geschaffene, die nichts mehr mit dem Weltursprung zu tun hatten. Dazu kommt ein Faktor, dessen Keime schon im Ṛgveda konstatiert wurden und der jetzt zu üppigster Blüte gelangt ist: die selbständige Macht des Priesters als des Beherrschers der alles vermögenden Ritualtechnik. Oefter lesen wir in den Brāhmaṇatexten, daß die Götter nicht von Anbeginn unsterblich waren und erst durch Opfern die Unsterblichkeit zu gewinnen hatten. So nimmt man ihnen ihre selbstverständlichste Auszeichnung und stellt sie damit in Parallele zu dem mächtigen Priester, der dieselben Machtmittel zur Verfügung hat. Kein Wunder, daß ihre Gestalten nur noch Schemen sind, oft genannt freilich und unaufhörlich ins Ritual verflochten, aber dem Priester mehr ein Material, seine Phantasie daran zu betätigen, sie zu trennen und zu kombinieren, zu modifizieren und umzudeuten. Abstraktere Wesenheiten wie die Jahreszeiten, die Himmelsgegenden, die Versmaße usw. werden, oft scheinbar nur nach der Eingebung des Augenblicks, an die Stelle der alten verblaßten Göttergestalten gerückt. Aber all diesem Spiel liegt doch wohl ein gewisser Drang zugrunde, tiefere Bedeutungen zu erkennen, abgelebte Mächte durch innerlich glaubhaftere zu ersetzen. Daß das nicht stärker hervortritt, ist gewiß nur zum Teil in der Mentalität der Verfasser begründet. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir theologische Traktate vor uns haben, deren Aufgaben im Bezirke des Opferplatzes liegen, nicht freie Untersuchungen selbstgewählter Probleme. Die Ergebnisse, zu denen die oft zügellosen Gleichsetzungen geführt haben, zeigen doch, daß hier Wichtiges verborgen liegt, wenn auch im einzelnen die Unterscheidung von Folgenschwerem und Leichtwiegendem oft unsicher bleibt.

Unter den Göttergestalten ragt eine Neuschöpfung hervor, die schon beim Fragehymnus Erwähnung fand: Prajāpati, der Vater der Welt. Daß er trotzdem nicht eine Gestalt hehrer Größe geworden ist, liegt nach dem Gesagten nahe. »Unaussprechlich ist Prajāpati, unermessen, wer könnte ihn ermessen« [R17] heißt es von ihm, er ordnet Göttern, Menschen, Manen und Tieren ihr Teil im Leben zu, aber nach der Schöpfung ist er wie ausgeleert und bedarf der Stärkung. Die Schöpfertätigkeit also ist das Wesentlichste an Prajāpati und unsere Texte werden nicht müde, immer wieder davon zu erzählen. Freilich ist es nicht der innere Drang, der die Denker der Hymnenzeit erfüllte, welcher unsere Texte dazu veranlaßt, vom Ursprunge des Alls zu reden. Nicht um ihrer selbst willen erzählt man hier die Schöpfungsgeschichte mit all den alten aus der Vorzeit überkommenen Zügen, sondern um irgendeiner rituellen Regel, einem einzelnen Opferhandgriff, der Verwendung eines bestimmten Metrums oder einer Konvention der brahmanischen Gesellschaftsordnung die Dignität der Ableitung aus den Uranfängen zu verleihen.

Aber auch so bieten diese Schöpfungsgeschichten manches von Interesse. Oft vollzieht Prajāpati die Schöpfung analog dem Schöpfungshymnus auf dem Wege der Zeugung, der den Gedanken des Gebärens naturgemäß nahelegt. Dabei kommt die Stärke der monistischen Tendenz zum Ausdruck, indem man sich im allgemeinen scheut, dem männlichen Urprinzip ein weibliches zur Seite zu stellen. Der eine Gott soll der Urgrund sein, und so wird er Zeuger (Selbstbefruchter), Träger und Gebärer zugleich. Nur gelegentlich tritt ein Zweites weiblichen Geschlechts neben ihn, etwa die abstrakte Wesenheit der Rede ( vāc), die auch schon in den Hymnen gelegentlich als Urprinzip gefeiert wird. Ist aber die Paarung vollzogen und die Lebewelt geboren, dann geht die Rede wieder in Prajāpati ein. Auch von handwerksmäßigem Verfertigen der Welt wird gesprochen -- man erinnere sich an das Bild des Hausbaues durch Zimmerleute im ersten Viśvakarmanliede --, aber jetzt tritt die dort gestellte Frage nach dem Holz nicht mehr auf, es versteht sich von selbst, daß der Schöpfer keines Materials außer sich bedarf. Daß er selbst das Material für die zu schaffenden Geschöpfe ist, sahen wir im Puruṣaliede des Ṛgveda; ähnlich bildet er hier die Wesen aus seinem Selbst, aus seinen Gliedern usw.

Auch das Motiv der Schöpfung ist das altvedische. Wir erinnern an das Verlangen ( kāma) des Einen, welches der erste Erguß des Geistes war (Schöpfungshymnus). Entsprechend pflegen die Brāhmaṇas die Schöpfungsgeschichte zu beginnen: »Prajāpati begehrte ( akāmayata), ich will mich fortpflanzen, ich will vieles sein.« Dieses Begehren nach Vermehrung wird manchmal dahin gedeutet, daß der Urgott sich einsam fühlt, ja sich geradezu fürchtet. Zur Erreichung seines Ziels übt er dann Tapas, das hier neben seinem psychologischen Sinn der asketischen Willenskonzentration auch seine ursprüngliche Bedeutung der Erhitzung und damit zusammenhängend des Brütens zeigt. Auch die aus dem Ṛgveda uns schon bekannten Urwasser spielen bei der Schöpfung ihre Rolle, ja sie verdrängen den Prajāpati gelegentlich von seinem ersten Platze, wobei ihnen dann nicht nur der Fortpflanzungswunsch, sondern auch Tapas-Uebung zugeschrieben wird.

Von den Umdeutungen Prajāpatis, die mehr den Charakter der Spekulation an sich tragen, sei hier vor allem auf eine der häufigsten hingewiesen: » Prajāpati ist das Jahr.« Der Grund dieser Gleichsetzung liegt nahe: Prajāpati ist der Schöpfer, und auch das Jahr schafft in seinen Jahreszeiten. Wir erkennen hier den fortschreitenden Willen, den Gott, auch wenn er noch so wenig plastisch ist, durch einen Begriff zu erklären bzw. umzudeuten, der von aller Menschenähnlichkeit frei ist. Noch eine Stufe höher in der Abstraktion führen zwei Hymnen des Atharvaveda, welche die Zeit ( kāla) geradezu als das höchste Prinzip feiern [R18]. Ohne die Hymnen im einzelnen zu besprechen -- es wird natürlich alles von Kāla gesagt, was die Dichter einem Schöpfer und Regierer beizulegen wissen -- betonen wir die Wichtigkeit der Tatsache, daß hier die Zeit zum ersten Male als unabhängiges Prinzip der Welt erscheint. Eine solche Lehre von der Zeit hat offenbar lange eine Rolle unter den brahmanischen Denkern gespielt. Wir finden sie in den alten buddhistischen Texten als Ketzerei gebrandmarkt und im großen Epos zur Begründung der ethischen Forderung der Resignation ausführlich erörtert [R19].

Eine andere häufige Gleichung lautet: » Prajāpati ist das Opfer.« Damit sind wir in das Ideenzentrum unserer Texte versetzt, denn Sinn und Zweck des Opfers, d. h. der vielen höchst komplizierten Opfer zu lehren ist ja ihre Aufgabe. Die Auffassung des Opfers aber hat sich jetzt zu dem Standpunkt entwickelt, dessen Annäherung schon in dem ersten Liede an Viśvakarman und im Puruṣahymnus zu spüren war. Das Opfer ist nicht mehr eine Gabe, gegen die man die Gnadengeschenke der Götter eintauscht, -- die den Riten einwohnende Kraft zwingt nun die Götter, welche damit beherrschbaren Naturpotenzen ähnlich werden. So kann es gelegentlich geschehen, daß der Gott seine Vermittlerrolle zwischen dem Ritus und der erwünschten Wirkung ganz verliert und wie in der späteren Mimāṃsā (Kap. 7) nur noch eine altertümliche Floskel bei dem sich von selbst vollziehenden Geschehen ist. Auf dem Boden solcher Anschauungen ist es nicht verwunderlich, wenn die Götter auch selber opfern: mit Hilfe des Opfers haben sie die Unsterblichkeit erlangt, die Dämonen besiegt und mancherlei anderes erreicht.

Die Kraft, die dem Opfer diese allumfassende Macht verleiht, liegt in der geheimnisvollen Wechselbeziehung zwischen den Vorgängen auf dem Opferplatz und dem Geschehen im All. Diese kosmische Bedeutung macht die einzelnen Verrichtungen nicht nur zu einem Abbild des Naturgeschehens, sondern weit häufiger ist die Anschauung, wie Oldenberg gezeigt hat [R20], daß die Opferhandlungen den Weltablauf konstituieren: »Die Sonne würde nicht aufgehen, vollzöge man nicht morgens das Feueropfer« heißt es im Śatapathabrāhmaṇa (2, 3, 1, 5). Dieser höchsten Deutung des Opfers reihen sich unzählige kleinere an, in denen die zauberische Wirksamkeit einzelner Riten gelehrt wird und »dem, der das weiß« entsprechende Erlangungen verheißen werden. Die Hochschätzung dieses Wissens der rituellen Geheimnisse, welches dem Wissenden Macht über die gewußten Zusammenhänge verleiht, betrachten wir als die Vorbereitung zu der Stufe, auf der das Wissen des metaphysischen Geheimnisses zur Erreichung des höchsten Zieles führt.

Das rituelle Wissen aber, um das es sich hier handelt, ist Eigentum der priesterlichen Kaste, die alles Kultische monopolisiert hat. Schon die Namen zeigen die Verhältnisse: Die Angehörigen der Priesterkaste nennen sich Brāhmaṇas (masc.), und Brāhmaṇas (neutr.) heißen unsere Texte, beides abgeleitet von dem Worte brahman, das uns in seiner Bedeutung als heiliger Spruch, magisches Wort schon begegnet ist. Die Kraft, die in der heiligen Formel liegt und für die Hymnen des Ṛgveda in dem Gotte Bṛhaspati verkörpert war, erfüllt den einzelnen Brahmanen ebenso wie die ganze Kaste, die als brahman gern dem kṣatra (der Kriegerkaste) gegenübergestellt wird.

So steht das Brahman in kultischer und sozialer Beziehung für unsere Texte in der vordersten Reihe, und es begreift sich leicht, daß sich diese Ansprüche der Priester auch im Mythisch-Religiösen abspiegeln müssen. Deußen hat im einzelnen gezeigt, wie das Brahman zuerst als erstgeborenes Geschöpf des Prajāpati in den Schöpfungsmythus hineinwächst, dann seinen Platz neben dem Weltschöpfer gewinnt, um endlich als brahma svayambhu (das durch sich selbst seiende Brahman) zum Urprinzip des Alls zu werden [R21].

Als solches wird es u. a. in einer wichtigen Stelle des Śatapathabrāhmaṇa (11, 2, 3) dargestellt, bei der wir einen Augenblick verweilen müssen. Es wird da gesagt, daß am Anfang diese Welt Brahman war. Dieses schafft die Götter mit ihren Welten und zieht sich dann in die jenseitige Hälfte zurück. Ueber die so entstandene Trennung von den Geschöpfen kommen ihm aber doch Bedenken, und es beschließt, in der Form von »Name und Gestalt« ( nāmarūpa) wieder in die Welt hinabzusteigen. Hierzu bemerkt unser Stück: »Diese Welt reicht so weit, wie die Gestalt und der Name reicht«, so daß also das Brahman die ganze Welt erfüllt. »Name und Gestalt« aber stellt einen ersten tastenden Versuch dar, das begrifflich zu fassen, was wir das Individuelle nennen. Die uralte Vorstellung enger Beziehungen zwischen dem Ding und seinem Namen -- über die ganze Erde verbreitete primitive Zauberbräuche beruhen auf dem Grundsatz, daß, wer den Namen einer Sache weiß, Macht über die Sache hat, -- macht den Namen zu mehr als einer konventionellen Bezeichnung. Daneben tritt die der einfachen Beobachtung zugängliche »Gestalt«, die schon in den Hymnen des Ṛgveda an mehreren Stellen in der Nähe des Namens erscheint, während die enge Verbindung der beiden Begriffe unserer Periode angehört. Unser Stück sagt nun ausdrücklich, daß die Gestalt das höhere von den beiden ist, offenbar weil man die Gestalt zum Bereiche des Geistes ( manas), den Namen aber zum Bereich der Rede ( vāc) rechnete, und die Ueberlegenheit des Geistes über die Rede im Rangstreit der Organe erwiesen war. Vielleicht aber dürfen wir bei der Gestalt auch schon die Vorbereitung einer späteren Anschauung vermuten, nach der die Gestalt ( rūpa, auch »Farbe«) Objekt des Gesichtssinns ist. Wir hätten dann in dem Begriff der Gestalt eine noch stärkere Abwendung vom Zauberischen und Hinneigung zur unmittelbaren Beobachtung der Sinnesfunktionen. Jedenfalls hat der Ausdruck »Name und Gestalt« den begrifflichen Ansprüchen noch für Jahrhunderte genügt; wir finden ihn in den Upaniṣaden wie im alten Buddhismus wieder.

Wenn also das Brahman Name und Gestalt in dieser Welt ist, unbeschadet seines Seins im Außerweltlichen, so müssen wir darin einen erheblichen Fortschritt gegen frühere ähnliche Anschauungen erkennen. Auch der Urgigant des Puruṣaliedes war zu drei Vierteln über der Welt und nur zu einem Viertel in ihr. Aber sein Enthaltensein in der Welt war ein mythisch-materialistisches: die Dinge und Wesen der Welt gehen aus seinen Teilen hervor und der ganze Vorgang wird durch ein symbolisches Opfer ins Bereich des Begreiflichen gerückt. Im Brāhmaṇa aber wird ein abstraktes Ueberweltliches zu Weltlichem in begrifflicher Form. Das Eine ist jetzt eine fast von jeder äußeren Formung freie Potenz, aber doch nichts Erklügeltes, sondern eine Kraft, deren Lebendigkeit garantiert ist durch die magisch-kultische Sphäre, aus der sie kommt und in der sie beständig erlebt wird.

Aber noch von anderer Seite her ist das Suchen nach ideeller Einheit wirksam gewesen. Der Vielheit in der religiösen Sphäre entsprach die ungeordnete Mannigfaltigkeit dessen, was den Menschen auszumachen schien.

Unter den menschlichen Kräften haben zwei am frühesten erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Rede ( vāc) und der Geist ( manas). In dem großen Rätselliede des Ṛgveda finden wir bereits eine Spekulation über die Natur der Rede (1, 164, 45): »Die Rede mißt vier Viertel, die kennen die Brahmanen, welche weise sind. Drei Viertel bleiben ein Geheimnis, die verraten sie nicht. Ein Viertel der Rede sprechen die Menschen« [R22]. Ein ganzer Hymnus (10, 125), der offenbar nicht so sehr dem naiven Staunen über die Macht des gesprochenen Wortes als vielmehr der Bewunderung des Priesters für die magische Kraft des heiligen Wortes ( brahman) seine Entstehung verdankt, preist die Rede als Trägerin der Götter, als Mitwirkerin bei der Schöpfung der Welt. In der letzten Eigenschaft trat sie uns denn auch in den Brāhmaṇatexten als das weibliche Prinzip entgegen, mit dem sich Prajāpati zur Zeugung der Geschöpfe paart, wie sie auch sonst gelegentlich unter den Faktoren des Weltanfangs erscheint.

Die andere Kraft, »der Geist« ( manas, von der Wurzel man = denken), tritt ebenfalls in der Kosmogonie des Ṛgveda hervor. Wir finden ihn im vierten Verse des Schöpfungshymnus, ferner im Puruṣaliede, wo aus dem Manas des Puruṣa der Mond wird, eine kosmische Beziehung, die auch in den Opfertexten wiederkehrt. Ein schöner Hymnus an den Geist, »der, wie ein guter Lenker seine Rosse, die Menschen wie an Zügeln sicher leitet, im Herzen fest und doch des Schnellen Schnellstes« [R23], findet sich im Bereiche dieser Texte.

Solche Schätzung des Geistes hat unsere Texte wohl veranlaßt, ihn als das Höhere oder Bessere gegenüber der Rede hinzustellen. Beide aber treten zurück hinter der Bedeutung des Prāṇa (Hauch, Atem). Die Hymnen des Ṛgveda gebrauchen das Wort wie die ihm zugrunde liegende Verbalwurzel zur Bezeichnung des Atmens, dessen Lebenswichtigkeit, wie viele Stellen beweisen, schon richtig geschätzt wird. Die dem Winde vergleichbare Natur des Prāṇa führt den Dichter des Puruṣahymnus bei seiner Schilderung des Hervorgehens der Naturmächte aus den Gliedern und Funktionen des Urwesens dazu, den Wind aus dem Prāṇa des Puruṣa entstehen zu lassen. Ebenso sind die Worte des Schöpfungshymnus »es atmete windlos« offenbar als Paradoxon gemeint, das die unbegreifliche Natur des Einen kennzeichnen soll.

In den Texten der Brāhmaṇaperiode zeigt sich die Funktion des Atmens in verschiedenen Aspekten. Auf der einen Seite bezeichnen einige Wörter, die aus der Wurzel an (atmen) mit verschiedenen Präpositionen gebildet sind (eins von ihnen ist eben prāṇa), das Ein- und Ausatmen, den Verdauungswind, das Aufstoßen und andere Funktionen, welche man als Wirkung von Körperwinden betrachtete. Die Theorie von diesen Körperwinden -- später werden meist fünf angenommen -- hat sich durch die ganze philosophische und medizinische Literatur der späteren Zeit erhalten. Andererseits wird der Atem als eine Fähigkeit des Menschen neben anderen wie Geist, Rede, Gesicht, Gehör genannt, und zwar gern als ihr Wesentlichstes, indem hier der Aspekt der Windartigkeit hinter dem der Lebenswichtigkeit zurücktritt. Im Śatapathabrāhmaṇa (3, 8, 3, 15) lesen wir, daß das Tier, nur solange es atmet, ein Tier ist, ein bloßer Klotz aber, wenn es nicht mehr atmet. Aehnlich führte die Beobachtung des Schlafenden zu der Ansicht, daß Stimme, Geist, Gesicht, Gehör beim Einschlafen in den Atem eingehen und beim Erwachen aus ihm wieder entstehen. Auf diese Weise gewinnt der Prāṇa die Stellung der zentralen Lebensfunktion, so daß die anderen Funktionen oft einfach a fortiori als »Prāṇas« bezeichnet werden, eine Ausdrucksweise, die auch der spätere Vedānta beibehalten hat.

So zeigt sich das Einheitsstreben auch bei der Betrachtung des menschlichen Organismus; unter den vielen Funktionen hat man eine ausgesondert, die das Leben der Menschen in seinem Wesen am besten darzustellen schien. Der Denkart unserer Texte gemäß hat der so emporgestiegene Prāṇa auch Eingang in die Schöpfungsmythologie gefunden, ja er rückt gelegentlich zum Allprinzip auf, getragen von der uns schon bekannten Neigung der Priester, Irdisches mit Kosmischem gleichzusetzen, und unterstützt durch seine Verwandtschaft mit dem Winde als Naturmacht.

Dennoch ist das Suchen und Tasten nach dem Letzten im Bezirk des menschlichen Wesens beim Prāṇa noch nicht zur Ruhe gekommen. Erst in dem Worte Ātman hat man den Begriff gefaßt, der für alle Zukunft weite Kreise des denkenden Indiens in seinem Banne halten sollte. Das Wort Ātman ist, wie Brahman, schon den Hymnen des Ṛgveda geläufig; im Gegensatz zu Brahman aber läßt sich kein ähnlich erkennbarer Entwicklungsgang für Ātman feststellen. Etymologisch mit unserem Worte »Atem« verwandt, weist es schon in den Hymnen alle Entwicklungsschattierungen nebeneinander auf: bald bedeutet es Atem, bald Lebensodem, bald das eigene Selbst im leiblichen wie im seelischen Sinne. Im fortschreitenden Gebrauch zeigt sich dann, daß Ātman vor allem das Selbst im Gegensatz zum Nichtselbst bezeichnet, und das nicht etwa im philosophischen, sondern in ganz schlichtem Sinne [R24]. Gerade dieser Mangel einer spezifischen Atmosphäre scheint den Begriff dem philosophischen Denken empfohlen zu haben. Allzusehr war wohl der Prāṇa mit den anderen Organen verquickt, allzu deutlich und sinnlich war er, um den gesteigerten Anforderungen zu genügen, die tiefersuchendes Denken an ein Einheitsprinzip stellte. Indem der Ātman neben den anderen Organen in Aufzählungen erscheint, ohne eine eigene Funktion aufzuzeigen, indem er sich den mythischen Kosmogonien versagt, wird er zur geeigneten Bezeichnung für die geheimnisvolle Einheit im Menschen.

Auf dieser Höhe aber begegnet der Begriff des Ātman dem Allprinzip des Brahman, dieses aus rituell-zauberischen Zusammenhängen in die Höhen des Denkens hineinwachsend, jenes offenbar ungebundeneren Tendenzen seine Bedeutung verdankend, aber jedes von beiden ein Höchstes darstellend und so zur Vereinigung strebend. Der Priester, der einerseits die magische Kraft des Brahman, d. h. des Weltprinzips, in sich fühlte, und andererseits das Prinzip seines eigenen Wesens in dem Begriff Ātman zusammenfaßte, wird zu der Erkenntnis gedrängt, daß der Ātman das Brahman ist. Das ist noch gelegentlich in den Brāhmaṇatexten geschehen, aber wir nennen es den Upaniṣadstandpunkt, denn erst dort wird diese große neue Lehre in ihrem ganzen Umfange vor uns ausgebreitet, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden.

Haben wir so die geistigen Bewegungen überblickt, die hinsichtlich der Begriffe Brahman und Ātman den Upaniṣadstandpunkt vorbereiten, so bedarf es, bevor wir an diesen selbst herantreten, noch der Betrachtung einer anderen Gruppe von Anschauungen, denn die Lehre von der Seelenwanderung, die in den Upaniṣaden als das große neue Geheimnis auftritt, besitzt ebenfalls eine Vorgeschichte in der Hymnen- und Brāhmaṇazeit.

Ueber die eschatologischen Anschauungen des Ṛgveda sind wir durch eine kleine Reihe von Bestattungshymnen und durch gelegentliche Einzelverse bis zu einem gewissen Grade unterrichtet. Freilich fehlen hier gewisse zu erwartende primitive Züge, ähnlich wie die Sphäre des niederen Zaubers in den Hymnen kaum berührt wird; und wie für die Kenntnis dieser Sphäre die Lieder des Atharvaveda, zwar literarisch später, doch mit sehr altem Material arbeitend, zur Verfügung stehen, so bezeugt uns das an Uraltem zäh festhaltende Ritual trotz seiner viel späteren Fixierung, daß auch bei den damaligen Indern die primitive Furcht vor den um ihre alte Stätte herumgeisternden Verstorbenen nicht gefehlt hat.

In der hochgemuten Welt der Hymnen aber, wo Priester für Könige singen, finden diese Vorstellungen keinen Platz. Eine Welt unerschöpflichen Lichts erwartet man nach dem Tode zu betreten, oben auf der höchsten Fußstapfe des lieben Viṣṇu, d. h. dort, wo die Sonne im Zenit steht. Dort herrscht Yama, der Gott des Todes, als König, unter einem schön belaubten Baume mit den Göttern zechend. Mit ihm schwelgen die Väter an der Tafelrunde, hier findet der Verstorbene seine Sippe wieder und führt mit seinen Verwandten ein von recht irdischen Freuden erfülltes Dasein.

Die Tugenden, die zu diesem Leben der Seligen in des Himmels Mitte führen, tragen den Stempel der den Hymnen geläufigen, spezifisch priesterlichen Anschauungen: Im Vordergrunde stehen die Leistungen in Askese und Opferspenden und daneben die Verdienste, die sich die kriegerischen Auftraggeber der Sänger durch tausendfachen Opferlohn an die Priester, aber auch durch Heldentod auf dem Schlachtfeld erworben haben. Auch die Wahrung des »Ṛta«, der Weltordnung in moralischer und physischer Hinsicht, wird erwähnt, und ihr spezieller Hüter Varuṇa deshalb gelegentlich neben Yama als König der Toten genannt. Das sind die Taten der Guten, die den Himmel bewohnen, während vom Schicksal der Bösen nur in dunklen Andeutungen die Rede ist. Ob eine weitere Differenzierung der Väter nach dem Werte ihrer guten Taten angenommen wurde, bleibt zweifelhaft.

Nach jenem seligen Jenseits besteht nun freilich keine Sehnsucht. Man hängt am Leben, man erbittet sich von den Göttern hundert reiche Herbste und sondert sich nach der Verbrennung symbolisch von den Toten. Gern wünschen sich die Sänger der Hymnen das ganze, d. h. das volle Leben, und wenn sie Unsterblichkeit für sich erflehen, so meinen sie damit mehr die lange als die ewige Dauer des Lebens. Und ähnlich dürften sie über das Leben nach dem Tode gedacht haben [R25]. Es stellte sich ihnen wohl eher als eine Existenz dar, von der sie kein bestimmtes Ende sahen, als daß sie glaubten, dort notwendigerweise für immer dem Tode entgangen zu sein. Dazu kommt die wenn auch noch bescheidene Rolle, welche die erworbenen Verdienste für die Erreichung eines guten Loses nach dem Tode spielen. Nimmt man dies zusammen mit der Bedeutung des Begriffs der Unsterblichkeit, wie wir ihn eben erkannt haben, so ist es nur noch ein Schritt, nicht ein Sprung, die ewige Dauer des jenseitigen Lebens von den Werken des irdischen abhängig zu denken und, falls die guten Werke nicht zureichen, eine Begrenzung des jenseitigen Lebens anzunehmen, d. h. den Tod im Jenseits, den Wiedertod.

Dieser Schritt ist in den Brāhmaṇas getan worden, begreiflich genug aus ihrem Glauben an die magische Wirkung der auf dem Opferplatz vollzogenen Handlungen und aus ihrer schon öfter erwähnten Neigung, die irdischen Verhältnisse im Kosmischen und Uebersinnlichen wiederzufinden. Die Idee des Sterbens im Jenseits ist aber auch an sich nichts Unerhörtes, sie findet sich mehrfach bei den sog. Naturvölkern.

Die Mächte nun, die in den Brāhmaṇatexten das Sterben im Jenseits bewirken, sind vor allem die Zeit und der Hunger, und gegen sie schützen gute Werke, d. h. Opfer, und Wissen, d. h. Kenntnis des geheimen Sinnes. Durch Wissen vermag man sich von der Macht der Zeit zu befreien: »Wie einer im Wagen stehend von oben auf die sich drehenden Wagenräder herabblickt, so blickt er von oben auf Tage und Nächte herab«, der nämlich, der den tieferen Sinn eines gewissen Opfers, durch das die Sonne erobert wird, kennt. In ähnlicher Weise wird man des Hungers dort Herr. Die Nahrung im Jenseits erschöpft sich, aber durch bestimmte Darbringungen hienieden sichert man sich dort Unerschöpflichkeit, wie man ja seit ältester Vorzeit die Manen durch irdische Darbringungen zu speisen gewohnt war.

War aber die Vorstellung der Todesmöglichkeit im Jenseits einmal gegeben, so mußte jeder Denkende sich fragen, was auf diesen Tod folgen solle. Die Analogie mit dem irdischen Tode legt einen Ortswechsel, auch nach dem Tode im Jenseits, nahe. Dazu treten Anschauungen aus dem Ritual: das Opfer läßt den Opferherrn nach der Lehre unserer Texte zum Himmel emporsteigen; ist aber seine Zeit noch nicht gekommen, dann muß er nicht nur wieder herabsteigen, sondern er möchte es auch gern. Der Zug zur Erde ist hier wichtig, ethisch als Zeichen des alten Lebenshanges, methodisch als Vorbild für die Wiedergeburt. Schließlich dürfen wir die aus alter Zeit bekannten Wechselbeziehungen zwischen dem himmlischen und dem irdischen Feuer, zwischen den himmlischen und den irdischen Wassern und all die vielen anderen Verknüpfungen zwischen Diesseits und Jenseits, welche brahmanische Phantasie immer geliebt hat, heranziehen, um die Möglichkeit einer Ableitung der Wiedergeburtslehre aus der Geschichte des brahmanischen Denkens wahrscheinlich zu machen. Von der Wiedergeburtslehre selbst soll im folgenden Kapitel die Rede sein.


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