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In dem einsamen Pavillon auf der Insel saß Ewald in tiefes Brüten versunken. Seit zwei Tagen hatte er sich wieder dorthin zurückgezogen und konnte zu keinem Entschlusse gelangen.
Seine jahrelange Abhängigkeit von Lang, die grenzenlose Ehrfurcht, die er vor dessen Reichtum, die Angst, die er vor dessen ganzer Persönlichkeit hatte, hielten ihn vom Handeln ab.
In dem Schlosse selber fühlte er sich nicht mehr sicher. Vor einem Überfalle Irmas, vor einem Besuche der Mutter schwebte er in tödlicher Furcht. So hatte er denn gleich nach jener Auseinandersetzung mit Frau Baumann einen Gehilfen des Gärtners beauftragt, das wenige, dessen er bedurfte, auf dem kleinen Kahne nach der Insel hinüberzuschaffen, und war dann selber, sich vor aller Welt und vor den beiden Frauen zu verschließen, in den rettenden Pavillon geeilt.
Verschiedene Male in diesen beiden Tagen war er in dem heroischen Entschlusse, in die Stadt zu fahren und Lang die volle Wahrheit zu sagen, bis zu dem Parktor gelangt. Und seltsam, bei jedem Gange durch den Garten war es ihm aufgefallen, daß irgendeiner von der Dienerschaft ihm möglichst unauffällig zu folgen suchte. Hinter dem Schiebfensterchen der Portierwohnung hatte der alte Gärtner gestanden, war aber, als Ewald seine Schritte wieder in das Innere des Parkes lenkte, zurückgetreten.
Ein furchtbarer Gedanke, eine namenlose Angst, die er auch bis heute nicht wieder los geworden, hatten ihn in diesem Augenblicke einer schaudervollen Erkenntnis gepackt. Wie, wenn die Mutter, von der er ahnte, daß sie den festen Entschluß gefaßt hatte, sich in den alleinigen Besitz des Schlosses zu setzen, ihn an seiner freien Bewegung hinderte? Wenn man Mittel und Wege fand, ihn einzusperren auf dem einsamen Landsitze, ihn zu beobachten und zu verfolgen, so daß er gar nicht mehr dazu imstande war, seinen Plan auszuführen und ein offenes Wort mit dem Kommerzienrate selber zu sprechen?
Gestern glaubte er mit aller Deutlichkeit diese entsetzliche Entdeckung gemacht zu haben. Es war gegen Abend gewesen, als er den Pavillon für eine halbe Stunde verlassen, um einen Spaziergang durch den Park zu machen. Da hatten zwei Gärtner an dem Buschwerk und dem Ufergras gearbeitet. Und wie sie gesehen, daß er den Kahn anlegte, hatte der eine, ein handfester Kerl, in dem Beschneiden des Buschwerkes innegehalten und war langsam, als ob er etwas suche, die Wege gegangen, die er durch den Park einschlug.
Die ganze Nacht war kein Schlaf auf Ewalds Auge gekommen. Es war, um den Verstand zu verlieren. Was wollten diese Leute? Welchen Auftrag hatte ihnen Frau Baumann gegeben? Welche Begründung hatte sie für ihren Auftrag gefunden?
Fröstelnd saß er heute morgen an dem Feuer, das ihm der Gärtnergehilfe auf seinen Wunsch in dem hohen Kamine des Pavillons angezündet hatte, und das nun in hellen Flammen um die starken Buchenscheite züngelte. Sein Auge verfolgte die knisternde und verzehrende Glut, die kaum dazu imstande war, die Kälte dieses Märztages aus dem schlechtgebauten, die Luft des Winters noch in sich einschließenden Pavillon zu bannen.
Draußen in dem Parke begann sich schon das neue Leben der eben wieder erwachenden Natur zu regen. Die glänzende Märzsonne flutete in goldenen Strahlenbündeln über den Teich, und die Haselsträucher auf der Insel hatten schon Augen angesetzt. In dem dichten Efeugeranke, das die Säulen des Pavillons hinanwucherte, zankten sich die Spatzen, froh, den Schnee des Winters wieder einmal glücklich überstanden zu haben.
Die Gedanken an die Ereignisse der letzten Tage ließen Ewald keine Ruhe. Wie feig war er doch! Was war er für ein Schwächling! Warum hatte er nicht den Mut gefunden, sofort nach jenem Auftritte mit seiner Mutter in die Stadt zu fahren und Lang endlich einmal all das zu sagen, was er in diesen furchtbaren Monaten seiner Ehe mit sich herumgetragen hatte?
Oder aber? Warum hatte er überhaupt die Begegnung mit seiner Mutter herbeigeführt? Was wollte er von Irma, die sich sicher blindlings in den Willen ihres Vaters gefügt hatte, als sie diese Ehe mit ihm, dem mittellosen Kommis, einging? Wäre es nicht besser gewesen, gleich nach diesem Erpressungsversuche der Lorisson hinüber zu Lang zu eilen und ihm unter dem frischen Eindrucke dieses Ereignisses den Standpunkt klarzumachen?
Aber was half das alles jetzt? Er hatte es eben nicht gewagt, er war eben wieder einmal zu feige gewesen und hatte aus diesem Grunde selber der Mutter eine Handhabe gegen sich gereicht.
Nun saß er auf der Insel allein und einsam, ohne die Möglichkeit, einen Entschluß fassen zu können, während die Frauen drinnen in dem Schlosse, sein Weib und seine Mutter, ihre Ränke spannen.
Wenn er sich alles genau überlegte! Die Mutter hatte nie in ihrem Leben auch nur einen Funken Liebe für ihn gehabt. Er war das Lasttier gewesen, das Arbeitspferd, das den einmal verfahrenen Karren der Familie aus dem Kote zu ziehen bestimmt war. Nur für Rolf und dessen ehrgeizige Pläne hatte sich diese Frau erwärmt. Mit Hilde flog sie jetzt zu den Sternen einer verheißungsvollen Zukunft, seitdem das Mädchen dem reichen Seliger den Kopf verdreht hatte, und jeder Versuch seinerseits, ihre Beziehungen zu den Langschen Millionen zu lösen, würde eine energische Zurückweisung erfahren. Mit Irma hatte sie sich verbündet, auf Schloß Schönblick schaltete und waltete sie als Herrin.
War er ein Narr gewesen, daß er von dieser Frau auch nur den Schimmer eines Verständnisses für seine furchtbare Lage erwartet hatte? Würde sie nicht alles tun, tat sie nicht alles, um diese Ehe, von der der ganze Besitz, die Macht und der Reichtum abhängig waren, aufrecht zu erhalten?
Warum hatte er sich das nicht früher klargemacht? Warum war er in blinder Wut nach jener Unterredung mit der Lorisson hier hinaus auf das Schloß geeilt, um Irma zur Rede zu stellen und dieser Mutter die Sachlage klarzulegen, da er doch beide Frauen und ihr Verhältnis zueinander zur Genüge kannte? Wenn er in der ersten Stunde nicht den Mut gefunden, mit Lang zu reden, dann hätte er eben in der Stadt bleiben müssen, hätte dort den günstigen Augenblick abwarten und sich alles zurechtlegen sollen. Der Narr, der er doch war!
Und Irma? Auch sie hatte, wenn er die Sachlage ohne Leidenschaft, in kaltblütiger Ruhe mit dem kühlen Verstande betrachtete, alles Interesse daran, eine Scheidung, wie er sie herbeiführen wollte, zu verhindern. Denn wohl oder übel, der wahre Grund ihrer Heirat mit Ewald, die Tatsache ihrer Schande, würde, wenn er die Scheidung herbeiführte, in aller Munde sein, und ein gleichgültiges, ja selbst ein haßerfülltes Nebeneinanderleben war in ihrer Lage dem offenen Skandale immer noch vorzuziehen, der sie als geschiedene Frau, die einst in solcher Lage die Ehe mit einem Angestellten ihres Vaters eingegangen, samt ihrem Kinde vor aller Welt an den Pranger stellen mußte. Er war ein Narr, von diesen beiden Frauen, die täglich, stündlich Lüge auf Lüge häuften, eine auf Wahrhaftigkeit beruhende Lösung der Sachlage zu fordern.
Nur mit Lang selber konnte er reden. Freilich nur dann, wenn er alle Schiffe hinter sich verbrannte und mit der Tatsache rechnete, morgen als ein Bettler auf der Straße zu stehen. Dann konnte er ihm Mann gegen Mann entgegentreten und vorhalten: Sie haben mich in die von Ihrer Tochter gestellten Netze gelockt, Sie haben mich betrogen. Auf Lug und Trug haben Sie diese Ehe gestellt, die nun zusammenbrechen muß, Ihnen zum Leide und uns allen zum Fluche. Denn auf einer Lüge baut man das heiligste Verhältnis, das zwei Menschen miteinander eingehen können, nicht auf!
Und der konnte ihm erwidern: Warum sind Sie so töricht gewesen, in diese Netze zu gehen, junger Freund? Warum wandeln Sie, ein Narr, ein Unerfahrener, ein Tölpel, durch dieses an Ränken und Schlingen so reiche Leben? Niemand hat einen Zwang auf Sie ausgeübt. Sie selber haben sich durch Jugend, Schönheit und Reichtum verführen lassen und eigenhändig nach dem Besitze gegriffen, den Ihnen keine Macht der Welt hätte aufzwingen können, wenn es nicht Ihr freier Wille gewesen wäre! Wenn ich verschweige, was ich weiß, etwas, dessen Angabe mir nur zum Schaden gereichen kann, wer will mich darum tadeln? Nicht einmal die Gerichte zwingen mich, Aussagen zu machen, die mich selber oder eines der Meinigen belasten können, wieviel weniger Sie, dem man eine glänzende, eine fürstliche Entschädigung für eine am Ende eintretende kleine Enttäuschung geboten hat, wenn es für Sie, der nichts vom Leben und der Liebe verstand, überhaupt eine Enttäuschung war?
Nein, all dies Sinnen und Grübeln über seine entsetzliche Lage, all die Vorwürfe, die er den andern, diesen Lügnern in des Wortes furchtbarster Bedeutung, zu machen sich im Geiste bemühte, sie führten immer wieder nur zu dem einen, daß er selber in seiner Leichtgläubigkeit und in seinem Unverstande ein Narr gewesen, daß er, ein wahres Kind, das Steuer seines Lebensschiffes leichtfertig in die Hand genommen.
Und nun wunderte er sich darüber, daß seine Kräfte Winden und Wellen nicht gewachsen waren, darüber, daß er, anstatt zu lenken, von der Macht der Verhältnisse und von Menschen, die mehr Kraft als er selber besaßen, die mehr als er vom Leben verstanden, willenlos hin und her getrieben wurde!
Und dennoch! Mochte ein Teil der Schuld auf seiner Seite liegen, mochte er, ein Blinder, in das Garn gelaufen sein, das man seiner Unwissenheit gestellt hatte, das Garn mußte zerrissen, eine Änderung mußte herbeigeführt werden, und wenn er morgen ein Bettler durch die Straßen seiner Vaterstadt ging.
Die grausame Lust des Zerstörers packte ihn bei diesem Gedanken. Er, der Schloßherr von Schönblick, der Gebieter über Hunderttausende, plötzlich ein Bettler in den Straßen seiner Vaterstadt! Ja, das wollte er, das konnte er erreichen, das würde er aus sich heraus vermögen! Ein einziges Wort seines Mundes Lang gegenüber brachte ihn dazu. Und wenn er selber daran zugrunde gehen mußte, eines blieb ihm wenigstens. Die, die ihn ihr Leben lang mit Füßen getreten hatten, fielen mit ihm. Die Rache blieb sein, die heiße Rache! Irma und Lang der Schande preisgegeben, die stolzen Pläne der Mutter und Hildes zerstört. Und Rolf, der anmaßende Frechling, zurückgestoßen in das Nichts, aus dem er sich in den letzten Monaten wie ein aufgeblasener Frosch erhoben hatte!
O, auch hassen konnte er. Und der Haß würde am Ende süßer schmecken, als die ganze Demut und Zurückhaltung seines bisherigen Lebens, in dem er immer nur für andere gesorgt.
Diesen mit Schmerz und mit Ehrlosigkeit besudelten Reichtum von sich zu stoßen und sie alle mit ins Verderben zu reißen, das war doch wenigstens eine Tat, ein Zeichen männlichen Entschlusses, eher, als wenn er alles hinnahm und sich unter der Macht der Verhältnisse selber zum Narren machte.
Zum Narren!! – Er fuhr empor. War's nicht am Ende schon zu spät? Was sollte der Gärtner mit seinem Gehilfen am gestrigen Tage? Was wollte der eben, der da drüben, der wie eine Schildwache dastand und hinüber nach dem Pavillon lugte?
Erregt sprang er auf und wühlte in der Schublade des Tisches, den er sich schon vor Monaten von dem Gärtner in den Pavillon hatte stellen lassen. Nichts lag da, als die Niederschrift seiner Komposition, seiner Oper, seines Sonnenmädchens, an das er Monate kaum mehr gedacht, und zu dem ihn Martha, seine Schwester, einstmals als halben Knaben begeistert hatte.
Wehmütig betrachtete er die mit zierlichen Noten bedeckten Blätter, die wohl ewig vergeblich ihrer Vollendung harren würden. Aber das, was er suchte, fand er in der Schublade nicht. Der Revolver, mit dem er sich seiner Angreifer hätte erwehren können, der lag drinnen im Schlosse in dem Kleiderschranke, wo er ihn eingeschlossen hatte. Nichts war hier in der Schublade als ein Messer, mit dem er damals das dicke Notenpapier zerschnitten hatte.
Und doch dort! Dort in der Ecke stand ein Spaten mit schwerer eiserner Schaufel. Wenn man mit dieser Schaufel einem Menschen einen Schlag vor den Kopf versetzte, dann mochte der wohl taumelnd zur Erde sinken, und der Weg hinaus aus dem Parke, der Weg zu Lang war frei.
Er nahm den Spaten und wog ihn in der Hand. Dann stellte er ihn sorgsam, ein Lächeln der Befriedigung um den Lippen, hinter den Vorhang.
War er denn wirklich schon verrückt, mußte er in diesem Augenblicke denken. Hatte ihn das Leben in all den Monaten erst an Irmas und dann an der Mutter Seite wirklich schon verrückt gemacht? Wer war denn da? Wer verfolgte ihn denn? Wer würde es wagen, ihm den Weg zu vertreten, daß er den Spaten gegen ihn erheben und ihn niederschlagen würde, wer denn?
Und dennoch, zu seiner Beruhigung sah er noch einmal nach, ob der Spaten auch wirklich in der Ecke stand. Dann setzte er sich vor dem Tische nieder und versenkte sich in die Notenblätter, die er vorhin auf der Suche nach seinem Revolver aus der Schublade herausgekramt hatte.
Durch die Ritzen und Risse der leichten Bretter, aus denen der Pavillon erbaut war, drang die scharfe Märzluft in den hohen Raum. Ewald erhob sich und zog den an der Tür hängenden Vorhang fest zusammen, um sich durch dessen schweren wollenen Stoff vor der Kälte zu schützen. Nachdem er das Feuer in dem Kamine mit Hilfe des Blasebalges wieder angefacht und ein neues Buchenscheit in die Glut geschoben hatte, studierte er am Tische aufs neue die große Arie, die der Sehnsucht seines Sonnenmädchens nach dem Lande des Lichtes und der Freiheit Ausdruck verleihen sollte, und die Osborn damals aus musikalisch-technischen Gründen verworfen hatte.
Da vernahm er deutliche Schritte, die sich auf dem Kiesweg der Insel dem Pavillon näherten. Erschrocken fuhr er zusammen. Sollte man so weit gegangen sein? Sollte die Mutter die Häscher bis dicht vor den Eingang seiner Klause geschickt haben, um ihm jede Möglichkeit der Flucht und einer Aussprache mit dem Kommerzienrate abzuschneiden?
Gespannt lauschte sein Ohr, ob es die verdächtigen Schritte aufs neue vernähme. Sein Auge starrte nach der Ecke, wo der Spaten mit der schweren eisernen Schaufel hinter dem Fenstervorhang verborgen stand.
Und da, ihm war, als wolle das Blut in seinen Adern gerinnen, da teilte sich der Vorhang, den er eben vor der Tür des Pavillons zusammengezogen hatte, und Irma trat über die Schwelle. Als sei sie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, als könne sie gar nicht von Fleisch und Blut sein, als äffe ihn eine Halluzination seiner überreizten Sinne, starrte Ewald auf seine Frau.
Kein Wort auf den Lippen, regungslos, in all ihrer berückenden Schönheit stand Irma da, wie damals vor dem Liebestempel des hohen Tannenwaldes, auf der vollmondscheinbedeckten Wiese im Gewande der Bacchantin, aus dem die beiden vollen, runden, alabasterweißen Brüste ihm wie das fleischgewordene Symbol ihrer Verführung entgegenstiegen.
Er hielt die Hand vor die Augen. Der Anblick blendete ihn, die Gedanken an jene schmachvolle Szene vor dem Liebestempel, die ihm zum ersten Male die fürchterliche Entdeckung seines Unglücks gebracht hatte, machten ihn rasend. In dieser niederschmetternden Erinnerung faßte er sich.
»Irma,« bebten seine blaß gewordenen Lippen, »was willst du hier? Hinaus, hinaus! Wir beide, wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen.«
Aber sie ließ sich nicht irremachen. Sie hatte den festen Willen, sich den Mann, der ihre neu erwachten Lüste befriedigen sollte, in ihm zurückzuerobern, und den Mantel, den sie wie damals über dem Gewande der Bacchantin trug, von sich werfend, stand sie wieder halbnackt vor seinen Blicken, eine Dirne, ein Freudenmädchen, eine Houri, wie er in diesem Augenblicke in fürchterlicher Erkenntnis der Wahrheit sah.
Den stechenden Blick der schwarzen Augen auf ihn gerichtet, die vollen roten Lippen halbgeöffnet, den schneeweißen Körper bis zum Nabel entblößt, schritt sie langsam auf ihn zu. Schon fühlte er die warme Nähe ihres wollüstig erregten Fleisches, schon tanzte der Pavillon mit seinen Möbeln und dem fast nackten Weibe vor seinen erregten Sinnen, schon streckten sich Irmas Arme wie in wilder Gier nach ihm aus.
Wenn sie ihn jetzt anfaßte, wenn sie sich jetzt seiner bemächtigte, dann war es aus mit dem letzten Reste seiner Willenskraft, dann würde sie ihn wieder zu ihrem Sklaven machen, und er würde, nachdem er in voller Erkenntnis ihres Wesens und ihres Betruges in ihren Wunsch sinnlicher Befriedigung gewilligt, auf ewig ihr Mitschuldiger und ihr Höriger, er würde verloren sein.
An allen Gliedern zitternd, raffte er sich empor: »Hinaus, Dirne,« zischte er noch einmal, »hinaus. Wir haben nichts gemeinsam, du und ich, du, die mich schon vor der Ehe zum Hahnrei machte, die mir das Kind des verkommenen Lothar von Brandt in mein Haus gebracht.«
Da erblaßte Irma. Er wußte also alles. Mehr als Frau Baumann ihr verraten hatte, sogar den Namen ihres Verführers kannte er.
Einen Augenblick kam es ihr vor, als wollten sie in dieser Erkenntnis der Sachlage ihre Willenskraft und die Kunst ihrer Verführung im Stiche lassen. Dann aber faßte sie sich rasch und in bettelndem Tone kam es nun von ihren Lippen:
»Ich liebe dich, Ewald, komm und sei gut.«
Ein wildes höhnisches Gelächter von seiner Seite war die Antwort.
»Du suchst Stillung deiner Gier,« wetterte er. »O, du bist schön genug, so in diesem Aufzug doppelt schön. Geh so auf die Gasse, wirf dich so dem Erstbesten an den Hals. Es wird dir nicht mangeln, es wird Männer genug geben, die dir den Gefallen tun werden, aber nicht mehr ich! Hinaus.«
In seiner blinden Wut übersah er die unheimliche Flamme der Leidenschaft, die nun plötzlich, nachdem er ihr mit seinen Worten diese Schmach angetan, in ihren schwarzen Augen emporflackerte.
Sie wollte mit ihm ringen, um ihn selber. Jetzt wollte sie, die ihm alles gegeben und alles ertragen hatte, auch alles an den Kampf um seinen Besitz setzen, und ihn mit ihren nackten Armen umschlingend und würgend, zog sie ihn nieder auf das Bett, das er, sein hartes Lager, in dem Pavillon hatte aufschlagen lassen.
Doch da fühlte sie sich von seiner Hand wie in eiserner Umklammerung gepackt. Die Wut und die Verzweiflung liehen dem Schwächling in diesem entscheidenden Augenblicke zähe Kraft, und so rang er denn mit dem Weibe, das ihn völlig zu vernichten gekommen war, einen letzten Kampf.
Er hätte ihre Arme von sich abgestreift und sie nun mit einem starken Stoß zu Boden schleudernd, schrie er:
»Da, wenn du es denn nicht anders haben willst, ich schüttele dich von mir wie ein giftiges Insekt, ich zertrete dich wie eine Kreuzotter – du – du – lauf' auf die Gasse, wo du hin gehörst und suche dir einen – hinaus, hinaus.«
Aber vor seinen Augen erhob sich der blühende, fast nackte Körper des Weibes, und wie ein Dämon trat Irma nun wieder vor ihn hin:
»Wie du willst, Kampf bis aufs Messer,« wütete sie. »Ich lass' mich nicht abschütteln wie ein giftiges Insekt, ich bin keine Otter, die man mit Füßen tritt. Ich habe gefehlt, ja, ich habe dich betrogen, das Kind ist nicht das deine, es ist das Kind Lothar von Brandts, aber – wir werden sehen, wer sich hier mit Füßen treten läßt. Wir werden sehen – was willst du tun?«
»Ich werde in die Stadt fahren,« stammelte er nun. »Ich werde deinem Vater die Wahrheit sagen und die Scheidung beantragen. Wir sind geschieden, schon heute, verstehst du mich?«
Und sie, den ganzen Abgrund ihrer Schmach, das Gerede, in das sie die Leute nach dieser Scheidung bringen würden, die Wut des Vaters, vor der sie zitterte, mit einem einzigen Blicke umfassend, schrie nun in dem Bewußtsein, ihren Willen trotz allem durchsetzen zu können, mit lauter Stimme:
»Das wirst du nicht tun, und wenn du diesen Pavillon nicht lebend verlassen solltest. Auch dazu habe ich die Kraft.«
Da war sie wieder, die wahnsinnige Angst, die er vor ihr, seinem Weibe, und vor seiner Mutter hatte. Da war sie wieder. Wenn die ganze Dienerschaft des Schlosses mit den beiden Frauen im Bunde war, wenn man ihn fesseln und einsperren, ihn für immer seiner Freiheit berauben würde, um diesem Kinde seinen ehrlichen Namen, um dieser Ehe ihre ewige Gültigkeit, um seiner Familie den Besitz des Schlosses und der Langschen Millionen zu sichern?
Eine Minute verrann in tiefem Schweigen.
Schwach durfte er nicht werden, seine Schwäche ihr unter keinen Umständen zeigen. Deshalb raffte er noch einmal allen seinen Willen zusammen und schrie wie im Wahnsinn:
»Ich bin frei, Irma, ich bin der Herr meines Willens, ich kann tun und lassen, was mir beliebt.«
»Das kannst du nicht,« überschrie sie ihn nun. »Elender Schwächling, Bettler, Lump, der sich von dem Meinen mästete, das kannst du nicht, denn du bist meine Kreatur.«
Fassungslos, keines Wortes mehr mächtig, starrte er sie jetzt an.
Und sie, in dem Bewußtsein, ihn nun an tödlicher Stelle getroffen zu haben, trat mit verächtlichem Achselzucken an den Tisch heran, auf dem sie die Blätter seiner Oper schon lange bemerkt hatte.
»Was kannst du denn im Vergleich zu mir?« höhnte sie nun, »nichts kannst du, nichts. Eine Drohne bist du, ein Tagedieb, ein Faulenzer, den sich reiche Leute zum Vergnügen halten können. Oder meinst du am Ende, mit diesem Kram dein Leben fristen zu können? Pah.«
»Irma, Irma, was tust du, Erbarmen, Erbarmen,« rief er nun in wildestem Schmerze.
Und da sie bemerkte, daß sie mit roher Hand an den Nerv seiner Seele rührte, daß sie jetzt an die Lebenswurzel seines Wesens, an das Mark seiner Persönlichkeit griff, da sie fühlte, daß sie ihn jetzt in der Tat für immer verloren hatte, nahm sie, das Werk ihrer Vernichtung und Rache zu vollenden, die wenigen mit der feinen Notenschrift bedeckten Blätter und warf sie in die Glut des Kamins, in der sie in heller Flamme emporflackerten.
»Da,« rief sie, »da, so fühle die Herrin.«
Den Spaten in der Hand, stürzte Ewald bei diesen ihren Worten auf sie zu, und nun klatschten die Hiebe des rauhen Holzes auf ihren nackten Körper hernieder. Es bereitete ihm eine bestialische Freude, diesen Körper, der das Leid seiner jungen Jahre gewesen, der ihn entmannt und zum Narren gemacht hatte, mit dem dicken Stiele des Spatens blutig zu schlagen, als ob er ihn so vernichten, als ob er ihn so aus der Welt schaffen könne. Er sah nur die Striemen und Beulen auf der weißen Haut der tollen Verführerin, und achtete nicht des Blutes, das von seiner eigenen Stirn herniederträufelte, von seinen Backen und Händen, in die Irma wie eine toll gewordene Katze mit aller Kraft biß, die sie mit den spitzen Nägeln ihrer freien Hände zerkratzte und zerfleischte.
Ein dumpfes Heulen entrang sich ihrem Munde, wie das Heulen eines getretenen Hundes, und er, rasend, seiner Sinne nicht mehr mächtig, kein Mensch mehr, schlug noch immer auf sie ein.
»Ewald,« hörte er da dicht an seiner Seite schreien, »Ewald!«
Er fuhr auf. Sein Auge traf das entstellte Antlitz seiner Mutter.
Da sanken seine Arme schlaff herab und ließen das Weib, das sich nun schreiend und blutend, den flammenden Haß in den schwarzen Augen, in den Mantel hüllte.
Und er! Keines Wortes mächtig, mit bebenden Nasenflügeln, schmerzenden Armen und tiefaufatmender Brust, stand einige Minuten wie erstarrt. Dann plötzlich fühlte er sich gefaßt von vier derben Fäusten.
Er wollte sich wehren. Fruchtlos. Er wollte sprechen, es war ihm, als stäke ein Pfropfen in seiner Kehle! – Er taumelte, er sah nur blutbesudeltes, schneeweißes Fleisch vor seinen Augen. Er fuhr sich mit der Hand über die schmerzende Stirn, bemerkte Menschen, die ihn an Armen und Beinen hielten, und verlor dann das Bewußtsein.