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Viertes Kapitel.

Jonathan Harkers Tagebuch

(Fortsetzung.)

Ich erwachte in meinem eigenen Bette. Wenn ich nicht alles geträumt habe, hat mich der Graf hierher getragen. Ich versuchte, mir über diese Sache Rechenschaft zu geben, konnte aber zu keinem unzweifelhaften Resultate kommen. Übrigens hatte ich doch einige kleine Anzeichen dafür, so z. B., daß meine Kleider in einer Weise gefaltet und neben mein Bett gelegt waren, die ich nicht mein eigen nenne. Meine Uhr war nicht aufgezogen, und es ist doch eine von mir stets peinlich genau eingehaltene Gewohnheit, dies zu tun, ehe ich ins Bett gehe; und noch mehrere solche Details. Aber all diese Dinge sind noch keine vollgültigen Beweise, denn sie könnten ebensogut die Vermutung bestätigen, daß mein Geist eben nicht in normaler Verfassung war und daß ihn aus diesem oder jenem Grunde irgend etwas in Unordnung gebracht habe. Ich muß auf einen Beweis warten. Über eines jedoch bin ich recht froh: wenn es der Graf war, der mich hierher brachte, so muß es mit sehr großer Eile geschehen sein, denn meine Taschen waren unberührt. Ich bin sicher, daß er von dem Tagebuch keine Ahnung hatte, denn er hätte es nicht geduldet, sondern es mir bei dieser günstigen Gelegenheit entwendet und dann vernichtet. Wenn ich mich in diesem Zimmer umsehe, das bisher für mich so voll von Schrecken war, so ist es mir doch jetzt eine Art Asyl, denn es kann nichts Entsetzlicheres geben als jene drei unheimlichen Frauen, die darauf warteten – und noch warten – mein Blut zu trinken.

18. Mai. – Ich war wieder drunten, um das Zimmer im Lichte des Tages zu sehen; ich muß der Wahrheit auf den Grund kommen. Als ich die Türe am Ende des Stiegenhauses probierte, war sie verschlossen. Ich drückte so heftig dagegen, daß Holzteile wegsplitterten. Ich konnte bemerken, daß der Riegel nicht vorgeschoben war, aber das irgend etwas von innen her das Öffnen unmöglich machte. Ich glaube nun doch, es war kein Traum, und werde auf Grund dieser Mutmaßung handeln.

19. Mai. – Ich bin tüchtig an der Arbeit. Letzte Nacht bat mich der Graf in der höflichsten Weise, ich möchte drei Briefe schreiben; einen, daß meine Arbeit hier nahezu getan sei und ich in wenigen Tagen die Heimreise antreten werde, den zweiten, daß ich am folgenden Tage abzureisen gedenke, und den dritten, daß ich das Schloß verlassen hätte und in Bistritz angekommen sei. Ich wollte erst protestieren, fühlte aber, daß bei der gegenwärtigen Lage der Dinge es Wahnsinn wäre, offen gegen den Grafen zu kämpfen, in dessen absoluter Gewalt ich doch war; und eine Nichterfüllung seiner Bitte hätte nur seinen Zorn und seinen Argwohn erregt. Er weiß, daß ich zu viel von seinen Geheimnissen kenne, und ich darf nicht lebend davon kommen, da ich ihm gefährlich werden könnte; das einzige, was ich tun kann, ist Zeit zu gewinnen. Vielleicht bietet sich mir doch irgend eine Gelegenheit zur Flucht. Ich sah in seinen Augen einen Widerschein des Grimmes, der in ihnen gelodert hatte, als er die schöne Frau von meinem Leibe wegtrieb. Er erklärte mir seinen Wunsch damit, daß die Posten selten und unregelmäßig gingen und daß meine Freunde meine Nachrichten leichter erhielten, wenn ich gleich jetzt schriebe; und er versicherte mir mit seiner ganzen Beredsamkeit, daß mein letzter, von Bistritz datierter Brief dort bis zur fälligen Zeit aufbewahrt würde und daß man ihn dann eben nicht abgehen ließe, wenn ich etwa meinen Aufenthalt noch zu verlängern gedächte. Ich konnte ihm nicht widersprechen, wollte ich ihm nicht neue Verdachtsgründe gegen mich geben. Ich sagte daher, ich sei vollkommen seiner Ansicht, und fragte ihn, welche Daten ich auf die Briefe setzen sollte. Er rechnete einen Augenblick nach, dann antwortete er

»Auf den ersten Brief 12. Juni, auf den zweiten 19. Juni und auf den dritten 29. Juni.«

Ich weiß nun, wie lange ich noch zu leben habe. Gott sei mir gnädig!

28. Mai. – Es gibt doch eine Möglichkeit, zu entkommen oder wenigstens ein paar Worte nach Hause wissen zu lassen. Eine Bande Sziganys ist ins Schloß gekommen und hat im Hofe Lager bezogen. Diese Sziganys sind Zigeuner; ich habe einige Notizen über sie in meinem Buche. Sie sind eine Eigentümlichkeit dieses Landstriches, aber verwandt mit den anderen Zigeunern, die über die ganze Welt zerstreut sind. Tausende von ihnen nomadisieren in Ungarn und Transsylvanien und sind fast vollkommen rechtlos. Sie stellen sich daher in der Regel unter den Schutz eines Edelmannes oder Bojaren, dessen Namen sie dann annehmen. Sie sind unerschrocken und ohne Religion, außer ihrem Aberglauben, und sprechen fast ausschließlich ihr eigenes Idiom der Zigeunersprache.

Ich will einige Briefe schreiben und versuchen, diese durch sie aufgeben zu lassen. Ich habe schon durch mein Fenster mich mit ihnen in Verbindung gesetzt und Bekanntschaft mit ihnen angeknüpft. Sie nahmen ihre Hüte ab, verbeugten sich und machten mir Zeichen, die ich aber ebenso wenig verstand wie ihre Sprache.

Die Briefe habe ich nun geschrieben. Der an Mina ist stenographiert, und Herrn Hawkins bat ich nur, sich mit ihr ins Einvernehmen zu setzen. Ihr habe ich meine Lage klar geschildert, ohne der Schrecken Erwähnung zu tun, die ich mir vielleicht doch nur einbilde. Es würde sie zu Tode entsetzen, wenn ich ihr mein ganzes Herz ausschütten wollte. Sollten die Briefe nicht befördert werden, so soll der Graf wenigstens nicht mein Geheimnis und den ganzen Umfang meiner Erfahrungen wissen.

Ich habe die Briefe abgegeben; ich schob sie zusammen mit einem Goldstück den Zigeunern zu und machte ihnen Zeichen, daß die Briefe aufgegeben werden sollten. Der Mann, der sie an sich nahm, drückte sie ans Herz, verbeugte sich und steckte sie dann in seine Mütze. Mehr konnte ich nicht tun. Ich schlich mich ins Lesezimmer und begann zu studieren. Da der Graf nicht da ist, schreibe ich hier weiter …

Der Graf ist gekommen. Er setzte sich zu mir und sagte in der ruhigsten Weise, indem er zwei Briefe öffnete:

»Das haben mir die Sziganys gegeben und muß ich doch davon Kenntnis nehmen, wenn ich auch nicht weiß, woher die Briefe rühren. Sehen Sie« – er mußte die Briefe angesehen haben – »einer ist von Ihnen und für meinen Freund Peter Hawkins; der andere«, er bemerkte beim Öffnen die ihm fremden Zeichen, ein finsterer Zug trat in sein Antlitz und seine Augen funkelten bösartig – »der andere ist ein garstiges Ding, ein Mißbrauch von Freundschaft und Gastlichkeit! Er ist nicht unterschrieben. Gut. So geht er uns weiter nichts an.« Und er hielt ruhig Brief und Umschlag an die Flamme der Lampe, bis sie verzehrt waren. Dann fuhr er fort:

»Den Brief an Hawkins werde ich, da er von Ihnen ist, wegschicken. Ihre Briefe sind mir heilig. Sie verzeihen, mein Freund, daß ich versehentlich das Siegel erbrach. Wollen Sie den Brief nicht wider schließen?« Er reichte mir den Brief und übergab mir mit eleganter Handbewegung ein neues Couvert. Ich konnte nichts tun, als neuerdings das Schreiben zu adressieren und ihm schweigend auszuhändigen. Als er aus dem Zimmer trat, hörte ich ihn den Schlüssel leise umdrehen. Einen Augenblick später ging ich zur Türe und fand sie wirklich verschlossen.

Als nach zwei Stunden der Graf wieder ruhig das Zimmer betrat, weckte mich sein Kommen auf, denn ich war auf dem Sofa eingeschlafen. Er war, wie gewöhnlich, sehr höflich und liebenswürdig, und als er bemerkte, daß ich geschlafen habe, sagte er: »So, mein Freund, Sie sind müde? Gehen Sie zu Bette. Da finden Sie am sichersten Ruhe. Ich muß mir leider heute Abend das Vergnügen versagen, mit Ihnen zu plaudern, denn ich habe sehr viel zu tun; also gehen Sie bitte schlafen.« Ich begab mich in mein Zimmer, legte mich zu Bette und schlief ein, merkwürdigerweise ohne Traum. Es gibt auch eine Ruhe der Verzweiflung.

31. Mai. – Als ich am Morgen erwachte, wollte ich mich mit etwas Papier und einigen Umschlägen aus meinem Koffer versehen und sie in meiner Tasche verbergen, um einige Brief zu schreiben und sie vielleicht aufgeben lassen zu können. Aber wieder eine Überraschung, wieder ein Schlag!

Jede Spur von Papier war weg und damit alle meine Notizen, meine Eisenbahnfahrpläne, mein Kreditbrief; in der Tat alles, was mir wirklich nützlich sein könnte, wenn es mir wirklich gelänge zu entkommen. Ich saß und grübelte eine Weile, dann kam mir ein Gedanke und ich suchte nach meinem Handkoffer und in der Garderobe, in der ich meine Kleider aufgehängt hatte.

Mein Reiseanzug ist verschwunden, ebenso mein Überzieher und meine Decke. Ich konnte nirgends eine Spur davon entdecken. Das schien mir wieder eine neue Perfidie zu sein.

17. Juni. – Diesen Morgen, als ich auf dem Rande meines Bettes saß und mein Gehirn zermarterte, hörte ich draußen Peitschenknall und das Stampfen und Scharren von Pferdehufen auf dem felsigen Wege, der zum Schloßhofe führt. Voll Freude eilte ich zum Fenster und sah zwei große Leiterwagen hereinfahren, jeder gezogen von acht schweren Pferden, bei jedem Paar ein Slovack mit mächtigem Hut, breitem, messingbeschlagenem Gürtel, schmutzigem Schaffell und hohen Stiefeln. Ihre langen Stäbe trugen sie in der Hand. Ich rannte zur Türe, mit der Absicht, hinunterzugehen und durch den Haupteingang zu ihnen zu flüchten, für die doch das Tor geöffnet sein mußte. Wieder eine Enttäuschung! Die Türe war von außen verschlossen.

Da rannte ich ans Fenster und rief sie an. Sie schauten stupid herauf und deuteten auf mich; dann kam der Hetman der Sziganys herbei, und als er sah, daß sie auf mein Fenster wiesen, sagte er etwas, und alle lachten. Von da ab konnte keine Bemühung meinerseits, kein verzweifeltes Schreien, kein todesbanges Flehen auch nur einen von ihnen veranlassen, den Kopf nach mir zu wenden. Sie wandten sich sichtlich ab. Die Leiterwagen enthielten große, viereckige Kisten mit Handgriffen aus dickem Strick; sie waren offenbar leer, nach der Leichtigkeit zu schließen, mit der die Slovacken mit ihnen herumwarfen, und dem hohlen Gepolter, das sie dabei machten. Als sie alle abgeladen und in einem großen Stapel in einer Ecke des Hofes zusammengestellt waren, erhielten die Slovacken Geld von dem Szigany; sie spuckten darauf, damit es ihnen Glück bringen möchte, und begaben sich dann schläfrig zu ihren Pferden. Bald darauf hörte ich, wie das Klatschen ihrer Peitschen allmählich in der Ferne verhallte.

24. Juni. Vor Tagesanbruch. – Letzte Nacht verließ mich der Graf frühzeitig und schloß sich in seinem Zimmer ein. Sobald ich frei war, rannte ich die Wendeltreppe hinauf und spähte aus dem Fenster nach Süden. Ich hatte die Absicht, dem Grafen aufzupassen, denn irgend etwas ist im Gange. Die Sziganys sind im Schlosse untergebracht und verrichten irgend eine Arbeit. Ich weiß es gewiß, denn hier und da höre ich, wie aus weiter Ferne, die gedämpften Laute von Spaten und Hacke. Was es auch sein mag, der Zweck der Arbeit ist sicherlich eine grausame Schurkerei.

Etwas weniger als eine halbe Stunde hatte ich am Fenster gestanden, da kroch etwas aus des Grafen Zimmer. Ich lehnte mich zurück, sah aber gespannt hinaus und bemerkte, wie der Mann ganz hinauskletterte. Es war ein neuer Schreck für mich, als ich erkannte, daß er meine Reisekleider trug und über seinen Schultern das unheimliche Bündel, das ich die gespenstischen Frauen kürzlich hatte mitnehmen sehen. Über den Zweck seines Ausfluges war wohl kein Zweifel mehr möglich, aber noch dazu in meinen Kleidern! Das ist sein neuester Trick: er will, daß andere meinen, mich gesehen zu haben, wie ich ihn Städten oder Dörfern eigenhändig meine Briefe aufgab, und daß die Verbrechen, die er verübt, mir zugemutet werden. Es macht mich rasen, wenn ich daran denke, daß er so etwas ungestraft tun kann, während er mich hier eingesperrt hält; ein wirklicher Gefangener, aber ohne den Schutz des Gesetzes, der selbst des Verbrechers Recht und Trost ist. Ich wollte dann auf die Rückkehr des Grafen warten und blieb unverdrossen lange Zeit am Fenster stehen. Plötzlich schien mir, als tanzten einzelne kleine Fleckchen im Mondlicht. Sie waren fein wie Staub, wirbelten umher und bildeten nebelartige Schwärme. Ich sah ihnen mit einer gewissen Ruhe zu, es kam sogar eine Art Behagen über mich. Ich lehnte mich lässig an den Fensterpfeiler zurück, um so bequemer dem lustigen Spiel zusehen zu können.

Etwas jedoch flößte mir Unbehagen ein; es war ein leises, wehes Heulen von Hunden irgendwo tief unten im Tale, wohin aber die Aussicht nicht reichte. Es kam mir vor, als klänge das Heulen immer lauter und als bemühten sich die flatternden Staubwolken, immer neue Gestalten anzunehmen, während sie da im Mondscheine tanzten. Ich fühlte es, wie ich mich gegen die Stimme der Vernunft wehrte; ja meine ganze Seele wehrte sich dagegen, und auch die wiedererwachten Empfindungen hinderten mich daran, ihr zu folgen. Ich wurde einfach hypnotisiert! Rascher und rascher tanzte der Staub und die Mondstrahlen schienen zu zittern; mehr und mehr sammelten sich die Gestalten, bis sie endlich schwankenden Phantomen glichen. Plötzlich erschrak ich, ich erwachte, und im wiedererlangten Besitz meiner Sinne rannte ich schweigend davon. Die Phantome, die sich da allmählich im Mondschein materialisiert hatten, waren die drei gespenstigen Mädchen, denen ich verfallen war. Ich floh und fühlte mich erst in meinem Zimmer etwas sicherer, wo kein Mond schien und die Lampe noch freundlich brannte.

Als ein paar Stunden vorbei waren, hörte ich etwas Entsetzliches aus dem Zimmer des Grafen, etwas wie eine tiefe Wehklage, die rasch unterdrückt wird; dann eine furchtbare Totenstille, die mich mit Schaudern erfüllte. Mit klopfendem Herzen ging ich zur Türe, um sie zu öffnen; aber ich war in meinem Gefängnis eingeschlossen; ich konnte nichts, gar nichts tun. Ich setzte mich hin und weinte.

Wie ich so da saß, hörte ich vom Schloßhof her das Wehgeschrei einer Frau. Ich sprang ans Fenster, riß es auf und sah hinaus. Da war in der Tat ein Weib mit verwirrtem Haar und hielt ihre Hand an die Brust, als wollte sie ihr vom raschen Laufe zerspringen. Sie lehnte in einem Winkel des Torweges. Als sie mein Gesicht am Fenster erblickte, stürzte sie drohend vorwärts und schrie mit gellender Stimme:

»Scheusal, gib mir mein Kind!«

Sie warf sich auf die Knie, hob ihre Hände zu mir empor und wiederholte immer dieselben Worte, die mir das Herz zerrissen. Dann raufte sie ihr Haar, zerschlug sich die Brust und gab sich allen Gewalttätigkeiten unerträglichen Schmerzes hin. Endlich sprang sie wieder auf und stürzte näher heran; ich konnte sie nicht mehr sehen, aber ich hörte das Pochen ihrer Hände am Tor.

Irgendwo hoch oben, wahrscheinlich vom Turm, hörte ich den Grafen mit harter, metallischer Stimme etwas rufen. Als Antwort ertönte von Nah und Fern das Heulen der Wölfe. Ehe einige Minuten verstrichen waren, kam ein Rudel von ihnen durch den weiten Eingang in den Schloßhof gestürzt, wie befreite Wasser über den geborstenen Damm.

Die Frau schrie nicht und die Wölfe heulten nur jäh auf; kurze Zeit später strichen sie einzeln davon, sich die Lefzen leckend.

Ich konnte kein Mitleid mit ihr haben, denn ich wußte nun, was mit ihrem Kinde geschehen war. Da war sie besser tot. Was soll ich tun? Was kann ich tun? Wie kann ich mich diesem entsetzlichen Wirrsal von Nacht, Spuk und Angst entziehen?

25. Juni, morgens. – Niemand, der nicht schon in der Nacht Schreckliches gelitten, weiß, wie süß und teuer für Herz und Augen der Morgen sein kann. Als die Sonne so hoch gestiegen war, daß sie die Spitze des meinem Fenster gegenüberliegenden Turmes vergoldete, war es mir, als hätte sich die Taube aus der Arche Noah dort niedergelassen. Meine Angst zerfloß wie ein Nebelschleier vor dem Gestirn des Tages. Ich muß irgend etwas unternehmen, solange mir die Tageshelle Mut gibt. Heute Nacht ging mein erster, im voraus datierter Brief ab; der erste in der verhängnisvollen Reihe, die jegliche Spur meiner Existenz von der Erde verlöschen soll.

Ich will nicht daran denken. Handeln!

Immer war es nur zur Nachtzeit, daß ich belästigt und bedroht war oder mich in Furcht und Gefahr befand. Ich habe den Grafen bis heute noch nicht bei Tage gesehen. Ist es denkbar, daß er schläft, während die anderen wachen, und daß er wachen muß, wenn sie schlafen? Könnte ich nur in sein Zimmer! Aber es gibt keine Möglichkeit; die Türe ist immer verschlossen, kein Eingang für mich.

Halt, und dennoch gibt es einen Weg für den, der ihn zu gehen wagt. Wo er ging, da muß doch auch ein anderer gehen können. Ich habe ihn selbst aus dem Fenster kriechen sehen; warum sollte ich es ihm nicht nachmachen und in sein Fenster steigen? Die Sache ist verzweifelt, aber meine Lage ist eine noch verzweifeltere. Ich wage es. Im schlimmsten Falle bedeutet es den Tod, aber der Tod eines Menschen ist etwas anderes als der eines Kalbes; es öffnete sich mir die gefürchtete Pforte ins Jenseits. Gott gebe mir Kraft zu meinem Unternehmen! Leb wohl, Mina, wenn ich fehltrete, leben Sie wohl, treuer Freund und Vater, lebt wohl, ihr alle, und noch einmal Du, Mina!

Am gleichen Tage, später. – Ich habe das Wagnis unternommen und bin mit Gottes Hülfe unversehrt wieder in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich will alles der Reihenfolge nach berichten. Ich ging voll Mut direkt auf das Fenster der Südseite zu und stieg auf das schmale Steingesims, das rings um das Gebäude läuft. Die Steine waren groß und roh behauen, und den Mörtel hatte der Zahn der Zeit weggenagt. Ich zog meine Stiefel aus und machte mich auf den hoffnungslosen Weg. Ich sah zuerst eine Zeit lang in die grausige Tiefe, damit mich nachher nicht ein zufälliger Blick da hinunter aus der Fassung brächte, aber dann hielt ich die Augen abgewandt. Ich kannte genau die Richtung und die Entfernung, die mich von des Grafen Fenster trennte, und machte mich auf den Weg, alle Vorteile ausnützend, die sich mir boten. Ich fühlte keinen Schwindel, keine Angst – ich glaube, weil ich zu erregt war – und die Zeit schien mir lächerlich kurz, die ich brauchte, um an des Grafen Fenster zu gelangen. Ich hielt mich am Rahmen fest. Immerhin war ich tief erregt, als ich mit gebeugtem Rücken, mit den Füßen voran, durch die Öffnung einstieg. Ich sah mich nach dem Grafen um, machte aber zu meiner Überraschung und Freude eine Entdeckung: das Zimmer war leer! Es war mit seltsamen Dingen möbliert, die den Eindruck machten, als würden sie nicht benützt; das Mobiliar war das gleiche wie in dem südlichen Zimmer und dicht mit Staub bedeckt. Ich begann sofort nach dem Schlüssel zu suchen, es steckte aber kein solcher im Schlüsselloch; auch sonst war nirgends einer zu finden. Das einzige, was ich entdeckte, war ein großer Haufen Gold in einer Ecke – – Goldstücke aller Art, römisches, englisches, österreichisches, ungarisches, griechisches und türkisches Gold, gleichfalls mit einer dichten Staubschicht überzogen, als läge es schon sehr lange hier auf dem Boden. Keines der Stücke war weniger als 300 Jahre alt. Auch Ketten und Schmucksachen lagen dabei, einige mit Juwelen besetzt, aber alles alt und unscheinbar.

In einer Ecke des Zimmers war eine schwere Türe; ich versuchte sie zu öffnen, denn da ich den Schlüssel zum Zimmer oder zum Außentor nicht finden konnte, was ja eigentlich der Gegenstand meines Wunsches war, mußte ich weitere Erkundungen vornehmen, wenn nicht alle meine Mühe umsonst gewesen sein sollte. Die Tür war unverschlossen und führte durch einen gepflasterten Gang zu einer steil in die Tiefe abfallenden Wendeltreppe. Ich stieg hinab, indem ich mich vorsichtig weitertastete; denn die Stiegen waren dunkel und nur hier und dort fiel ein schwacher Lichtschimmer durch die Schießscharten, die das dicke Mauerwerk durchbrachen. Unten gelangte ich in einen finsteren, tunnelartigen Durchgang, aus dem mir widerlicher Leichengeruch und der Dunst frisch aufgegrabener Erde entgegenschlug. Je weiter ich im Durchgang vordrang, desto intensiver wurde der Geruch. Schließlich kam ich an ein schweres altes Tor, das offen stand, und ich trat in eine verfallene Kapelle, die offenbar als Begräbnisplatz gedient hatte. Das Dach war eingefallen und an mehreren Stellen führten Stufen in Grabgewölbe; der Boden war frisch umgegraben und die Erde in mächtige Holzkisten gefüllt, offenbar dieselben, welche die Slovacken gebracht hatten. Das war jedoch für mich nicht von Interesse und ich forschte weiter nach einem Ausgang, aber vergebens. Jeden Zoll breit des Bodens untersuchte ich, um keine Möglichkeit zu übersehen. Ich stieg in die Gewölbe hinab, in denen ein graues Dämmerlicht herrschte; es war furchtbar für mich. In zweien war ich gewesen, ohne etwas anderes zu sehen als alte Sargstücke und Haufen von Staub. Aber im dritten, da machte ich eine Entdeckung.

Hier in einer der großen Kisten, deren etwa fünfzig herumstehen mochten, auf einem Haufen frischer Erde – – – – lag der Graf! Er war tot oder er schlief, ich konnte es nicht erkennen; die Augen waren offen und starr, aber ohne das gläserne Aussehen von Totenaugen, und die Wangen hatten trotz aller Leichenblässe doch den warmen Schimmer des Lebens und die Lippen waren rot wie immer. Aber keine Spur von Bewegung an ihm, kein Puls, kein Atemzug, kein Herzschlag. Ich beugte mich über ihn und horchte nach einem Lebenszeichen. Er konnte noch nicht lange dort gelegen haben, denn der frische Geruch der Erde wäre doch in wenigen Stunden verflogen gewesen. Neben der Kiste stand der Deckel, von Nagellöchern durchbohrt. Ich hoffte, er werde die Schlüssel bei sich haben; aber als ich ihn danach durchsuchen wollte, da fiel mein Blick auf seine Augen, in denen, wenn er auch sich meiner Gegenwart vielleicht nicht bewußt war, ein solcher Ausdruck des wildesten Hasses lag, daß ich entfloh. Des Grafen Zimmer durch das offene Fenster verlassend, erreichte ich wieder die Schloßmauer, an der ich hinaufkletterte. Nachdem ich mein Zimmer erreicht hatte, warf ich mich keuchend auf mein Bett und versuchte nachzudenken – – – – –.

29. Juni. – Heute ist das Datum meines letzten Briefes, und der Graf hat Maßregeln getroffen, daß man glauben sollte, ich hätte ihn selbst aufgegeben, denn ich sah ihn das Schloß auf dem gewöhnlichen Wege verlassen und in meinen Kleidern. Als er so die Mauer herabstieg, wie eine Eidechse, wünschte ich mir ein Gewehr oder sonst eine Mordwaffe, um ihn vernichten zu können; aber ich fürchte, eine Waffe in menschlichen Händen wird nicht imstande sein, ihm irgend etwas anzuhaben. Ich wollte auf seine Rückkehr nicht warten, denn es gelüstete mich nicht danach, die gespenstischen Schwestern wiederzusehen. Ich ging in die Bibliothek zurück und las, bis ich einschlief.

Ich wurde durch das Eintreten des Grafen geweckt, der so verbissen wie möglich dreinsah, als er zu mir sagte:

»Morgen, mein Freund, heißt es also reisen. Sie kehren in Ihr herrliches England zurück, ich zu einer Beschäftigung, die so ausgehen kann, daß wir uns vielleicht nie wieder sehen. Ihr letzter Brief ist aufgegeben worden; morgen werde ich nicht hier sein, aber alles ist für Ihre Reise vorbereitet. Früh kommen Sziganos, die noch einige Arbeiten hier vorzunehmen haben, und auch einige Slovacken. Wenn alle fort sind, wird mein Wagen Sie abholen und zum Borgopaß bringen, woselbst Sie den Postwagen von der Bukowina nach Bistritz erwarten können. Aber ich denke, ich sehe Sie noch öfter hier auf Schloß Dracula.« Ich traute ihm nicht recht und wollte seine Aufrichtigkeit auf die Probe stellen. Aufrichtigkeit! Es ist wie eine Profanation dieses Wortes, wenn man es in einem Atem mit diesem Scheusal nennt. Ich fragte ihn gerade heraus:

»Warum soll ich denn nicht heute Nacht fahren?«

»Weil mein Kutscher und meine Pferde nicht verfügbar sind, mein Bester.«

»Aber ich würde recht gerne zu Fuße gehen. Sogleich möchte ich am liebsten den Marsch antreten.« Er lächelte sanft, verbindlich; aber es lag in diesem Lächeln so viel satanischer Spott, daß ich fühlte, es stecke irgend eine Tücke hinter dieser Freundlichkeit. Er fuhr fort:

»Und wie ist es mit Ihrem Gepäck?«

»Ich brauche es nicht. Ich kann es gelegentlich nachschicken lassen.« Der Graf stand auf und sagte mit so feiner Artigkeit, daß ich mir die Augen reiben mußte, um mich zu versichern, daß ich nicht träume:

»Ihr Engländer habt eine Redensart, die ich mir besonders gemerkt habe, weil sie das ausdrückt, was auch wir Bojaren befolgen: »Gieb dem kommenden Gast dein Bestes, den abreisenden aber halte nicht auf.« Kommen Sie mit mir, lieber junger Freund. Nicht einen Augenblick sollen Sie länger in meinem Hause sein, als Sie es selbst wünschen, obgleich es mir leid tut, daß Sie schon fort wollen und das so plötzlich wünschen. Kommen Sie mit!« Mit steifer Grandezza stieg er, die Lampe in der Hand, vor mir die Stiege hinunter und durchschritt die Halle. Plötzlich blieb er stehen:

»Horchen Sie!«

Ganz in der Nähe hörten wir das Bellen von Wölfen. Es war, als erhöbe sich der Lärm in dem Augenblick, als er mit der Hand winkte, gleichwie ein großes Orchester auf den Taktstrich des Dirigenten einsetzt. Nach einer kurzen Pause schritt er in seiner gravitätischen Weise aufs Tor zu, zog die gewichtigen Riegel zurück, hakte die schweren Ketten aus und öffnete langsam.

Zu meinem höchsten Erstaunen mußte ich bemerken, daß das Tor unverschlossen war. Voll Mißtrauen sah ich näher hin, konnte aber keinen Schlüssel entdecken.

Als das Tor aufging, wurde das Bellen der Wölfe lauter und wilder; ihre roten Mäuler mit dem schaumbedeckten Gebiß und ihre klauenbewehrten Füße drängten sich herein. In diesem Augenblick ward es mir klar, daß es unnütz wäre, einen Kampf gegen den Grafen aufzunehmen. Gegen ihn, der solche Verbündete hat, kann ich doch nichts ausrichten. Allmählich öffnete sich das Tor weiter und des Grafen hagere Gestalt stand allein in der Öffnung. Plötzlich fuhr es mir durch den Sinn, daß der Tag meines Unterganges ja da sei und ich den Wölfen vorgeworfen werden sollte. Ich selbst hatte es ja veranlaßt. Es lag eine teuflische Bosheit in dieser Idee, die dem Grafen vollkommen zuzutrauen war, und ich schrie zuletzt:

»Schließen Sie das Tor, ich warte gerne bis morgen!« Dann bedeckte ich mein Gesicht mit den Händen, um die bitteren Tränen der Enttäuschung zu verbergen, die mir die Augen füllten. Mit einer Bewegung seines mächtigen Armes zog der Graf das Tor zu und schob die Riegel wieder vor, die in dem weiten Gewölbe widerhallten und klangen.

Wir kehrten schweigend zur Bibliothek zurück, und eine oder zwei Minuten später begab ich mich auf mein Zimmer. Als ich mich noch einmal kurz umwandte, sah ich, wie Graf Dracula mir Handküsse zuwarf, mit einem Lächeln, auf das Judas in der Hölle hätte stolz sein können.

In meinem Zimmer angekommen, wollte ich mich eben niederlegen, da hörte ich ein Flüstern vor meiner Türe. Ich ging leise hin und lauschte. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, so war es die Stimme des Grafen, welche sagte:

»Zurück, zurück auf eure Plätze! Eure Zeit ist noch nicht gekommen. Wartet! Habt Geduld! Morgen Nacht, morgen Nacht ist er euer!« Ein süßes, leises Kichern war die Antwort, und wütend stieß ich die Türe auf. Draußen waren die drei schrecklichen Frauen, die gierig ihre Lippen leckten. Als sie mich erblickten, brachen sie alle zusammen in ein entsetzliches Gelächter aus und rannten davon. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und warf mich auf die Knie nieder. Ist es denn schon so nahe, das Ende? Morgen! Morgen! Gott hilf mir und denen, die mich lieb haben!

30. Juni, morgens. – Das werden wohl die letzten Worte sein, die ich in dieses Tagebuch schreibe. Ich schlief bis kurz vor Tagesanbruch, und als ich aufstand, warf ich mich auf die Knie nieder, denn ich wollte, daß der Tod, wenn er käme, mich wenigstens nicht unvorbereitet fände. Dann fühlte ich die eigenartigen Veränderungen in der Luft und wußte, daß der Morgen da sei. Nun ertönte auch der ersehnte Hahnenschrei und ich wußte, daß ich gerettet war. Mit frohem Herzen öffnete ich meine Türe und eilte hinunter nach der großen Halle. Ich hatte gesehen, daß das Tor nicht verschlossen worden war und daß der Weg zur Freiheit mir offen stand. Meine Hände zitterten von Erregung, als ich die schweren Ketten aushakte und die massiven Riegel zurückschob.

Aber das Tor bewegte sich nicht; Verzweiflung packte mich. Ich stieß immer und immer wieder dagegen und rüttelte daran, daß es, so schwer es auch war, in den Angeln krachte. Es konnte nicht anders sein: der Graf mußte es verschlossen haben, nachdem er von mir gegangen war.

Da ergriff mich ein wildes Verlangen, des Schlüssels um jeden Preis habhaft zu werden, und ich beschloß, nochmals die Mauer hinunterzuklettern und in des Grafen Zimmer einzudringen. Er mochte mich meinethalben töten – der Tod schien mir tausendmal besser als das, was mir in Aussicht stand. Ohne zu zögern rannte ich zu dem östlichen Fenster und stieg, wie das erste Mal, die Mauer hinab in das Zimmer des Grafen. Es war leer, aber ich hatte es nicht anders erwartet. Ich konnte nirgends einen Schlüssel erblicken, aber der Haufen Gold war noch da. Ich ging durch die Ecktüre, die Wendeltreppe hinunter und dann durch den finsteren Gang in die alte Kapelle. Ich wußte jetzt genau, wo ich das Scheusal zu suchen hatte.

Die große Kiste stand noch auf demselben Platze, dicht an der Mauer; der Deckel lag schon darauf, war aber noch nicht festgemacht; die Nägel staken im Holze und brauchten nur mehr eingeschlagen zu werden. Ich beabsichtigte in erster Linie, die Kleider des Grafen nach einem der Schlüssel zu durchsuchen; ich hob den Deckel ab und lehnte ihn an die Wand. Dann aber sah ich etwas, das mein Herz mit tiefstem Grauen erfüllte. Da lag der Graf, aber er sah aus, als sei seine Jugend wieder zurückgekehrt: Haar und Schnurrbart, vordem weiß, waren nun dunkel, eisengrau, die Wangen waren voller und die weiße Haut schien rosig unterlegt; der Mund war röter als je, denn auf den Lippen standen Tropfen frischen Blutes, das in den Mundwinkeln zusammenrann und von da über Kinn und Hals hinuntersickerte. Selbst die Augen lagen nicht mehr so tief, denn es schien sich neues Fleisch um sie gebildet zu haben. Es schien mir, als sei die ganze grauenvolle Kreatur mit Blut einfach durchtränkt; er lag da wie ein vollgesogener Blutegel. Ich schauderte, als ich mich über ihn beugte, um ihn zu durchsuchen – jeder meiner Sinne sträubte sich gegen eine Berührung; aber ich mußte, sonst war ich verloren, ein sicheres blutiges Festmahl für die entsetzlichen Drei. Ich tastete den ganzen Körper ab – keine Spur von einem Schlüssel. Dann hielt ich einen Augenblick inne und betrachtete den Grafen. Es lag ein höhnisches Lächeln auf dem aufgedunsenen Gesicht, das mich hätte wahnsinnig machen können. Das also war das Wesen, dem ich helfen wollte, nach London überzusiedeln, wo es vielleicht Jahrhunderte lang unter den sich drängende Millionen von Menschen, seine Blutgier befriedigen und einen sich immer vergrößernden Kreis von Halbdämonen schaffen würde, um sie auf die Wehrlosen zu hetzen. Schon dieser Gedanke machte mich rasen. Eine schreckliche Lust kam über mich, die Welt von diesem Ungeheuer zu befreien. Eine tödliche Waffe war nicht zur Hand; so ergriff ich denn eine der Schaufeln, welche die Arbeiter beim Füllen der Kisten benützt hatten, und holte weit aus, um mit der abwärts gerichteten Schaufel in das verhaßte Gesicht zu schlagen. Da drehte sich plötzlich der Kopf, und die Augen sahen mich voll an mit der ganzen Glut ihres Basiliskenblickes. Jähes Entsetzen lähmte mich bei diesem Anblick, die Schaufel zitterte in meinen Händen und fiel kraftlos nieder, riß aber eine klaffende Wunde in die Stirne des Liegenden. Dann glitt sie mir aus der Hand, quer über die Kiste, und als ich sie da wegstieß, berührte sie den danebenstehenden Deckel, der umfiel und das häßliche Bild meinen Augen entrückte. Das letzte, was ich sah, war das aufgedunsene blutunterlaufene Gesicht und das starre höhnische Lächeln, welches vielleicht sogar bei den Teufeln der Hölle nicht seinesgleichen gefunden hätte.

Ich dachte und dachte, was ich nun tun sollte, aber mein Gehirn brannte wie Feuer und ich wartete, während ein Gefühl der Verzweiflung sich meiner bemächtigte. Wie ich so dastand, hörte ich aus der Ferne einen Zigeunergesang von frohen Stimmen, der immer näher zu kommen schien, und durch den Gesang das Rollen schwerer Räder und das Knallen von Peitschen, die Slovacken und Sziganys, von denen der Graf gesprochen, kamen an. Ich warf noch einen raschen Blick rings um mich und auf die Kiste, die den scheußlichen Leib barg, und rannte davon in das Zimmer des Grafen, entschlossen, hinauszuschlüpfen, wenn die Türe geöffnet würde. Angespannt horchte ich und vernahm von unten das kreischende Geräusch eines Schlüssels in dem großen Schlüsselloch und das Zurückfallen des schweren Tores. Es müssen auch noch andere Zugänge dagewesen sein, aber jemand hat den Schlüssel zu den versperrten Türen. Dann hörte ich das Geräusch vieler stampfender Schritte, die dröhnend fern in irgend einem Durchgang verhallten. Ich beeilte mich, wieder hinunter zu dem Gewölbe zu kommen, wo ich den neuen Eingang finden mußte; aber in diesem Augenblick kam ein gewaltiger Windstoß, und die Türe zur Wendeltreppe fiel mit einem furchtbaren Krach zu, so daß der Staub von der Türkrönung flog. Als ich hineilte, um sie aufzudrücken, fand ich sie hoffnungslos fest verschlossen. Ich war von neuem gefangen und das Netz des Verderbens zog sich noch enger um mich zusammen.

Während ich dies schreibe, ist unten im Durchgang der Lärm stampfender Füße hörbar und das Poltern aufgeladener schwerer Lasten, offenbar der erdgefüllten Kisten. Man hört etwas hämmern, es ist die Kiste, die zugenagelt wird. Nun dröhnen wieder die schweren Schritte durch die Halle, gefolgt von den leichteren unbeschäftigter Mitläufer. Das Tor wird geschlossen, die Ketten klirren, dann das Kreischen des Schlüssels im Schlüsselloch. Ich höre, wie er herausgezogen wird; dann öffnet und schließt sich ein anderes Tor; wieder höre ich Schloß und Riegel knarren.

Horch! Im Hofe und den Felsweg hinunter das Rollen schwerer Räder, das Knallen von Peitschen und der Gesang der Sziganys, der immer weiter in der Ferne verhallt.

Ich bin im Schlosse allein mit den furchtbaren Weibern. Pfui! Mina ist doch auch ein Weib, und sie haben so gar nichts gemeinsam. Sie sind Teufel der Hölle!

Ich werde nicht bei ihnen hier bleiben; ich werde versuchen, die Schloßmauer noch tiefer hinunterzusteigen, als ich es bisher tat. Ich will mir etwas von dem aufgestapelten Golde mitnehmen, vielleicht kann ich es doch noch brauchen. Ich muß einen Ausweg aus diesem scheußlichen Gefängnis finden.

Und dann fort! Heim! Fort mit dem schnellsten, mit dem nächsten Zuge! Fort von diesem verruchten Ort, aus diesem verwünschten Lande, wo noch der Teufel und seine Kinder in Menschenleibern wandeln.

Schließlich ist Gottes Gnade doch besser als die dieser Ungeheuer – und der Abgrund ist steil und tief. An seinem Fuße mag wohl ein Mann schlafen – als ein Mann. Lebt wohl, ihr alle und Du, Mina!


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