Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 6
Julius Stettenheim

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54 VII.

Neapel, den 20. Oktober 1888.

W.Unser geschätzter Korrespondent sendet uns mit dem Schluß seines Berichts als eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in Rom und Neapel zwei Portraits, von denen das eine ihn als Römer, das zweite als Neapolitaner darstellt. Wir glauben, daß dieselben unseren Lesern nicht uninteressant sein werden, und fügen sie daher in getreuer Nachbildung diesem Artikel an.

Die Redaktion der Deutschen Wespen.

Ich habe Ihnen bereits geschrieben, daß das Gespräch zwischen dem deutschen Kaiser und dem Papst unter den sieben Siegeln der Verschwiegenheit gepflogen worden ist. Doch – keine Wände ohne Ohren. Der Kaiser versuchte eifrig, dem heiligen Vater Näheres über Wohlbefinden und Wetter zu entlocken, umsonst, der Papst wich ihm aus, indem er fortwährend von der Wiederherstellung des Kirchenstaats sprach. So verließ denn der kaiserliche Herr den Papalast wieder, ohne den Zweck seines Besuches erreicht zu haben.

Das Forum wurde abgesagt. Wie gerne hätte ich während der Illumination die Feuerräder über mich 55 hinwegrollen lassen und in den Trümmerresten einige Horen verträumt! Aber Jupiter in seinem unerforschlichen Pluvius hatte es anders beschlossen, indem aus dessen nie versiegendem Naßhorn ein Platz zu regnen begann, der alles bis jetzt dagewesene überfluthete. Die ältesten Römer erinnerten sich nicht, jemals bis auf die Haut nasser geworden zu sein. So endeten denn die so schön begonnenen Tage Roms damit, daß, soweit die Post nubila reichte, kein Phoebus sich blicken ließ.

Ich eilte nach Neapel.

Den Empfang, den unser Kaiser hier gefunden hat, könnte in seiner ganzen Schönheit nur ein Soldat beschreiben, der während seiner Dienstzeit viel schildern mußte. In Neapel kannte die Freude über den Besuch noch weniger Grenzen als in Rom. Napoli steht der Politik ganz fern, obschon ihm in seinem Namen nur ein tik fehlt, um ihr nah zu sein, aber um so liebenswürdiger ist die Bevölkerung. Die Stumme von Portici mag graciös, der Kaufmann und der Mohr von Venedig ehrenwerth, die beiden Veroneser lustig, die Braut von Messina poetisch sein, bezwingend liebenswürdig ist allein der Neapolitaner, und das ist um so höher anzuschlagen, als doch nicht zu vergessen ist, daß die Stadt fortwährend in Gefahr schwebt, unter dem Krater des ihr gegenüber so harmlos rauchenden Vesuv begraben zu werden. Neapel ist trotzdem von Morgens bis Abends auf den Beinen seiner Bewohner, die Häuser scheinen die Last der Flaggen und Teppiche kaum tragen zu können, und die Straßen sind von den ausgestreuten Töchtern der Flora bedeckt. Wie eine Stecknadel suche ich nach einem Augenblick, der diesem zu vergleichen wäre.

Dazu der Reiz und das Originelle der Umgebung! Ich habe selbstredend den Ausflug nach Pompeji mitgeflogen. Welche Schwesterstädte des Alterthums können sich rühmen, auch nur annähernd so verschüttet zu sein wie Pompeji und Herculanum! (Eigentlich ist hier auch Stabiä zu nennen, doch wird diese Stadt meist todtgeschwiegen.) Am nächsten 24. August werden diese Städte ihren 1809. Todestag feiern, und noch immer sehen sie sich besucht, bewundert, ausgegraben, obschon noch viele Theile derselben in der kühlen Lava ruhen, und noch immer sind Dio Cassius und Plinius Secundus, welche den Aschenregen mitgemacht und beschrieben haben, in keiner Leihbibliothek zu haben, weil sie nie zu Hause sind. Das Schauspiel ist auch heute noch, wo kein Tropfen Asche mehr fällt, bezaubernd. Als der deutsche Kaiser und der italienische König mit ihrem Gefolge anlangten, war es, als blühe neues Leben aus den Ruinen. Fiorelli und Ruggieri übernahmen die Führung durch die Asche, und Pompeji schien nun »Ut mine Lavastromtid« vorzutragen. In der Viasecunda-Straße wurde ausgegraben. Da öffneten sich den vielen Münzen, Schalen und andern Bronzegegenständen die Arme Morpheus, in denen sie etwas länger als 1808 Jahre geruht hatten. Wie der Vesuv, so rauchten auch die hohen 59 Herrschaften ganz gemüthlich. Crispi und Graf Bismarck saßen auf Stühlen nebeneinander und schlossen die Freundschaft, welche Deutschland und Italien vereinigt, dicker. Später als dies bestimmt war, stiegen die Gäste wie die Phönixe aus der Lava empor, umjubelt von der Bevölkerung, deren Enthusiasmus auf dem Wege bis nach Neapel über die Eisenbahnstränge schlug.

Das war einer der schönsten Tage der Kaiserfahrt. Wir nehmen von Italien Abschied, wie wir Wien Adieu sagten: tiefgerührt von all der Liebenswürdigkeit. Wenn wir aber glaubten, daß Wien und Rom alles erschöpft hatten, so hat Neapel Wien fast noch überwient und Rom beinahe überromt. Nun, wo uns das Dampfroß in die Heimath zurückschnaubt, erdrückt uns der Gedanke, daß Berlin kaum im stande sein wird, Gleiches mit Aehnlichem zu vergelten. An die deutsche Reichshauptstadt tritt eine Nuß heran, deren Härte schwer zu lösen sein wird.


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