Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

87 Schnaebele.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir bitten Sie, Ihr Interesse schleunig der Angelegenheit zuzuwenden, welche seit länger als eine Woche Europa beschäftigt: der Affaire Schnaebele. Sie haben völlig freie Hand, aus derselben zu machen, was Ihnen gut dünkt, denn wir haben bisher nur die Mittheilungen veröffentlicht, welche allen Blättern zu Gebote standen, ohne uns mit Blicken in die Zukunft irgendwie zu engagiren. Da Sie, wie wir schon Ihren nicht seltenen Ersuchen um Vorschuß entnehmen zu dürfen glauben, nicht an der Börse spekuliren, so werden Sie umsoweniger Veranlassung haben, nach alter Gewohnheit aus den vorliegenden Thatsachen einen Krieg zu formuliren, aber wir glauben doch, daß sich trotzdem aus der Affaire 88 allerlei Sensationelles herausschlagen läßt. Ihre journalistische Fixigkeit wird Ihnen besser als wir sagen können, was zu machen sein wird, und wir erwarten daher umgehend einen ausführlichen Schnaebele-Artikel.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 4. Mai 1887.

Fehlte mir nicht die Stufe, auf der Wilhelm Tell stand, so würde ich mich auf eine und dieselbe mit ihm stellen, denn, wie er, lebte ich still und friedlich und mein Geschoß war auf des Knaben Apfel nur gerichtet, da hat mich Ihr geschätzter Brief aus meiner Ruhe herausgerissen. Gestern sind es drei Tage gewesen, daß der wundervolle Monat mit all' seinen lieblichen Maidingern eingezogen war. Die Maikäfer stehen in voller Blüthe, der Waldmeister ward zum herrlichen Arbeitgeber für Alle, welche Bowlen ansetzen, die Mücken tanzen wie die Kinder Israels um den goldenen Sonnenstrahl, hier und da legt schon ein Schmetterling die Puppe bei Seite und wiegt sich in holden Träumen, und überall reiben sich die Blumen den langen Winterschlaf aus den Kelchen. In 89 demselben Augenblick aber, wo ich die Berufssorgen von den Schuhen schütteln und mich aus dem Druck von Giebeln und Kriegsberichten an den Busen der Natur flüchten will, naht Ihre Aufforderung, mein procul negotiis aufzugeben und mich wie Prometheus wieder an die täglich nachwachsende Leber der Arbeit zu schmieden.

O über diese Politik! Sie gleicht jenem bekannten Beutelthier des Zoologischen Gartens, welches mich stets an das Lied im Don Juan »Känguruh bei Tag und Nacht« erinnert. Die Politik ist nichts anders, als eine Hydra mit hundert Zankäpfeln. Kaum glaubt man, dieselben seien verzehrt, so wachsen sie auch schon wieder scheffelweise nach. Eben sind die Schneebälle geschmolzen, da taucht Schnaebele auf.

So will ich mich denn wieder an die Arbeit begeben. Es geht mir gegen den Strich, den ich am liebsten über die ganze Geschichte machte. Denn ich halte diese für einen Berg, aus dem sich keine Maus gestalten wird. Es ist ein Eintagsfloh, der es nie zum Elephanten bringt. Als ich die erste Nachricht bekam, sah ich es ihr sofort an, daß hier kein casus Schnaebelli zu erwarten sein wird. Glaubten Sie wirklich, daß das deutsche Reich Lust verspürte, wegen eines Polizeibeamten Frankreich zum Zweikampf hinterladen zu wollen? Nach solcher Speckseite sie zu werfen, war denn doch die Wurst zu unbedeutend. Oder nahmen Sie an, Frankreich dächte im Ernst daran, den Herrn Schnaebele zu einem Mars aufzubauschen? Das wäre – verzeihen Sie das harte 90 Wort! – komisch. Die ganze Affaire wurde von Anfang an auf keiner Seite seriös aufgefaßt. Deutschland nahm den Herrn Schnaebele gefangen, aber schickte ihn nicht nach Wilhelmshöhe, daran konnte man deutlich sehen, daß das Reich in keinem Falle die, in welche der Polizeimann gegangen war, als einen Janustempel ansah, dessen Pforten geöffnet werden mußten. Die Verhaftung war auf einem Sande erfolgt, in dem die ganze Geschichte allmählich verlaufen wird. Es mögen ja in Frankreich manche Revancheschreier gehofft haben, der schwarze Punkt am politischen Horizont falle in's Pulverfaß, aber das ist auch Alles. Thatsächlich hat einmal ein blinder Lärm auch nicht ein einziges Körnchen gefunden.

Immerhin sende ich Ihnen einen Schnaebele-Artikel, um Ihnen zu zeigen, daß ich mit Vergnügen bereit bin, Ihr Möglichstes zu thun. Dafür bitte ich Sie, denn die Hand des Einen wäscht ja immer die Hand des Anderen, um den Gegendienst, mir zu sagen, wo ich ein noch nicht sehr abgetriebenes Velociped kaufen kann. Denn in bewegten Zeiten ist Eile vonnöthen, und ich beabsichtige in Ihrem Interesse, mir die neuesten Nachrichten jetzt stets vom Bahnhof, wo das Kreisblatt gehalten wird, per velocipedes apostolorum zu holen. Ihrer Auskunft fügen Sie gefälligst einen Vorschuß von 60 Mark zum Ankauf des Bi- oder Vehikels an, damit ich gleich Radunterricht nehmen kann.

* * *

91 Paris, den 30. April 1887.

W. Gestern langte ich hier an und nahm Wohnung im Hôtel de la Revanche in der Rue Boulanger.

Die Franzosen sind wie die Kinder, sie sind dieselben Allons-Enfants aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Welch ein Geschrei in den Straßen! »Schnaebelé encore au Numéro Sûr!« Petit bec tombé dans le piège! »Schnaebelé trahi et vendu!« »La Chute du Rhin de Monsieur Schnaebelé!« &c. &c.. Dazwischen der alte Ruf: à Berlin! Man muß sich die Ohren zuhalten, damit sie nicht zerrissen werden.

Charakteristisch für die Franzosen ist es, daß sie gar nicht untersuchen, ob Schnaebele's Kragen, bei dem man ihn nahm, nicht am Ende doch eine selbstgegrabene Grube sei, oder ob Deutschland sich etwa über und übereilt habe. Ihnen genügt es, das Zeug zu haben, an dem sie dem Nachbar etwas flicken können. Wenn man ihnen sagt, Schnaebele büße für seine eigene Unmutter der Weisheit (imprévoyance), er hätte bei der zwischen den beiden Nachbarvölkern herrschenden Spannung doppelt Acht (seize) geben sollen, Deutschlands Geduld sei so gerissen wie der Reichskanzler, und schließlich sei Deutschlands Nase kein Vulkan, auf dem Frankreich ununterbrochen tanzen könne, kurz, wenn man vernünftig mit ihnen spricht, so predigt man tauben Ohren (oreilles des pigeons), und man kann seinem Schöpfer 92 danken, wenn man mit blauer Haut davonkommt. Wie ein Stier, dem man ein rothes Schwert in die Brust stößt, stürzt sich der Pariser auf Jeden, der ihm sagt, daß Schnaebele's Haft weder märchen-, noch schauderhaft sei, sondern daß das Loch, in das er gesteckt wurde, kein anderes als das sei, welches die Pauke endlich bekommen habe, nachdem Deutschlands Langmuth (courange long) schließlich das gesuchte Ende gefunden. Man will davon nichts hören.

Im Grunde des Herzens ist den Franzosen der Herr Schnaebele ziemlich mouchure (Schnuppe), und unter anderen Umständen würde wahrscheinlich jeder Hahn, der jetzt danach kräht, den ganzen Vorfall mit Stillschweigen übergangen haben. Aber jetzt gerade sind die Franzosen sehr nervös, ich möchte diesen Zustand nervosges nennen. Allmählich sind sie zu der Ueberzeugung gekommen, daß sie Elsaß und Lothringen an's Bein, das sie Deutschland stellen möchten, binden müssen. Dazu kommt, daß das ganze monarchische Europa auf der Pariser Ausstellung nur mit dem Rücken, den es ihr dreht, vertreten sein wird, daß ferner Déroulède entmuthigt wie Cincinnatus hinter dem Fluch hergeht, den er auf sein Vaterland geschleudert hat, und das schließlich Boulanger sich sagte, daß es gefährlich sei, den Leu zu wecken, besonders wenn der Leu, um den es sich hier handle, gewöhnlich früher als er (Boulanger) aufstehe. Das Alles wiegt die Franzosen in eine krankhafte Außersicherheit.

Was aber haben sie erreicht? Wahrlich, aus diesem Nichts 93 hätte so gut wie aus dem alten die Welt gemacht werden können. Sie wollten auf dem Wege des Schnaebello gallico das Elsaß zurückerobern. Statt dessen ist »Lohengrin«, den sie hören sollten, aufgeschoben, so daß nicht einmal Elsa's Stimme zu ihnen dringen wird. So haben sie nicht Ein-, sondern Zweibuße erleiden müssen.

Spotten wir also nicht, haben wir Mitleid. Denn die Weinkarte steht einem doch näher als das Lachen, wenn man ein Volk sieht, daß absolut eine neue Niederlage erleben will, und es kommt nicht dazu.

* * *

Telegramm.

Der Polizeicommissar Schnaebele ist entkerkert und aus Metz über Ars, Novéant und Pagny hier angekommen. Schon auf dem hiesigen Bahnhof wurde er versetzt. Ob er wieder eingelöst wird, das weiß Niemand. Damit ist jedenfalls der Vorwand gefallen, durch welche die Franzosen mit dem Kopf wollten, und die Energie, mit welcher Deutschland vorging, wird sie wohl veranlassen, künftig nicht wieder den Teufel an die Wand zu zeichnen oder gar zu malen. Sie sind auch schon, wenn nicht klein- so doch nicht mehr so großlaut wie früher, und bald wird es heißen: Schnaebele's Arrest ist Schweigen.


 << zurück weiter >>