Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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XV.

Es war nicht der typische Berliner Sonntag, dieser Schrecken eines ästhetisch empfindenden Menschen, mit seinen Schwärmen von geschmacklos geputzten Kommis und aufgedonnerten Köchinnen und schwerfälligen Grenadieren, mit seinem Gedränge und Staub und Zigarrenqualm.

Dazu war das Wetter zu schlecht.

Es regnete nicht eigentlich, aber schwarze Wolken trieben im Sturm zerrissen an dem Herbsthimmel dahin, und ab und zu fielen schwere Tropfen.

Der Tiergarten, in den sich sonst der Strom der Sonntagswanderung ergießt, lag halb verödet. Nur wenige Menschen standen bei dem Goldfischteich herum, als Valeska langsam am Rande des Gewässers entlangschritt.

Die ganzen Tage hindurch hatte die Begegnung mit Rönne in ihr nachgeklungen.

Sie stellte sich das Landgut vor . . . den alten Buchenwald . . . den glitzernden See . . . und den Hühnerhof . . .

Und bei dem Gedanken an die Möglichkeit, daß sie da dereinst als Herrin schalten könne . . . sie, die arme Bühnenzigeunerin, als eine Edelfrau und große Dame . . . bei dem Gedanken kam es wie ein Schrecken über sie.

Noch lebte jene ja, der das alles zugehörte.

Aber tat sie ihr Unrecht? Nein . . . es war ja kein Wort von Liebe zwischen ihnen beiden gefallen, kein Wort, das auf die Zukunft hindeutete.

Und es würde auch kein solches fallen . . . sie wußte das . . . so lange nicht, bis die Zeit gekommen war.

Und dann? . . .

Ihr Kopf schwindelte. – Durfte sie denn wirklich in ein Leben voll Ruhe und Reichtum eintreten, an der Seite eines Mannes, den sie über ihre Vergangenheit getäuscht hatte?

Dagegen regte sich ihr Gewissen. Seit jener Unterredung mahnte es sie, Tag und Nacht.

An dem Tage, wo es Ernst wurde, da sollte er alles erfahren! Ganz gewiß. Das war ihre Pflicht.

Aber bis dahin war noch lange Zeit.

Und inzwischen lernte er sie kennen, mehr und mehr, und sah, daß sie vielleicht doch nicht so schlecht war, nur ein armes, schwaches Menschenkind, und das Erbarmen kam über ihn.

Dann rettete er sie vielleicht. Sie wußte, es gab Männer, deren Liebe in dem Mitleid gipfelt.

Gesehen hatte sie freilich noch keinen.

* * *

»Wie schlecht Sie heute aussehen . . .«, sagte sie scheu zu Rönne, als dieser auf sie zutrat.

Er erwiderte nichts.

Schweigend gingen sie nebeneinander denselben Weg wie vor wenigen Tagen.

Es wurde Valeska bang ums Herz.

»Sie fragen gar nicht, wie der Einakter gestern ausgefallen ist . . .«, sagte sie endlich beklommen.

Rönne schaute auf.

»Ich war selbst im Theater . . .«

»Oh . . . ich habe Sie gar nicht gesehen . . .« Valeska wurde lebhaft . . . ». . . freilich . . . in der kurzen Szene . . . wo saßen Sie denn?«

»In der zweiten Proszeniumsloge links!«

»Ach . . . neben den Gigerln?«

»Neben den Gigerln . . .«

»Keine sehr angenehme Nachbarschaft . . .«, sagte Valeska nach einer Pause, »da mögen Sie eine schöne Unterhaltung gehört haben . . .«

»Man sprach von Ihnen!« erwiderte Rönne ruhig und sah sie an. »Man las einen Brief vor, den irgendein Prinz von den Bergheimer Husaren über Sie geschrieben hat . . .«

Valeska blieb stehen. Ein tödlicher Schreck zog ihr das Herz zusammen. Das konnte nur Aribert Duyn sein, der Intimus ihres Freundes Fritz.

»Was stand in dem Brief?« fragte sie gepreßt.

»Nichts Unfreundliches, wenn man den Maßstab dieser Herren anlegt. Hauptsächlich war von einem Leutnant von Fellin die Rede, der jetzt auf der Hochzeitsreise sein sollte . . .«

Valeska wunderte sich, daß sie weiterzugehen vermochte. Ein heftiges Zittern überfiel sie, und sie schluckte ein paarmal angstvoll. Jetzt war alles verloren.

Sie schwieg.

Da hörte sie neben sich eine leise, in Leidenschaft und Angst zitternde Stimme:

»Valeska . . . ist es wahr?«

Am Herbsthimmel, auf den sie unverwandt die Augen richtete, flogen im Oktobersturm die Wolken. Eine tiefe, unsägliche Traurigkeit kam über sie.

Die kleine Elten richtete sich auf und sah Rönne fest ins Gesicht.

»Ja!« sagte sie mit rauher Stimme. »Es ist wahr. Ich habe ihn geliebt . . . zwei Jahre lang. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin . . . und ich hätte es Ihnen auch gesagt, wenn einmal . . .«

Sie brach ab.

Rönne hatte sich zur Seite gewandt. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen.

»So . . . und nun verachten Sie mich! . . .« sagte die kleine Elten müde und matt. »Aber eines schwöre ich Ihnen: Ich habe ihn geliebt! Ich tat's, weil ich nicht anders konnte. Nie in meinem Leben hab' ich mich verkauft und werde es nie tun . . .«

Darauf schwiegen beide. Der Regen wurde stärker. Mißtönend klang sein Prasseln in den kahlen Zweigen und dem welken Herbstlaub.

Plötzlich wandte sich Rönne zu ihr.

»Leben Sie wohl, Valeska! . . .« sagte er und ergriff ihre Hand. »Wenn Sie einmal in Ihrem Leben einen Freund brauchen . . . oder Rat und Hilfe . . . dann gedenken Sie meiner. Aber bis dahin ist es besser, wir sehen uns nicht wieder. Leben Sie wohl!«

Valeska erwiderte nichts. Sie senkte wie betäubt den Kopf zur Erde.

So schieden sie.

* * *

Nun war der Regen mit aller Macht losgebrochen. Die Luft verdunkelte sich. Triefende Schleier zogen sich um Baum und Strauch.

Rönne stand unbeweglich.

Er blickte der schlanken Gestalt nach, die fern, ganz fern, am Ende der langen Chaussee, in dem Regengeriesel verschwand.

Da schritt, vielleicht zum letztenmal, leise auf leichten Füßen das Glück aus seinem Leben.

 


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