Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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VI.

Die säuerliche Langeweile der norddeutschen Gesellschaft brütete in dem engen Raum, wo der alte Generalleutnant z. D. von Westrow seine Gäste versammelt hielt.

Viele waren es nicht, nur Verwandte, ausnahmslos dem märkischen Schwertadel entstammend, aus dem Lande »zwischen Luch und Bruch« gesprossen, dessen Sand und Sumpf seit Jahrhunderten in zahllosen Schlachten das Blut ihrer Sippen aufgefangen.

Der alte General war Witwer. Er hatte sich seit seiner Pensionierung ein etwas jugendliches, tänzelndes Wesen und eine aufgeregte Sprechweise angewöhnt. Trotzdem verfiel der kleine, silberhaarige Herr rapide in dem erzwungenen Müßiggang.

Zu seiner Rechten saß, als die vornehmste Dame der Gesellschaft, die hagere, distinguierte Exzellenz von Isingen.

Ihr Mann, der General der Infanterie z. D., saß gegenüber. Er war ein straffer, finster blickender Militär, der seine Zeit noch lange nicht für verronnen hielt. War doch in letzter Zeit mehr als ein zur Disposition gestellter Herr mit glänzendem Erfolg wieder »ausgegraben« worden. Manche hielten ihn denn auch noch für einen »kommenden Mann«.

Von dem runden, biederen Hauptmann von Harwitz, der gegenüber seiner hübschen Frau am Ende der Tafel saß, erwartete man keine solche Karriere. Die Familie war einig, daß er an der Majorsecke stranden und ein Bezirkskommando erhalten würde.

Er fühlte sich etwas ungemütlich, weil er neben der stillen, bleichen Frau von Elcke saß. Die Greisin war schon seit fast einem Menschenalter Witwe. 1870 hatte ihr der Tod in einer Stunde den Gatten und beide Söhne entrissen; an jenem furchtbaren 18. August, da auf den Feldern von St. Privat, wie sich sonst ihr anderer Nachbar, der Generalstabsoberst v. d. Lünne, auszudrücken pflegte, eine Generation des preußischen Gardeadels von der Erde vertilgt wurde.

»Habe selbst an der einen Kirche vierzig tote Herren von der Garde in Reihen liegen sehen,« bemerkte er dann wohl, »und was ist das schließlich gegen den Siebenjährigen Krieg, wo allein siebenunddreißig Wedells und vierzig Kleists vor dem Feinde starben.«

Dann war da noch der Oberst von Westrow von der schwarzen Linie, ein flotter Feldsoldat, mit seiner Frau und zwei niedlichen, kaum dem Backfischalter entwachsenen Töchtern, und einige Leutnants, Isingens und Westrows durcheinander, darunter ein oder zwei mit ihren jungen Frauen.

In der Mitte war für den Major von Rönne ein Stuhl reserviert, weiter unten einer für seinen Stiefbruder, den einzigen Zivilisten in diesem Kreise. Hatte doch sein lahmes Bein den Ärmsten gehindert, dem Beispiel der Vorfahren zu folgen.

Wirklich erschienen die beiden Brüder einen Augenblick zu spät, und der Major begann beim Eintreten sich in beinahe auffälliger Verlegenheit zu entschuldigen.

Aber der kleine General ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.

»Tjä . . . tjä . . . Liebster, Bester!« rief er eifrig. »Keine Exküsen . . . bitte jehorsamst . . . in Ihrer schönen, verantwortlichen Stellung kommt der Dienst vor allem, und erst, wenn der getan ist, sind Sie Mensch und können an anderes denken . . . und darunter auch an Ihren alten Freund und Jönner Westrow! Hier, lieber Major . . . und Sie da unten . . . Sie Assessor! . . . Karl, die Suppe für die Herren, aber ein bißchen dalli . . . sehen wirklich übermüdet aus, Major!«

So setzte man sich.

Wenn die wüßten, wo wir herkommen, dachte der Assessor, während er die Serviette entfaltete. Aber soll ich ihnen etwa sagen, daß wir uns mit zwei kleinen Theaterprinzessinnen im »Nassen Dreieck« verbummelt haben? Entsetzlich!

Das bei ihrem Eintritt unterbrochene Gespräch wurde wieder aufgenommen.

»Nein, ich versichere Sie,« sagte die hübsche kleine Frau von Harwitz mit ihrer Kinderstimme, »Hans Dobrecht stand im 5. Garde-Regiment, ehe er heiratete und sich zu den 22. Husaren versetzen ließ.«

»Es waren damals drei Dobrechts in dem Regiment,« bemerkte in seinem tiefen Baß der Oberst von Westrow, »man nannte sie die drei D's.«

»Ja,« sagte Herr v. d. Lünne, »der dicke Dobrecht, der dolle Dobrecht und . . . ja . . . und . . .«

»Und der dumme Dobrecht,« ergänzte der Hauptmann von Harwitz behaglich, »den meint meine Frau ja eben!«

Darüber lachte man.

»Wo sind denn die beiden andern hin?«

»Der eine steht noch im Re'ment«, sagte unten einer der Leutnants von Isingen.

»Das ist der dicke,« hieß es, »der soll jetzt ein ›Streber‹ geworden sein.«

»Und der andere hat auch geheiratet und als Reichmeier seinen Abschied genommen. Lebt jetzt in Wiesbaden. Seine Frau ist eine Tochter von dem General von Ehrenschwert II.«

»Der die 80. Kavalleriebrigade hat?«

»Ja, eben der! Früher bei den Winterfeldt-Dragonern.«

»Ist denn der so reich?«

»Ja . . . die Frau hat's . . . eine Amerikanerin! Sind übrigens vier Töchter da!«

Und so kam man von den Dobrechts auf die Ehrenschwerts und von diesen auf die ihnen vervetterte Sippe der von Messow auf Pletzow, deren einer Sprosse, der 10. Kürassier, eben sich mit einem Fräulein Westrow verlobt hatte.

Herrn v. d. Lünne, den eleganten Generalstäbler und Prinzenadjutanten, langweilte diese Familiensimpelei denn doch allmählich. Er wandte sich zu dem Major.

»Na, alter, tüchtiger Rönne, was machen denn Sie für Geschäfte?«

Der fuhr wie aus einem Traum auf.

»Danke, ganz gut, lieber Lünne«, sagte er rasch.

Er hat mich gar nicht verstanden, dachte der Generalstäbler und fügte laut hinzu:

»Und wie geht's der Frau Gemahlin?«

»Meiner Frau? . . . Wie immer!« sagte der Major ruhig. »Sie wissen ja – von Besserung kann kaum mehr die Rede sein!«

»Nun, nun, nur immer Kopf hoch!«

Der elegante Herr v. d. Lünne sah etwas verwirrt auf seinen Teller nieder. Er hatte ganz vergessen, daß Frau v. Rönne schon seit Jahren bettlägerig war. Bald nach dem Tode ihrer beiden Kinder hatte sich das schleichende Leiden eingestellt. Die Ärzte hielten das Ende für nahe.

Aber der Major war nicht der Mann, andere unnütz in Verlegenheit zu lassen.

»Haben Sie schon die neueste Sache von Boguslawski gelesen, Lünne?« fragte er über den Tisch hinüber. Der Generalstäbler bejahte eifrig, und sofort waren die beiden Herren in ein Fachgespräch über die bei der ersten Besetzung von Orleans 1870 begangenen Fehler vertieft.

Aber bald wurden sie wieder gestört.

»Hören Sie mal, lieber Lünne,« rief der Oberst von Westrow vom unteren Ende der Tafel mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme, »Sie sind ja doch vereidigter ›Bärenführer‹ . . .«

»Das ist nämlich ein Spitzname für die Adjutanten der Duodezprinzen«, belehrte flüsternd seine kleine blonde Tochter den neben ihr sitzenden Assessor.

». . . und kennen alle Hofgeschichten«, fuhr der Oberst fort. »Nu sagen Sie mal, die jetzige Großfürstin Arkad ist doch eine geborene Stayningen-Westerfeld; hier Exzellenz meint, sie sei eine Stayningen-Altstayningen.«

»Nicht doch, Exzellenz,« erwiderte Herr v. d. Lünne verbindlich, »diese Linie ist erloschen. Sie ist eine Stayningen-Westerfeld, aus der zweiten Ehe des Fürsten mit Prinzeß Clara Dietenstein.«

Darüber entspannen sich neue Erörterungen, an denen sich auch die Damen lebhaft beteiligten.

Der Major schwieg.

Mehr denn je ermüdete ihn dieses stundenlange Hin- und Hergerede über Verwandte und Bekannte, die eigentlich so wenig des Interessanten boten.

Er war viel im Reiche umhergekommen. In Kasinos und Honoratiorenklubs, an Fürstentafeln und als Manövergast der Schlösser hatte er in Ostpreußen wie in Schwaben, an der Elbe wie am Rhein die oberen Zehntausend kennengelernt.

Und doch war es dem Major von Rönne, als habe er sein ganzes Leben auf einer Art Insel zugebracht, einer Insel, die außer ihm noch einige hundert oder tausend Menschen beherbergte. Und das seit dem Tage, da man ihn, den neunjährigen Knirps, in die Kadettenuniform eingeknöpft, viele Jahre hindurch bis jetzt.

Diese Insel hatte er in jeder Stadt neu vorgefunden, in die ihn das Schicksal führte.

Immer dieselben Kasinos und Kasernen, derselbe Kreis glänzender Uniformen, der sich, nicht unfreundlich, aber bestimmt, gegen die übrige Welt abschloß.

Und in dieser Welt mußte sich doch auch leben lassen. Und sie selbst, sie lebten doch von dieser Welt. Denn von fern her, wo die Maschinen summten und surrten, wo aus der Handwerksstätte der Hobel schrillte und der Hammer klang, wo der Bauer zitternden Armes mit der Pflugschar die fettglänzenden Schollen umlegte und der Winzer mit Bastschnur die Rebenschößlinge aufband, von da kam das Geld, die Hunderte von Millionen, deren die Armee bedurfte.

Gewiß, diese Armee war notwendig: für den Frieden, zu dem jene Welt betete, und für den Krieg, den er ersehnte.

Aber der Krieg kam ja nicht. Seit zwei Jahrzehnten stand man nun gewappnet und wappnete sich alljährlich stärker, und die anderen rüsteten dagegen, und schließlich . . .

Die Geschichte jenes mittelalterlichen Turniers fiel ihm ein, wo sechzig Ritter ohne einen Schwertstreich vor Staub und Hitze in ihren überschweren Harnischen erstickten.

Da entstand ein Stühlerücken. Die Exzellenz von Isingen hob die Tafel auf und schritt am Arme des Gastgebers in den Salon.

Dort blieb man noch einige Zeit, Kaffee trinkend und plaudernd, stehen.

Dann verzogen sich die Damen ins Nebenzimmer, und bald entwickelte sich dort eine lebhafte Unterhaltung, bei der der zahlreiche Kindersegen der Familien Westrow und Isingen, die Dienstbotenfrage und das Problem »Hertzog oder Gerson?« die Hauptrolle spielte.

Die Männer blieben zurück, um bei einem Glase Bier zu plaudern. Das Gespräch nahm sofort eine Wendung zu ernsten Dingen. Der finstere General von Isingen, der bis dahin fast fortwährend geschwiegen, entwickelte in glänzender Knappheit seine Ansichten gegen die zweijährige Dienstzeit, wegen der er seinen Abschied genommen; der Generalstäbler widersprach höflich unter Darlegung der politischen Verhältnisse, die er bis auf das kleinste beherrschte; einer der jungen Leutnants, der fließend Russisch sprach, berichtete von seinem Aufenthalt im Lager zu Krasnoje Selo, und die andern hörten aufmerksam zu.

»Traurig, aber wahr!« sagte Lünne zu dem Major. »Solange die Damen da sind, kann man über nichts Ernsthaftes reden. Über den Gothaer Almanach, die Rangliste und den Familientratsch kommen sie nun einmal nicht hinaus!«

»Solange ich mich entsinne,« meinte der Major, »war das wohl immer so.«

»Und wissen Sie, woher das kommt?« fuhr der Generalstäbler fort. »Weil unsere Frauen keine eigenen Interessen haben. Wir zwingen sie, sich an unseren Berufssorgen, an Dienst- und Personalfragen zu beteiligen. Aber alles das, was ihnen eigentlich zukommt, wodurch eine Frau den Salon beherrscht, die Konversation leitet und die Männer aus ihrer Fachsimpelei herausreißt, das liegt bei ihnen brach.«

»Und was ist das?«

»Alles mögliche,« sagte der Generalstäbler achselzuckend, »Musik, Kunst, Bühne, Literatur – das alles gibt es für uns kaum. Nein, widersprechen Sie nicht, lieber Rönne, in uns als Gesamtheit lebt noch das gesunde altpreußische Barbarentum. Und wir haben recht, es zu bewahren; denn es hat uns groß gemacht im Volke der Dichter und Denker.«

* * *

»War das mal wieder langweilig bei Westrow!« seufzte der Assessor, während er mit seinem Bruder durch die stille Nachtluft nach dessen Wohnung schritt.

»Wie immer!« sagte der kurz.

»Vielleicht war es heute noch der besondere Kontrast . . . erst im Ausstellungspark und dann . . .« Er blieb aufgeregt stehen. »Also Thilda hat dir gefallen?«

»Ich habe dir schon gesagt: wir sprechen noch darüber!« erwiderte der Major. »Vor allem reise in den nächsten Tagen in die Neumark und suche Onkel Klaus zu beruhigen. Dem haben sie von hier geschrieben, du seiest mit einer Balletteuse verlobt!«

»Ach, diese . . .« Der Assessor ballte grimmig die Faust und schwieg eine Weile. »Übrigens ein verrücktes Mädel, das sie da mitbrachte,« sagte er dann, »findest du nicht?«

»Wer? Ach so, diese Kleine?« erwiderte der Major gleichgültig. »Ja . . .!«

»Du hast nicht so auf sie geachtet,« fuhr sein Bruder fort, »aber eigentlich ist sie bildhübsch!«

»Ein reizendes Geschöpf ist sie!« sagte Herr von Rönne, vor seiner Haustür stehenbleibend, und reichte dem Assessor die Hand. »Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Albrecht! Also du bist nicht böse wegen der Überrumpelung?«

»Nein!«

* * *

Oben im Flur erwartete der Bursche den Major.

Die gnädige Frau, meldete er, die Lampe anzündend, schliefe schon seit dem frühen Abend.

Der Major wußte, was das hieß. Man hatte durch Morphium ihre Schmerzen lindern müssen.

Leise trat er in ihr dämmeriges Gemach und warf einen Blick auf das blasse, verwelkte Gesicht der Leidenden, das regungslos, mit geschlossenen Augen, in den weißen Kissen lag. Dann kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück.

Ein feiner Zigarrendunst erfüllte den Raum. Auf dem großen Studiertisch warf die Lampe ihr gelbes Licht über die ringsum ausgebreiteten Karten und Pläne, die Bücher und Manuskripte. Links in der Ecke stand eine Büste Moltkes neben einem Bücherbrett, auf dem Clausewitz' gesammelte Werke und das Generalstabswerk von 1870 sich befanden.

Rönne setzte sich an den Tisch. Er wollte noch arbeiten.

Seit das Unglück über ihn gekommen, das ihm die Kinder raubte und die Frau aufs Krankenlager warf, war der Dienst sein Trost und seine Erholung.

Aber lange schon merkte er mit innerem Schrecken, wie der Dienst ihm schwerer und schwerer wurde.

Das, was er als junger Offizier verzweifelt in sich niedergekämpft, stieg von neuem auf.

Damals hatte er durchaus seinen Abschied nehmen wollen, in jener Zeit, wo er sich nach der rohen, gemütsverhärtenden Öde des Kadettenlebens, den Brausejahren des ersten Leutnantstums allmählich zum Manne reifen fühlte.

Da gab es Tage, wo ihm, dem feinfühligen, stillen Denker, alles umher unerträglich schien, das rohe Brüllen der Unteroffiziere im Kasernenhof, das eintönige Plärren der Kartoffeln schälenden Mannschaften daneben, das rüde Angeschnauztwerden von seiten der Vorgesetzten, die ihn vielleicht am Abend vorher freundlich als ihren Gast bei sich gesehen hatten . . . und das alles geheiligt durch den »Dienst«, jenen unfaßbaren, unwägbaren Begriff, in dem er damals nur die Vernichtung der Persönlichkeit erkennen konnte.

Aber was hätte er werden sollen? In jenem Lande der Freiheit, in jenem Strom der großen Welt, zu der ihn ein unbestimmtes Sehnen trieb, sah er so viele gescheiterte Offiziersexistenzen, so wenige, die es zu etwas gebracht.

Und die waren ausnahmslos wohlhabend gewesen.

Er aber war arm! Und so beschied er sich und fügte sich dem Willen der Familie, dem Rat der Vorgesetzten, der Stimme der Vernunft. Gewaltsam zwang er alles in sich nieder, was ihn an seine Wünsche hätte erinnern können; er sah kein Buch mehr an, er hatte keine Interessen mehr als seinen Dienst, er ging auf im Treiben des Exerzierplatzes und des Kasinos.

Und als ihn dann eine Erbschaft in den Stand setzte, zu heiraten, als er in der neuen Stellung eines Kompagniechefs zum erstenmal selbständig zu befehlen, nicht wie bisher durch zwölf Jahre bloß zu gehorchen hatte, und als zwei Blondköpfchen ihn vom Fenster militärisch grüßten, wenn er an der Spitze seiner Leute zurückritt, da schien alles gut.

Jetzt war er wieder allein. Fast schlimmer als allein.

Und die Zukunft lag trübe vor ihm.

Jahre und Jahre hatte er auf den Krieg gehofft. Jahre und Jahrzehnte verrannen, und die Armee stand unbeweglich. Die alte Generation schwand dahin, die neue kam und ging. Von den Generalen, die man zu seiner Fähnrichszeit teils mit Ehrfurcht, teils nur mit Furcht genannt, wußte man jetzt kaum mehr die Namen, von seinen Altersgenossen war schon wohl die Hälfte aus der Armee verschollen.

So würde es auch ihm dereinst ergehen.

Er fühlte sich älter, als er war. 1872 hatte er mit achtzehn Jahren die Epauletten empfangen. Jetzt stand er zu Anfang der Vierzig.

Aber schon zeigte sich da und dort ein leichter silberner Schimmer in seinem Haar, und sein Auge blickte müde. Die Last eines unbefriedigten, ihm zwecklos erscheinenden Daseins drückte schwer auf ihn.

Oft dachte er daran, seinen Abschied zu nehmen. Aber was dann? Einen neuen Beruf zu ergreifen, dazu war es zu spät. Und nur seiner Persönlichkeit zu leben, wie er es als junger Leutnant geträumt und jetzt als wohlhabender Mann tun konnte, ungehindert die Welt zu durchstreifen, deren Leid und Freud' er bisher nur vom Kasinofenster aus betrachtet, dazu mußte er wirklich frei sein.

Der Major warf einen Blick durch die Zimmerflucht, die ihn von dem Krankenbett seiner Gemahlin trennte, und setzte sich schweigend an die Arbeit.

Aber während er sich über seine Manöverkarten beugte, klang es wie ein leises, helles Lachen an sein Ohr, und eine übermütige Stimme flüsterte ihm zu:

»Sie sehen, die Welt geht nicht zugrunde, auch wenn Sie einmal einen Tag lang keine Schlachtpläne machen.«

 


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