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III.

Eines Nachmittags – weit über ein Jahr war seit Konrads Abreise verflossen – brachte der Rettungswagen des städtischen Krankenhauses Peter besinnungslos nach Hause. Ein zunächst ganz rätselhafter Vorfall hatte den immer gesunden und niemals zu Schwindelanfällen oder Kongestionen neigenden Mann plötzlich daniedergeworfen. Der sofort herbeigerufene Hausarzt stellte einen schweren Schlaganfall fest. Die Begleiter des Krankenwagens erzählten das folgende:

Sie seien des Nachmittags gegen fünf Uhr in das Café Koroni gerufen worden, in dem Herr Lenz von Zeit zu Zeit vorzusprechen pflegte, um sich wegen der Lieferung von Torten und Gebäck zu erkundigen. Herr Koroni habe ihnen dort die Mitteilung gemacht, daß Herr Lenz ganz plötzlich und ohne jede äußere Veranlassung auf seinem Stuhle, eine Zeitung in der Hand, zusammengesunken sei. Alle Bemühungen von Seiten des Wirtes und seines Personals, den offenbar Ohnmächtigen wieder zum Bewußtsein zu bringen, seien erfolglos gewesen, und schließlich habe man sich keinen anderen Rat gewußt, als nach einem in der Nähe wohnenden Arzte zu schicken und die Rettungswache des Krankenhauses zu benachrichtigen.

Die Zeitung, die der bewußtlose Peter noch bei Ankunft der Angestellten des Krankenhauses krampfhaft zwischen seinen Fingern gehalten, waren die Münchener Neuesten Nachrichten.

Agathe war außer sich. Mit weitgeöffneten und starren Augen saß sie jetzt an dem Bette ihres Vaters, indessen eine rasch herbeigerufene Schwester, ohne ein Wort zu sprechen, leise im Zimmer hantierte und den Verordnungen des Hausarztes, der gegen Abend wiederzukommen versprochen hatte, nachkam. Es schien ein Unglück ohne Sinn und ohne Grund, wie es häufig über den Menschen hereinbricht, der des Morgens gesund und munter das Haus verläßt, um des Abends als Leiche heimgetragen zu werden.

Aber noch atmete Peter. Der Arzt hatte gesagt, noch dürfe man nicht jede Hoffnung aufgeben. Schon des öfteren sei es vorgekommen, daß von einem solch schweren Zufall plötzlich und unvermutet Betroffene nach Stunden und Stunden das Bewußtsein wieder erlangt und verhältnismäßig gesund geworden seien.

Aber Peter regte sich nicht. Nur der leise Atem und der schwache Puls verrieten dem Kundigen, daß das Leben in diesem schon wie tot daliegenden Körper noch nicht völlig erloschen sei.

Schweigend saß Agathe an dem Bette des Kranken, und Stunde kam zu Stunde. In der ersten Angst und Bestürzung, da sich alles nur um das eine handelte, Peter wieder in das Bewußtsein zurückzurufen, dachte sie gar nicht daran, den in der Ferne weilenden Bruder von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen. Auch Paul war nicht da. Er hatte heute nachmittag unglücklicherweise einen Gang nach einem etwa zwei Stunden entfernt gelegenen Dorfe gemacht, wo er mit einigen Bauern wegen des Einkaufes der Zwetschgenernte verhandelte.

Als er gegen Abend nach Hause zurückkehrte, war Peier noch immer bewußtlos. Drunten in der Konditorei hatte ihm schon das Ladenfräulein Mitteilung von dem Vorgefallenen gemacht, und leise auf den Zehen schlich er sich hinauf in das erste Stockwerk des Hauses, wo das Schlafzimmer Peters gelegen war. Auf sein mehrmaliges Klopfen erschien endlich Agathe, Leichenblässe auf ihrem schönen Gesichte. Stumm drückte er ihr die Hand. Dann trat er an das Bett seines Meisters und Brotherren und starrte diesen wortlos, mit weitaufgerissenen Augen an.

Wie eine Leiche sah Peter Lenz, der Besitzer des alten Hauses am Ritterwall und des blühenden Geschäftes, aus. Wie einer, mit dem es bereits zu Ende gegangen ist. Und bei diesem furchtbaren Anblicke überlief es Paul mit einem Male siedend heiß. Wenn Peter starb, wenn er, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben, in dieser Nacht noch für immer dahinging, dann würde Konrad der Erbe sein, noch ehe das entsprechende Wort zwischen ihm und Agathe gewechselt worden war. Der Sohn, der rechtmäßige Nachfolger in Haus und Geschäft, würde dann in den nächsten Tagen auf der Bildfläche erscheinen, er würde von dem Seinen Besitz ergreifen, und wer wußte, wohin es dann mit ihm und seinen ehrgeizigen und habsüchtigen Plänen kam?

Er sprach kein Wort. Prüfend und forschend ruhten seine Augen auf dem marmorweißen Gesichte des Bewußtlosen, der noch einmal zu sich kommen, der, wenn auch nur für Stunden, dem Leben wieder geschenkt werden mußte, wenn er nicht wie ein Bettler aus diesem Hause scheiden und Konrad das, was er schon als seinen eigensten Besitz mit allen Fibern seines Wesens erfaßt hatte, überlassen sollte.

Wahrlich, wie tot sah der Alte schon aus!

Leibhaftig sah Paul Konrad vor sich, so wie er war, so wie er in seinem Innersten lebte. Der stolze und herrische Sohn des Hauses, der sich dem Vater nicht hatte fügen wollen, ihn, den der Besitz, in den er hineingeboren, zu einer rücksichtslosen Natur gemacht hatte. Und neben diesem sah er sich selber, den Schleicher und Heuchler, der sich geflissentlich in die Herzen Peters und Agathes hineingeschmeichelt hatte, der sich unentbehrlich zu machen verstanden, der langsam und sicher den eigenen Sohn aus der Brust des Alten verdrängt hatte.

Nach einer langen Weile der Betrachtung wandte er sich endlich an Agathe mit der anscheinend teilnahmsvollen Frage:

»Hast du denn Konrad benachrichtigt?«

Und als ihm diese mit einem erschreckten: »das habe ich ja ganz vergessen«, antwortete, fiel es ihm wie Zentnerlast von seiner Brust. Dann war ja noch ein Schimmer der Hoffnung vorhanden, jauchzte es nun in seinem Innersten, und äußerlich wieder voller Trauer, sagte er: »Ich werde ihm nach München telegraphieren, du brauchst dir darum weiter keine Sorge zu machen.«

Aber sein Wille faßte den festen Entschluß, dieses Telegramm so lange, wie ihm gut dünkte, für sich zu behalten, da sich Agathe bei seiner Zusage dieser wichtigen Besorgung schon beruhigen würde.

Er machte sich auch sofort auf den Weg. Aber seine Schritte führten ihn nicht zu dem Telegraphenamte, wie Agathe annehmen mußte. Er mußte überlegen, nachsinnen. Das fürchterliche Ereignis, das Konrad plötzlich in den vollen Besitz von alle dem, was er für sich selber wünschte, setzen konnte, war auch zu rasch über ihn gekommen. Er bedurfte der Ruhe, des Alleinseins, um über sich und seine Pläne mit sich selber ins reine zu kommen. Diese bedrückende Luft des Sterbezimmers benahm ihm den Atem. Der Anblick des in einemfort weinenden Mädchens machte ihn weich. Weichheit und Schwäche konnte er jetzt am allerwenigsten brauchen, wenn er, mit Macht und List gewappnet, dem heimkehrenden Konrad entgegentreten wollte.

Als er auf die Straße kam, dunkelte es bereits. Schon waren die Gasflammen angesteckt, und er schlich sich im Dunkel der Häuser dahin, wie ein Verbrecher.

»Du sollst es mir nicht entreißen, du nicht«, knirschte er zwischen den Zähnen.

Aber was wollte er tun? Er war machtlos, wenn Peter starb, ehe er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, wenn Konrad als der rechtmäßige Erbe und Besitzer kam, ehe zwischen ihm und Agathe das entscheidende Wort gefallen war.

Konrad … Konrad!

Kein Zweifel! Sobald der in München die Todesnachricht erhalten, würde er kommen und von seiner Schwester das Seine fordern. Und das Seine war, da Peter wohl schwerlich nähere Bestimmungen getroffen hatte, das Ganze.

Konrad würde seine Schwester abfinden, wie das in solchen Fällen üblich war. Sie würde bestenfalls mit ihrem zukünftigen Gatten an dem Geschäfte beteiligt bleiben, aber das Geschäft selber gehörte zunächst dem Sohne, der den Namen des Vaters und den Namen der Firma trug, der von Gottes und Rechts wegen der Berufene zur Übernahme dieses Geschäftes war.

Und er? Er konnte das alte Haus am Ritterwall, in das er sich schon als der eigentliche Sohn hineingeträumt hatte, verlassen, denn unter Konrad als dem neuen Besitzer zu arbeiten, das wäre nach seiner Meinung für ihn die allerschlimmste Demütigung, die Vernichtung seiner hochfahrenden Pläne gewesen.

Und Agathe! Ob er Agathe überhaupt so noch wollte, sie, die er sich immer als die Herrin des alten Hauses am Ritterwall an seiner Seite geträumt hatte?

Ja, ja, ja! Peter würde sterben, Konrad aus München zurückkehren und alles in die Tasche stecken, er würde die Krone nehmen und sich diese Krone auf das Haupt setzen, um die er, wie einst der Erzvater Jakob, jahrelang gedient hatte. Ob er telegraphierte oder nicht telegraphierte. Konrad würde den Tod seines Vaters erfahren und dann war, was er tat, vollkommen einerlei. Den Tod seines Vaters! Aber noch war Peter nicht tot, noch atmete Peter, noch konnte Peter wieder zum Bewußtsein kommen, konnte am Ende noch seinen Willen kundgeben, konnte sterbend seine Hand in die Agathes legen. Und Konrad?

Konrad und immer wieder Konrad! Was würde Konrad nach dem Willen eines Toten fragen? Nichts! … Er war der Sohn, der rechtmäßige Erbe, der das Gewerbe seines Vaters gelernt hatte und zunächst als erster in Betracht kam!

Er zitterte vor Wut. Eiskalter Schweiß trat auf seine Stirn. Weit hinter ihm lag die Welt, hinter ihm die Innenstadt mit dem dem Ritterwall zunächst gelegenen Telegraphenamte. Der am Nachmittag heitere Himmel hatte sich bewölkt. Ein schweres Gewitter drohte am westlichen Horizont über den Bergen. Sein Weg hatte ihn weit hinausgeführt auf die Landstraße.

Er wußte, daß der nun mit dem Tode Ringende, dessen Besitz er mit der Hand der Tochter und durch Beiseiteschieben des Sohnes an sich reißen wollte, in dieser Gegend gewaltige Grundstücke … Gott wußte, zu welchem Zwecke … an sich gebracht hatte, und so war dieser Weg auch sein Lieblingsweg geworden, weil sich dort sein Auge an den ausgedehnten Ländereien, die Peters Eigen waren, zu weiden pflegte.

Und plötzlich da draußen, in der weltverlassenen Einsamkeit, da der ferne Donner zu seinen Häupten rollte und die ersten Blitze am dunklen Horizonte über den Bergen aufzuckten, kam ihm der Gedanke: Ist Peter denn ohne jede äußere Veranlassung von dem sicher tödlichen Schlaganfalle betroffen worden?

Und dieser Gedanke ließ ihm keine Ruhe. Hatte nicht das Ladenfräulein vorhin, da er von seiner Tour in das Dorf zurückgekehrt war, erzählt, der Herr sei im Café Koroni gewesen und dort habe man ihn, eine Zeitung in der Hand, bewußtlos aufgefunden? Eine Zeitung in der Hand! Sollte am Ende eine Notiz, eine Nachricht in dieser Zeitung den Lesenden in eine furchtbare Aufregung versetzt und den scheinbar ganz grundlos aufgetretenen Schlaganfall herbeigeführt haben?

Eine Nachricht aus München, eine Nachricht von Konrad?

Grell und jäh wie der Blitz, der eben dort drüben aus den pechschwarzen Wolken herniederzüngelte und von einem dröhnenden Donner gefolgt war, kam Paul da draußen dieser Gedanke.

In ihm ließ er die Felder, über welche eben der Regen in heftigen Güssen herniederzupeitschen begann, und wandte sich wieder der Stadt zu. Im Café Koroni war Peter an diesem Nachmittag gewesen, und dort hatte dieses unmotivierte, dieses rätselvolle und unerklärliche Unwohlsein ihn plötzlich befallen. Und eine Zeitung sollte er gelesen haben … welche Zeitung?

Sinnend und überlegend war Paul mit hastigen Schritten vorwärts gegangen. Nun befand er sich wieder in der belebtesten Straße der Stadt unweit des großen Platzes, auf dem das Café Koroni lag.

Nun ging er langsamer, fast zögernd, es war ihm so seltsam zumute, als ob sein Eintritt in das in dieser Abendstunde nur von wenigen Schach- und Dominospielern besuchte Café ein für sein ganzes Leben schicksalsreicher Schritt werden könnte. Ihm war wie einem, der verbotenerweise den Schleier von einem furchtbaren Geheimnisse hinwegzuziehen gekommen ist.

Jetzt stand er vor dem ihm von Jugend an so wohlbekannten Lokale, dem besuchtesten Kaffeehause der ganzen Stadt, in das ihn Peter so oft als Lehrling geschickt hatte, wenn man sich über irgendeine Bestellung des Cafetiers nicht ganz im klaren gewesen war.

Durch die hohen Spiegelscheiben des ursprünglich als Laden mit Schaufenstern gedachten Raumes fiel blendender Glanz auf die Straße und in diesem Glanze rieselte nun ein feiner, ein melancholisch stimmender Sprühregen hernieder auf das Trottoir, das nur noch von wenigen Passanten begangen wurde.

Paul trat ein. Es war schon ziemlich lange her, daß er das letztemal in diesem Lokale gewesen. Er atmete auf. Die Büfettdame, die er von früher her kannte, saß nicht an ihrem gewohnten Platze. Die, die dort hinter dem großen Büfett hantierte und eben gerade die Zuckerschalen für die Abend- und Nachtgäste zurecht machte, war eine Fremde, die er noch niemals in seinem Leben gesehen hatte. Auch Schani, der stadtbekannte Zahlkellner des Café Koroni, war nicht anwesend. Wahrscheinlich aß er gerade zu Abend und hatte einen Kollegen, der Paul völlig fremd war, mit seiner Vertretung beauftragt. Paul verlangte eine Schale Schwarzen und die heute mittag aus München eingetroffenen Neuesten Nachrichten. Denn eine Zeitung, vielleicht diese, hatte Peter, wie ihm das Ladenfräulein deutlich erzählt hatte, in den Händen gehalten, als ihn hier im Café der unerklärliche Schlaganfall traf.

Seine Hände zitterten, als er die in einem Halter befestigte Zeitung entfaltete.

Es war doch besser, wenn er erst bezahlte, dachte er nun, wer wußte, was in diesem Blatte stand?

So winkte er den fremden Kellner an sich heran und gab ihm das Geld für die Schale Schwarzen. Und nun kam mit einem Male eine ganz wunderbare Ruhe über ihn.

Langsam und bedächtig wie ein ganz gleichgültiger Zeitungsleser begann er sich nun in den Inhalt des Blattes zu vertiefen. Er studierte die Überschriften der Artikel, und es war seltsam, wie der Sinn dieser Überschriften in seinem Gehirne haftete, indessen sein Wille und seine Leidenschaft weiter und weiter eilten, bis er endlich wie ganz selbstverständlich, als ob er gar nichts anderes erwartet hätte, auf der dritten Seite des Blattes unter der Rubrik »Alpine Zeitung« eine ganz kurze Notiz mit der Überschrift ›Tödlicher Unfall in den Bergen‹ fand. Drei, viermal las er diese wenigen Zeilen, ohne Schrecken und ohne Entsetzen, wie etwas Selbstverständliches, etwas längst Gewünschtes, dessen wirkliche Existenz er sich durch das öftere Insichaufnehmen der Tatsachen zu einer unumstößlichen Gewißheit machen wollte.

Nun wußte er den Wortlaut auswendig. Er wiederholte ihn Satz für Satz in seinem Kopfe.

Tödlicher Unfall in den Bergen. Touristen, die gestern eine Besteigung der Benediktenwand unternahmen, fanden am Fuße eines Felsabhanges die Leiche eines etwa zwanzigjährigen jungen Mannes. Offenbar handelt es sich wieder um ein Opfer des Leichtsinns, da man diese nicht ungefährliche Tour immer wieder ohne Leitung eines sachkundigen Führers unternimmt. Unseren Erkundigungen zufolge, ist der Tote der Konditorgehilfe Konrad Lenz, der seit einigen Monaten in dem Reutterschen Geschäft am Promenadeplatz in Stellung war und seit dem vorigen Sonntag vermißt wurde.

Kein Zweifel, es war Konrad, sein einstiger Freund und jetziger Nebenbuhler, den man dort in den Alpen zerschmettert und als Leiche an dem Felsenabhang gefunden hatte, das war der erste Gedanke, der wie eine Befreiung plötzlich mit ursprünglicher Gewalt über ihn kam.

Seltsam, nachdem ihm diese fürchterliche Gewißheit geworden, wurde es auf einmal wunderbar ruhig in seinem Inneren. Nur der Verstand redete zu ihm seine sonnenklare und deutliche, seine nicht mißzuverstehende Sprache. Gewissen und Gefühl schienen in dieser Stunde vollkommen ausgeschaltet.

Festen Schrittes verließ er das Café und begab sich nach Hause.

Auf der Treppe drang Agathes Stimme aus Peters Zimmer an sein Ohr:

Paul! Paul!

»Ich komme«, rief er.

In der Türe sagte sie ihm, daß der Vater vor wenigen Minuten das Bewußtsein erlangt habe. Aber er könne nicht sprechen. Auf einen Zettel habe er mit zitternden Händen geschrieben, Paul solle kommen. Er fand nicht den Mut, ihr in dieser Stunde ein Wort von Konrads Tode zu sagen.

Als die beiden an das Bett des Vaters traten, hatte sich Peter mühsam aufgerichtet. Aber auf den ersten Blick sah man es dem Kranken an, er war so schwach, daß er kaum eine Bewegung machen konnte, er war ein Sterbender.

Seine Augen leuchteten, als er Agathe an Pauls Seite erblickte. Langsam erhob er die blutleere Hand und winkte die beiden leise an sich heran.

Und als wenn es so sein müßte, knieten sie vor dem Sterbebette des Vaters nieder, um seinen Händen näher zu sein.

Und Peter erhob mit einer furchtbaren Anstrengung in der Tat diese Hände und suchte in einem seltsamen Zittern die Rechte Pauls und die Rechte Agathes, die er wie feierlich ineinander legte.

Da fühlte Paul die eiskalte Hand des Sterbenden auf seinem Haupte und Feuer der Scham gingen von dieser kalten Hand aus und ergossen sich über seinen Körper. Aber er blieb. Der feste Wille des Heuchlers zwang ihn auszuharren an dieser Stelle bis zum letztem Atemzuge dessen, der ihn hierher gerufen, um ihn, der Sprache nicht mehr mächtig, mit stummen Gebärden in seine Rechte einzusetzen. Jakob am Bette Isaaks, fuhr es durch seinen Kopf.

Esau für ein Linsengericht um seine Erstgeburt betrogen! »Und um sein Leben«, mahnten die Rachegeister in seinem Innern.

Aber er sprang nicht auf, er blieb.

Peter hatte die Hand wieder von seinem Haupte erhoben und nun suchte er mit einer letzten Anstrengung einen Gegenstand unter dem Kopfkissen. Die Krankenschwester war dem Sterbenden behilflich und holte unter dem Kissen einen kleinen Schlüssel hervor, den Peter bei Lebzeiten niemals einem Menschen anvertraut, den er niemals aus seinen Händen gegeben hatte.

Es war der Schlüssel zu einer Schublade seines Schreibtisches im Bureau, die allein von allen anderen Tag und Nacht verschlossen war. Kein Mensch, weder Tochter noch Sohn, wußte, was Peter in dieser Schublade verwahrte. Geld und Schätze konnten es nicht sein, da er in seiner steten Angst vor Dieben alles Wertvolle auf der Bank zu deponieren pflegte.

In Pauls Hände legte Peter diesen Schlüssel.

Dann ging es auf einmal wie ein Schlag durch seinen Körper. Er streckte sich und regte sich nicht mehr.


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