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Obwohl in Bad Aibling heuer die Gemahlin des französischen Gesandten und in Bad Rosenheim der Vertreter des Königs von Württemberg Herberge genommen, so rechnen diese Anstalten doch hauptsächlich auf die bürgerlichen Landeskinder. An ihren Mittagstischen erschallen die reinsten Klänge der ehrwürdigen bayrischen Mundart von München, Moosburg, Landshut und Ingolstadt, wie sie schon in der Schlacht bei Gamelsdorf gesprochen wurde. Die »Neuesten Nachrichten« aus der Hauptstadt, mit ihren Todesfällen, Anstellungen, Beförderungen usw., beherrschen das Gespräch. Man kritisiert hier lieber das Rindfleisch und den Kartoffelsalat, als die neuen Leistungen in der bayrischen Geschichte. Die Preise sind billig, das Essen vaterländisch.
Das deutlichste Streben nach bürgerlicher Eleganz scheint Herr Beutling zu Aibling an den Tag zu legen, welcher Unterstützung verdient, da er das Anwesen vor kurzem sehr hoch übernommen. Dort ist auch, nebenbei gesagt, ein »Hotel Duschel« erstanden, gewiß ein sehr reinliches und freundliches Wirtshaus, aber wozu denn diese moderne französische Etikette in dem uralten, altbayrischen Aibling, wo sich selbst die Würdenträger durch die Einfachheit ihrer Manieren auszeichnen? Warum gibt man denn jetzt überhaupt in unserem Deutschland die poetischen alten Wappentiere, den goldenen Löwen, den schwarzen Adler, den roten Ochsen usw., warum gibt man diese Schilder, die durch Jahrhunderte unwandelbar hergehalten, hochmütig auf und beschert uns dafür die höchst uninteressanten Namen glücklicher Wirtssöhne oder spekulativer Oberkellner? Warum müssen wir nunmehr die Hotels Bauer, Müller, Fischer, Mayer, Maulik unserem Gedächtnis einprägen, um oft in wenigen Jahren zu erfahren, daß an die Stelle des ersten Niemand schon wieder ein zweiter oder dritter getreten? Fudge! O kehret doch, ihr ehrgeizigen Leute mit der Serviette unter dem Arm, o kehret lieber zu unseren historischen Bestien zurück, die uns viel kongenialer sind als eure eingebildete Wichtigkeit!
Wie niedlich und schön es am Miesenbach ist, will ich eigentlich gar nicht näher ausführen. Die schnöde Welt weiß noch lange nicht, wo dieser Bach sein Rinnsal hat, und ich mag's auch heute nicht verraten. Es ist immerhin ein Wunsch des zarten Gemüts, daß noch ein grüner Winkel gedacht werden könne, wo sie nicht alle hinlaufen mit Plaid und Krinoline, sondern nur diejenigen, »die noch etwas haben, was die andern nicht verstehen«. Bei dem Schweigen, das ich mir auferlegt, will ich auch nicht veröffentlichen, wie sich die stille, kleine Herberge im Wiesengrund nennt, wo man mit wackerem Abendimbiß, Trunk und trefflichem Lager noch um vierzig Kreuzer über Nacht bleiben kann.
»Frau Wirtin«, sagte ich andern Morgens, »ihr habt die himmlische Gabe der Billigkeit, und bei euch ist alles proper und reinlich. Ihr solltet hier noch einen Gaden anbauen lassen mit fünfundzwanzig Gemächern, auf daß die Fremden kämen und ihr ein schönes Geld löstet.«
»Ach, mein lieber Herr«, entgegnete die Wirtin, viel stoischer als ich, »was kümmert uns dieses lästige Landfahrervolk, das in der tiefen Nacht daherkommt, nach dem Bartscherer verlangt und seinen Tee haben will und ein Moorschlammbad, und um drei Uhr in der Früh seine frischgebratenen Hühner, und zu allen unrechten Zeiten das Unrechte, und nur Zuckerwasser trinkt, beständig spöttelt, und dann doch um alles knickt und schachert!«
In diesen Worten liegt die Stärke und die Schwäche des oberbayrischen Wirtshauswesens. Wer die Landessitte einhält und nur das Herkömmliche zu den herkömmlichen Zeiten begehrt, ist gern gesehen und meistens befriedigend verpflegt, – wer den Gastgeber und seine Gattin aus der Ordnung bringt und belästigt, den vermißt man gerne und wenn er noch so gut bezahlt. »Wenn er noch so gut bezahlt« – ist aber fast ein ironischer Beisatz, denn die Erfahrung lehrt, daß gerade nordische Geheimräte, pommersche Dichterinnen, Abkömmlinge alter Raubritter aus der Mark und anderes ungefüges Volk oft eben so groß in seinen Prätensionen, als verschwindend klein in seiner Erkenntlichkeit ist. In diesem Betreff ist mir auch aus der Umgebung von Tölz mancherlei Material angemeldet, was ich seinerzeit schon verarbeiten will. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß sich unter den Fremdlingen aus Norddeutschland nicht auch sehr liebenswürdige Leute und Familien befinden, eine Anerkennung, welche in diesem Buche immer als stillschweigend wiederholt zu gelten hat, wenn wir uns hin und wieder über unsere Gäste eine gutmütige Heiterkeit erlauben. Unsere Absicht ist niemals, sie zu verletzen, sondern nur, ihnen mit Sanftmut zu zeigen, daß sie ebensogut ihre Schwächen haben wie wir.
Darf der wahre Freund des Vaterlandes, umgeben von der großartigen Alpennatur, zwischen Staufen und Untersberg auch an guten Kaffee denken? Fräulein Julie Dungern hat's gewagt – und ihre vielleicht zu wenig beachteten Erfahrungen im Frankfurter Konversationsblatt niedergelegt. Diese freimütige Passagierin also fand den Kaffee in den Sommerlokalen an den schönen Ufern der Salzach dazumal »sehr schlecht«. Ob er seitdem besser geworden, habe ich nicht untersucht, da ich in diesem Punkt eine Vorsicht beobachte, welche fast eines höheren Zweckes würdig wäre. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, daß auch das Nationalgetränk etwas mißlich schmeckt. Glücklich der Mann, der hier wieder in sein Säuglingsalter zurückkehren kann, um sich mit Milch und Zuckerwasser zu nähren. Über letzteres habe ich nie eine Klage gehört, aber über den Wein in der Gmain ließe sich schon etwas Unangenehmes vorbringen. Die Gmain, welche zwar nahe, aber schon auf kaiserlichem Boden gelegen, ist ein hübsches, zu den Füßen der alten Burg der Plaien hingebautes Dörfchen, welches die Badegäste, da kaum eine andere Wahl, fast täglich besuchen, um sich dabei zu überzeugen, welch' unüberwindliche Heiterkeit den Anwohnern des Untersberges zuteil geworden ist, da sie selbst bei so saurem Nektar noch so fröhlich sein können. Sonst sind gegen den Karlstein zu noch zwei Wirtschaften vorhanden, welche aber mehr für süddeutsche Fuhrleute, als für norddeutsche Kurgäste eingerichtet sind. Schnazelreut liegt schon etwas ferne und würde erst bequem zu erreichen sein, wenn einmal ein Verbindungssträßchen nach Jettenberg angelegt wäre. Aber wie z. B. ein gesulzter Schweinskopf oder anderes vornehmes und berühmtes Gericht auf der Tafel des Reichen nicht allein serviert wird, sondern in Gesellschaft von allerlei Brühen, Gemüsen, Salaten und anderen Leckerbissen, also soll auch ein solcher vornehmer Bade- und weit berühmter Kurort nicht allein sein und für sich, sondern umgeben von einem munteren Häuflein unferner Neben- und Hilfsorte, die sich gefällig zur Auswahl bieten, wenn der liebe Gast ein Frühstück auf dem Lande, ein Mittagessen im Freien, eine Tasse Kaffee unter der Linde oder den Abendtrunk in milder Waldluft genießen will.
An empfehlenswerten Örtlichkeiten, auf welche die Kultur sich werfen könnte, ist auch kein Mangel. Namentlich das stille Non, das stille, alte römische Non, nicht weit entlegen, angenehm zu erreichen, durch Straßenlärmen nie gestört, mit schönster Aussicht begabt – dieses wäre sehr geeignet für ein niedliches Haus im Alpenstil mit Veranda und Lauben, mit zierlichem Gärtlein und kleinem Springquell, mit gutem Keller, duftendem Kaffee und saftigen Beefsteaken. Indessen – bis der Anlagebetrieb der Reichenhaller sich zu solchen Unternehmungen aufschwingt, werden wohl noch ein paar Frühlinge ungenützt verstreichen. Um aber den Nöten einstweilen möglichst abzuhelfen und mehrere Labestellen zu schaffen, hat man, natürlich unter Widerspruch der Wirte auf sieben Stunden in der Runde, etliche Forstleute und Bauern angereizt, sich im Fach der Hospitalität zu versuchen. Diese Dilettanten erstreben ihr schönes Ziel mit gutem Willen, aber mit großer Nonchalance. Julie Dungern schildert schon die Bewegung, die beim Molkenbauer entstand, als sie eines Abends frische Eier oder Kartoffel mit Butter verlangte. Die Eier und die Butter waren nämlich eben »ausgegangen«.
Dieses »Ausgehen« ist überhaupt der böse Geist, der selbst die besten unserer Landwirtshäuser, ja auch die guten in den Städten jahraus jahrein beunruhigt und quält. Man trifft kaum eines, wo nicht jeweils einer der gewöhnlichsten Artikeln fehlte. Bald ist der Wein, der Zucker, Kaffee, Käse, Butter, Essig, Öl, Senf, Pfeffer, Eier, Kartoffel, ja selbst das Weißbrot »ausgegangen«. Daß aber eine Sache, von der man täglich nimmt, am Ende ausgehen müsse, ist ein Lehrsatz, wichtig genug, um auf den landwirtschaftlichen Schulen auch dem kommenden Geschlechte schon eingepflanzt zu werden, wenn möglich mit dem Beisatz, daß man vor dem Ausgehen noch für einigen Nachschub sorgen solle.
Nebenbei kann man auch erwähnen, daß von den Badegästen eine Abgabe erhoben wird, aus welcher die Umgebung verschönert werden soll, und beträgt die zusammengelegte Summe jetzt wohl über dreitausend Gulden. Die Vorschläge, wie das Geld zweckmäßig zu verwenden, sind schon vor zwei oder drei Jahren nach München abgegangen, aber es fehlt immer noch der Auftrag, sie auszuführen. Mit täglich wachsender Spannung betrachtet man jeden Postillon, der von Teisendorf hereinfährt, ob er ihn vielleicht mitbringe, aber er kommt nicht. Während nun die Einheimischen mit loyaler Ergebung harren, beginnen die Ausländischen schon zu murren und sich um die richtige Verwendung ihrer Beisteuer zu sorgen, was die Stimmung trübt und den Erfolg der Kur leicht beeinträchtigen kann, denn, wie es auf dem Badehause zu Rosenheim zu lesen ist: Qui curat, non curatur.
Ein ganz neues Ereignis ist es aber, daß das Klaftnersche Bräuhaus sich jetzt einen glänzenden Titel beigelegt hat, nämlich »Zum russischen Hof«. Ich weiß nicht, ob ich wirklich nur so grämlich bin, wenn mir diese Errungenschaft auch wieder nicht behagt? Ich möchte aber lieber etwas Eigentümliches, Bergartiges, Alpenhaftes, nicht eine so auffallende Erinnerung an die teuren Hotels in Frankfurt, Mainz oder Köln. Warum also nicht »Zum grünen Panthertier«, dem alten Wappen der Burg zu Karlstein und der Stadt zu Reichenhall? »Zum goldenen Gams- oder Steinbock«? Warum »Zum russischen Hof«? Jedermann meint, das müsse etwas bedeuten – aber was? Soll es nur eine Schmeichelei oder Unterwürfigkeit gegen russische Gäste sein, die vielleicht in ihrem Hofe lieber einkehren werden als in einem andern? Aber warum dieser Bückling vor den Russen, während uns doch die norddeutschen Brüder, namentlich die ständig kommenden Berliner, viel näher liegen und daher wohl Anspruch hätten, daß man durch einen »Preußischen Hof« der gesetzlichen Sehnsucht nach ihrer angestammten Dynastie ein Opfer brächte. Oder soll durch jene Widmung etwa den Ideen des Fortschritts gehuldigt werden, insofern, als diese jetzt in Rußland einen großen Aufschwung zu nehmen scheinen? Dann war es sehr leicht, auf heimischem Boden zu bleiben, und man durfte nur sagen »Zum jetzigen Ministerium«, »Zur neuen Gerichtsorganisation«, »Zum aufgehobenen Lotto« und dergleichen. Wollte man aber irgend eine geheime Bosheit auslassen, eine Ironie andeuten, so konnte man im deutschen Vaterlande auch wieder ganz passende Firmen finden: »Zum Bundestag«, »Zur deutschen Eintracht«, »Zu den kurhessischen Zuständen« usw.