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Der Streik
1917


*

I.
Die Weiber

Sie hatten gehungert und hungerten noch
Mit ihren Kindern und wussten doch,
Die Herren hatten die Menge,
Und als man die Bittenden heimgeschickt,
Da haben sie nicht mehr sich gebückt
In ihrer Häuser Enge.
Sie riefen sich zu und zogen zum Rat
Mit ihren Beschwerden und Sorgen,
Man hörte flüchtig sie an und bat
Sie für den nächsten Morgen.
Da drohten sie und wurden kühn,
Aus ihren Blicken brach ein Sprühn,
Nun wies man sie von der Stelle,
Sie stürzten hinab zur Schwelle,
Zerrissen sich Hände und Wangen –
Und sprangen hinaus, ein Weiberhauf,
Und rannten im wilden, rasenden Lauf
Zu ihren Männern, den bangen.
Die standen in ihrer Werkstatt Reich
Am Feuer vor offenen Schlünden,
Es wusste eine Jede gleich
Den eigenen Gatten zu finden.
»Sie haben verhöhnt unser demütig Flehn,
Sie stiessen uns über die Stufen,
Nun lasst die böse Arbeit stehn
Und kommt, eure Weiber rufen!
Werft hin das Werkzeug, was schuftet ihr noch,
Wir sollen verhungern, krepieren! –
Wir zwingen die Kraft, wir schaffen es doch –
Wir wollen zum Sieg euch führen –
Sie sollen fühlen der Weiber Gewalt,
Der Frauen aufbrausende Rache,
Kommt Männer, kommt, ob jung, ob alt,
Dass keiner hier bleibe zur Wache!
Wir wissen, wo Mehl ist für unsere Not,
Der wir so bitter fluchen,
Und Reis und Tabak und Zucker und Brot –
Wir wissen alles zu suchen!«
So stürzten sie fort mit Flammen und Sprühn,
Rasend, gleich fauchenden Tieren,
Während die Feuer verlöschen, verglühn,
Wird's still vor allen Türen.

.

Helmut Krommer.
Zum Gedicht »Die Weiber«

*

II.
Im Taumel

Nun sind die Ketten zerbrochen,
Sie werfen sie weit ins Land,
Verzweiflung ist aufgekrochen –
Hat alles überrannt.

Wie Wölfe von Hunger getrieben,
Brechen sie tief ins Revier,
Vor keinen peitschenden Hieben
Weicht ihre schäumende Gier.

Sie rauben, sie wüten, sie fressen,
Und einmal geniessen sie
Im Taumel unermessen
Die mächtige Despotie – –

*

III.
Die alten Meister

Die alten Meister liessen sich nicht spotten,
Sie folgten nicht den jungen Heisspornrotten,
Sie blieben bei den Öfen, treu bedacht,
Dass sie nicht allzuschnell und scharf erkalten,
Wenn auch die Jungen Zornesfäuste ballten,
Hielt jeder bei dem seinen stumm die Wacht.

Denn höher noch als Not und Streik und Wollen,
Gilt ihnen der Maschine eisern Rollen –
Der Wirker liebt das Werkzeug, dem er dient.
Erzwungen, nur gehorsam dem Befehle
Der Brüderschaft, ging er, die seine Seele
In strenge Form gefesselt und geschient.

Unwillig ruhn die Fäuste, wie's geboten,
Und grämlich blickt manch Einer zu den Schloten,
Aus denen kein geliebter Odem steigt,
Die grossen Räder ruh'n, die Hallen schlafen,
Aus denen sonst gewaltige Donner trafen
Des Hörers Ohr, – der alte Meister schweigt.

*

IV.
Plünderer

Die Strasse glimmt von Brand und Blut
Und Massen toben und rammen
Sich wild empört mit Wahnsinnswut
Jäh in des Aufruhrs Flammen.

Wie schwarze Wogen jagt es her
Mit Pfeifen, Johlen und Sausen,
Von Schwelle zu Schwelle schwellt es schwer,
Das ungeheure Grausen.

Die Weiber rufen, ihr Lachen gellt
Hoch über der Männer Verlangen,
Sie stürzen sich gegen die Tore, zerspellt
Sind eiserne Bänder und Spangen.

Sie drücken die grossen Scheiben ein,
Zertrümmern die hölzernen Leisten,
Die Tische wanken, sie brechen hinein
Mit blutenden Händen und Fäusten.

*

V.

Da rast eine Dirne aus einer Tür,
Den Kleiderstoff um die Lenden,
Den sie geraubt in wilder Gier
Mit heissen schmutzigen Händen.

Vom Haupte wippt ein Federhut,
Den Häring trägt sie im Topfe
Und lacht: »Jetzt bin ich ein adelig Blut,
Eine Gnädige jedem Tropfe!«

Ihr Bruder hebt ein gross Stück Speck
Auf seinen breiten Rücken,
Mit Ächzen und Stöhnen trägt er es weg
Und muss sich darunter bücken.

Doch immer leichter wird ihm die Last,
Je weiter er läuft in den Gassen,
Er wundert sich drob und jubelt fast,
Dass ihn die Freunde nicht fassen.

Jetzt ist er am Ziel, er wendet sich um
Und wirft die Beute zur Erde
Und starrt auf sie nieder, erschrocken und stumm,
Mit fassungsloser Geberde.

Da sieht er der flüchtenden Freunde Hauf
Enteilen mit hastigen Schritten –
Sie haben Stück um Stück im Lauf
Der Beute heruntergeschnitten.

*

VI.
Die Wirtin

»Wir kommen zu rauben,« riefen sie, »Frau,
Nun öffnet uns alle Schränke!«
»Ihr werdet nicht rauben,« sagte sie schlau,
»Man raubt nicht in einer Schenke.«

»Oho!« schrie Einer und schlug auf den Tisch,
»Heut' wollen im Wein wir baden!«
Sie sagte beklommen, herzensfrisch:
»Ich schenk' euch den ganzen Laden.

Nehmt dies, nehmt das, ich geb' es euch gern,
Ihr blickt ja wie junge Fürsten,
Ihr seid so liebe feine Herr'n –
Euch soll es fürder nicht dürsten!«

Sie reichte dies, sie reichte das,
Sie schütteten hinter die Westen,
Die Wirtin leerte Fass um Fass –
»Die Flaschen hier sind vom Besten!«

Sie fassten die Flaschen, sie küssten ihr Rund,
Sie küssten die Spend'rin, die Kluge,
Und weinten vor Freude und tranken zum Grund
Die Krüge mit einem Zuge.

Dann taumelten sie beglückt hinaus,
Von seliger Freude trunken, –
Die Wirtin ist im geretteten Haus
Ohnmächtig zusammen gesunken.

*

VII.
Der Alte

Ein Eisendreher vor mir stand,
Ein Mann in grauen Haaren,
Der Rücken steif, gekrümmt die Hand,
Die Stirn zerfurcht von Jahren.

Er sah umher so schwer und scheu
Unter buschigen Brauen:
»Was heut' geschah, das war mir neu,
Ich hört' es nur mit Grauen.«

So sprach er bang: »Blut färbt den Staub
Die bösen Triebe walten,
Das ist kein Streik, das ist ein Raub,
Dem stehen fern wir Alten.

Wenn Ausstand sonst beschlossen ward,
Da blieben wir im Heime,
Und jede Raublust fremder Art
Erstickten wir im Keime.

Wir warteten und standen stark
Wie eine Eisenveste,
Und jeder fühlte tief im Mark
Den Willen für das Beste.

Was wilde Jugend heut' verbrach,
Das ist kein Streik der Alten,
Das tut nicht gut, das bringt uns Schmach
Und stärkt die Feindgewalten ...«

Er nickte stumm, er sah sich um
Und blickte wie zerschlagen,
Und ging dann fort, gebeugt und krumm –
Werkzeug aus alten Tagen.

*

VIII.
Im Festgewand

Sie tragen heut' ein Festgewand,
Die Burschen und ihre Dirnen,
Sie liegen im Grünen am Waldesrand
Mit frechen, trutzigen Stirnen.

Nun wissen auch sie, wie der Wochentag blinkt
Im Sonnenlicht unter Bäumen,
Dass an jedem Tag ein Sonntag winkt
In goldenen Waldesräumen ...

Und als hernieder sank die Nacht,
Da haben sie leis und verstohlen
Sich auf die schwarzen Strümpfe gemacht
Und liefen, Neuraub sich holen.

Sie waren gesättigt und fielen doch
Aus Lust in ihr altes Plündern
Und krochen durch Fenster und schwangen sich hoch
Mit gierig lachenden Mündern.

*

IX.
Der Ausstand

Nur Müssiggänger hatte die Strasse,
Festlich gekleidete Müssiggänger,
Dirnen sprangen aus jedem Gelasse
Und lachten verwegen ihrem Bedränger.

Wie mit erloschenen Augen starrte
Die Welt der Öfen in die Lande,
Und ihre kalten Dunkel narrte
Die ausgelassene Feierbande.

Die Karren, die die Kohle schleppen,
Sie hingen schwarz im bleichen Raum,
Leer stiegen schwindelhohe Treppen,
Das Eisenseil bewegte sich kaum.

Und auf den glatten Bahngeleisen
Stand Wagen bei Wagen dichtgedrängt,
Wie eine Schar in Holz und Eisen,
Hungernd aneinander gezwängt.

Doch Müssiggänger hatte die Strasse,
Festlich gekleidete Müssiggänger,
Dirnen sprangen aus jedem Gelasse
Und lachten verwegen ihrem Bedränger.

*

X.
Die Arbeiter spintisieren

Die Müssiggänger ziehn umher
Und spintisieren, die Hände leer:
»Erspartes schwindet, die Zeit wird lang,
Und ohne Ordnung bleibt ihr Gang.

Wie sprang ich sonst zum Licht empor,
Da kaum die Sonne trat hervor,
Nun liegt sie schon am Himmel quer –
Was schert sie mich, die ich nicht scher'?

Heut' rief mit rauhem Mund Sirene,
Als fragte sie, ob ich mich sehne,
Die Sehnen zu straffen, im Feuer zu stehn
Und glühende Schienen im Spiele zu drehn.

Wohl wahr ist's, unserer sind gar Viele,
Doch viele geben viele Ziele,
Wir brauchen ein Haupt, das uns führt und lenkt,
Brauchen den Geist, der für uns denkt.

Glieder sind wir und wollen dienen,
Gleich wie uns dienen die Maschinen –
Doch pflegt man Maschinen nicht, wie sichs gehört,
Ist ihre Ordnung bald zerstört.

Drum sollt ihr wie brave Maschinen uns pflegen,
Das Beste, das Kräftigste in uns legen,
Nicht sparen an Kohle, nicht sparen an Fett,
Wir dienen gehorsam, wir machen es wett.

Und werdet ihr reicher durch unsere Fron,
Erhöht der Maschine den würdigen Lohn,
Vermeidet klug, dass sie explodiere
Und sich und euch zersplitternd verliere.

Als eines der besten Dinge im Leben,
Seit ewigen Zeiten, hat es gegeben:
Leitende Köpfe und dienende Glieder,
Stritten sie auch, sie einten sich wieder.«

.

Rudolf Potiorek.
Zum Gedicht »Die Arbeiter spintisieren«

*

XI.
Die Herren spintisieren

Das dauert nun schon an drei Wochen,
Der Herren Stimmen werden laut,
Verzagung ist herangekrochen
Und mancher Kluge sorgt und schaut

Voll Bangen in die nächsten Zeiten
Und zittert vor der Zukunft Kraft:
»Wie, wann sie weiter und weiter streiten
Mit immer gleicher Leidenschaft ...

Wer steigt beherzt zu den Kaminen,
Wer heizt die Öfen, schafft den Dampf,
Wer soll das Rohrwerk wohl bedienen,
Wer führt für uns der Arbeit Kampf?

Wer ebnet uns die schlechten Wege,
Wer bleibt in Feuerglut am Werk,
Wer schafft am Pflug, wer an der Säge?
Wohl sind wir Riesen, doch der Zwerg,

Der arme Arbeitsmann triffts besser,
Wahrhaftig wohl, als unsereins,
Und kämpft er mit uns bis ans Messer –
Ach, ohne ihn, wir hätten keins.

Was soll das Haupt, bleibt ohne Hände
Die stolz gebietende Gestalt,
Fehlen ihr Füsse, wird am Ende
Zum Schattenspiele die Gewalt ...«

Sie haben alles eingesehen,
Die stolzen Häupter rechts und links,
Sie kämpfen stark um ihr Bestehen
Und harren noch des letzten Winks.

*

XII.
Tote Schlote ...

Habt ihr schon tote Schlote gesehn,
Wie sie so hilflos ragend stehn,
Von keinem Hauch umwittert?
So tote Schlote im Sonnenlicht –
Um die kein Rauch die Rosen flicht –
Die keine Glut umzittert?

Die toten Maschinen regen sich nicht,
Die toten Essen werfen kein Licht,
Es rastet Ofen und Hippe,
Erloschen ist der Funken Kranz,
Zerstoben aller Feuer Glanz,
Der Tod liegt auf der Strippe.

Entgeistert eilt der Beamten Schar,
Die einst so stolz und mutig war,
Sie lugt nach den schwarzen Gesellen,
Hat sie verachtet zu mancher Stund'
Und fühlt jetzt tief im Herzensgrund
Viel tausend Aengste schwellen.

Wo sind sie, kommen sie immer noch nicht,
Wie kann solch ein verdammter Wicht
Uns höhere Chargen bedrängen?
Hätten wir sie nur endlich hier,
Wir zeigten ihnen das rechte Revier,
Wir wollen zu Paaren sie zwängen ...

Doch furchtbar droht es und hämmert herauf,
Der wütenden Menge rasender Hauf
Schart sich zum tosenden Kampfe,
Und Wurfgeschosse splittern herein
Mit wildem Toben und heulendem Schrein,
Umzittert von Menschengestampfe.

Sie kommen, doch anders als Tag um Tag,
Sie holen aus zu wuchtigem Schlag –
Sie kommen mit Weibern und Kindern.
Die Strassen füllt ein Wutgeheul,
Sie kommen mit Aexten und furchtbarem Beil,
Sie kommen mit offenen Mündern.

Sie sprengen die Türen, sie sprengen das Tor,
Sie zwängen, sie führen, sie drängen sich vor,
Sie schlagen mit Stahl und mit Stöcken,
Zertrümmern und plündern Keller und Fass,
Und Magazine in wütendem Hass
Und fressen und stehlen und löcken.

Nach so viel Hunger nur einmal satt,
Nach so viel Qual nur einmal matt
Vom Essen und Schwelgen und Trinken,
Hofft jeder nach getanem Raub
In seines Zimmers eklem Staub
Zum Schlafe nieder zu sinken.

*

XIII.
Der Direktor

»O Herr Direktor, sie dürfen nicht fort,
Schon heult vor dem Hause die Menge,
Man ruft nach ihnen mit hartem Wort,
Man treibt sie in die Enge.

Just um Ihr Auto ballen sie sich
Und warten mit Steinen in Taschen,
Den Diener, der vorüberschlich,
Wollten sie grimmig erhaschen.

Nein nein – Sie gehen hinten hinaus
Durchs kleine Pförtchen zum Garten,
Und lassen vor dem grossen Haus
Vergeblich die Horde warten ...«

Unwillig scheucht die Zagen zurück
Der Herr und schweigt gelassen,
Mit eiserner Ruhe im starken Blick
Nähert er sich den Gassen.

Er tritt vor das Tor, die Meute verstummt,
Er greift nach der Zigarre,
Es ist, als ob er ein Liedchen summt',
Als ob er die Drohenden narre.

Behaglich schlägt er das Feuer an
Und schaut auf die Jungen und Alten,
Die ducken sich heimlich, Mann bei Mann
Bannt er mit Augesgewalten.

Er raucht, er steigt in den Wagen ein,
Wagt keiner die Fahrt ihm zu wehren,
Sie neigen sich stumm, als müsst' es so sein,
Als müssten den Herrn sie ehren.

*

XIV.
Strenge Massregeln

Sie sitzen im Rat und sind ratlos dabei,
Und immer flüstern zwei und drei:
»Was tun wir – aller Hilfe bar –
Wer führt uns zur Stelle der Arbeiter Schar?

Da hebt sich ein alter Kriegssoldat:
»Ich weiss euch armseligen Bürgern Rat.
Dass dies hunderttausendköpfige Tier
Gebändigt wird, das besorgen wir – – –«

Ein Trommelwirbel jagt durch die Stadt,
Es höre die Botschaft, wer Ohren hat,
Ein junger Leutnant ruft sie hinaus:
»Morgen verlasse ein jeder das Haus

Und ziehe zur Arbeit, zum Ofen, zum Schacht –
Wer nicht gehorcht, wird kalt gemacht.
Ihr Arbeiter sagt es allen Genossen:
Wer weiter streikt, der wird erschossen!«

*

XV.

Und heute sollen vereidigt werden
Der Streikenden endlich gebändigte Herden,
Soll jeder schwören auf Leben und Not,
Der Arbeit zu dienen bis zum Tod,
Im Schacht, in der Werkstatt, bei glutenden Feuern,
Zu hämmern, zu schmieden, zu fördern, zu heuern,
Und nimmer zu stören die wogende Wucht,
Die der Arbeitgeber auf Haben bucht.

Die Leute zucken erschrocken zusammen,
Den hungernden Blicken entlodern Flammen,
Und Laute entquellen den bleichen Mienen:
»Wir wollen gehorchen, wir wollen dienen,
Doch dem Reichen schwören, das wollen wir nicht!«
Der Mund eines Jeden es murrend spricht –
Und wieder donnert der Trommel Saus –
Die Arbeiter ziehen grollend nach Haus.

*

XVI.
Die Retter

Und immer grösser ward die Gefahr,
Schon zogen Plündernde, Schar um Schar,
Durch aufgewühlte Lande,
Eine einzige Räuberbande.

Wie Retter nahten die Soldaten,
Die Männer unerschrockener Taten,
Des Landes krafterprobte Wehr,
Das starke, stramme Militär.

Zwischen den siebzehnjährigen Knaben
Manche bewährte Männer traben,
Schwergeprüfte brave Doktoren,
Die längst schon dreissig Jahre verloren.

Nun trotten sie schamhaft zwischen den Jungen,
Vom Kriege gerufen, zum Siege gedungen,
Im grossen Netz die kleine Masche,
Und kein Feldherrnstab in der Tasche.

*

XVII.
Hilfe naht

Wehe, was klappert so dürr, so hart?
Die Strasse poltert von Schritten,
Das ist die stramme Soldatenart,
Das dröhnt von starken Tritten.

Sie stehn in Reih'n, drängt keiner sich vor,
Kommandoworte schallen,
Schon blitzt es von Bajonetten empor –
Schon zwängt sich's in Engen und Hallen.

Sie drohn – Gewehre heben sich hoch –
Da springt ein Weib aus der Menge
Und schreit: »Soldaten! ihr werdet doch
Nicht schiessen auf unser Gedränge!

Habt ihr nicht Hunger so wie wir?
Sind eure Magen voller?«
Sie gellt es schreiend ins Revier,
Und ringsum wirbelt es toller.

»Gebt Feuer – Los!« ruft's laut und grell –
Die Männer heben die Flinten,
Zum Himmel hinauf schiesst ein jeder schnell,
Doch die Gendarmen hinten,

Die schiessen ins Volk, wie's ihre Pflicht,
Und blutig sinken viel Tote,
Wie Wächter umgeben sie stumm und dicht
Die lang erloschenen Schlote.

*

XVIII.
Könige

Zwei Könige grüssen sich freundlich
In des Aufruhrs stürmischer Zeit
Und tauschen Wangenküsse
Und Worte voll Höflichkeit.

Und Fahnen flattern im Winde,
Die Menge jubelt und ruft,
Die Könige nicken und danken
Und winken durch die Luft.

»Von rauschenden Festlichkeiten
Wird diesmal abgesehn –«
Ich lese die höflichen Worte
Und bleibe verwundert stehn.

Ja habt ihr nicht rauschende Feste
Über und über genug?
Geht doch in die feiernden Lande,
Da seht ihr der Feste Zug.

Da seht ihr der Hungernden Scharen
Pfeifend und jubelnd ziehn
Und plündern Dörfer und Waren,
Und arglose Bürger fliehn.

Da hört ihr ein fröhliches Knallen
Und Salven hier und dort,
Und seht sie zu Boden fallen
Und hört manch Huldigungswort.

Da jagen mit offenen Haaren
Die Weiber selber zum Tanz
Und lassen die Röcke fahren
Und zeigen der Leiber Glanz.

Und dringen in Läden und Heime
Mit mörderischem Schrein,
Als Fahnen flattern die Haare
Lang hinter ihnen drein.

O Könige, selten saht ihr
Das Volk bei solchem Genuss,
Drum freut euch seines Jubels,
Tauscht weiter Kuss um Kuss!

*

XIX.
Karwin

Sie hatten geplündert, sie assen sich satt,
Sie zogen wie trunkene Horden
Brandschatzend hin durch Land und Stadt,
Sie waren des Teufels worden.

Sie stampften in Keller, sie lösten den Wein
Aus Holzgebinden und Flaschen,
Zerrissen mit Händen ein totes Schwein
Und stopften das Fleisch in die Taschen.

Sie warfen des Feuers lodernde Glut
Laut kreischend auf dürre Dächer,
Sie nannten sich höhnend in tobender Wut
Darbender Völker Rächer ...

Da hallt es von Tritten, da blitzt es wie Gold,
Die Funken stieben und fallen,
Da ward in den Staub so mancher gerollt
Und nicht der Schlimmste von allen.

Und Einer sank zu Boden stumm,
Von Soldatenkugeln getroffen,
Sah einmal noch im Kreis herum
Mit Augen, die halb offen.

Ein armes Weib im Tränenglanz
Neigt sich dem Verwundeten leise:
»War euch das nötig, mein armer Franz!«
Flüstert sie strafender Weise.

Da hebt er das wehe Haupt verzagt,
Ein Schlosser war's, ein junger,
Und seine sterbende Stimme klagt:
»Ach Frau – es war der Hunger!«

.

Rudolf Potiorek.
Zum Gedicht »Karwin«

*

XX.
Vier Tote

»Melde gehorsamst – vier Tote am Wald –«
Der Leutnant hört's erschrocken,
Er folgt dem Sendling alsobald
Und seine Pulse stocken.

Da liegen sie wie tief im Schlaf
Und sind doch kalte Leichen,
Weist keiner die Waffe, die ihn traf,
Zeigt keiner des Blutes Zeichen.

Was ist geschehn? sie lasten schwer,
Als ob sie keiner ertrüge,
Und neben ihnen starren umher
Viel ausgeleerte Krüge.

Der Offizier stiert auf die Vier,
In jähes Erkennen versunken –
Verschmachtende Menschen haben sich hier
Erlösenden Tod getrunken.

*

XXI.
Die alte Jüdin spricht:

»Schaum vor den Lippen, so sprangen sie an
Und raubten von allem Besten –
Es raubte das Kind, das Weib, der Mann
Hemden, Röcke und Westen.
Sie schlüpften behende, entkorkten den Schnaps
Und tranken aus Fässern und Flaschen,
Und griffen nach Taschen mit hurtigem Haps
Und füllten sie an mit raschen
Blitzschnellen Bewegen und schonten nichts,
Das Bett nicht noch die Truhe,
Mit brennenden Wangen und irren Gesichts
Raubten sie Kleider und Schuhe.
Ich gab ihnen alles, ich stand bedrängt,
Öffnete Fächer und Laden,
Und hab' mich dann in mein Zimmer gezwängt
Und dachte nicht an den Schaden ...

Da kamen drei Weiber, armseliges Blut,
Und unterdrückten ihr Keifen:
»Frau Mutter, ihr habt noch, wir wissen es gut –
Zwei Kisten mit prächtigen Seifen –
O gebt sie heraus, wir bitten euch drum!«
Sie flehten mit zarten Lauten.
Und gäb' ich sie nicht, sie schlügen mich krumm,
Wie sie den Nachbar verhauten.
Viertausend war die Seife wert,
Ich warf sie der Horde zu Füssen,
Sie hatte bald die Kisten entleert
Und flüchtete ohne zu grüssen.

Ich kannte die Weiber, doch als der Gendarm
Heut' fragte nach ihren Namen,
Verriet ich keine, dass Gott erbarm',
Von allen, die kamen und nahmen.
Ich rief: ›Ich kenne die Leute nicht!‹
Was durft' ich and'res sagen,
Brächt' ich nur eine ans Gericht,
Sie täten mich alle erschlagen!«

*

XXII.
Die Marquise spricht:

»Und morgen sind wir alle tot ...
Entzündet die Lichter im Saal so rot,
Nehmt, Frauen, euer schönstes Gewand,
Noch leuchten Spiegel von jeder Wand,
Seht eure Schönheit, seht eure Lust,
Hell flimmern Demanten von eurer Brust,
O schwingt die Rosen, schwingt den Becher,
Denn vor euch knien verwegne Zecher.

Und morgen sind wir alle tot –
Schon lauert die Meute und schreit nach Brot,
In Fetzen umlungert sie das Tor,
Bald bricht sie in unsere Säle vor –
O lasst uns noch im Kerzenschein
Tanzen und küssen und selig sein!

Wenn so zum höchsten Geniessen entfacht
Die Seelen auflodern in letzter Nacht,
Und ich und du zum letzten Genuss
Pressen Mund auf Mund und Kuss in Kuss –
Wenn selig umschlungen die Liebe ruht,
Umflammt von sterbender Fackel Glut,
Und alles erlischt und alles verloht –
Was liegt dran, sind wir auch morgen tot!«

*

XXIII.
Das Lauschen

Das ist die schrecklichste Pein von allen,
Dies Lauschen, ob keine Schüsse fallen,
Dies schauernde Horchen in die Nacht,
Zusammenfahren bei Hundegebell ...
Pfeifende Buben sind immer zur Stell',
Hält jeder Spitzbub heute Wacht.

Das Plündern und Rauben nimmt noch kein Ende,
Zehntausend Weiber regen die Hände,
Sie hetzen umher, dass Gott erbarm',
Und nehmen, was ihnen nie gehört,
Von wilder Raubesgier betört,
»Nur einmal schlafen!« seufzt der Gendarm.

Heut' kommen sie her, so flüstert's im Kreise,
Ergebene Freunde gestehn es mir leise –
Und dreissig Soldaten stehn auf Wacht,
Und tausend Patronen ruhen verborgen,
Die sollen für unser Leben sorgen
In dieser furchtbaren Schaudernacht.

Das ist die schrecklichste Pein von allen,
Dies Lauschen, ob keine Schüsse fallen –
Dies schauernde Horchen in die Nacht,
Zusammenfahren bei Hundegebell, –
Pfeifende Buben sind immer zur Stell',
Hält jeder Spitzbub Räuberwacht.

*

XXIV.
Der Fürst

Der Fürst kam gefahren und machte Halt
Unter des Bahnhofs Reben.
»Glaubt ihr, ich könne ohne Gefahr
Mich in mein Schloss begeben?«

Es nickt ergeben der Kommissär.
»Wenn Durchlaucht zu wünschen geruhn,
Dann wird des Volkes Gelichter gewiss
Durchlaucht nichts Böses tun.«

»Na na – ich versuch' es,« näselt der Herr,
Und es ist prächtig gelungen,
Zwei Regimenter haben fürwahr
Dreissig Halunken bezwungen.

*

XXV.
Die Jüdin

Und eine Jüdin fand ich, gross und stark,
Ihr heisses Wort griff mir ins Mark,
»Sie haben mich geplündert und beraubt,
Ich hab' an so viel Schlechtes nicht geglaubt.
Die Männer waren so wie Männer sind,
Nicht allzu sehend und nicht allzu blind,
Die Weiber aber mit zerzausten Mähnen,
Die wurden zu Hyänen.
Und doch – das Weinen steht mir nah',
Denk' ich der Armen, die ich sah,
Sie hatten nichts, den Gaumen dran zu letzen,
Sie trugen nichts am Leib als einen Fetzen,
So gierig waren sie, so hungertoll,
Und so verzweiflungsvoll.

Hab' eh'dem manche freundlich hier gelabt,
Die keinen Bissen, keinen Trunk gehabt,
Sah manches Kind, das an der Brust geruht,
Die keine Milch ihm gab, nur Mutterblut.
Warum zog nicht das Volk zu seinen Herr'n,
Den grossen Mächtigen? Sie waren fern –
Drum warf er sich auf uns wie auf den letzten Knecht –
Ich aber sag' es euch – das Volk tat Recht!«
Und starr und aufrecht stand die Alte da,
Ein Ehrenweib, dem Atem Gottes nah'.

*

XXVI.
Das Plakat

Plakate prangen rings in der Stadt,
Ein lichtes weit gesehenes Blatt
Ruft schwarz von allen Säulen
Und ladet die Leute zum Weilen.

Burschen, vor keinem Streich verlegen,
Bleiben betroffen stehn an den Wegen,
Lesen mit scheu erblassenden Lippen
Und stossen sich heimlich an die Rippen.

Zwei Knaben, kaum acht Jahre alt,
Machen auch vor den Plakaten Halt.
»Wart'« sagte der eine, »was steht hier gedruckt?«
Der Andere kratzt sich, wo es ihn juckt,
Und wartet, und beide buchstabieren:
S - t - a - n - d - r - e - c -
Und wieder ein H und jetzt ein T –
»Du, Fritzel, sag', was kann das sein?«
»Das weiss ich nicht, ich bin noch klein –«

Die Grossen gehen erschrocken weiter,
Die Kleinen schwatzen und lachen heiter.

*

XXVII.
Der Schwur

Und eines Morgens ward ihnen Bescheid,
Doch ein and'rer, als sie erbaten:
»Ihr müsst uns schwören den heiligen Eid
Als des Kaisers treue Soldaten.

Ihr müsset schwören zu Kaiser und Reich,
Ihr Jungen und auch ihr Alten,
Jedem Befehle bedinglos sogleich
Treu' und Gehorsam zu halten.«

Sie schwiegen betroffen, sie wandten sich ab,
Sie wollten den Fall beraten,
Doch wohin sie auch blickten, starrt' ein Stab
Von fremden starken Soldaten.

Und sechzig Reiter ritten heran
Auf mutig stampfenden Pferden,
Und trieben gewaltsam Mann zu Mann,
Und trieben sie hin wie Herden.

Und jagten sie unerbittlich vor
Mit ihren eisernen Hufen,
Bis an ein hohes eichenes Tor,
Zu der Kanzleien Stufen.

Ein jeder schwur mit geballter Faust –
Und mancher zögerte lange ...
Damit kein Schwert auf ihn niedersaust,
Folgt er dem geordneten Zwange.

*

XXVIII.
Die Frauen

Ich habe die Frauen lachen sehn,
Das war, als die Männer grollten,
Die glutenden Öfen liessen stehn
Und langsam sich heimwärts trollten.

Hat jedes Weib wie toll gelacht
Und küsste den Schatz, den lieben,
Und gab sich ihm hin in der nächsten Nacht,
Belohnt er es auch mit Hieben ...

Ich habe die Frauen weinen sehn,
Da die Soldaten kamen,
Und die Männer, als sollt' ihnen Böses geschehn,
In ihre Mitte nahmen.

Sie mussten wieder zur Arbeit ziehn,
Man leitete sie zum Schachte,
Die Weiber rasten, tobten und schrien,
Dass man zu Sklaven sie machte.

Sie lachten nicht mehr, sie küssten nicht mehr,
Sie jammerten, keiner helfe,
Sie schüttelten ihre Arme schwer
Und heulten wie rasende Wölfe.

Sie hatten aus Hass getollt und gelacht,
Aus Hass gegen Herren und Stände –
Aus Liebe zu der Genossen Macht
Rangen sie schluchzend die Hände.

*

XXIX.
Zwei Flecke

Ich habe zwei rote Flecke gesehn,
Blutlachen auf harter Strasse,
Die Menge blieb vor ihnen stehn,
Vor dem breiten Aderlasse.

Soldaten schritten an ihm vorbei
Mit pendelartigem Tritte,
Und alles war still, kein weher Schrei
Durchdrang der Menge Mitte.

Da nahte die strenge Kommission,
Zwei Herren ohne Geleite,
Niemand lief vor ihnen davon,
Keiner suchte das Weite.

Die Leute standen und warteten stumm,
Den beissenden Groll im Innern,
Und sahn wie gebändigte Tiere sich um,
Im Herzen ein heisses Erinnern

An die gestrige Nacht, so blutig rot
Vom Hassen und Schiessen und Morden,
Da manchem Genossen der blasse Tod
Zum besten Freund geworden.

Da die rote Fahne war aufgeplusst
Von hungernden Scharen, von bleichen,
Und die Herren Beamten haben gemusst
Vor den Arbeiterfrauen weichen ...

Nun ist vorbei die Kommission,
Kühn schreitet mit einem Besen
Der Kehrichtmeister herbei wie zum Hohn,
Die Strasse vom Blut zu erlösen.

Ein Büttel schüttet viel Wasser aus,
Es sickert der Saft, der rote,
Er sickert und fliesst und rinnt im Graus
Ins Rinnsal nieder, ins tote.

Das rote, rote Arbeiterblut,
Das will nicht weichen, nicht bleichen,
Wie auch die Behörden in voller Wut
Mit Besen darüber streichen.

Es färbt das Wasser, es färbt den Stein,
Es färbt die Breite der Strassen,
Und treiben sie's immer ins Rinnsal hinein,
Es will nicht erlöschen, verblassen.

Nun schütten mit Sand sie die Farbe zu,
Die böse Farbe, die rote,
Und sieh, auch den Sand durchsickern im Nu
Des herrischen Blutes Gebote.

Zwei dunkle Flecke im Stein und Sand
Werden nach Monden noch weisen
Des treuen Arbeiters trotzigen Stand
Und der Herren fliegendes Eisen.

*

XXX.
Die Toten

Ich bin zur Totenkammer gegangen,
Dort lagen sie in wächsernem Prangen,
Vier Männer und ein armselig Weib,
Ein Linnen verdeckte den hageren Leib,
Die müde Hand, vom Tode schwer.
Die Männer lagen auf nackten Brettern,
Und Kinder wollten zu ihnen klettern.
Ein Alter hielt die Faust erhoben,
Als tät' sie noch im Tode toben,
Er wird sie niemals wieder senken,
Sie bleibt so starr in den Gelenken,
Wie sie der Hass ihm aufgezwungen,
Da ihn die Kugel niedergerungen.
Und steht er einst auf zu Gott dem Herrn,
In Zeiten, ewigkeitenfern,
Tritt mit geballter Faust er dort
Vor seines Gottes heiliges Wort,
Und wird vor des hohen Richters Huld
Anklagen schwere Menschenschuld.
Der zweite war ein Jüngling noch
Und auch der Dritte, manch blutig Loch
Verbarg das Linnen mit roten Rosen,
Wie sie um junge Glieder kosen.
Der vierte Tote war ein Kind,
Die Kugel fand es gar geschwind,
Noch dient ihm besser wohl zu spielen,
Als selbst zu langen nach heissen Zielen.
So lagen die Toten fern dem Gedränge,
Umgrollt, umweint von der stummen Menge,
Die Füsse wachsbleich, als gält' es zu wandern
Zu bessern Landen, zu fernen, zu andern – – –
Und da ich sie sah, so kalt, so verschlossen,
Schienen sie Hülsen, die ausgeschossen,
Von jeder sträflichen Fülle leer –
Patronenhülsen, wie sie im Kriege
Zu Tausenden liegen am Wege zum Siege –
Wie man sie hinwirft, zur Rechten, zur Linken,
Wie sie vergessen zu Boden sinken ...
Patronenhülsen arm und leer –
Wer denkt an sie, und dass sie Geschosse
Gewesen mit hellem, blitzendem Funkeln ...
Bald liegen sie leer in Erdendunkeln,
Der Schütze greift weiter in neue Bestände
Und füttert die Flinten und wettert die Brände ...
Lebt wohl, ihr armen, treuen Genossen,
Patronenhülsen, ausgeschossen ...
Ihr schient euch wohl zu Besser'm erkoren –
Doch euer Feuer ging nicht verloren,
Vielleicht einst in der Zukunft Land
Wärmt wieder euer starker Brand!

*

XXXI.
Begräbnis

Heut' werden sie zu Grab getragen,
Die das Geschick mit Kugelkraft erschlagen,
Es heben im Werk sich tausend Männer schon
Und ordnen sich zu einer Prozession,
Je acht und acht und stehen ernst beisammen,
Die Augen nur, sie flackern dunkle Flammen,
Als wär' die Glut, die sonst das Werk getrieben,
In ihrer aller Blicken stehn geblieben.
Fünf Särge nah'n auf Schultern breit und schwer,
Es folgt im stummen Schritt der Knappen Heer.
Sie ziehn zur Kirche, dann hinaus aufs Feld,
Wo schon so mancher ruht als tapfrer Held
Im Dienst der Arbeit, die sein Leben war,
Und ihm das Leben nahm. Der Männer Schar
Geht schweigend hin, ein jeder strafft die Schritte,
Der stumme Mund kennt nicht Gebet noch Bitte.
In Zorn und Hass und wildem Drohn nach oben
Hat mancher Blick zum Werkhaus sich erhoben.
Die Weiber weinen, dies ist Weiberart,
Wird auch die Faust von schwerer Arbeit hart,
Das Herz bleibt weich, die bange Seele weint,
Wenn noch der Mann ein Stück von Eisen scheint.
Die Kirche suchen sie gezwungen auf,
Doch vor der Kirchtür bleibt der gröss're Hauf
Und sieht zur Erde, wo der dunkle Sand
Die Stelle weist, auf der das Opfer stand
Und fiel ... Ein Murmeln erst, gefolgt von Grollen,
Wallt aus den Herzen auf, den übervollen –
Doch weise Führer mässigen zur Stille,
Und wieder herrscht in Allen Eisenwille.
Wie über ihren Köpfen Särge schwanken,
Ist es, als zögen dunkelnde Gedanken
Hinaus ins sommerlichte Gartengrün,
In roter Nelken feierliches Blühn.
Dort schau'n fünf offne Gruben breit und rein,
Die braune Erde lässt viel Schläfer ein
Und hütet sorgsam ihre milde Ruh',
Dass ihr kein Hammerschlag ein Übles tu'.
Die Särge stehn, als rasteten noch aus
Fünf Seelen vor dem Zug ins letzte Haus.
Entblössten Hauptes warten die Genossen,
Und jeder hat jetzt seine Brust erschlossen,
Dem ernsten Wort, das laut wie Mahnung dringt
Und alle tief zur vollen Einkehr zwingt.
Ein Führer ist's, der jetzo also spricht:
»Hört zu, Genossen, und verzweifelt nicht.
Die Opfer hier, sie sind vom Licht umschlossen
Und viele Tränen sind um sie geflossen –
Doch stärker noch als Tränen ist die Macht,
Die segnend über euren Werken wacht,
Denn ihr seid Schöpfer, bleibt auf eurer Hut,
Schont den besondern Saft, das Menschenblut,
Ihr sollt es nicht im Frevelmut verspritzen,
Kein Messer darf die Schwielenhaut euch ritzen.
Wisst, euer Blut ist kostbar, ist das Beste,
Das Menschenart gespart zum Menschheitsfeste,
Und euer Blut ist eure Heldenkraft,
Die vorwärts drängt und neue Arbeit schafft.
Geht heim in Frieden, dankt den Toten still,
Und aus den Tränen euer Weiber quill'
Ein Born auf, der euch sanften Trost beschert –
Der beste Mann ist bester Arbeit wert.«
Die stummen Namenlosen, die da waren,
Sie zogen heim in langen stillen Scharen,
Und der Genossen Blut, für sie geflossen,
Hielt alle wie ein rotes Band umschlossen.

*

XXXII.
Friede

Und wieder ist Frieden im Reiche worden
Der stolzen Arbeit, in frohen Akkorden
Hämmern die Schmieden, schlagen die Eisen,
Und alles dreht sich in sichern Gleisen.

Ein jeder ist froh, dass die Schrecken verlohten,
Die Stürme verrauscht sind, die grauenvoll drohten,
Und jeder steht an der alten Stelle
Und leistet sein Teil mit emsiger Schnelle.

Die Männer fühlen der Ordnung Segen,
Der heiligen Ordnung, die sie verwegen
Für eine kurze Zeit zerbrochen –
Noch spüren die Tat sie in den Knochen.

Hinschreiten Beamte zwischen ihnen
Mit sorgenden Stirnen und freundlichen Mienen,
Sie scheinen gar gütig gesonnen zu sein
Und fluchen ingrimmig, sind sie allein.

Denn das sind des Ausstands kostbare Lehren:
Nimmer kann einer den andern entbehren,
Zusammengeschweisst auf ehernen Stand
Hat Herren und Diener die göttliche Hand.


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