Rudolph Stratz
Hexenkessel
Rudolph Stratz

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16

Es war ein sehr geräumiges Eckzimmer in der Pension »Alpenrose«, aus dem Tags zuvor der Wolga-Kolonist Wetzel mit seiner vielköpfigen Familie nach Rußland zurückgewandert war, um künftig unter dem Schutz des roten Sowjetsterns statt des doppelköpfigen Zarenadlers mit dem Sankt-Georgs-Schild bei Ssarepta seine Senfäcker zu bebauen. Die wirrmähnige Gräfin Borissowski, der er die Türklinke in die Hand gegeben, lag bäuchlings in dem Gemach am Boden, wie eine Eidechse geringelt, in einem violettgestreiften, von Tinte und Kaffee befleckten, von Brandlöchern der Papyrossen versengten Pyjama, in dem sie wie ein magerer, sechzehnjähriger Junge aussah. Luja Büttner kniete dicht neben ihr, so daß ihr blauschwarzer Madonnenscheitel und der geniale, aschblonde Haarschopf drüben sich berührten, und schärfte mit einem Küchenmesser die Kreidestückchen, mit denen das einstige großfürstliche Ehrenfräulein die letzten weißen Trennungsstriche über die Dielen zog.

»Fertig!« Die Kabarett-Tänzerin federte wie ein Tennisball auf der linken, durchlöcherten Strumpfspitze in die Höhe und drehte sich im Husch um ihre Achse, während das dünne rechte Bein einen kühnen Bogen über die hohe Lehne des danebenstehenden Großvaterstuhls beschrieb. »Kremlpalais ist eingeteilt! Hier Chevaliergarde-Saal für mich – dort kleine goldene Kammer für Sie – vorn an Türe der Térem! Ämpfangsraum für uns beide! . . . Wände dazwischen, mit viele Heiligenbilder, denken wir uns! Serr schön! Komm! Kuß!«

»Ich danke Ihnen!« Die kleine Büttner war aufgestanden und reichte der nervösen Russin in Jacke und Hosen die weichen Lippen. »Warum sind Sie eigentlich so nett zu mir?«

»Furchtsamer Hase – ich – nachts . . . nicht gern allein!« Das Streichholz, mit dem die Borissowski ihre zwanzigste Zigarette an diesem Morgen anzündete, überflackerte die feinen Schicksalslinien von Luxus und Liebe, Küssen und Kerkerleid auf ihren blassen, quecksilbernen Zügen. »Kommen nachts die Toten zu mir – viele Tote – halbe Familie umgebracht . . . Wunder, daß ich lebbe . . . Wohin, Goluptschik?«

»Ich muß in den ›Kolokól‹! Wir proben!« Die kleine Deutsch-Russin griff nach Mantel und Mützchen. »Ich komm' ohnedies zu spät, wegen dem Skandal vorhin! Es war ja ein Lärm wie in der Kutscherstube! Man muß sich schämen!«

»Sind Kleinbürger – Verwandte Ihrige!« Anna Borissowski stieß philosophisch zwei bläuliche Säulen von Papyrossenrauch durch die feine Nase. »Kinstler: Katz! Bürger: Hund! . . . Grießen Sie ›Kolokól‹!«

Luja Büttner öffnete die Türe, blieb stehen und krauste feindselig die Stirne.

»Bist du schon wieder da?« sprach sie ungnädig. »Statt zu deinen Professoren zu gehn, treibst du dich herum! Sehen Sie nur, Fräulein Gräfin, wie der Universitätshörer Vollbrecht aussieht! . . . Er ist verwildert . . . außer Atem . . . Die Haare hängen ihm in die Stirne . . .«

»Wo ist deine Kusine, Luja?«

»Nun, in ihrem Magazin! Bei den Galoschen!«

»Und du bist ohne Aufsicht . . .«

»Hast du eine Ssotnie Kosaken mitgebracht?« Die kleine, schwarze Schönheit zuckte geringschätzig die Schultern und drängte sich an ihm vorbei in den Flur. »Lasse mich doch lieber gleich nach Sibirien verschicken!«

»Ich verbiete dir . . .«

»Gritsch sitzt in seinem Zimmer und betet für mich. Setze dich zu ihm und hilf ihm! Dann bist du beschäftigt!«

»Du wirst den ›Kolokól‹ nicht mehr betreten!«

»So gut wie du . . .«

»Ich?« Bernd Vollbrecht lachte heißköpfig. »Mit mir hat's ausgekolokólt! Dort ist vorläufig dieser Schweinehund obenauf – dieser . . . Na – die Kanaille koche ich mir noch sauer – deinen verehrlichen Freund und Gönner . . .!«

»Du sollst ihn und mich in Ruhe lassen!« sagte die Balalaikaspielerin erbittert. »Wenn du nicht mehr im ›Kolokól‹ den Kellner spielen willst – mir verdankst du überhaupt die gute Stellung – soll ich dann wegen deiner schönen Augen etwa auch brotlos werden?«

»Weißt du, Luja: Ich bin doch sonst ein ganz guter Kerl! Aber mit diesem Aas aus 'm Osten – Jetzt eben hatte ich leider keine Waffe bei mir, um ihn gleich an Ort und Stelle zu erledigen . . .«

»Du scheinst dich ja bei ihm nett benommen zu haben!« Die kleine Büttner knöpfte sich, auf dem Treppenabsatz stehend, ihr fadenscheiniges, braunes Mäntelchen zu.

»Das Biest soll spüren, was es heißt, einen ehrlichen Deutschen mitten in Deutschland – Ich werde den krummen Asiaten Mores lehren! Ich bin Kriegsteilnehmer – Frontkämpfer – wart 'mal. Junge! Luja: Komme sofort die Treppe wieder 'rauf . . .«

»Ich soll wohl an der nächsten Straßenecke betteln?« frug sanft die Mädchenstimme aus halber Höhe des Stiegenhauses.

»Du sollst vor allem nicht mehr in das verfluchte Nepplokal, wo dich jeden Abend dieser dreckige Kerl als Stammgast anglotzt!«

»Ich hoffe zu Gott, daß er heute wieder in den ›Kolokól‹ kommt!«

Es klang schon von ganz unten. Bernd Vollbrecht stürmte blindlings die Stufen hinab. Erreichte das junge Mädchen am Haustor. Packte ihren Arm. Er hatte geglaubt, sie würde sich wie eine Speikatze sträuben, wenn er versuchen wollte, sie mit schonender Gewalt in den Flur zurückzuzerren. Aber sie wies nur, ohne einen Blutstropfen in dem starren Gesichtchen, mit der freien Hand hinaus auf die Straße.

»Durch Gottes Gnade steht gerade vor unserem Haus ein Wachsoldat!« sagte sie drohend und leise. »So wie ich schreie, kommt er hierher! Ich werde ihn aufklären, daß mir hier Gewalt geschieht!«

Der Sipo wandelte, die Hände beschaulich auf dem Rücken, langsam noch näher heran. Er betrat den Bürgersteig. Luja nickte ihm, ohne daß er es merkte, in verbissenem Triumph aus dem Hausinnern zu.

»Ich gehe jetzt hinter dem Gorodowoi her meines Weges, Bernd!« sprach sie. »Und du bleib hier! Adieu!«

Bernd Vollbrecht sah verwirrt und erzürnt der leichtfüßig davonschreitenden Kleinen nach, die sich die ganze Tölzer Straße hinab beharrlich zehn Schritte hinter dem breiten Rücken des Schutzmanns hielt. Wirre blonde Stirnsträhnen schaukelten dem Studenten windzerzaust vor den Augen und wehrten den Ausblick. Er merkte jetzt erst, daß er bei der wilden Jagd die Treppe hinab seinen Hut oben in der Pension hatte liegen lassen. Er stieg langsam wieder hinauf, um ihn zu holen. Die Türe oben stand noch offen. Er stülpte sich den Filz aufs Ohr. Wollte, in Rachebrüten gegen Serge Ssilin versunken, wieder gehen. Spürte von hinten einen kurzen Fingerspitzenstoß in den Rücken. Drehte sich um. Da stand die russische Tänzerin von vorhin, Lujas neue Freundin, geschmeidig-schmächtig in dem jungenhaften, violettgestreiften Pyjama, ausgetretene, kanariengelbe Babuschen an den Füßen, einen roten Fez statt eines Morgenhäubchens windschief auf dem zigeunerhaft krausen, seidig flimmernden Haargespinst. Sie zog bedeutsam die künstlich nachgebrannten Brauen hoch. Ihr intelligentes, morgendlich russisch-mattes und blasses Antlitz einer Dame der Gesellschaft belebte sich von einer nervösen Spannung.

»Ich redde serr schlecht Deutsch!« In ihrer leisen Stimme schwang eine unterdrückte Aufregung. »Abber verstehe schön! Sie haben laut mit kleinem Windhund gezankt – Braut Ihriges – weggen Verehrer ›Kolokól‹! Jedder begreift . . . Eifersucht!«

»Darf ich fragen, was Sie . . .«

»Beehren bitte Kreml-Gemächer!« Die Russin führte den Studiosus Bernd in das Erkerzimmer und rückte ihm den Großvaterstuhl zurecht. »Belibben Sie . . .« Sie setzte sich ihm gegenüber auf einen am Boden stehenden zerbeulten sibirischen Armeekoffer, mit gekreuzten Beinen wie eine Odaliske, die mageren Arme über der flachen Brust verschlungen, und schaute ihn forschend aus ihren klugen Augen an.

»Bitte!« Sie hatte fingerfertig aus Seidenpapier und bessarabischem Tabak eine Papyrosrolle gewickelt und bot sie noch offen dem Gast, damit er selbst den Gummistreifen mit der Zunge befeuchtete. »Also . . . Nebbenbuhler von ›Kolokól‹ und Kind aus Sebastopol soupierten gestern in ›Monrepos‹!«

»Deswegen war ja vorhin nebenan der Krach, den Sie mitangehört haben!«

»Dann jetzt eben Streit zwischen Ihnen und ›Kolokól‹-Mensch . . .«

»Na – dem Bruder zieh' ich noch die Hammelbeine lang! Da kann er Gift drauf nehmen!«

»Wie werden machen?« Das einstige Petersburger Ehrenfräulein beugte sich neugierig in ihrem Haremssitz vor.

»Das will ich Ihnen ganz genau sagen, meine Gnädige – das weiß ich noch nicht!«

»Und unterdessen stellt Fuchs immer weiter Täubchen nach! Sitzt jeden Abbend drei Schritte von ihr in ›Kolokól‹! Läßt sie taggs hier in Pension durch sein Tscheka von Straße aus überwachen – leggt bei Souper rote Rosen vor Teller ihriges.«

»Woher wissen Sie denn das alles?«

»Kleiner Finger sagt . . .« Die Borissowski spreizte den letzten, langen, mattpolierten Nagel ihrer Rechten.

». . . und warum kümmern Sie sich denn um all diese Einzelheiten?« frug der blonde Jungmann mißtrauisch. »Was interessiert Sie denn so an Fräulein Büttner?«

»Nun – schönes Fräulein aus Sebastopol interessiert Sie ja auch!« Die Petersburgerin lachte.

»Weswegen haben Sie die Luja denn eigentlich gleich zu sich ins Zimmer genommen?« fuhr Bernd Vollbrecht in wachsendem Argwohn fort.

»Nun – gefiel mir – armes kleines Büttner!« meinte die Gräfin Borissowski harmlos. »Kinstlerin sie – Kinstlerin ich –«

»Sind Sie vielleicht gar wegen Luja Büttner Hals über Kopf hierher in die Pension gezogen, sowie ein Zimmer frei wurde, um ihr nahe zu sein?«

Die hübsche, aristokratische, nicht mehr junge Tänzerin betrachtete ihren Besucher eine Sekunde schweigend.

»Ist garr nicht so dumm!« sagte sie dann kopfschüttelnd wie im Selbstgespräch.

»Ich komme allmählich auch hinter eure Geschichten!« versetzte der Student bitter. »Ich komme ja selber immer tiefer in die Bescherung hinein – ich mag wollen oder nicht – weiß der Kuckuck, wie das zugeht! Aber lassen Sie mir die Luja aus dem Spiel . . . Ich habe wahrhaftigen Gottes sehr ernste Gründe, das zu verlangen . . .«

»Neue Papyros? . . .«

». . . ganz unheimlich ernste Gründe, Gräfin . . .«

»Huh!«

». . . Nee – bitte! Das ist wahrhaftig kein Witz! Soll auch keiner sein! Ich rede hier als Lujas Verlobter . . .«

»Also – husch – fort mit schwarzes Kätzchen! . . .« Die Borissowski machte eine kurze, nach der Tür scheuchende Kopfbewegung. »Abber wie ist mit Ihnen?« Sie schoß, wie von einer Sprungfeder geschnellt, von dem grünen Militärkoffer mit der fast verwischten, weiß aufgepinselten russischen Inschrift: »8. Ausfallbatterie« in die Höhe und stand dicht vor Bernd Vollbrecht, immer noch die Arme über der Brust gekreuzt, so als wollte sie ihn verhören.

»Also . . . Sie kennen den Baron Robbe?« forschte sie gedämpft, mit unruhig zitternder Stimme.

»Ich habe nicht den Vorzug!«

»Wie denn? Also den Fritz Reuter?«

»Sie sind Ausländerin . . . Gräfin! Sonst würde Ihnen bekannt sein, daß Fritz Reuter schon seit 'ner Ewigkeit tot ist!«

»Oh – Ich habbe westliche Bildung! Ich bin im Institut der Großfürstin Xenia erzogen! Nein: Anderes Reuter, das ich meine – ganz gemeines Reuter . . . Grenadierstraße . . . Waren nicht Grenadierstraße?«

»Da ich nicht mit alten Hosen handele. Gnädige . . .«

Die Kabarett-Tänzerin klopfte sich grüblerisch mit zwei gebogenen Fingerknöcheln an die Stirne.

»Gott mögge erleuchten uns!« sagte sie. »Wir redden doch von Mann in ›Kolokól‹ – Mann in ›Monrepos‹ – Mann so schön wie Bergwerkssträfling – zwanzig Raubmorde in Gesicht . . .«

»Sehr richtig!«

»Sie kennen Mann! Waren ebben bei ihm . . .?«

»Nun ja – bei Serge Ssilin am Königsplatz!«

»Serge Ssilin . . .?« Das einstige Ehrenfräulein wiederholte es atemlos, mit großen Augen, in fieberhafter Spannung. »Königsplatz?«

»Da hat er sein Handelskontor – die ›Nowaja Rossija‹ . . .«

»Oh . . .« Die Russin versank in tiefe Gedanken. Sie murmelte für sich: »Das ist neu! Das ist großer Schritt vorwärts! Das wird interessieren ihn!«

». . . drei Treppen hoch! Die wollt' er mich 'runterschmeißen! . . . Na – der entgeht seinem Schicksal nicht! Der hat Dreck genug am Stecken!«

»Das . . . Sie müssen ihm saggen!«

»Dem Ssilin? Hat er schon von mir gehört!«

»Nein doch! . . . Müssen es anderem Feind ihres Feinds saggen! Todfeind Ihres Feinds! Mächtiger Feind! Vetter meiniges! Wollen Sie helfen?«

»Gegen den Ssilin? Da ist mir jeder recht!«

»Ist nicht jedder! Hat viel Geld! Jetzt noch! Eddel von Geburt! Eine Charaktere – kalt und hart wie Tuladolch! Ihr müßt Brüdder werden – geggen Feind gemeinsamen . . . Sind Sie Brudder?«

»Ich bin froh, wenn mir einer hilft!«

»Serr gutt!« Die Russin brachte ihrem Gast selbst den Hut. »Gehen Sie gleich Ritzhotel . . . Sie kennen . . .?«

»Ja. Der große Luxuskasten! Ich weiß.«

»Dort fraggen Sie nach Kusin – mon cousin – Fürsten Wolski . . .«

»Wird er denn zu Hause sein?«

»Russe? Zehn Uhr früh? Schläft noch! . . . Ich geh' jetzt an Telephon! Wenn Sie kommen – Wolski wird schon wissen!«

Die teppichbelegte Marmortreppe des Hotels Ritz kam, als Bernd Vollbrecht eintrat, ein Offizier der Ententekommission hinab, prangend in Himmelblau, Purpur und Gold der französischen Friedensuniform. Im Fahrstuhl kauten Yankees halblaut Kurse und Kabelorders zwischen den Zähnen. Auf dem Flur des zweiten Stockwerks standen dicke Herren und raunten in Schwyzerdütsch und Italienisch. Es gab fast keine deutschen Gäste mehr jetzt, während des Todeskampfs der Mark, in dem Prunkbau, in dem nur die aus der Heimat bezogenen Lebensmittel der Ausländer – dänische Butterkruken, holländische Käsekugeln, englische Jamtöpfe vor den Fenstern im Lichthof – an die draußen in Berlin herrschende Hungersnot erinnerten.

Der Fürst Wolski plätscherte wirklich noch im Bade. »Haben Sie die Gnade, eine Minute zu opfern!« rief er weich und liebenswürdig in gutem Deutsch durch die geschlossene Seitentüre in das Zimmer, in dem der Student Vollbrecht sich wartend umschaute. Er sah inmitten des kostbaren, unpersönlichen Hotelmobiliars kleine Trümmersplitter und Strandgut des zerschellten Zarenreichs: Die Photographie des letzten Selbstherrschers und der Seinen. Lichtbilder von ordenbedeckten Großen und juwelenübersäten Damen des Petersburger Hofs. Ein Heiligenbild über der Eingangstüre. Als Briefbeschwerer ein pilzartig durch Einschuß gestauchtes deutsches Infanteriegeschoß.

Die Tapetentüre öffnete sich. Knjäs Wolski erschien, von Kopf bis zu Fuß in einen weißen Bademantel gehüllt. Unter der Kapuze, die sein längliches, slawisch-schwermütiges Aristokratenantlitz überschattete, sah er fremdartig aus, wie ein überschlanker, schmalschulteriger Araberscheich im Burnus. Seine hellblauen Augen hatten einen stählernen und starren, irgendwie in die Ferne gerichteten fanatischen Glanz. Er lächelte höflich unter dem kleinen Schnurrbärtchen und reichte dem Besucher die noch feuchte Hand.

»Ich danke Ihnen, daß Sie sich zu mir bemühten!« sagte er lebhaft und setzte sich neben seinen Gast auf das Kanapee. Ein feiner Hauch von Seife, Kölnischwasser, Papyrossen ging von ihm aus. »Nehmen Sie mit mir vorlieb, wie ich mich hier präsentiere! Meine Kusine Anna meldete Sie an. Ich wollte Sie nicht warten lassen. Sie wünschen – bitte – hier sind die Zigaretten – Sie wünschen wie ich, eine gewisse giftige Kröte hier in Berlin zu zertreten . . .«

»Ich ruhe nicht, bis der Kerl zur Strecke gebracht ist, Durchlaucht!«

»Vortrefflich! Wir finden uns! Wir können ja nicht gegenseitig voneinander erwarten, daß wir uns vertrauen – denn wir kennen uns ja nicht weiter! Aber, was mich betrifft, so ist es kein Geheimnis, daß ich den Spuren dieses Holigans folge! Er selber weiß es! Er muß, als Fritz Reuter, mich in der Grenadierstraße auf seiner Fährte gesehen haben. Denn er verschwand da plötzlich wie von der Erde verschlungen. Er trat gestern nacht, als Baron Robbe, mir voll Mißtrauen an einer Straßenecke in Charlottenburg entgegen, bis zu der ich ihn beschattet hatte! Nun entpuppt er sich, dank Ihrer uneigennützigen Hilfe, in einer dritten, höchst wichtigen Gestalt – als der Kommerzielle Serge Ssilin von der ›Nowaja Rossija‹.«

»Das ist der Name, unter dem ich ihn kenne! Das heißt – warten Sie doch 'mal . . .« Der junge Mann legte die flache Hand über die Stirne und hob dann schnell den Blondkopf. »Ja – also . . . Es waren geflüchtete Landsleute von Ihnen, Durchlaucht, hier in Berlin – wer, das ist ja schließlich schnuppe – Ich möchte nicht unnütz aus der Schule plaudern . . .«

». . . und meine Landsleute sprachen von diesem – diesem falschen Robbe . . . oder Ssilin . . .?«

»Ja – aber als von einem Herrn von Laskarew – jetzt erinnere ich mich an den Namen – und als von einem der gefährlichsten Menschen in Berlin . . .«

»Laskarew . . .?«

»Der wirkliche Laskarew, meinten sie – ein ukrainischer Edelmann – sei, in den Reihen der Wrangel-Armee in der Krim, umgekommen – vermutlich durch die Hand eben dessen, der jetzt Paß und Name Laskarew führt!«

»Erbarmen Sie sich!« Der Knjäs sprang auf. »Wo wohnt er?«

»Da fragen Sie mich zuviel, Durchlaucht!«

»Aber er tritt vornehm auf? Ein Russe von Distinktion! . . . Man wird ihn hier zu finden wissen! . . . In einem Hotel . . . einer Pension . . . Er ist bei der Polizei gemeldet . . .« Fürst Wolski schritt erregt in langwehendem weißen Mantel zwischen Türe und Fenster auf und nieder und machte vor dem jungen Landwirt halt. »Ich danke Ihnen, Herr Vollbrecht! Sie erweisen mir einen unschätzbaren Dienst . . .«

». . . wo mir doch selber am meisten daran liegt, Durchlaucht, daß dieser Zeitgenosse nicht länger Berlin verunziert! . . . Ich bin verlobt! Meine Braut . . .«

»Oh – ich weiß!« Der Petersburger Große senkte seine lange und elegante, engbrüstige Rassegestalt wieder auf das Kanapee und spielte mit dem zerbeulten kleinen Bleipilz deutscher Herkunft, den man ihm in den Karpathen aus dem Beckenknochen gezogen. »Meine Kusine Anna klärte mich am Telephon auf . . . Ihre Gründe, Herr Vollbrecht, gegen den falschen Robbe sind die des Herzens. Meine kommen aus dem Kopf. Dieser Doppelgänger eines kurischen Barons – er muß dort oben irgendwie zu Hause sein und etwas von den Robbes und dem örtlichen baltischen Adel wissen! – dieses Gespenst hat es fertiggebracht, sich hier in das Vertrauen argloser, echter Freunde Rußlands einzuschleichen, denen ich vertraute! Ich war vielleicht unvorsichtig! Ich ließ mich, noch von Paris aus, zu Briefen geheimsten, politischen Inhalts verleiten, die sich im Besitz dieses Pseudo-Robbe befinden! Ich muß diese Briefe um jeden Preis wiedergewinnen! Ich muß den Verkleidungskünstler in die Enge treiben, entlarven, auf die Knie zwingen . . .«

Der deutsche Student nickte rachelustig Beifall. Seine blanken blauen Augen flackerten so heiß, wie die des Fürsten unbewegt mit eisigen Pupillen starrten. Der russische Große im Bademantel schloß:

»Man muß ihn dazu bringen, um sein Leben zu betteln und die Papiere herauszugeben! Dann mag man ihn laufen lassen! . . . Fort auf Nimmerwiedersehen aus Berlin – aus Deutschland . . . Sie ballen die Faust . . . Sie denken an mehr . . .?«

»Ich weiß nicht . . . Ich hab' 'ne Wut auf den Kerl, Durchlaucht! . . .«

»Lohnt es? Eine zerdrückte Wanze stinkt! Ist sie es wert, daß man vor den Kronsanwalt kommt . . . in die Festungskasematten gesteckt wird? Begnügen wir uns doch, unsere Zwecke zu erreichen, indem wir diesem Sträfling meine Briefschaften abnehmen und ihn aus der Nähe Ihrer Fräulein Braut verjagen! Für mich als Ausländer sind die Vorbereitungen schwer! Mein Äußeres ist befremdend! Mein Deutsch klingt hart! Ich falle auf! Sie, Herr Akademiker Vollbrecht, als Deutscher könnten da von größtem Vorteil sein für unsere gemeinsamen Ziele! Sind Sie bereit?«

»Dreimal ja! Aber unter einer Bedingung!«

»Sie werden sie nennen, und ich werde sie erfüllen!« sagte der Fürst ruhig.

»Sie geben mir Ihr Wort, daß meine Braut, Fräulein Büttner aus Sebastopol, die augenblicklich mit Ihrer gnädigsten gräflichen Kusine ein Zimmer teilt, unter keinen Umständen weiter in die Geschichte hineingezogen wird . . .«

»Aber . . .«

»Ich weiß, daß das geplant war! Durch die Luja Büttner wollte man an unsern Mann herankommen! Daher die gräfliche Gnade . . .«

»Nun . . . Meine Kusine Anna . . .«

»Aber Sie wissen nicht, welche furchtbaren Folgen es haben würde, wenn Sie Fräulein Büttner mit in das Spiel brächten! Mehr sage ich nicht und darf ich nicht sagen – als eben nur das eine: Halten Sie sich bitte einzig und allein an mich – nicht an meine Braut . . . Dafür können Sie unbedingt auf mich zählen – bei Tag und Nacht – zu Luft und Wasser und zu Lande . . .«

»Mein Wort! . . . Nur – Sie begreifen: Fräulein Büttner hat gestern noch mit diesem Robbe soupiert. Sie wird es heute vielleicht wieder tun! Fräulein Büttners Verkehr mit ihm zu hindern, steht nicht in meiner Macht!«

»Aber in meiner!« sagte der Student Vollbrecht. »Lassen Sie mich nur machen! Ich weiß jetzt ein Mittel, sie aus der Sache fernzuhalten!«

 


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