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Es dauerte nicht lange, da waren Irma und Frau Baumann ein Herz und eine Seele. Denn Ewalds Mutter war eine kluge Frau, und als solche verstand sie es, langsam, aber sicher die Zügel der Herrschaft über Schloß Schönblick in ihre Hände zu bekommen. Sie handelte nach Irmas Willen, freilich auf ihre Art, nämlich so, daß sie die eigenen Wünsche Irma unterzuschieben verstand.
Wochen vergingen, ehe Frau Baumann wesentliche Änderungen in der Bewirtschaftung und in der Führung des Haushaltes von Schloß Schönblick eintreten ließ.
Ewald kümmerte sich um nichts. Die rücksichtslose Hand der Mutter, die sich selbst Irma gefügig zu machen wußte, lenkte eben die Zügel, und er stellte in seiner namenlosen Schwäche, in seiner völligen seelischen Gebrochenheit auch nicht den leisesten Versuch an, der sich von Tag zu Tag kräftiger entfaltenden Macht der Mutter entgegenzuarbeiten.
Ihren Weisungen folgend, fuhr er wieder an jedem Morgen in die Stadt zu Lang ins Geschäft. Dort saß er schweigsam an seinem Pulte und starrte durch die hohen Fenster des Langschen Hauses hinaus auf die Anlagen, wo der Spätherbst allmählich die Herrschaft an den Winter abtrat.
Seinen Platz im Privatkontor des Kommerzienrates hatte er während seiner wochenlangen Abwesenheit längst an Seliger abtreten müssen. Es wäre ihm auch nicht möglich gewesen, stundenlang dem Manne gegenüberzusitzen, dessen Betrug ihn, wie er nun wußte, in die lügnerische Ehe mit Irma hineingedrängt hatte.
In einem stillen Stübchen, das nur selten von einem Mitgliede des Geschäftshauses betreten wurde, saß er stundenlang allein und grübelte nach über das Glück früherer Jahre, da er hier in demselben Hause ein kaum beachteter Kommis gewesen, der sich auf den Letzten des Monats freute, an dem er sich sein karges Gehalt bei dem alten, weißbärtigen Kassierer des Kommerzienrates hatte holen dürfen.
Zuweilen dachte er auch an die Oper, an deren Vollendung er in den Stunden seiner wildesten Verzweiflung blutenden Herzens gegangen war. Die lag jetzt, sorgsam verpackt, in dem einsamen Pavillon auf der Insel des Teiches, dessen Seerosenblätter längst abgestorben waren, über dessen stille Oberfläche sich langsam eine dünne Eisschicht zu legen begann, eine harte und zähe Rinde, unter der alles Leben erstarb.
Dieser langsam in den Bann des Winters verfallende Teich! Glich er nicht dem eigenen Herzen, das nicht mehr sich zu empören und in wildem Schlage seinen Widerspruch kundzugeben vermochte, das gebrochen war in seiner besten Kraft, und das sich nun verhärtete, das fühllos und stumpf wurde, nachdem man den, der es in seiner Brust trug, mit moralischen Peitschenhieben dem unabwendbaren Schicksal gefügig gemacht hatte?
Den Teich und den Pavillon auf der Insel und das Manuskript seiner Oper sah er nicht mehr, wenn er des Abends wie zerschlagen nach Schloß Schönblick zurückkehrte.
Das tiefe Dunkel des Frühwinters lag nun schon auf dem Parke, wenn er kam, und dem Wunsche der Mutter gehorchend verbrachte er die Abende im Schlosse an Irmas Seite, schweigend und still ergeben, mit mißtrauischen Augen den Zustand seiner Frau und das Wachstum ihrer Leibesfrucht beobachtend, um deren Willen er, die Schuld eines Fremden, dessen Name er nicht einmal kannte, den er auch gar nicht wissen wollte, zu verdecken, vor Gott und den Menschen ihr Gatte geworden war.
Alles brachte Frau Baumann, wie sie Irma versprochen hatte, wieder in das Geleise, und alles, was sie wollte, setzte sie durch. Einen folgsameren Sohn und Gatten, als Ewald, hatte die Welt noch nicht gesehen. Sogar das gemeinsame Schlafzimmer und das Ehebett wurden nach Frau Baumanns Befehl von Ewald wieder aufgesucht. Hier lag er manche Nacht ruhelos an Irmas Seite, und finstere Gedanken quälten darin sein gemartertes Gehirn.
Wenn er die stillen Stunden der Nacht plötzlich zu einer furchtbaren Tat benutzte, die ihm Befreiung und Erlösung von Qual und Schmach, von Schmerzen und Schande bringen würde, dachte er dann wie oft.
Wenn sich Irma schweigend an seiner Seite niederlegte, wenn er, ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben, das Lager an ihrer Seite aufsuchte, und ihm dann die regelmäßigen Atemzüge der Ruhenden Irmas tiefen Schlaf kündeten, dann zuckte es manchmal in seinen Händen.
Wie wenn er dies Gefäß seiner Schmach und seiner Schande, seiner Qual und seiner Entwürdigung kalten Blutes zerschmetterte? Wenn er den Mut, den traurigen Mut des Mörders fände!
Nebenan in dem Ankleidezimmer in seinem Schranke lag ein Revolver. Er brauchte nur die kleine Mündung an die Schläfe der Ruhenden zu setzen und loszudrücken. Dann war es vorbei mit diesem Dämon und mit dem Kinde, das die wandelnde, lebende, mahnende und quälende Schande seines Ehebundes mit der reichen Jüdin werden sollte. Oder, wenn er den Schlüssel des Kamins zudrehte, dann schliefen sie alle drei hinüber in das Land des ewigen Vergessens, sie und er und das Kind, das noch nicht geboren war, und das dann seinen ehrlichen, mit dem Gelde des Kommerzienrates erkauften Namen niemals tragen würde.
Aber sorgsam sah er jedesmal nach, ob der Kamin auch richtig geöffnet war, jedesmal, ehe er sich zum Schlafe niederlegte, doppelt verschloß er die Tür des Schrankes, in dem er die Waffe verwahrte und ließ den Schlüssel drunten in der Schublade des im Speisesaal des Erdgeschosses stehenden Büfetts liegen, um sich der Möglichkeit zu berauben, nachts in den Besitz der Waffe zu gelangen. Denn zum Mörder fehlten ihm die Nerven und der Mut. Dazu war er viel zu feige, zu geprügelt, zu unterwürfig, seitdem er denken konnte. Aber dennoch eines Nachts packte es ihn!
Sie war früher als gewöhnlich zu Bette gegangen, da ihr das Kind in ihrem Leibe keine Ruhe ließ, und sie hoffte, den lästigen Druck im Liegen besser ertragen zu können. Als er gegen zehn Uhr das Schlafzimmer betrat, war sie eingeschlafen, das Licht im Zimmer brannte noch. Im unruhigen Schlummer hatte sie die Kissen von sich geworfen, und stieren Blickes fiel nun sein Auge auf den nackten und hochgewölbten Leib dieses Weibes, der ihm in diesem Augenblicke wie besudelt vorkam!
O, wie er sie haßte! Ihre Lippen waren halb geöffnet, langsam hob und senkte sich die straffe Brust. Und da, da bewegten sich diese Lippen und sprachen im Traume in zärtlichem Girren den Namen: »Lothar!«
Er meinte, sein Blut müsse in den Adern erstarren, eine Minute stand er fassungslos, dann zog es seine Hände wie mit dämonischer Kraft zu ihr nieder. Wie, wenn er es jetzt täte, jetzt, nachdem sie den Namen ihres Buhlen verraten hatte, wenn er jetzt mit aller Kraft mit beiden Händen diese Kehle zusammenpreßte, bis der letzte Hauch aus diesem unzüchtigen Busen entflohen war? Wenn er das Kissen nahm, das sie mit den nackten Beinen weggestoßen, und ihr dieses auf das Gesicht drückte und sich darauf setzte, bis alles still geworden, sie und das Kind jenes Lothar, dessen Name sie auf den Lippen hatte, das Kind, für das es besser war, wenn es niemals das Licht der Welt erblickte!
Ja, mit dem Kissen, da würde es ihm am leichtesten fallen, da würde er nichts sehen von ihren Todesqualen und kaum etwas hören von ihrem Geröchel.
Vielleicht konnte er es so.
Aber seine Hände zitterten, als sie das Kissen fassen wollten, die Schwäche und Angst kamen wieder über ihn, und da, da schlug sie die Augen auf. Sie erwachte und war sofort bei Besinnung.
»Lösche das Licht aus, ich kann's nicht vertragen, und geh' zu Bett, daß es Ruhe wird,« herrschte sie ihn an.
Und er deckte sie zu, ihrem Befehle gehorchend, und dann lag er stundenlang schlaf- und ruhelos an ihrer Seite und fand nicht einmal, nachdem sie längst wieder eingeschlafen war, den Mut, durch eine Bewegung ihre Ruhe zu stören. – – – – – – – – – –
Den ursprünglich gehegten Plan, Schloß Schönblick während des Winters der Verwaltung des Gärtners zu überlassen und selber in der Stadt eine elegante Wohnung zu beziehen, hatte man nach Irmas Wünschen aufgegeben. Freilich stand Frau Baumann, wie immer, so auch hier, hinter diesen Wünschen, denn sie fürchtete, daß es mit der Übersiedelung in die Stadt um ihre Herrschaft auf Schloß Schönblick geschehen sei.
Sie wußte Irma klar zu machen, daß die Ruhe des Landlebens für ihren Zustand einmal das allerbeste sei, und dann, daß die Geburt des Kindes auf dem Schlosse von keinem Menschen mit allerhand unliebsamen Bemerkungen begleitet werden könne, wie das bei einer in der Stadt erfolgenden vorzeitigen Niederkunft unzweifelhaft der Fall sein würde.
Dieser letzte Grund war für Irma ausschlaggebend gewesen. Auf Frau Baumanns Veranlassung waren Fräulein Forst, die man ja jetzt als Gesellschafterin nicht mehr brauchte, und die anmaßende Zofe Sophie kurz vor Weihnachten entlassen worden. Nur Frau Bitterlich, eine gelernte Hebamme, sollte bis nach Irmas Entbindung bleiben, vor allem schon deshalb, weil man in dem immerhin einsam gelegenen Schlosse die erfahrene Frau stets in unmittelbarer Nähe haben wollte.
Die ihr und Hilde von Ewald im Erdgeschosse des Schlosses angewiesenen Zimmer hatte Frau Baumann längst mit den bequemeren Gemächern im ersten Stockwerke vertauscht. Die Räume, die nun von ihr und Hilde benutzt wurden, stießen unmittelbar an Ewalds und Irmas Wohnung, so daß Schwiegertochter und Mutter zusammen mit Hilde einen völlig gemeinsamen Haushalt führten, in dem sich Ewald als der Geduldete vorkommen mußte.
Da er mittags in der Stadt speiste, sah er die Damen erst am Abend. Wortkarg nahm er, dem Befehle der Mutter nachgebend, in ihrem Kreise die Abendmahlzeit ein und vertiefte sich dann in die Lektüre der Zeitungen, bis sich Irma erhob und so das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch gab.
Hilde war schlau. Sie verfolgte nur den einen Plan, Seliger an sich zu fesseln, und kümmerte sich grundsätzlich nicht um die Angelegenheiten auf Schloß Schönblick, am allerwenigsten aber um die Privatverhältnisse ihres Bruders und ihrer Schwägerin. Jeden Tag erhielt sie Nachrichten aus der Stadt, jeden Tag eine andere Aufforderung von Seliger, ihm doch in irgendeinem eleganten Restaurant Gesellschaft zu leisten oder mit ihm die Oper oder das Schauspiel zu besuchen.
Aber sie blieb fest. Unter dem Schutze der Mutter führte sie auf dem weltabgeschiedenen Schlosse ein sittsames Leben, das Seliger, wie sie ganz richtig schloß, zur Verzweiflung brachte und langsam in dessen Innerem den Entschluß, um ihre Hand anzuhalten, reifen ließ.
Frau Baumann und Irma duldeten sie nur auf dem Schlosse, das fühlte sie. Aber sie mußte aushalten, wenn sie ihr hochgestecktes Ziel, die Frau Seligers zu werden, erreichen wollte, und sie hielt aus. Mit offenen Augen ging Hilde wie eine Blinde umher. Sie sah nichts, sie wollte nichts sehen, nichts von den Übergriffen ihrer Mutter, nichts von Irmas Zustand, nichts von dem Unglück des Bruders, nichts, nichts, als den einen geraden Weg, der vor ihr lag, und auf dem sie, wie sie wußte, zu ihrem Ziele, Seligers Braut zu werden, gelangen würde.
So drehte sich auch die an den langen Abenden in Hildes Gegenwart zwischen Irma und Frau Baumann gepflogene Unterhaltung lediglich um gleichgültige Dinge: Toilettenfragen, Stadtklatsch, soweit man von diesem aus den Zeitungen erfuhr, und die Haushaltung bildeten hier den Gesprächsstoff.
An all diesen wichtigen Fragen beteiligte sich Ewald nicht. Aber auch er wußte, daß die Mutter eine unumschränkte Herrschaft auf seinem Schlosse ausübte und keinen Widerspruch duldete. Außer Fräulein Forst und Sophie waren in den letzten Wochen, ohne daß er um seine Meinung gefragt worden wäre, nicht weniger als fünf Dienstboten entlassen worden, weil sie sich Frau Baumanns rücksichtslosem Wesen nicht hatten fügen wollen.
Wie die geborene Schloßherrin schaltete und waltete die arme Witwe des Gymnasialprofessors nun auf Schloß Schönblick. Die Haushaltung und die Verwaltung des Geflügelhofes, die Aufsicht über die Gärtnerei und die Stallungen, die Geldgeschäfte in Betreff der verpachteten Äcker und Wiesen, eins nach dem andern ging aus Irmas Händen, da sich Ewald um nichts kümmerte, in die ihren über, und gar bald merkte die kluge Frau, daß Schönblick an und für sich eine reichlich sprudelnde, nie versagende Geldquelle werden könne, wenn man es sachgemäß bewirtschaftete und einen möglichst hohen Gewinn aus den großen, zu dem Schlosse gehörenden Obstanlagen, Äckern, Wiesen und Wäldern schlug.
Es dauerte nicht lange, da fuhr Frau Baumann eines schönen Tages in die Stadt zu dem Kommerzienrate. Mit Hilfe des seit Jahren von Lang mit der Verwaltung des Schlosses beauftragten Gärtners hatte sie eine Aufstellung des lebenden und toten Inventars, einen Voranschlag der aus den zu Schönblick gehörigen Äckern, Wiesen und Jagden leicht zu erzielenden Pachtsummen sowie eine Kostenberechnung des jetzigen Betriebes zustande gebracht.
Sie war der Ansicht, daß eine verständige landwirtschaftliche Ausbeutung des Ganzen auch bei standesgemäßer Lebensführung der Bewohner einen ansehnlichen jährlichen Gewinn abwerfen müsse, und in ihrem Inneren reifte nun der feste Entschluß, die Verwaltung des herrlichen Langschen Besitztums an sich zu reißen.
Was Ewald, der Narr, trieb, das war ihr ja herzlich gleichgültig. Aber, daß er das schöne Geld seiner Frau mit vollen Händen unter die Leute warf, daß er sich um die Finanzen nicht im geringsten kümmerte, und daß Irma ruhig zusah und alles gehen ließ, wie es gerade ging, das konnte sie nicht ertragen.
Sie hatte an die Zukunft ihrer anderen Kinder, an ihren Liebling Rolf und an ihr Nesthäkchen, Paulchen, zu denken und konnte daher, von solchen Gesichtspunkten ausgehend, auf die verrückten Launen ihres Ältesten, der es nun einmal nicht verwinden konnte, daß Irmas erstes Kind nicht das seine war, keinerlei Rücksicht nehmen.
Wider alles Erwarten wurde sie von Lang sehr freundlich empfangen. Das Entgegenkommen des Kommerzienrates machte ihr Mut, und so faßte sie den raschen Entschluß, ein offenes Wort mit Irmas Vater zu wagen. Freilich schlau wollte das angefaßt sein, allzu viel sich vergeben, das durfte man auch nicht.
Ihre großen Pläne mit Schloß Schönblick zunächst ganz in den Hintergrund drängend, begann sie davon zu sprechen, daß sich eine leichte Verstimmung zwischen den beiden jungen Leuten aus bekannten Gründen in die Ehe Ewalds und Irmas eingeschlichen habe, und daß es ihrer mütterlichen Vermittlung gelungen sei, diese trotz aller Schwierigkeiten der obwaltenden Verhältnisse glücklich zu beseitigen. Durch ihren mondelangen, günstigen Einfluß auf das junge Paar sei alles wieder ins Geleise gebracht.
Ewald und Irma, so berichtete sie dem Kommerzienrate, seien wieder ein Herz und eine Seele. Mit aller Willenskraft habe sie selber die anfangs in ihrem eigenen Inneren bei Ewalds und Irmas Enthüllungen aufgestiegene Mißstimmung und Empörung bekämpft, und nur so sei es ihr geglückt, die dunkeln Wolken zu zerstreuen, die sich unheildrohend über Schloß Schönblick gesammelt hätten. Ewald habe die verrückte Idee, sich von der Welt abzuschließen und seine Oper auszuarbeiten, wieder aufgegeben. Er wohne und schlafe wieder mit seiner Frau zusammen, gehe, wie der Kommerzienrat ja wisse, regelmäßig in sein, Geschäft und sei allem Anschein nach zu einer vernünftigen Betrachtung der Dinge gekommen.
Aufmerksam folgte Lang Frau Baumanns Worten. Nun meinte er:
»Ach ja, meine liebe Frau Baumann, man hat seine liebe Not mit den Kindern. Jedenfalls danke ich Ihnen, daß es Ihrer mütterlichen Fürsorge gelungen ist, die beiden wieder einander näher zu bringen. Auch mir war es ein furchtbarer Gedanke, wenn mir die Zerrissenheit der Verhältnisse auf Schloß Schönblick manchmal mitten in meiner Arbeit einfiel. Und vor allem jammerte mich Irma, der ich im Leben ein besseres Los gegönnt und gewünscht hätte. Aber, wie Sie sagen, hat es ja den Anschein, als werde jetzt alles wieder gut.«
»Es wird gut, Herr Kommerzienrat,« beeilte sich Frau Baumann zu versichern, und den günstigen Augenblick, den großen Geldmann in weicher Stimmung vor sich zu haben, richtig erfassend, entnahm sie ihrer Tasche die zusammen mit dem Gärtner gemachten Aufstellungen und reichte sie Lang hin.
»Was ist das? Was wollen Sie damit, Frau Baumann?« fragte der Kommerzienrat.
»Ich habe,« erwiderte sie geschickt, »die Zeit meines Aufenthaltes auf Schloß Schönblick nicht ungenützt verstreichen lassen, Herr Kommerzienrat. Das schöne Schloß und die prächtigen zu der Besitzung gehörigen Ländereien haben es mir angetan. Es liegt ja auf der Hand, daß unter den obwaltenden Verhältnissen weder Irma noch Ewald dazu imstande waren, sich viel um ihre Besitzung zu kümmern. Und die fremden Leute, denen alles anvertraut war, sind eben immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Deshalb wollte ich Sie bitten, doch einen Blick in diese Aufstellungen zu werfen, die Sie davon überzeugen werden, daß das Schloß nicht nur ein Ruhesitz für reiche Leute, sondern, mehr als das, ein Landgut sein kann, das allein aus sich heraus seinem Besitzer ein hohes Einkommen und eine glänzende Existenz sichert.«
»Das weiß ich, liebe Frau Baumann,« antwortete Lang überlegen. »Schönblick kann bei sachgemäßer Bewirtschaftung der gegenwärtig zu dem Schlosse gehörigen Ländereien einen Reingewinn von zwanzig- bis dreißigtausend Gulden jährlich abwerfen. Aber das ist nur auf zwei Wegen möglich. Entweder muß der Schloßherr ebenso wie seine Frau für die Landwirtschaft geboren sein, oder aber ein Geschäftsmann nimmt die Sache in die Hand, parzelliert sie und schlägt Pachten aus den einzelnen Ländereien, die bislang noch nicht gezahlt worden sind. Offen gestanden, Schönblick, das mir einst zufiel, und das ich arrondiert habe, war mir bislang nichts anderes als ein Lustschloß, eine Ausgabe, die ich mir leisten konnte, ein schön gelegenes und prachtvolles Besitztum, das ich aus diesem Grunde auch Irma mit Freuden zum Hochzeitstage als Morgengabe geschenkt habe.«
Lang erhob sich jetzt und trat an das Fenster. Es hatte den Anschein, als sei hiermit seine Unterredung über das Schloß und dessen Zukunft beendet. Zum Überflusse gab er Frau Baumann die von ihr überreichten Blätter zurück und meinte:
»Was darin stehen kann, weiß ich alles, liebe Frau Baumann, aber ich bin eben kein Landwirt, und Ihr Sohn Ewald scheint mir erst recht keiner zu sein. So lange die Kinder auf dem Schlosse wohnen, ist also nichts zu wollen. Wenn sie das Landleben einmal müde geworden sind und in die Stadt ziehen werden, dann kann man ja immer daran denken, die Besitzung zu verkaufen oder zu verpachten. Fürs erste aber müssen wir uns mit dem begnügen, was die Bauern zahlen, an die die Ländereien seit Jahren abgegeben sind. Und Ihr Sohn und meine Tochter haben es ja Gott sei Dank nicht nötig, von den Einkünften aus dem Grundbesitze zu leben,« fügte er nun schmunzelnd hinzu.
»Das Gott sei Dank nicht,« gab Frau Baumann mit einem glücklichen Lächeln zurück. »Aber unsereinem tut es trotz allem leid, das schöne Geld, das sich aus dem fruchtbaren Boden schlagen ließe, keine Zinsen tragen zu sehen. Ich habe mir die Sache in den letzten Wochen hin und her überlegt, Herr Kommerzienrat. Wie wäre es, wenn Sie in mich ein wenig Vertrauen setzten und mir in der Verwaltung des Schlosses freie Hand ließen?«
Die Augen des Kommerzienrates richteten sich erstaunt auf Frau Baumann. Wo die nur hinaus wollte? dachte er. Nach einer längeren Weile des Überlegens sagte er endlich:
»Aber, was wollen Sie denn, Frau Baumann, das ist doch Ewalds und Irmas Sache. Noch eben sagte ich Ihnen, daß ich Schönblick an Irma geschenkt habe, geschenkt zu meinen Lebzeiten, verstehen Sie. Was sie also jetzt damit machen, das geht mich nicht das geringste an. Ich hoffe zwar nicht, daß Irma das Schloß ohne mich zu fragen verkaufen wird, aber welchen Gewinn meine Kinder aus ihrer Besitzung schlagen, das ist völlig ihre Sache, je mehr, desto lieber mir natürlich für sie, da ich ein alter Kaufmann bin. Aber darum, wer das Schloß verwaltet, oder an wen meine Tochter oder ihr Mann die Ländereien verpachten, das kümmert mich als Geschäftsmann so wenig wie die Bilanz von Salomon Merzberg und Co. oder die Einkünfte des Kaisers von China. Sprechen Sie mit Irma und Ewald und machen Sie da draußen, was Sie wollen. Ob Schönblick etwas abwirft oder nicht, das wird weder mich noch Irma umbringen.«
Das ließ sich Frau Baumann nicht zweimal sagen. Pochenden Herzens verließ sie das Haus des Kommerzienrates und die Stadt. Nur der eine Entschluß stand fest in ihrem Inneren, alles zu tun, um in Irmas Namen die Verwaltung des Schlosses an sich zu reißen. Habgier und Geschäftsgeist waren in ihrem Herzen erwacht. Und wenn Ewald seinen Vorteil nicht wahren wollte, dann war sie eben da, um für sich und ihre Familie das Ihre zu tun.
Wie sie da hinausfuhr nach Schloß Schönblick in den kalten Winternachmittag, da trat plötzlich die glückliche Lösung der ganzen Angelegenheit vor ihre Seele. Irma, die sich wegen ihres Zustandes um nichts kümmern konnte, mußte ihr geschäftliche Vollmacht geben. Mit Ewald, dem Narren, würde sie schon fertig werden. Der gewaltige Besitz würde in wenigen Monaten so gut wie in ihre Hände hinübergleiten, und wenn Ewald zu nichts zu gebrauchen war, dann waren ja noch Rolf und Paulchen vorhanden.
Richtig, Rolf, ihr Liebling, Kavallerieoffizier und Rittergutsbesitzer, das wäre so etwas für ihren Rolf gewesen, wenn ihr Gott der Herr ein langes Leben gab, und sie sich körperlicher und geistiger Frische erfreuen konnte, bis Rolf das Gymnasium hinter sich hatte und etliche Jahre Offizier gewesen war. Mochten Irma und Ewald immerhin auf dem Papiere die Besitzer von Schönblick sein, was lag daran, wenn sie die Nutznießung des Ganzen in ihre Hände bekommen konnte? Ewald kam bei seinem Seelenzustande gar nicht mehr in Frage, und Irma war bislang Wachs in ihrer Hand, sie würde es auch fürderhin sein, dafür wollte sie schon sorgen.
Den einzigen, den sie bislang gefürchtet hatte, den alten Lang, den hatte sie ja jetzt, wie sie meinte, auf ihrer Seite. Heute hatte sie sich ihm zur Mitschuldigen gemacht, da sie wie er diese auf einer frechen Lüge aufgebaute Ehe unter allen Umständen aufrecht zu erhalten entschlossen war.
Und das Kind? Das ungeborene Kind, das dereinst nach Recht und Gesetz der Besitzer von Schloß Schönblick sein würde? Einen Augenblick war es ihr, als könne sie dies Kind, dem sie und ihre Familie im Grunde genommen doch alles Glück und allen Reichtum verdankten, hassen, dieses ungeborene Wesen, das ihr schon im Mutterleibe gierig die Hände nach einem Besitze auszustrecken schien, den sie für sich und die Ihren, für Rolf in erster Linie, an sich zu bringen entschlossen war.
Aber dann lächelte sie selber wieder über ihre voreilige Angst. Was war dies Kind – der Bankert, wie sie es selbst im stillen verächtlich nannte, dem der Esel von Ewald den ehrlichen Namen Baumann gab, ohne sich allein in den Besitz des Kaufpreises zu setzen – was war dieses Kind? Noch wußte man nicht, ob es am Leben bleiben, ob es ein Knabe oder ein Mädchen sein würde. Was war es bis jetzt, ein Nichts, ein Phantom!!
Jahre würden dahingehen, ehe sich dieses Kind in den Besitz von Schloß Schönblick und von dessen Einkünften würde setzen können, Jahre, in denen sie Irma völlig in ihrer Hand halten wollte. Bis dahin war viel Zeit gewonnen, und jedes Jahr bedeutete in diesem Falle für ihre Begriffe eine Unsumme Geldes.
Bis dahin würde die schlaue Hilde längst mit Seliger, dem dereinstigen Geschäftsnachfolger Langs, verheiratet sein, bis dahin würde Rolf fest im Sattel sitzen als Verwalter, sie konnte ruhig sagen, als Besitzer des Schlosses. Und das Kind würde zu spät kommen, um den Rahm abzuschöpfen, an dem sich schon andere, da dieses Kind noch nicht sprechen und noch nicht wollen gekonnt, ihr Gütchen getan. Nein, das Kind war zunächst kein Hindernis, das sollte Irma nur ruhig zur Welt bringen, da es nichts als die erste Staffel zu dem Glücke und dem Reichtum der Familie war!
Es waren stolze Pläne, die sie da hatte, und sie würde diese Pläne mit Gottes Hilfe zur Ausführung bringen. Dies war ihr fester Entschluß, als sie, von dem Besuche in der Stadt zurückkehrend, wie eine Fürstin von den beiden Schimmeln gezogen, durch das hohe Portal von Schloß Schönblick fuhr.