Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Den ganzen Nachmittag hielt Valeska mit trotziger Energie an ihrem Entschluß fest.
Wenn sie schon eine solche sein sollte, wenn es kein Mittel gab, ihre Vergangenheit abzuschütteln . . . gut!
Sie zwang sich, an nichts zu denken, nichts zu überlegen als das eine, daß sie am Abend um neun Uhr mit Seybling und seinen Freunden bei Dressel soupieren würde.
Schließlich . . . was war denn auch weiter dabei?
Das verpflichtete ja zu nichts.
* * *
Aber als sie sich am Abend, nachdem sie ihre paar Worte in dem Einakter gesprochen, in ihrer Garderobe abschminkte, erfaßte sie doch eine unbestimmte, quälende Angst.
Mechanisch rieb sie sich mit Cold-cream die Schminke ab und dann mit einem Tuch das Gesicht trocken.
Die Garderobiere, die ihr beim Umkleiden half, schwatzte allerhand. Sie achtete kaum darauf.
Auch mit Thilda, die vor ihr fertig war und ging, hatte sie außer einem zweimaligen »Guten Abend!« kein Wort gewechselt.
»Haben Sie schon jesehen, Fräulein?« meinte jetzt die Garderobiere zu Valeska, die sich, mit hochgehobenem linken Arm vor ihr stehend, ihr Zivilkleid an der Seite zuhaken ließ. »An dem jrünen Damast ist unten ein Stück vom Besatz losjetreten . . .«
Valeska sah auf die Robe und nickte gedankenlos.
»Soll ick's nachher im Korb der Frau mitjeben, die Sie abholt . . .?« fuhr die Garderobiere fort.
Sie nickte wieder.
»Ja . . .«, sagte sie rauh, »und die Portierfrau braucht nicht auf mich zu warten. Ich komme heute später nach Hause, weil ich in Gesellschaft bin . . .«
Sie blickte auf die Uhr. So lange hatte das Umziehen noch nie gedauert. Es war nahe an neun.
Rasch trat sie auf den Korridor hinaus, der verlassen dalag. Nur ein gelangweilter Feuerwehrmann stand ganz im Hintergrund.
Von der Bühne her ertönten undeutlich erhobene, pathetisch schallende Stimmen durcheinander. Die Vorstellung der »Kleinen Herzogin« war in vollem Gange.
Übrigens war es im Theater hundeleer gewesen, trotz des Sonntags. Namentlich in den Logen saßen kaum ein paar Menschen.
Daß das schon im vorigen Winter wacklig gewesene Westend-Theater bis jetzt in dieser Saison sehr schlechte Geschäfte machte, war eine nicht mehr zu bezweifelnde Tatsache. Und eben jetzt hatte die Zensur wieder ein französisches Sittendrama, auf das man große Hoffnungen setzte, verboten.
Schlimm, sehr schlimm.
Aber Valeska hatte jetzt andere Dinge im Kopf. Leise ging sie durch ein Seitenpförtchen auf die Straße und zur nächsten Droschkenreihe hin.
»Kutscher . . . in das Restaurant von Dressel . . . Unter den Linden . . . in der Nähe von . . .«
»Ick weiß schon, jnädiges Fräulein!« sagte der Kutscher gutmütig, dem Pferde die Decke abnehmend, und half ihr beim Einsteigen.
* * *
»Also darf ich die Herrschaften bekannt machen . . . hier Herr Hammerschmiedt . . . einer Ihrer wärmsten Bewunderer und Verehrer . . . hier Herr Ritter von Sedlek aus Wien . . . ich warne Sie vor ihm und seinem schwarzen Mephistobart . . . meine Herren . . . Fräulein Valeska Elten . . . ein neu aufgehender Stern des Westend-Theaters.«
Die beiden Herren waren aufgestanden und verbeugten sich höflich.
»Nun . . . und die Damen . . .«, fuhr Seybling fort, »die kennen sich ja schon.«
Ja . . . allerdings kannte Valeska die beiden, die da mit den drei Herren an dem runden gedeckten Tisch der Chambre séparée saßen.
Die Ilgen und die Hannemann! . . . Das waren gerade die Rechten!
Am liebsten wäre sie umgekehrt. Aber das ging nun nicht mehr, und sie nahm beklommen neben Seybling Platz. Zu ihrer Linken saß Herr von Sedlek. Gegenüber Hammerschmiedt zwischen den beiden Freundinnen, die anfangs energisch gegen diese Trennung protestiert hatten.
Auch jetzt war Franziska Ilgen noch schlechter Laune.
»Laß mich in Ruhe!« sagte sie unwirsch zu dem Gigerl, der sie begütigen wollte.
Und der senkte trübsinnig den Kopf.
»Ich weiß nicht, was Sie heute wieder haben, Fränzchen . . .«
* * *
Das bei Valeskas Eintritt unterbrochene Gespräch wurde durch Seybling wieder aufgenommen. Offenbar wollte er der kleinen Elten Gelegenheit geben, sich unbeachtet an die neue Umgebung zu gewöhnen.
»Ich mache ihn!« sagte er zu Sedlek. »Ich mache ihn . . . verlassen Sie sich darauf . . . zu Ultimo soll sich der grüne Junge verwundern . . .«
»Ja . . . lieber Freund . . .«, widersprach jener, »vergessen's nöt, daß der Verwaltungsrat . . .«
Aber da legte sich die Hannemann ins Mittel.
»Kinder . . .«, sagte sie und warf nach ihrer Gewohnheit das schöne Haupt verächtlich ins Genick, »wenn ihr jetzt nicht von eurer Börse aufhört, gehe ich auf und davon . . .«
»Sie haben recht, Fräulein Hannemann . . .«, erwiderte Seybling ernst, »widmen wir uns den Damen, Herr von Sedlek . . .«
Er war gegen Künstlerinnen immer außerordentlich höflich. Das müsse so sein, meinte er. Schlecht behandeln dürfe man nur die Damen der guten Gesellschaft. Denn diese könnten sich wehren, indem sie einen heirateten oder sonstwie schädigten.
* * *
»Schön, daß Sie gekommen sind . . .«, sagte er, während er Valeska Wein eingoß, »ich glaubte eigentlich nicht recht daran . . .«
»Wenn ich doch mein Wort gegeben habe . . .«
Sie sah beklommen auf ihren Teller nieder, auf dem einige Artischockenblätter lagen. Zu essen wagte sie nicht davon, ehe sie nicht gesehen, wie die andern das machten. Denn um keinen Preis hätte sie sich in dieser Gesellschaft eine Blöße gegeben.
Eben als sie das glücklich begriffen, trat der Kellner wieder ein und beugte sich über Seyblings Stuhl. Die Herren Rhodanopoulo und Leibowitsch seien draußen und müßten vor ihrer Abreise nach Galatz den Herrn Baron durchaus noch einmal sprechen.
»Sie mögen zum Deubel gehen . . . wenn der nicht auch Protest einlegt . . .«, brummte Seybling, trat aber doch, mit flüchtiger Verbeugung gegen seine Gesellschaft, hinaus, und man hörte vom Gange her, wie er jemand in verbindlichem Französisch ansprach. Dann verhallten die Stimmen. Wahrscheinlich begaben sich die Herren nach vorn in das Restaurant.
In dem Sonderzimmer war ein kurzes Stillschweigen eingetreten.
Dann sagte die Ilgen, nach der Tür blickend, als gäbe sie einem Gedanken der ganzen Gesellschaft Ausdruck:
»Gestern hat er zum zweitenmal Krach mit der Dobschütz gehabt . . .«
»Wer . . .?« fragte der Wiener. »Unser Freund Seybling?«
Die Ilgen nickte und entwickelte ihre Theorie, daß ein solches Verhältnis immer mit drei Rucken gelöst werde. Den ersten Krach halte man noch für ein Mißverständnis, für einen unglücklichen Zufall . . . beim zweiten fange man an, klar zu sehen und sich mit dem Gedanken einer Trennung vertraut zu machen . . . und der dritte bringe eben das Ende.
Nächstens sei also Seybling frei.
»Und dann?« Herr von Sedlek machte ein ganz harmloses Gesicht und zwinkerte kaum mit den Augen, als niemand antwortete. Der Gigerl räusperte sich nur, die Damen lächelten. Es wurde bedeutungsvoll still in dem kleinen Kreise, und man blickte auf die kleine Elten.
Gott sei Dank – Valeska atmete auf –, da kam Seybling zurück!
»Die sind besorgt und aufgehoben . . .«, sagte er, sich an den Tisch setzend. »Fräulein Elten . . . Sie essen nichts . . . Sie trinken nichts . . . was ist mich das mit Ihnen? . . . Hier . . .«, er füllte ihr Glas, »jetzt stoßen Sie einmal hübsch mit mir an . . . so . . .«
Sie leerte gehorsam ihr Glas und machte ein sehr unglückliches Gesicht.
»Raten Sie einmal, was ich da habe . . .«, fuhr der Stutzer mit gedämpfter Stimme fort, während die andern über irgendeine törichte Äußerung Hammerschmiedts in einen heftigen Wortwechsel geraten waren, »da sehen Sie mal.«
Valeska erkannte in dem dünnen Heftchen, das er ihr in die Hand schob, ein Druckmanuskript des Dramas »Lilith«.
»Ich weiß . . .«, sagte sie, »in dem Stück spiele ich die Astild . . .«
»Leider!« erwiderte Seybling. »Das haben Sie wahrscheinlich Ihrer pompösen Toilette von neulich zu verdanken, und ändern läßt sich's nicht. Aber stecken Sie das Heftchen nur ein und sehen Sie sich einmal die Titelrolle an. Die ist wie für Sie geschrieben . . .«
»Aber die spielt ja Fräulein Dobschütz!«
»Natürlich spielt sie Fräulein Dobschütz. Aber einmal wird sie ihr doch über . . . oder sie ist gerade erkältet . . . oder auf Gastspiel . . . oder es ist eine Sonntagnachmittags- Vorstellung für die Vereine . . . zu halben Preisen . . . dann könnten auch Sie einmal die Partie bekommen . . . im Vertrauen gesagt . . .«, er beugte sich dicht an ihr Ohr, »ich habe heute schon Hochmann danach gefragt.«
»Und was sagt er?« fragte Valeska, freudig erschrocken.
»Was man gewöhnlich in solchen Fällen antwortet . . . nicht ja und nicht nein . . . die Hauptsache ist, daß Sie die Rolle bis auf den I-Punkt lernen, der Dobschütz absehen, was Sie können, und dann den rechten Augenblick abwarten.«
Valeska starrte auf das Heftchen, das sie in der Hand hielt. Das »not for sale«, mit dem die Druckmanuskripte schließen, leuchtete ihr geheimnisvoll in fetter Schrift entgegen. Sie drehte das Buch um und las ebenso mechanisch auf der Vorderseite die Mitteilung, daß das Aufführungsrecht von »Lilith« allein durch den Verlag von Entsch in Berlin zu erwerben sei und österreichisch-ungarische Interessenten sich an den Hof- und Gerichtsadvokaten Eyrich in Wien wenden möchten.
Sie traute der Sache nicht. Sie wußte jetzt, daß sich Hochmann in seine Theaterinterna überhaupt nicht hineinreden ließ, auch von Seybling nicht. Wahrscheinlich tat der Dandy nur so, um ihr Zutrauen zu gewinnen, und nahm die Sache gar nicht ernst.
Immerhin steckte sie das Heftchen ein.
»Danke schön!« sagte sie zu Seybling. »Was ist das für ein komischer Name . . . Lilith . . .«
»Lilith, mein Fräulein,« erwiderte ihr Nachbar ernst, »war Adams erste Frau!«
Das erregte Sensation am ganzen Tisch.
Käthe bog sich erstaunt vor.
»Hatte er denn zwei Frauen?«
»Nach einer alten hebräischen Legende allerdings«, bestätigte Seybling, »erst die Lilith, dann die Eva!«
»Und das Stück spielt im Paradies?«
»Ha . . . das könnte euch so passen . . .«, murmelte der törichte Hammerschmiedt verstohlen vor sich hin.
»Das Stück spielt in Berlin W«, erwiderte Seybling kaltblütig, »und in der Gegenwart . . .«
»Ja, aber was heißt denn dann Lilith?«
Seybling lehnte sich im Stuhl zurück.
»Lilith ist einfach das erste Weib im Leben des Mannes! Sie muß aus seinem Leben wieder verschwinden, ehe er sein eigentliches Weib, die Eva, die für ihn geschaffen ist, trifft. Sie wird für ihre Nachfolgerin geopfert, oder, um es Ihnen durch ein bekanntes Gleichnis plausibler zu machen: Wenn man Tee bereitet, schüttet man den ersten Aufguß weg. Er schmeckt bitter und herbe. Aber durch ihn wird der folgende Trank aromatisch. Das ist das Verhältnis von Lilith zu Eva . . . oder, wenn Sie wollen, der Geliebten zur Ehefrau . . .«
»Und was ist Lilith in diesem Stück?« fragte Sedlek.
»Eine kleine Konfektioneuse . . .«, sagte Seybling, »vom Hausvogteiplatz in Berlin . . .«
* * *
». . . Verrückt . . .«, meinte Käthe Hannemann . . . ». . . aber es ist wahr . . . wenn man so an seine erste Liebe denkt . . .«
Hammerschmiedt warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. Es erschien ihm kaum denkbar, daß die Hannemann sich dieser Tatsache noch entsinnen solle.
Die aber merkte nichts davon. »Ich möchte sterben in des Frühlings Tagen . . .«, sang sie melancholisch und leise vor sich hin.
»Um Gottes willen . . . jetzt wird sie wieder sentimental! . . .« schrie die Ilgen . . . ». . . Käthe . . . tu mir den einzigen Gefallen und verschon' uns heute mit der Kirchhofsmauer, hinter der du eingescharrt sein willst, und all dem übrigen Zauber! . . . wir kennen's ja schon.«
Die schöne Hannemann lächelte verächtlich. »Beruhige dich, lieber Franz . . .«, sagte sie . . . ». . . euch werde ich gerade mein Inneres enthüllen . . . euch! . . .«
Und sie goß schwermütig eine große Schale Sekt hinunter.
* * *
»Na . . . was haben's denn, Fräulein?« Der Ritter von Sedlek drehte scheinbar unabsichtlich die Platte mit dem gebratenen Fasanen so, daß die langen Schweiffedern Valeska im Gesicht kitzelten und diese erschrocken aus ihrem Brüten auffuhr . . . ». . . Was ziehen's denn für ein trauriges Goscherl?«
»Ich habe Kopfweh . . .«, erwiderte die kleine Elten scheu.
Seybling kam ihr gutmütig zu Hilfe.
»Laßt mir das kleine Fräulein aus der Provinz in Frieden! Die muß sich hier erst eingewöhnen . . .«
Ja wirklich . . . sie mußte sich hier erst eingewöhnen. Angstvoll sah Valeska vor sich hin. Vor ihr perlte der Sekt im Glase, der Kaffee dampfte aus kleinen Täßchen, in bläulichen Wolken zog der Zigarettendunst darüber hin, und wie aus weiter Ferne klang rechts und links das Gespräch an ihr Ohr.
Vor wenigen Tagen noch hatte sie nebenan im Hillerschen Lokal mit Thilda und deren Herrn bei dem reizenden kleinen Souper gesessen. Wie anders war das doch gewesen. Damals als eine Dame der Gesellschaft, an der Seite eines Offiziers in Uniform, im offenen Restaurant . . .
Und jetzt . . . im Chambre séparée . . . mit einer Hannemann zusammen! Eine bittere Scham regte sich in ihr.
Nicht, als ob irgend etwas Unschickliches hier gesagt oder getan worden wäre . . . durchaus nicht! Aber die ganze Atmosphäre schien ihr wie vergiftet . . . diese verstohlen zwinkernden Blicke . . . die nur zur Hälfte ausgesprochenen Sätze . . . das vielsagende Schweigen . . . das ebenso vielsagende Lachen . . . das alles flößte ihr ein unbestimmtes Grauen ein.
Und dabei kam sie sich so unbeholfen und töricht vor in der Gesellschaft dieser kühlen Dandys, die alles kannten, alles gesehen hatten und für alles in der Welt nur noch ein ironisches Lächeln besaßen.
Da waren die Bergheimer Husaren doch besser gewesen! Wie friedlich saß man da zusammen in Valeskas engem Wohnstübchen am Markte, ihr Freund Fritz, sein Intimus Aribert Duyn, der jetzt den abscheulichen Brief geschrieben, und noch einer oder der andere Attilaträger.
Und sie hatte draußen auf dem Herde ihre kleinen Kartoffelpuffer gebacken, auf deren Zubereitung sie so stolz war, und hatte sie selbst im koketten Küchenschürzchen knicksend und lachend herumgereicht und das Lob der Herren in Empfang genommen, während ihr Freund das Flaschenbier in die Gläser goß.
Später, wenn alles satt war, kam dann die Bowle oder der Glühwein, je nach der Jahreszeit, und man rückte in dem schummerigen Zimmer traulich aneinander. Sie sang mit ihrer klagenden, kleinen Altstimme: »Behüt' dich Gott . . . es wär' so schön gewesen . . .«, und die Husaren summten melancholisch den Refrain mit, und alles atmete Freude und Behagen.
Während hier . . . die Tränen stiegen ihr ins Auge.
Man bemerkte es nicht. Denn eben machte Käthe den Vorschlag, zu tanzen. Das sei sehr gesund nach Tisch.
Aber wer sollte spielen? Die Damen konnten oder wollten nicht und sahen fragend auf Valeska.
Fügsam ging diese zu dem Klavier, das in der Ecke stand, und begann die »schöne blaue Donau«. Den Walzer konnte sie noch am besten.
Hinter sich hörte sie das Schleppenfegen und leichte Atmen der Hannemann, die mit Sedlek tanzte. Er hielt sie fest umfaßt, und seine Augen funkelten.
Eine tiefe, trostlose Traurigkeit erfaßte Valeska. Das also sollte das Ende sein . . . hier . . . in dieser Gesellschaft . . .
Und plötzlich erschrak sie.
Die Worte gingen ihr durch den Kopf, die sie diesen Morgen noch aus tiefster Überzeugung zu einem Manne, der sie liebte, gesprochen:
»Ich hab' mich nie verkauft, und ich werd' es nie tun, solange ich lebe . . .«
Ihre trotzige Verbitterung verflog. Ihr war, als ob sie aus einem bösen Traum erwache.
Da legte sich ihr eine Hand leicht auf die Schulter.
»Verzeihen's, Fräulein!« sagte der schwarze Wiener. »I will mal den Damen aufspüll'n.«
Valeska stand auf und sah, daß Käthe und Fränzchen sich bereit hielten, um miteinander zu walzen. Und schon griff Sedlek virtuos in die Tasten und sang den Text nach Art der »Schrammeln«:
»Dös is mei' Wien . . . mei' Wien . . . mei' Wien . . . Dös is die Stadt, wo i geboren bin . . .«
Seybling war neben Hammerschmiedt getreten, um den beiden Mädchen zuzusehen, die sich selig in dem Dreivierteltakt wiegten. Niemand merkte es, wie die kleine Elten lautlos das Zimmer verließ . . .
* * *
Man würde sie auslachen – das wußte sie –, und mit Seybling hatte sie es für immer verdorben. Aber das war ihr jetzt gleich.
»Besorgen Sie mir ein Coupé!« sagte sie draußen zu dem Portier, der am Türeingang lehnte.
Der Livreeträger machte ein verblüfftes Gesicht. Er ahnte schon, daß zwei Minuten später Seybling in grimmigster Laune vor ihm stehen würde.
Aber schon fuhr ein Kutscher, der die Dame gesehen hatte, in kurzem Trab vor. Valeska nannte ihm ihre Wohnung und sank, schwer aufatmend, in die Polster nieder.
* * *
Natürlich hatte sie ihre Streichhölzer vergessen und mußte sich im Dunkeln zu ihrer Wohnung hinauf und den Flur entlang in ihr Zimmer tappen.
Als sie in den dämmerigen Raum eintrat, wäre sie beinahe hingestürzt. Ein plumper Gegenstand befand sich da am Boden und hatte sie zum Straucheln gebracht.
Sie bückte sich und griff danach. Es rauschte und knisterte wie von einem schweren Stoff zwischen ihren Fingern.
Ein wilder Zorn stieg in ihr auf.
Sie riß in der Dunkelheit das unselige Damastkleid aus dem von der Portierfrau gebrachten Toilettenkorb, sie schüttelte es in der Luft und schleuderte es in die Ecke, wo es als ein regelloser Haufen zusammengeballt liegenblieb.
Dann machte sie Licht.
Aus reiner Gewohnheit, weil sie es jeden Abend tat, ging sie zum Ofen, holte ein Kännchen mit warmem Wasser herunter, wusch sich damit das Gesicht und rieb es, während die Haut noch naß war, mit trockener Mandelkleie wie mit Seife ab. Eine feine Schicht Creme Simon kam endlich, als das andere abgespült war, darauf, um die Nacht über da zu bleiben.
Sie seufzte auf, tief und hoffnungslos. Der heutige Tag hatte alle ihre Wünsche und Träume vernichtet.
Aus einem Schubfach nahm sie das Bild ihres verstorbenen Rittmeisters. Das war doch der Mann, den sie am heißesten auf Erden geliebt hatte. Zu ihm flüchtete sie jetzt in ihrer Not, zu ihm, der nun schon lange drüben an den Ufern des Michigansees den ewigen Schlaf schlief.
Sie preßte ihre Lippen auf das Bild und auf den Vers, den er daruntergeschrieben . . . sie wußte genau, wann . . .
Sie kannte die Worte auswendig:
»Hast du geliebt, spricht dich die Liebe frei!
Des Weibes Liebe ist des Weibes Ehre! . . .«
Warum mußte er gerade sterben, er, der Gütige und Edle?
Sie steckte die Photographie unter ihr Kopfkissen und legte sich schluchzend zur Ruhe.
* * *
Es war noch früh am Abend, nach Berliner Begriffen . . . kaum elf Uhr. Draußen klingelten die Pferdebahnen, man hörte das Lachen und Plaudern der Menschen, das Rollen der Wagen.
In Valeskas Zimmer war alles still.
Erst als draußen, gegen zwei Uhr nachts, das Treiben verstummt war, erhob sie sich plötzlich und glitt wie ein weißer Schatten lautlos durch den dämmernden Raum.
In der Ecke bückte sie sich nieder.
Es war doch schade um das schöne Kleid, wenn es die ganze Nacht zerknüllt dalag . . .
Sie öffnete die knarrende Schranktür, hing es auf und strich vorsichtig mit der Hand im Dunkeln die Falten glatt.
Dann legte sie sich wieder hin, still und trostlos.