Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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74 Die Weltlage.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sehen ja ein, daß wir bei dem empfindlichen Mangel an irgend einem nennenswerthen Kriege gezwungen sind, auf Berichte aus Ihrer werthen Feder zu verzichten. Nun aber, wo wir ein neues Jahr betreten, möchten wir doch trotzdem unseren Lesern den Genuß verschaffen, von Ihnen wieder etwas zu lesen. Wenn Sie uns also nicht mit einer Schlacht unterstützen können, so bitten wir Sie, sich in irgend einer anderen Weise vernehmen zu lassen. Sie würden uns dadurch einen ungemein großen Gefallen in einem Augenblick erweisen, wo von vielen Seiten bei uns angefragt wird, warum Sie so hartnäckig schweigen.

75 Wir überlassen Ihnen die Wahl des Stoffes, senden Ihnen einen herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr und erwarten Ihr Manuscript.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 5. Januar 1887.

Wie war meine Wenig- oder Nichtskeit froh, als ich längere Zeit, soweit mein inneres Auge reichte, keine Haare erblickte, in denen sich zwei Völker lagen, und die Streitaxt gestorben und begraben wußte! Freilich wußte ich auch, daß damit der Zaun, von dem jeden Augenblick ein Streit gebrochen werden konnte, nicht aus der Welt geschafft war, und daß der nächste Tag den Mars, der scheinbar in den Armen des tiefsten Morpheus lag, wieder aufschrecken und in den sauren Erisapfel zu beißen zwingen konnte. Denn so lange die Welt sich nach der Pfeife der Diplomaten dreht, wird auch dann und wann ein Volk das andere in die Kriegstrompete stoßen. Aber ich hatte doch Ruhe und schlürfte die Bärenhaut in vollen Zügen. Als sich vor einigen Wochen die schwarzen Punkte, gewissermaßen die Wintersprossen des politischen 76 Horizonts, wieder glätteten, da hätte ich, ohne Rücksicht darauf, ob die Purzelbäume vielleicht Schonzeit haben, ein ganzes Gehölz von Purzelbäumen schießen mögen, so sehr freute ich mich. Jetzt, sagte ich zu mir, kannst Du die kommenden Festtage ein Kind sein wie Maria Stuart und wirst nicht gezwungen, wogende Saatfelder mit Pferdehufen zu zerstampfen und ganze Reihen blühender Jünglinge mit der Federsense niederzumähen. Und am Weihnachtsabend hätte ich mich sehen mögen, wie ich, in meine Jugendzeit zurückgeträumt, die an den Tannenzweigen keimenden Kerzen anzündete und mir dann jauchzend alle die kleinen Wünsche erfüllte, welche ich im Busen großgenährt hatte. Praktische Dinge fürwahr: ein Rasirmesser für Austern, ein Hausmützchen für meinen Pfeifenkopf, eine Stahlkette für die Bieruhr, ein Schwimmhosenstrecker, etliche Krücken für Fliegenstöcke, ein Vergrößerungsglas für seine Liqueure, ein schwerer Hausschlüssel zum Oeffnen von Hummerscheeren, ein Strumpf für mein Falzbein und ähnliche Etceteras. Ich war selig.

Dann kam der Sylvesterabend. Ich ging drunter und drüber und haute über jede Schnur, deren ich habhaft werden konnte, natürlich Alles mit Maaß, welches ich mir nie nehmen lasse. Ich war allein mit einer Flasche Arrak und braute mir einen Punsch, der so stark war, daß er mir mit Leichtigkeit zu Kopf stieg. Ich stieß mit mir an, trank auf mein Wohl und machte so lange die Nagelprobe, bis ich es konnte, so daß ich kaum noch im stande war, mich 77 auf den Stuhlbeinen zu halten. Da schlug es Mitternacht, und nun entrang sich meiner Brust ein weithin lallendes »Prost Neujahr!« Erst spät suchte ich mein dem Tisch gegenüberstehendes Lager auf, das ich denn auch nach kaum einer viertel Stunde gefunden hatte, worauf ich bis in den hellen Hahnenschrei hineinschlief. Als ich erwachte, lag Ihr geschätzter Brief da. Die Buchstaben, wahre Balllettern, tanzten mir vor den Augen, doch ich begriff bald, daß mein Schweigen allerdings etwas zu lange gedauert hatte, und daß es Zeit sei, es – verzeihen Sie das harte Wort! – zu brechen. Das geschieht denn durch die einliegende Weltlage. Da es mir an irgend einem plausiblen Kriege fehlt, so will ich mich einmal über die Zukunft im Allgemeinen aussprechen und zwar absolut beruhigend. Ich habe gewissermaßen die Friedenstaube auf die Palme gestülpt.

Ich habe unter dem Weihnachtsbaum ein Dreimarkstück als Gabe für den Geldbriefboten liegen. Kommt er, so gebe ich es ihm. Machen Sie ihm doch dies Vergnügen, indem Sie mir einen Vorschuß von 53 Mark schicken, er ist in der That ein tüchtiger Beamter, Gatte, Vater, Sohn, Schwiegersohn und Bürger. Da sind drei Mark doch wirklich nicht zu viel.

* * *

Bernau, Anfang Januar 1887.

W. Aus dem Zahn der Zeit stieg ein neues Jahr empor, zu Betrachtungen einladend. Entgegen aber dem 78 pessimistischen und so wenig versüßenden Achselzucker schwarzer Seher ist unser Herz bis zum Rande voll schöner Hoffnung.

In den letzten Monaten des in den Neptun der Ewigkeit versunkenen Jahres hatte Europa mit einem Fuß im Mars gestanden und schwebte in Gefahr, in ein wohlassortirtes Kriegslager verwandelt zu werden. Der Thron Bulgariens konnte jeden Moment einen Eristhron bilden, und schon flammte das Licht der Welt auf, welches die orientalische Frage wieder zu erblicken sich anschickte. In Rußland wurde dem Selbstherrscher aller thönernen Füße von einer Partei, welcher wahrlich das Knie nicht fehlte, um über dasselbe den Frieden zu brechen, fortwährend das Leder unterbreitet. von dem er ziehen sollte, und Frankreich streckte sich schon nach der einen Decke, unter welcher es mit Rußland spielen wollte. Die Folgen waren der Zukunft an den Augen nicht abzusehen. Der Vulkan, auf dem Europa tanzte, war nahe daran, zu einem Jammerthal zu werden, denn Europa starrte in Waffen, und ein Gewehr brauchte nur zu repetiren, und das Blutbad floß in Strömen. Deutschland, so hieß es überall, wolle um jeden coûte qu'il coûte den Krieg und warte nur auf das günstigste Zeug, um Rußland und Frankreich etwas an ihm zu flicken. Moltke habe in seinem Januskopf schon die beiden Kriege fertig. Diese Behauptung war natürlich wieder eine jener Seifenblasen, bei denen man erst, wenn man ihnen näher auf den Zahn fühlt, merkt, auf wie schwachen Füßen sie stehen. Denn Deutschland ist ein Land des Friedens. Und 79 wären noch mehr Wässerchen in der Welt, als thatsächlich existiren, Deutschland würde keines trüben, und es fällt ihm nicht ein, zu krümmen, was ein Härchen werden will. Freilich, aller guten Schritte, die man ihm vom Leibe bleiben muß, sind drei.

Aber diese Erwägung war es nicht allein, welche die Schwerter so ungezogen wie verhätschelte Kinder sein ließ. Die Staaten sehen auch ein, daß wie bei einer Lotterie die Trommel, welche zum Streit ruft, nicht lauter Gewinne enthält. Paris wurde durch das hohe Pferd, auf dem es saß, daran erinnert, was es gegessen hatte, als es belagert war. St. Petersburg dachte mit ähnlichen Gefühlen daran, daß es in einer gleichen Lage doch nicht genug Caviar für's Volk vorräthig haben könnte, um länger als Paris widerstehen zu können. Und dann – ein Krieg kostet nicht nur Geld, sondern er verzehrt es auch, und wenn schließlich im Staatsschatz manches goldene Kalb klimpert, an goldenen Ochsen fehlt es doch eigentlich überall. So entschloß man sich denn klugerweise, das neue Jahr mit der Absicht zu betreten, Mars einen guten Mann sein zu lassen und den Chauvinisten den Mund zu halten.

Das ist in diesem Augenblick die Weltlage. Ich will zum Heil Europas annehmen, daß ich den Nagel, an den die Großmächte den Krieg gehängt haben, auf den Kopf traf.


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