Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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67 Der Kaiser in Hamburg.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir vertrauen Ihrer oft erprobten Liebenswürdigkeit, wenn wir Sie bitten, uns auch einen Bericht über den Tag des Zollanschlusses Hamburgs zu schreiben. Was wir bis jetzt berichtet haben, war doch nur das mit der Scheere Erreichbare, es wäre uns aber angenehmer, den Lesern einige Details von unserem eigenen Correspondenten vorlegen zu können. Wir haben sie nach dieser Richtung leider verwöhnt.

Ihre Absicht, uns Schilderungen der Kämpfe in den deutschen Kolonien gegen die Eingeborenen zu verfassen, bitten wir noch nicht zur Ausführung zu bringen. Der Entwurf, den Sie uns senden, ist uns zu kühn. Sie müssen Ihre Phantasie 68 doch etwas einschränken. Bedenken Sie doch, daß Sie in Afrika eine deutsche Armee operiren lassen. Eine solche existirt ja nur in Ihrer Einbildung. Sie scheinen aber in Wirklichkeit anzunehmen, daß sich die Leser von Ihnen einreden lassen werden, Deutschland unterhielte an der afrikanischen Küste eine große Armee. Das geht uns doch etwas zu weit.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 9. November 1888.

Es ist ja durchaus richtig, daß in Afrika keine deutsche Armee steht, deren Mores die Schwarzen gelehrt werden könnte. Das aber scheint mir doch kein Grund für Sie zu sein, mir meinen deutsch-afrikanischen Feldzug mir nichts Ihnen nichts in Ihrem Papierkorb zu Wasser zu machen. Uebersehen Sie denn ganz das Häuschen, aus welchem die öffentliche Meinung wegen der Nachrichten aus Afrika ist? Mit Entrüstung erfährt Deutschland, was in Afrika nach wie vorgeht: einige entlaubte Negerstämme, welche in der Bildung etwa so weit sind, daß man Afrika Oktava nennen 69 könnte, zeigen den deutschen Colonien die Zähne, welche ja allerdings sehr schön sind, und gefährden Leben und Eigenthum der Deutschen, die ihr ödes Land veredeln. Keine Post ohne Hiob. Da warten doch die Leser mit Ungeduld auf die Mittheilung, daß die Schwarzen, die uns naturgemäß so wenig grün sind, von unserer Heeresmacht zu einigen Paaren getrieben werden und es ihnen nicht nochmals einfallen kann, die Probe jemals wieder so hart zu machen, daß sie unsere Geduld darauf stellen können. Diesen Trost hat den Lesern mein Bericht bereitet: ich habe die schlupfwinkligen Negerdörfer, deren Bewohner unsere Faktoreien beunruhigen, stürmen und in Sack und Asche legen und die Neger zwingen lassen, sich die Hinterbeine aus dem Kopf zu schlagen, die Anführer aber habe ich anstatt in den Rücken in die Hände unserer Truppen fallen und ihnen eine gehörige Strafe diktiren lassen, die sie denn auch als ernste Warnung nachgeschrieben haben. Der Artikel hätte – verzeihen Sie das harte Wort! – gewirkt, und Sie sehen wohl ein, daß Sie, indem Sie ihn ablehnten, einen Bock zu Boden gestreckt haben, und daß es vernünftiger gewesen wäre, denselben am Leben zu lassen.

Heute sende ich Ihnen den gewünschten Artikel aus Hamburg.

Hier wollte ich abbrechen, als mir einfiel, daß Sie ein Feind von Ueberraschungen sind. Eine solche aber wäre es, wenn ich meinen Brief schlösse, ohne Ihnen gesagt zu haben, 70 daß ich einen Vorschuß brauche. Lediglich also der Rücksicht auf Ihre Nerven haben Sie es zu danken, wenn ich Sie um die Zusendung von 50 Mark bitte. Oder sagen Sie 60, da ich ein Freund von runden Summen bin.

* * *

Hamburg, den 29. Oktober 1888.

W. Seit das schöne Hamburg denken kann, seit der grauen Hansazeit, ist es eine freie Stadt, in der niemals auch nur der kleinste Fürst geruhte. Nie hat hier ein Schloß gestanden, und stets ging den Bewohnern ein Thronhimmel über ihren Horizont. Hamburg war und ist eine Republik, von Bürgern regiert, an deren Spitze der Oberbürgermeister steht, der, wenn er Wir sagt, ganz gewiß von sich und seiner Gattin spricht und es dann auch nicht mit großem W schreibt. Selbst ein Adel existirt in Hamburg nicht, niemals hat hier ein Kind mit blauem Blut das Licht der Welt erblickt, und wenn dies dennoch vorkam, so konnte dies doch nur auf der Durchreise einer adligen Dame geschehen sein. Aus einer so hoffreien Stadt braucht daher kaum besonders betont zu werden, daß die Ankunft des Kaisers von Deutschland für die Bewohner der Hammonia ein Ereigniß von unbeschreiblich froher Bedeutung war. Hamburg schmückte sich wie eine Braut, nie hat man eine Stadt in einem größeren Staat gesehen. Wer die wunderbare Quadratur des Alstercirkels kennt, der 71 wird es sich auch erklärt haben, weshalb Neptun mit drei Zacken dargestellt wird: er hat sich eben in dem Anblick seines lieblichsten Sitzes so berauscht. Diese unvergleichliche Alster nun, die Jungfernstiege und alle anderen Straßen, welche der Kaiser passiren sollte, überstrahlten alle Schatten, in die bisher die besuchten Städte einander zu stellen gesucht hatten. Die bunt bewimpelten Schiffe auf der Alster waren in Blumenböte umgewandelt, die Häuser steckten bis an den Kellerhals in Teppichen, Guirlanden und Fahnen. Die glitzernden Wogen der Alster und das der Menschen vollendeten das Bild einer glücklichen Stadt, deren große Bevölkerung noch von den Eisenbahnschienen vergrößert wurde, die von allen Blättern der Windrose eine kolossale Masse von Fremden herbeiführten.

Da schlug es vom nahen Petrithurm Mittag, und in demselben Augenblick fuhr der Kaiserzug am Pavillon auf der Lombardsbrücke vor, welche die Trennung zwischen den Flußbetten der besseren Alsterhälfte und dem Binnenalsterbassin bildet. Der Kaiser schritt auf den Oberbürgermeister Versmann und den Bürgermeister Petersen zu und schüttelte Beiden herzlich die Hand. Aus dem Zuge schwieg dann Moltke, dem Graf Bismarck und der Chef des Civilkabinets von Lucanus folgten, doch überglänzte der Reichskanzler durch seine Abwesenheit das Gefolge. Hierauf wurde der hohe Gast zum Frühstück geführt. Man weiß vielleicht, was in Hamburg ein Frühstück heißt. Wenn Lucull um 75 vor unserer Zeitrechnung bei Lucull speiste, so war das ein Verhungern mit Hindernissen, ein Lucullus a non lucendo im Vergleich mit dem, was Hamburg auf diesem Gebiete leistet. Wie in Europa die Pforte, so ist der Pforte in Hamburg eine Großmacht. Hier ist immer Breithans Koch, und wenn man sich hier zu Tisch setzt, so läuft einem nicht das Wasser im Munde zusammen, sondern der köstlichste Wein. Man kann sich denken, wie bei diesem Frühstück der Steinbutt und die Mocturtletaube in Strömen floß und der edelste Wilhelmj in den goldenen Gläsern perlte.

Als das Frühstück den Weg alles Fleisches gegangen war, bestieg der Kaiser die Barkasse und fuhr nach dem neuen Jungfernstieg. Der tausendköpfige Jubel, der diese kurze Fahrt begleitete, das Schauspiel, welches sich hier den entzückten Augen bot, – nur eine Feder, die zugleich der Pinsel eines Raphael und der Meißel eines Milos ist, vermöchte das alles niederzuschreiben. Nach der Landung erfolgte die Fahrt durch die Stadt nach dem Festplatz, woselbst der Schlußstein des Zollanschlusses in seinem grünen Syenit des Mörtels harrte. Die Straßen bis dahin überjubelten einander. Aus allen Fenstern, von allen Dächern donnerten die wehenden Tücher der hurrahrufenden Bevölkerung, die auch, Kopf an Kopf zusammengepreßt, in den Straßen derart Spalier bildete, daß der Apfel, der zur Erde wollte, sehr weit vom Stamme fallen mußte.

Nach der Ceremonie des Schlußsteins erfolgte die Ueberfahrt auf dem Zollkanal und der Elbe. Auch jetzt mußte 73 sich die Beschreibung den Spott des Jubels gefallen lassen.

Im Hause des Fräulein Jenisch rastete der Kaiser eine Stunde. Eine solche Ehre war diesem Hause wahrlich nicht an seinem Grundstein vorgesungen worden.

Im Makartsaal der Kunsthalle fand das Festmahl statt. Hier hängt das berühmte Bild, welches den Einzug Kaiser Karls darstellt, auf welchem die weiblichen Figuren bekanntlich nichts tragen als das künstlerische Gepräge des Meisters.

Das Gedränge in den Straßen bis zum Bahnhof war mittlerweile so groß geworden, daß der Wagen, in welchem der Kaiser die Stadt verließ, kaum ein Rad zu rühren vermochte. Die Illumination hatte begonnen. Es war so taghell erleuchtet, daß man keine Nacht vor Augen sehen konnte. Flammen aus Bengalen brachen hervor, Leuchtkugeln prasselten, Raketen zischten, – noch einmal dankte der Kaiser den Vertretern der Stadt, und dann brauste das Dampfroß schnaubend mit dem Kaiserzug in die Nacht hinaus nach Friedrichsruh.

Eines der schönsten Blätter der Chronik der stolzen Hansastadt Hamburg war vorüber.


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