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Mit seinen Originalverlagen hat der am 16. März 1888 in München gestorbene Ludwig Steub wenig Glück gehabt. Daher steht es seinem nachgeborenen Verleger an zu erklären, was er sich von einer Steub-Renaissance verspricht. Der Leser könnte sonst argwöhnen, es handle sich um eine lokalhistorische Ausgrabung, um retrospektive Altertümelei, um mit Steub zu reden, verlegt aus der Verlegenheit um unsre deutsche Gegenwart.
Der Gemeinde der Steubverehrer braucht man nicht zu sagen, was sie an dem Liebhaberschriftsteller Steub Köstliches hat. Aber diese Gemeinde ist klein. Aus ihren Kreisen ist zwar öfters der Versuch gewagt worden, Steub marktfähig zu machen, so vor allem durch Josef Hofmiller (»Das Schönste von Steub« bei Georg Müller). Gelegentlich taucht eine seiner Naturschilderungen, seiner Novellen oder Kulturbilder in Sammelbänden, Zeitschriften oder Einzelausgaben auf, und in der und jener Literaturgeschichte wird seiner mit einem Satze gedacht. Zu einer rechten Einbürgerung bei der Leserschaft haben diese Versuche nicht geführt.
Das rührt vielleicht daher, daß Steub, als Erzähler oder als Kulturhistoriker für sich vorgestellt, selten völlig überzeugt. Wenn auch sein Freund Felix Dahn die autobiographischen Kindheitskapitel des Romans »Deutsche Träume« zu dem allerschönsten zählt, was wir auf diesem Gebiete besitzen, so offenbart sich der ganze Reiz der Steubschen Schreibart doch erst in der Verflechtung epischer, stilistischer und kulturhistorischer Elemente. Deshalb hat Steub in der Kunstform von Wanderbildern sein Bestes gegeben. Der Verlag stellt ihn zunächst mit bayrischen Skizzen dieser Art vor.
Unter Steubs zwei Dutzend Büchern sind die »Drei Sommer in Tirol« (Erstauflage München 1846) am bekanntesten. Sie haben diesem Band die Titelanregung und ihre beiden Anreisekapitel geliefert. Die übrigen Stücke sind den »Wanderungen im bayrischen Gebirge« (München 1862) entnommen und mit Ausschnitten aus den beiden anderen Hochlandbüchern (1850/62) und den bayrischen Kulturbildern (1869) durchsetzt. Die Rechtschreibung ist modernisiert; manche altertümliche Formen sind kolorithalber geschont. Über Leben und Werke hat Steub in der diesem Band ungekürzt beigegebenen Selbstdarstellung so reizend und dabei so ausreichend berichtet, daß wir uns biographisch-bibliographisches Wichtigtun schenken können.
Was wir uns aber nicht schenken können, ist der Hinweis, daß es Steub nicht nur versteht, uns mit Humor und den »Hausmittelchen der Phantasie« zu laben, sondern daß er uns unmerklich zu Selbstkritik und Selbstbehauptung anleitet. Es ist zwar unsteubisch, den Leser mit der Nase darauf zu stoßen, was ihn in dieser Beziehung erwartet. Der Verlag betrachtet es indessen als seine Pflicht anzudeuten, warum er unter so vielen Manuskripten, die seit Jahren auf das Erscheinen warten müssen, gerade den alten Steub mit an die Spitze stellt.
Uns Bayern wird so gerne der Vorwurf gemacht, daß wir uns in Eigenbrötelei gefallen und das deutsche Erbübel, die blinde Obrigkeitshörigkeit wie den Mangel an politischem Verantwortungsbewußtsein, geradezu kultivieren. Das sieht dann so aus, als wäre jeder Urbayer für ein Denken und Handeln in Völkergemeinschaften, geschweige denn in Menschheitszusammenhängen, verloren.
Steub war ein Urbayer. Dennoch haben ihn seine Heimatbegeisterung, sein Amtseifer, seine Vorliebe für die »Felsenkeller der Erinnerungen« nicht gehindert, sondern vielmehr veranlaßt, gegen Engstirnigkeit, Denkträgheit, Rückständigkeit, gegen die »angestammte Beamtenrüpelei« wie gegen den »Rosenfinger der Obrigkeit«, anzugehen. »Bei uns auf dem Lande«, stichelt er, »braucht man glücklicherweise so wenig zu denken – etliche Priester und Beamte besorgen dies aus Gefälligkeit für alle –, daß man zuletzt selbst die Gewohnheit ablegt.« Wir dürfen uns vor aller Welt auf Steub berufen und können viel von ihm lernen.
Die Heimat ist ihm allerdings das erste Anliegen. »Das Aufblühen von Shanghai scheint jetzt manchem wichtiger, als das Gedeihen von Seeshaupt«, macht er sich 1857 lustig. Er will zuerst bei sich zuhause mit »Bänken, die zu schmal, Türen, die zu nieder, und Betten, die zu kurz sind« aufgeräumt wissen. Ist das nicht eben der richtige Weg? Er reist viel, er treibt neben den alten acht moderne Sprachen, aber er bekämpft die Ausländerei. »Warum ›Zum russischen Hof‹?« schilt er vor einem neumodischen Gasthaus. »Jedermann meint, das müsse etwas bedeuten – aber was? Soll es nur eine Schmeichelei gegen russische Gäste sein, die vielleicht in ihrem Hofe lieber einkehren werden als in einem andern? Aber warum dieser Bückling, während uns die norddeutschen Brüder, namentlich die ständig kommenden Berliner, viel näher liegen und daher wohl Anspruch hätten, daß man durch einen ›Preußischen Hof‹ der gesetzlichen Sehnsucht nach ihrer angestammten Dynastie ein Opfer brächte. Oder soll durch jene Widmung etwa den Ideen des Fortschritts gehuldigt werden, insofern, als diese jetzt in Rußland einen großen Aufschwung zu nehmen scheinen? Dann war es sehr leicht, auf heimischem Boden zu bleiben, und man durfte nur sagen ›Zum jetzigen Ministerium‹, ›Zur neuen Gerichtsorganisation‹ . . . und dergleichen.«
Ich hoffe, man hat den Ausdruck »norddeutsche Brüder« gebührend vermerkt. Er ist keineswegs ironisch gemeint, was die bemerkenswerte Stelle beweist, wo Steub, nachdem er in Tegernsee lauter urbayrischen Bekannten begegnet, in das Stoßgebet ausbricht: »Ach, du lieber Gott, nur ein norddeutsches Gesicht!« Das berühmt-berüchtigte Problem Nord und Süd findet bei Steub folgende Erklärung. »Die Erfahrung lehrt«, schreibt er, »daß nordische Geheimräte, pommersche Dichterinnen, Abkömmlinge alter Raubritter aus der Mark und anderes ungefüges Volk oft ebenso groß in seinen Prätensionen, als verschwindend klein in seiner Erkenntlichkeit ist. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß sich unter den Fremdlingen aus Norddeutschland nicht auch sehr liebenswürdige Leute und Familien befinden, eine Anerkennung, welche in diesem Buche immer als stillschweigend wiederholt zu gelten hat, wenn wir uns hin und wieder über unsere Gäste eine gutmütige Heiterkeit erlauben. Unsere Absicht ist nie, sie zu verletzen, sondern nur, ihnen mit Sanftmut zu zeigen, daß sie ebensogut ihre Schwächen haben wie wir.«
Nicht zu verletzen, sondern auf dem Umwege des Humors zu beeindrucken, das ist Steubsche Art. So spürt man hinter jedem Vorwurf, wie gut er gemeint ist, und wie vertraut mit der tiefen Berechtigung gewisser Stammeseigentümlichkeiten. »Ihr müßt entschiedener, rascher, prompter werden!« ermahnt er einen Einheimischen. »Ja natürlich«, läßt er den Landmann antworten, »die Promptheit hat schon manchen auf die Gant (Versteigerung) gebracht.«
Mit Vorliebe bedient er sich dieses Kunstmittels der indirekten Aussage. So läßt er eine Wirtin zum Thema Krieg folgendermaßen das Wort nehmen:
»Wenn diese zwei Kaiser (gemeint sind Kaiser Ferdinand I. von Österreich und König Karl Albert von Sardinien), etwas miteinander haben, so sollen sie es selbst ausmachen, zu zweien mit dem Schlagring oder mit dem Messer, oder wie sie wollen –, aber daß wir unsere Kinder hergeben sollen . . . das ist doch ein Unsinn! Haben immer gesagt, die Menschen sind schon gescheiter und schießen nicht mehr aufeinander – aber jetzt sieht ein Blinder, sie sind noch so dumm wie vor und eh'! So sprach die Wirtin«, fährt der hinter der Wirtin steckende Steub mit Unschuldsmiene fort, »ohne zu ahnen, daß gerade der italienische Feldzug die Kriegswissenschaft mit einer Menge nützlicher Erfahrungen bereicherte, welche in sämtlichen deutschen Armeen die großartigsten Verbesserungen nach sich ziehen müssen, und daß wir uns nur freuen dürfen, wenn unseren Taktikern und Strategen wieder einige neue Ideen zugeführt werden, die das nächstemal zur Zerstörung des Menschengeschlechts pflichtgemäß verwendet werden können.«
In solch lockerer, humoriger Art plädiert Steub unentwegt für freie Menschlichkeit, »die in konstitutionellen Staaten doch auch ein bißchen Achtung verdiente. – Bei den Regierungssystemen deutscher Staatsmänner sieht man wie bei den Eisenbahnlinien frühestens zehn Jahre zu spät, daß sie ganz falsch angelegt worden. – Man kritisiert bei uns lieber das Rindfleisch und den Kartoffelsalat, als die neuesten Leistungen der Geschichte. – Nach unseren jetzigen Begriffen vom Vaterland müssen die Schulkinder diesseits des Inns jene Siegestage bejubeln, welche die Schuljugend auf der anderen Seite beweint. – Die eigentliche Freiheit muß durch Ausdauer, Mut und Geisteskraft errungen werden.«
Wie richtig! ist man versucht, an den Rand zu schreiben. Ich besitze in meiner Steub-Sammlung einige Werke in ehemaligen Leihbibliotheksexemplaren, in denen mit derlei Anstreichungen und Bemerkungen sonst nicht gegeizt wird. Solche Stellen aber, wie sie uns heute so besonderen Eindruck machen, scheinen gar nicht verstanden worden zu sein. Deshalb seien sie vorsorglich hier angestrichen, womit nicht gesagt sein soll, daß Steub nicht vor allem eine Künstlernatur gewesen sei, was den landesüblichen Nachteil für ihn hatte, mit seinen Maximen nicht voll genommen zu werden. »Sonst könnte sich's treffen«, scherzt er darüber, »daß am Ende ein Dichter in der allgemeinen Achtung noch über den Braumeister zu stehen käme, was kulturhistorisch sehr merkwürdig wäre und eine neue Ära bezeichnen dürfte.«