Ludwig Steub
Sommer in Oberbayern
Ludwig Steub

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Das Familienwappen

Von Ruhpolding auf die Reichenhaller Straße herüber führt ein Weg durch das schäferliche Tal, »am Froschsee«. Daß unsere Voreltern auf Eigennamen der Orte so wenig Wert gelegt und wahre Kleinodien der Landschaft so ordinär, so unpoetisch, so bauernmäßig benamset haben! Warum heißt's da nicht wenigstens am Elfensee, am Nixenteich? Die Griechen nannten ihre Bäche Ilissus, Cephissus, Eurotas – wir heißen sie Entenbach, Kälbelbach, Kuhbach –, ihre Berge hießen die Hellenen Hymettos, Parnassos, Helikon – wir nennen die unseren Krottenkopf, Katzenkopf, Saurüssel –, welch letzterer sich gar nicht weit von Ruhpolding befindet. Freilich, so tröstet uns die Philologie, wer weiß denn eigentlich, wie jene hellenischen Namen zu erklären sind? Und bei dem jetzigen Stand unserer Wissenschaft muß jeder zugeben, daß Parnassos ebenso leicht Saurüssel bedeuten kann als Dichterberg.

Das Tal, welches der Froschsee ziert, ist südlich durch wildes Felsengeschröfe des Rauschenbergs, nördlich durch mildere Waldhöhen eingegrenzt, und seine Wiesen sind durch Laubholz angenehm unterbrochen. Die gute und schöne Gelegenheit des Ortes hat schon den Ahnen in grauester Vorzeit dermaßen eingeleuchtet, daß sie hier einen Hof an den anderen bauten, während doch von Ruhpolding nach Reit im Winkel auf dem vier Stunden langen ebenen Weg nur Almenhütten und Köhlerhäuschen zu treffen sind. Unter jenen Niederlassungen sollen einst auch sieben rittermäßige Ansitze gewesen sein. Einer davon, am Hallweg, hat sich auch noch bis auf den heutigen Tag einen gewissen, obwohl blassen Glanz erhalten, indem er über seinem Portal ein Wappenschild (wenn ich richtig blasoniere, im roten Feld einen weißen, mit drei roten Rosen gezierten Sparren) zeigt. Darüber steht zu lesen: »Steinbacher'sches Familienwappen«.

Da man sich bei einem Wappen immerhin eine gewisse Vornehmheit denken zu müssen glaubt, so war ich überrascht, als sich die Edelfrau in ihrem Abendnegligé zu nähern begann, so schlicht und einfach wie nur irgend eine Bäuerin am idyllischen Froschsee. Auch in ihren Zügen lag nichts mehr von der alten Ritterschaft, sondern eher die Spur angreifender Feldarbeit und häuslicher Mühsal. Sie sagte, sie sei die letzte der Steinbacher von der einen Linie, die Erbtochter des Hofes gewesen, und habe das Gut vor so und soviel Jahren ihrem jetzigen Mann angeheiratet. Da das Tal so einsam ist und der innere Sinn wohl wenig zerstreut wird, so dachte ich wahrhaft in einen Ameisenhaufen von alten Familienüberlieferungen stechen zu können.

Aber unser Bauernvolk schaut immer dermaßen in die Zukunft, daß ihm die Vergangenheit ganz gleichgültig ist. Das geborene Fräulein von Steinbach zu Hallweg am Froschsee wußte daher nicht mehr von ihrem Geschlecht, als daß es aus – Sachsen stamme. Vor zehn Jahren etwa seien auch zwei Zigeunerinnen des Wegs gekommen und hätten sogleich und unaufgefordert die Bemerkung abgegeben, daß das Wappen, welches sie wohl erkannten, ihnen schon in jenem Lande vorgekommen. Dies ist alles, was aus der vielleicht sehr reichen Geschichte des Geschlechts noch hängen geblieben.

Auf die Frage, ob kein Stammbaum oder Wappenbrief vorhanden, meinten Mann und Frau, ein solcher sei allerdings noch da und befinde sich halbvergessen in der »guten Kammer«. Wir gingen hinauf und nahmen eine alte Schachtel vor, in der sich aber zuerst nur Wallfahrtsbildchen, Steuerzettel und ähnliche Schriftstücke zeigten. Endlich machte sich auch ein Pergamentblatt bemerkbar und die Bäuerin sagte fröhlich: »Jetzo kommt er!« Als wir aber das Pergament entfaltet und wahrgenommen hatten, daß es weder Stammbaum noch Wappenbrief, sondern eine Urkunde über Ablösung von Grundlasten aus der Zeit des alten Königs Max sei, sprach die Bäuerin achselzuckend: »Dann ist er halt fort! Wer weiß, wer ihn hat! Und was tut's auch? Wenn wir nicht selbst unsere Wiesen hätten und unsere Felder und fleißig darauf arbeiteten, von Wappenbrief oder Stammbaum könnten wir doch nicht leben!«

Gleichwohl gab ich ihnen den Rat, sie sollten die Ehre ihres Geschlechts tunlichst zu erhalten suchen, und da es gar nicht unmöglich, daß einer ihres Hauses einst einen Ungläubigen erlegt, so dürften sie immerhin auf dasselbe von einem der Jünger des großen Cornelius ein historisches Freskobild malen lassen, wie Parzival von Steinbach in der Hunnenschlacht auf dem Lechfelde einem türkischen Pascha den Kopf zerspaltete. Und als die Bäuerin zweifelnd sagte: »Wenn das aber nicht wahr ist?« tröstete ich sie mit der Bemerkung, daß man, was Verdienste und Taten der edlen Geschlechter betreffe, ohnehin auf Genauigkeit keine großen Ansprüche mache.

 


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