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Wenige Tage vor der Wahl ging eine Nachricht durch die Lokalpresse, die in der ganzen Stadt auf das lebhafteste besprochen wurde. In allen Blättern war von einer hochherzigen Schenkung die Rede, zu der sich das Ehepaar Paul und Agathe Baumann ganz überraschenderweise veranlaßt gesehen. Die Sache war um so merkwürdiger, als sich der größte Teil des Publikums ihren eigentlichen Zweck nicht zu erklären vermochte, und erst allmählich dämmerte der Allgemeinheit der Zusammenhang auf, der zwischen ihr und Dr. Josts Angriffen gegen Paul bestand. Aber was das Seltsamste war, der Magistrat hatte diese Schenkung nach einer, wie es schien, im Handumdrehen erledigten Beratung angenommen.
Es handelte sich um das alte, am Ritterwall gelegene Geschäftshaus der Familie Lenz, das plötzlich auf diesem Wege in den Besitz der Stadt überging. Zwar war von den Plänen des Oberbürgermeisters schon des öfteren in der Presse und vor der Öffentlichkeit die Rede gewesen, aber im allgemeinen huldigte man doch der Ansicht, daß diese Pläne im Grunde genommen nur schöne Pläne seien, daß man niemals eine Stadtverordnetenversammlung zusammenbringen werde, die den Mut hätte, die ungezählten Millionen zu bewilligen, die dieses Riesenprojekt verschlingen mußte.
Mit der Annahme dieser Schenkung bekam die Sache plötzlich ein anderes Gesicht. Nun schien es in der Tat, daß Magistrat und höchster städtischer Beamter ernstlich gewillt seien, den großen Plan in Angriff zu nehmen, und das konnte nur darin seinen Grund haben, daß man sich von der neuen Zusammensetzung der für diesen Fall maßgebenden Vertreter der Stadt ein Entgegenkommen versprach, auf das man bislang nicht gerechnet hatte. An allen Stammtischen war für einige Abende von nichts anderem, als von dieser Schenkung die Rede.
Der gesamten Bevölkerung, vor allem der Kreise der Innenstädter, bemächtigte sich eine gewaltige Aufregung. Die paar Zeilen in den Zeitungen hatten Paul mit einem Schlage populär gemacht. Plötzlich sahen die Leute in ihm mehr, als den Inhaber des Lenzschen Geschäftes, als den Begründer der Filialen und der Brotfabrik, als den Mann, der in wenigen Monaten das alte Archiv zu dem besuchtesten Café der ganzen Stadt gemacht.
Hinter dieser von schwarzen und kurzgeschorenen Haaren überschatteten Stirn mußten noch ganz andere Gedanken und Pläne schlummern, als die des rastlosen Geschäftsmannes, der nur darauf aus gewesen, das schwiegerväterliche Geschäft in wenigen Jahren zu ungeahnter Bedeutung zu erheben. Was mochte er planen? Was würde er durchsetzen, wenn er, erst einmal gewählt, sich wie jener Alexis Moser zum Führer der demokratischen Partei emporgeschwungen hatte?
Eine Bewegung, wie sie noch niemals vor irgendeiner Wahlschlacht dagewesen, ging nun durch die Bevölkerung und ergriff auch die kühlsten Gemüter. Jeder nahm Partei für oder wider, denn man ahnte, daß die Wahl eines Mannes, der sich mit einem solchen Schritte und solcher Energie einführte, eine Wendung in der bislang im Schneckengang voranschreitenden Politik bedeutete. In der größten Aufregung befanden sich naturgemäß die Bewohner der Altstadt, in den Gassen und Gäßchen, deren Tage aller Voraussicht nach nun gezählt waren. Hier platzten die Meinungen am stärksten aufeinander, hier, wo jeder einzelne sein Haus und mit diesem seine Zukunft wanken sah, wo sich ein jeder, je nach seinem Temperamente, entweder pessimistischen Betrachtungen oder stolzen Hoffnungen, über das, was da kommen sollte, hingab.
Dr. Jost gab seine Sache keineswegs verloren. Vor den Lesern seines »Echo« spielte er nicht den geschlagenen Mann. Gleich am Morgen, nachdem die Schenkung Pauls in den Blättern bekannt geworden, erschien in seiner Zeitung ein Leitartikel mit der vielsagenden Überschrift: Timeo Danaos et dona ferentes.
Der Artikel brachte nichts Positives, keine Enthüllungen, wie sie die nach neuen Sensationen gierigen Leser hinter dieser Überschrift vermuteten. Er stellte nur in dürren Worten die durch nichts zu widerlegende aber auch durch nichts bewiesene Behauptung auf, daß ein Kapitalist wie Paul Baumann nicht sein Haus verschenke, ohne die bestimmte Aussicht zu haben, dafür etwas ungemein Wertvolleres in Tausch zu nehmen. Jost schloß mit den Worten:
»Schweigen wir und warten wir das Kommende in Ruhe ab. Die Stunde naht, in der sich der große Menschenfreund und Wohltäter der Stadt, Herr Paul Baumann, als der Wolf im Schafspelz entpuppt. Wie, das wissen wir freilich noch nicht, aber daß er sich eines Tages als solcher entpuppen wird, das ist nicht weniger gewiß. Denn es hat noch keinen überzeugten Kapitalisten gegeben, der auch nur ein Titelchen seines Kapitales weggeschenkt hätte. Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes.«
Als Paul diesen Artikel gelesen, stieg ihm die Röte des Zornes in das Gesicht. Niemand hatte ihn erkannt, niemand hatte in seinem Innersten gelesen, auch Agathe nicht, die ihn seit seinem selbstlosen Entschlusse vergötterte, die mit ihm im Dienste der Güte schaffen und arbeiten wollte, nur dieser da!
Aber die immer lächelnde Maske des Heuchlers legte sich sofort wieder über sein Gesicht. Er hatte jetzt Besseres und Wichtigeres zu tun, als sich von einem Jost einschüchtern zu lassen, da die Wahlen, die seinen Sieg bringen sollten, in allernächste Nähe gerückt waren. Aber auf der Hut wollte er vor diesem sein. Ihn, wenn sich ihm dazu je die Gelegenheit bieten sollte, in seine Hand zu bekommen, das schwur er sich.
So kam der Tag der Wahl allmählich heran. Alle Welt sprach von Paul. Der Artikel Josts im »Echo« war nicht der einzige geblieben, der sich mit seiner Schenkung beschäftigte. Sämtliche Blätter hatten eingehend diese überraschende Sache besprochen, hatten für und wider sie Stellung genommen, und es dauerte nicht lange, da merkte Paul jedesmal, wenn er sich in der Öffentlichkeit sehen ließ, daß die Leute die Köpfe zusammensteckten, daß sie über ihn sprachen, daß jedes Kind ihn kannte. Eine merkwürdige Stimmung beschlich ihn. Etwas wie junger Ruhm legte sich auf seinen Scheitel und gab seinem Wesen einen bestimmten, nur schwer vor den Menschen verborgen gehaltenen Stolz. Der Ehrgeiz begann sich in seinem Inneren zu regen. Manchmal kam es ihm vor, als ob das alles mit Peter und dessen Grundstücken gar nicht auf Wahrheit beruhe, als ob die Ausbeutung dieses Terrains für ihn die gleichgültigste Sache von der Welt sei. Es war ihm, als wenn er wirklich so einer wäre, für den ihn die Leute offenbar nahmen, ein Wohltäter und Volksbeglücker. Und die größte Gefahr für ihn bedeutete die plötzliche Veränderung in seinem häuslichen Leben. Hier konnte die Selbsttäuschung, die ihn manchmal zu einer völligen Verkennung seiner eigensten Motive brachte, sehr leicht dazu führen, daß er in der Tat an sich selber glaubte.
Denn seit jener nächtlichen Unterredung mit ihm war Agathe wie umgewandelt. Sie glaubte an Paul. Sie hatte plötzlich wie durch ein Wunder in ihm den Verkörperer des Entsühnungsgedankens gefunden, der sie durch all die Jahre verfolgt hatte. Paul, der Wohltäter der Stadt, Paul, der ideale Diener der Allgemeinheit, Paul, der Volksbeglücker, der nun seine gewaltige Arbeitskraft in den Dienst seiner Mitbürger stellte.
Sie begann ihn zu lieben, ihn anzubeten. Sie verschwand vor der machtvollen Persönlichkeit, als die er nun plötzlich vor ihren Augen erschien.
Und er, der damals, noch ein halber Knabe, ihre Liebe vergebens gesucht, der sie in zwölf langen Jahren entbehrt hatte, glaubte wie draußen in der Politik, so hier in seinem Hause, mit einem Schlage ein neuer Mensch zu werden. Das Gespenst der Vergangenheit, in dessen bleiches Gesicht er wieder in jener Nacht geschaut hatte, war mit einem Male vor dem silberhellen Lachen Agathes verschwunden. Es war untergetaucht in ein leuchtendes Meer des Vergessens, wenn sich jetzt seine Kinder an ihn schmiegten, wenn er in Roberts helle blaue Augen blickte, wenn Ännchen die Arme um seinen Hals schlang, und er den kleinen Gustav oder Luischen auf seinem Schoße wiegte.
In solchen Stunden war er zufrieden.
Durch die von allen Leuten so lebhaft besprochene Schenkung Pauls wurden die Pläne des Oberbürgermeisters plötzlich in unmittelbare Nähe gerückt. Die neue Stadtverordnetenversammlung mußte sich alsbald nach ihrer Zusammenberufung über sie schlüssig werden. Die Meinungen in der Stadt waren geteilt. Manche hegten die frohe Erwartung, daß nun eine Periode des Aufschwunges anhebe, aber auch die Reaktionären machten sich ans Werk, um jetzt noch ihr möglichstes zu tun und den Mann, der mit seiner Schenkung einen so weiten Blick gezeigt hatte, von einer Betätigung seiner politischen Überzeugung durch ein Mißlingen seiner Wahl auszuschließen.
Allein sie hatten der Masse gegenüber einen schweren Stand. Der Artikel Josts hatte nicht die von seinem Verfasser erwartete Wirkung gehabt. Der angegriffene Paul Baumann, der doch durch die Tat einen Beweis seiner Selbstlosigkeit geliefert, fand die Sympathien der Mehrzahl, und die Aussichten der demokratischen Partei waren infolge seines Vorgehens günstiger als je zuvor.
Und noch eins kam hinzu. Josts gehässige und fürs erste durch nichts bewiesene Anschuldigungen hatten plötzlich die bürgerlichen Parteien zusammengeschweißt. Was Peter Lenz damals vor vielen Jahren geahnt hatte, wußte heute die ganze Stadt. Man sprach offen darüber.
Die alten Bahnhöfe konnten dem Bedürfnisse des von Jahr zu Jahr wachsenden Verkehres nicht mehr genügen, und über kurz oder lang mußte man sich entscheiden, an welcher Stelle, weit, weit draußen vor den Toren der Stadt, ein neuer Bahnhof und mit diesem eine neue Welt entstehen würde. Zwei Hauptterrains kamen in Betracht. Ein Gelände im Osten, das sich im Besitz der Stadt befand und schon aus diesem Grunde von dem Oberbürgermeister bevorzugt wurde, und ein zweites im Westen, das unmittelbar an die von Peter einst erworbenen Strecken bislang wertlosen Brachlandes grenzte. Für den Osten sprach die Tatsache, daß das Land bereits ganz der Stadt gehörte, ein Vorzug, mit dem der Oberbürgermeister immer liebäugelte, für den Westen aber der gewichtigere Umstand, daß die Entwicklung der Stadt in dieser Richtung lag.
Etwas Gewaltiges konnte hier entstehen, etwas Ungeahntes, von dem man jetzt noch keinen rechten Begriff hatte, wenn man sich für die Wahl dieses westlichen Geländes entschied.
Die Aussicht war berauschend, und dennoch, sie erschreckte Paul. Er der Schöpfer dessen, was Peter vor vielen Jahren in seinen Plänen erträumt hatte! Ihm vorgezeichnet von der Hand des längst Verstorbenen und Begrabenen dieses Riesenprojekt, das nun nach Jahren in Angriff genommen werden konnte, wenn seine Wahl gelang, wenn es ihm möglich gemacht wurde, in der maßgebenden Körperschaft seine von den Wählern des Westviertels, sicher gutgeheißene Meinung zugunsten des grandiosen Westprojektes in die Wagschale zu werfen!
Vor der Öffentlichkeit hatte sich Paul noch mit keinem Worte hierüber ausgesprochen. Nur die Tatsache, daß er in seiner Rede für die Sanierung der Altstadt eingetreten, und die weitere, daß er dieses Eintreten durch seine selbstlose Schenkung, bekräftigt hatte, gaben bis jetzt ein Bild seiner Persönlichkeit und seines politischen Strebens. Der Umstand, daß ihn die demokratische Partei als Kandidaten für den Westen vorschlug, schien es als wahrscheinlich, ja als sicher hinzustellen, daß er das Interesse seiner Wähler, also das große Westprojekt, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln auch gegen den Willen des Oberbürgermeisters vertreten werde. Und in den Köpfen aller, die diese Gegend bewohnten, spukte mehr oder weniger unklar dieses Westprojekt, das der Bedeutung und der Ausdehnung ihres Viertels, vor allem aber auch dem Werte ihrer Grundstücke, ungeahnte Perspektiven eröffnete, nachdem einmal in den Zeitungen gestanden, daß sich das Eisenbahnministerium wegen kostenfreier Überlassung eines Geländes zur Errichtung eines den modernen Bedürfnissen entsprechenden Bahnhofes an die Stadt gewandt habe.
Seltsamerweise war diese Nachricht wenige Tage vor den Wahlen zum ersten Male in der Presse aufgetaucht, und sie stempelte diese Wahl plötzlich zu einem Kampfe, in welchem die Bewohner der einzelnen Stadtteile ihre Stimme zugunsten ihrer Gegend in die Wagschale werfen konnten. Wo der Bahnhof hinkam, dort lag die Zukunft, dort würde der Wert der Grundstücke ins Ungemessene steigen, dort würden neue Straßen entstehen und neue Lebensmöglichkeiten geschaffen werden. Das leuchtete einem jeden ein, und der Mann des Fortschrittes, der diese große Sache im Sinne und im Interesse seiner Wähler vertreten würde, das war augenblicklich die gesuchte Persönlichkeit.
Der Wahltag war ein Mittwoch. Man hatte für das Westviertel die Aula der in dieser Gegend der Stadt gelegenen Annaschule als Wahllokal bestimmt. Die Wahlhandlung nahm des Mittags um zwölf Uhr ihren Anfang und der schulfreie Nachmittag machte es möglich, sie bis sechs Uhr abends ohne Unterbrechung fortzusetzen. Mit dem Schlage sechs sollten die Wahl geschlossen und die Zählung der Stimmzettel vorgenommen werden. Noch in den Abendstunden war also auf das Bekanntwerden des Resultates zu rechnen.
Trotzdem Paul sich nach außen hin kalt und gleichmütig gab, tobte die Aufregung in seinem Inneren. Denn diese Wahl bedeutete ja für ihn und seine Pläne etwas ganz anderes als das, was sich die ihm ferner und näher Stehenden vorzustellen vermochten. Ein Ehrenamt, eine Befriedigung des Ehrgeizes, der in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen, der sich genannt und bewundert wissen will, das wäre das günstige Resultat dieser Wahl auch für jeden anderen als für Paul Baumann gewesen.
Aber er! Er kam sich vor wie ein Spieler, der alles auf eine Karte gesetzt hatte. Tausendmal sagte er sich, daß das ja gar nicht der Fall sei, daß die Geschäfte, die er in dem gewaltigen Palaste, den er als Ersatz für das alte Haus am Ritterwall erträumte, weiterzuführen beabsichtigte, sich ruhig und stetig fortentwickelten, daß die Brotfabrik keine Konkurrenz scheue, weil sie innerhalb der Stadt über jeder Konkurrenz stand, daß die Filialen sich vermehren und vermehren würden, ganz unabhängig von dem Resultate dieser Wahl, deren günstiger Ausfall ihm die Erschließung des von Peter erworbenen Gebietes ermöglichen sollte. Einerlei! Er kam sich dennoch in diesen entscheidungsvollen Stunden vor wie der Spieler, der am grünen Tische sitzt und voll fieberhafter Ungeduld und Angst das Fallen der Kugel oder die Farbe der Karte erwartet. Denn Peters ungeheurer Plan, in den er sich seit dessen Entdeckung in Jahren und Jahren hineinversenkt, hatte in den letzten Wochen, die ihn vor diese Wahl und deren Ergebnis geführt, die Macht eines Rausches über ihn gewonnen.
Es war, wenn er sich ernstlich prüfte, gar nicht einmal die Sucht nach Gewinn, die ihn in diesem Maße beherrschte, denn im Grunde genommen warfen seine geschäftlichen Unternehmungen bereits jetzt einen so gewaltigen Nutzen ab, daß er am allerwenigsten es nötig gehabt hätte, sich auf das nervenaufreibende Gebiet des mit gewaltigen Unternehmungen rechnenden Terrainspekulanten zu begeben. In Wahrheit war es wohl etwas anderes, was ihn da bezauberte und lockte, wenn er sich ganz in den Vorstellungskreis Peters, der nun der seine geworden war, versenkte und daran dachte, daß ihn die Erlangung dieses Mandats unter Umständen zum Schöpfer einer neuen Stadt auf eigenem Grund und Boden machen könnte.
Das Spiel mit diesem großen Gedanken, das war es, was ihn ganz erfüllte. Sein Unternehmergeist, der sich bislang an den praktischen und leicht faßlichen Erweiterungen seiner Geschäfte betätigt, hatte sich an der Hand von Peters Plänen, die ihm ganz neue Aussichten eröffnet, hinausgewagt aus dem engen Rahmen des immerhin Kleinlichen, und er erstrebte nun durch die Durchsetzung seines Willens ein Werk, von dem Kinder und Enkel noch sprechen und von dem eine ganze Stadt den eigentlichen Nutzen und Segen haben sollten.
Auch er träumte etwas Ähnliches wie Agathe, auch er hatte den Wunsch, sich durch die Größe seiner Handlungen rein zu waschen und zu befreien von alter Schuld, aber das eine, was Agathe gleich von Anbeginn klar geworden, daß das nur nach selbstlosem Verzichte auf alles durch die Schuld Erworbene möglich sein würde, dieses eine war Paul seiner ganzen Natur zufolge fremd.
Und der Rausch dieser eingebildeten Größe wiegte seine Seele, als er nun in der ersten Stunde des Nachmittags die Straße umschweifte, in der das Wahllokal lag. Das Gebäude der Annaschule stand in nächster Nähe einer großen Schuhfabrik, die ein glücklicher Unternehmer vor Jahren im Westen der Stadt ins Leben gerufen hatte und die vorzüglich arbeitete. Es hatte zwölf geläutet. Plaudernd verließen Frauen und Mädchen den reizlosen, langgestreckten Bau, um sich zum Mittagessen zu begeben. Ein Trupp Arbeiter folgte ihnen auf dem Fuße. Er bog in die nächste Seitenstraße, wo der Eingang zu der Aula der Annaschule lag.
Paul, den die Leute nicht zu kennen schienen, folgte den Männern aus dem Volke, die in ihren Blaukitteln kamen und sich ein Vergnügen daraus machten, die vor dem Wahllokale aufgestellten Zettelverteiler anzuulken.
Da vernahm er aus dem Munde des einen seinen Namen.
Was der Mann sagte, das vermochte er nicht zu verstehen, aber den Einwand des anderen: »Nun er hat doch der Stadt sein Haus geschenkt«, den hörte er deutlich, und dann die weiteren Worte des ersten: »Hast du das »Echo« nicht gelesen? Das Haus war die Wurscht, mit der er nach dem Schinken geworfen hat.«
Da hemmte er seine Schritte, da ließ er die Leute weiter gehen, das Herz wollte ihm stillstehen, wenn er daran dachte, daß viele so urteilten, wie dieser Mann aus dem Volke, daß ihn am Ende schon viele durchschaut hätten, während er sich einbildete, daß dieser Abend seinen Sieg brächte. Am Ende gab das Wahlresultat ihm die Quittung dafür, daß man seine freigebige Schenkung in weiten Kreisen richtig verstanden hatte.
Er wollte nichts mehr von der ganzen Sache wissen. Die Bemerkung des Arbeiters hatte ihm seine gute Laune gründlich verdorben. Er ging geraden Weges nach Hause und schloß sich in sein Bureau ein. Hier entfaltete er Peters Pläne und vertiefte sich stundenlang in das ungeheure Werk, das der Stadt eine Neugestaltung geben mußte und geben würde, wenn die Macht des Scheines und die seiner Rede mächtiger als das ruhige Urteil des schlichten Mannes aus dem Volke waren.
Erst in später Abendstunde verließ er wieder das Haus.
Da kreischten es ihm die Verkäufer der Extrablätter entgegen, da verkündeten es die feurigen Zahlen und Lettern an den Gebäuden der Zeitungen:
Großer Sieg der demokratischen Partei.
Im Stadtbezirk Westend wurde Paul Baumann mit 3458 Stimmen gewählt. Er hat somit die absolute Majorität.
Und erst, nachdem er dies gelesen, begab er sich zu Mauerbrecher, um ihn abzuholen und, wie verabredet, diesen seinen ersten großen Erfolg im Kreise seiner politischen Freunde zu feiern.