Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zar Peter II.

Zar Peter II.
Bildquelle: wikipedia.org

Die Bräute Peters des Zweiten.


Prinzessin Maria Mentschikoff. – Die Rache der Zarin Eudoxia. – Mentschikoffs Sturz und Verbannung. – Prinzessin Katharina Dolgorucky. – Peters des Zweiten frühes Ende.


Das an dem Cäsarewitsch Alexey Petrowitsch begangene Verbrechen war vom Schicksal schwer gerächt worden.

Zur Sühne kam nach dem Tode Katharinas der Ersten der kleine Sohn des unglücklichen Alexey als Peter der Zweite zur Regierung. Aber es war eine traurige Regierung …

Peter der Zweite verdankte seinen Thron dem Fürsten Mentschikoff, demselben Manne, der Peters Großmutter Eudoxia und Peters Vater, den Cäsarewitsch Alexey, ins Unglück gebracht hatte. Mentschikoff war es, der die Zarin Katharina bestimmt hatte, in einem Testamente den minderjährigen Großfürsten Peter Alexejewitsch zum Thronerben zu ernennen.

————

In einer ungarischen Zeitung (»Budapesti Hirlap«, Jahrgang 1902, No. 332) fand ich ein Feuilleton unter dem Titel »Der ungarische Lehrer Peters II. von Rußland« das einige sehr interessante Mitteilungen zur kurzen Epoche Peters II enthält. In dem erwähnten Artikel heißt es: Im Jahre 1727 kam ein älterer Herr aus Rußland nach Karacsfalva im Ugocsaer Komitat. Es war dies Johann Zékany der nach mehr als dreißigjähriger Abwesenheit auf sein heimatliches Gut zurückkehrte. Seine alten Bekannten begrüßten ihn aufs herzlichste und horchten mit Spannung seinen klugen Reden und gediegenen Erzählungen. Doch je weiter entfernt von seinem Wohnort die Nachricht von seiner Heimkehr bekannt wurde, je entstellter wurde sie verbreitet und »irgend ein deutscher Soldat« verständigte das Kriegsgericht, daß sich in Karacsfalva ein russischer Flüchtling verdächtigen Charakters aufhalte. Das Kriegsgericht kannte zwar nicht den Namen Zékany, wußte auch nichts von seinem Leben und seinen Taten, beschloß aber auf Grundlage der anonymen Verdächtigung die Verfolgung des Mannes, und diesem Umstande verdanken wir eben die nachfolgenden Dokumente. Am 16. Juni 1728 befahl das Kriegsgericht dem General Grafen Alexander Károlyi einen gewissen Johann Zékany, der aus Rußland geflüchtet, sorgfältig zu überwachen; es läge im Interesse Sr. Majestät zu verhindern, daß dieser Johann Zékany die Grenzen Ungarns überschritte; und es soll nichts unterlassen werden, um das Vorleben dieses verdächtigen Herrn zu erforschen. Bald kamen denn auch sowohl von seiten des Grafen Károlyi als von dem Präsidenten des Debreczener Gerichtshofes, Baron Imre Perényi, folgende ausführlichen Berichte über Zékany: »János Zékany, Besitzer von Karacsfalva, entstammt einer altadligen Familie. Nachdem er seine Studien in Ungarn beendet hatte, besuchte er in Wien die Universität. Er war einer der besten Studenten und wurde vom Kaiser Leopold zum Poeta laureatus ernannt. Als Peter der Große auf einer seiner Reisen nach Wien kam, gab er den Jesuiten den Auftrag, ihm einen jungen Mann zu suchen, der außer der russischen auch andere europäische Sprachen spräche und wissenschaftlich gebildet wäre. Da schickte man dem Zaren den jungen Johann Zékany zu, der sofort in die Dienste Peters trat und mit ihm die Reise durch Europa mitmachte. Er erwarb sich in kurzer Zeit die Zufriedenheit des Herrschers, der ihn mit sich nach Rußland nahm und ihn zum Erzieher der Kinder seines nahen Verwandten Narischkin machte. Als seine Zöglinge herangewachsen waren, machte Zékany mit ihnen große Reisen durch Europa. Um jene Zeit schickte er seiner in Karacsfalva zurückgebliebenen Schwester einmal 1000, dann 2000 Taler und auch größere Summen. Als Zékany mit den Narischkins wieder nach Rußland zurückgekehrt war, übertrug ihm der Zar die Erziehung seines Enkels Peter Alexejewitsch, der nach dem Tode der Kaiserin Katharina, als Peter II. den Thron bestieg. Zékany wurde von Peter dem Großen auch zum Verwalter der zarischen Güter ernannt; in dieser Stellung kam er nach dem Tode Peter des Großen von allem Anfang an in heftigsten Konflikt mit dem Fürsten Mentschikow und als er es gar wagte, der Zarin Katharina Kenntnis von großen Betrügereien des allmächtigen Ministers zu geben, mußte er auf schleunige Flucht vom russischen Hofe bedacht sein. Er hatte Mentschikows Macht unterschätzt; gerade damals hatte der Emporkömmling die höchste Stufe des Glückes erklommen und mit der Kaiserin Katharina festgestellt, daß der Thronfolger Peter sich mit Mentschikows Tochter verloben sollte. Zékany mußte also sein schönes Palais, das er vom Zaren zum Geschenk erhalten hatte, und ein Vermögen von drei Millionen im Stich lassen, als er nach Ungarn heimkehrte. Doch rettete er außer einigen tausend Gulden den ganzen kostbaren Schmuck, den er besaß. Seit seiner Heimkehr nach Karacsfalva lebt er auf seinem alten Gute, verkehrt nur mit Honoratioren des Komitats, aber nicht mit Fremden. Er bekommt oft Briefe vom Auslande und schreibt auch selbst Briefe. Zékany erhielt auch schon vom jungen Zaren Peter II. ein Schreiben, das ihn zurückberief; allein da Mentschikow auch nach dem Tode Katharinas noch die Macht hat, hält Zékany den Zeitpunkt für seine Rückreise nach Rußland noch nicht für gekommen. – Auf die Nachricht vom Sturze Mentschikows wartete Zékany vorläufig vergebens. Auf dem Wiener Postamt wurden nämlich alle an Zékany kommenden Briefe aus Rußland konfisziert und dann dem russischen Konsulat übermittelt, von diesem wieder dem Grafen Károlyi zugestellt und schließlich an das Kriegsgericht abgeliefert. Hier blieben die Briefe als Aktenstücke in Verwahrung und auf diese Weise wenigstens der Vergessenheit entrissen. Unter diesen Schreiben aus Rußland befindet sich eine interessante Mitteilung des russischen Kanzlers Ostermann an Zékany; der Brief stammt aus dem Jahre 1727 und lautet: »Dies ist bereits das vierte Schreiben, das ich an Sie richte. Zwei Briefe sandte ich Ihnen in französischer, einen dritten in russischer Sprache; diesen vierten schicke ich mit einem befürwortendem Schreiben des Botschafters Sr. Majestät, damit er Ihnen von der Postdirektion sicher zugestellt werde. Der Inhalt meiner vorigen Briefe war der: ich wünsche es dringend und sehnlichst, daß Sie hierherkommen; auch Se. Majestät der Zar (Peter II.) wünscht es und läßt Sie durch mich Seiner unveränderten kaiserlichen Gnade versichern.« In dem Briefe wird dann bemerkt, daß bei dem holländischen Residenten 1000 Taler für Zékany erliegen; letzterer möge den Tag seiner Ankunft genau bestimmen, damit man Sorge dafür trage, daß er bei Überschreitung der Grenzen keine Schwierigkeiten finde. – Dieser Brief Ostermanns ist dem Zékany nicht zugestellt worden; dieser erhielt aber auf andere Weise Nachricht von dem Sturze Mentschikows und machte sich zu schleuniger Abreise nach Rußland bereit. Das Kriegsgericht aber hatte mysteriöse Gründe gegen diese Reise und schickte nacheinander zwölf dringende Befehle an Károlyi und die Stadthauptleute von Huszt und Munkács: mit allen Mitteln die Abreise Zékanys zu verhindern. Graf Károlyi befolgte getreulich die erhaltenen Ordres und berichtete am 28. August 1728: das für Zékany fünf eigenhändige Briefe des Zaren eingetroffen, aber konfisziert wurden. Zékany wurde so streng bewacht, daß er sich zur Weinlese auf seinem Gute nur unter militärischer Eskorte begeben konnte. Kurz darauf teilte Károlyi mit, daß Zékany durch Vermittelung des russischen Konsulats – richtiger: Residenten – neuerlich einen Brief des Zaren sowie 1975 Taler Reisegeld angewiesen erhalten habe. Um diese Zeit gelang es Zákany zu entkommen, aber durch die Unvorsichtigkeit eines Dieners wurde er verraten und vom Stadthauptmann Behmel in Munkács verhaftet. Er wurde zwar auf freien Fuß gestellt aber schärfer noch als zuvor überwacht. – Diese Intrigen und die Aufregungen machten Zékany krank. Als er nach schwerer Krankheit das Bett verließ, da war das Jahr 1730 schon weit vorgeschritten und Peter II. bereits gestorben … Nun hatte Zékany am russischen Hofe nichts mehr zu suchen, aber er wollte doch hinreisen, um wenigstens einen Versuch zur Rettung seines Vermögens zu machen. Da führte ihn der Zufall mit dem Grafen Károlyi zusammen, der durch Zékanys Lebensgeschichte tief gerührt sein Freund wurde und ihm zu helfen beschloß. Er wurde sein eifrigster Fürsprecher in Wien. Zékany schreibt dankerfüllten Herzens an Károlyi: »Ich werde es ewig bedauern, daß ich mit Ew. Exzellenz nicht schon früher vertraulich gesprochen habe. Ich hätte mir viel Ungemach und Leid erspart. Ich rufe Gott als Zeugen an, daß ich nur meines Vermögens wegen und um keiner anderen Interessen willen nach Rußland gehen will. Ich habe drei Jahrzehnte hindurch mein Vermögen redlich erworben, damit ich auf meine alten Tage einen Zehrpfennig habe.« Am 4. August 1730 verständigt Károlyi jedoch seinen Schützling, daß man in Wien den Reisepaß nicht ausfolgen wolle, worauf sich Zékany in sein Schicksal ergibt: »Ich glaube, daß das Zögern ewig währen wird und daß all die Mühen meiner Jugend und die Kämpfe meines Mannesalters vergeblich waren.« Die Ahnung Zékanys war nicht unberechtigt. Im Frühling des Jahres 1731 schreibt er zum letzten Male an Károlyi und beginnt den Brief mit den Worten: »Debui esse infelix« – und damit schließt für uns diese Angelegenheit, die im Sande verlief. Zékany erhielt nicht die Erlaubnis nach Rußland zu reisen, um sein Vermögen zu retten, und widmete den Rest seines Lebens zum Troste seiner unglücklichen Seele der geistlichen Poesie. – Über diesen ungarischen Lehrer Peters II. geschieht in den meisten Werk über jene Zeit kaum Erwähnung. Nur bei Ersch und Gruber (III. Gruppe XVIII. Band) heißt es in der Lebensbeschreibung Peters II., daß Peter der Große die Erziehung seines Enkels dem Ungar Secan (Zékany) anvertraute, der erst die Narischkins unterrichtet hatte, und von Katharina I. verbannt wurde. Der Vollständigkeit halber will ich auch noch auf die kurze ähnliche Bemerkung bei K. Waliszweski, L'Héritage de Pierre le grand, p. 68 hinweisen.

————

Aber wenn Mentschikoff, der ebenso kluge wie grausame, einen solchen Plan befürwortete, so hatte er seine guten Gründe dafür …

Der Günstling schien die höchsten menschlichen Würden erreicht zu haben. Er war deutscher Reichsfürst, russischer Herzog von Ingermannland, Generalissimus der zarischen Armee und erster Minister. Sein Name hatte einen zaubermächtigen Klang, sein Reichtum war unermeßlich – aber gewaltiger noch sein Ehrgeiz. Er wollte nicht bloß im stillen herrschen, er wollte auch mit den äußeren Attributen der Majestät bekleidet sein.

Darum enthielt das Testament Katharinas, das vollständig unter Mentschikoffs Zwang abgefaßt worden war, nicht bloß die Bestimmung, daß nach dem Ableben der Zarin der kleine Peter Alexejewitsch den Thron besteigen sollte, sondern ordnete auch an, daß Mentschikoff der Gouverneur des unmündigen Zaren, während dessen Jugend unumschränkter Verwalter des Reiches und mit der Großjährigkeit des Kaisers dessen – Schwiegervater werden sollte …

Mentschikoffs Tochter Kaiserin von Rußland!

Warum auch nicht?

War doch Katharina eine Niedriggeborene gewesen und hatte dieses Ziel erreicht!

Und Maria Alexandrowna, Mentschikoffs liebliche Tochter, war glänzend erzogen worden, war unter der Leitung einer vortrefflichen Mutter inmitten der wilden Stürme jener Zeit rein und edel herangewachsen. –

Katharina war gestorben, Peter der Zweite bestieg den russischen Thron, und wenige Tage später, am 6. Juni 1727, wurde er mit Maria Alexandrowna Prinzessin Mentschikoff verlobt. Schon in einigen Monaten sollte die Hochzeit stattfinden. Die Braut erhielt den Titel Kaiserliche Hoheit, und in den Kirchengebeten für das Zarenhaus wurde ihr Name mitgenannt.

So hat das Schicksal dem großen Emporkömmling alles erfüllt und hat ihm nichts mehr zu gewähren.

Aber Mentschikoff versteht sein Glück nicht zu tragen; sein Hochmut kennt keine Grenzen.

Da wächst und wächst die Zahl der Feinde, der Neider, der Hasser, der Patrioten, die das Unglück des Landes bannen wollen!

Mentschikoff achtet ihrer nicht. Er spottet der Drohungen und Gefahren.

Aber langsam, still und sicher schreitet die Nemesis …

Im Hause der Dolgoruckys ist der Mittelpunkt, von dem aus die Fäden der Verschwörung laufen.

Der junge Iwan Dolgorucky ist Peters Jugendfreund und Iwans Schwester Katharina – Peters Geliebte.

Denn keine Neigung fühlt der junge Zar zu seiner erklärten Braut Maria Alexandrowna.

Mochte die liebliche Prinzessin ihm noch so schmeichelnd begegnen – er blieb kalt und teilnahmslos für die Tochter des Mannes, der ihn namenlos quälte und peinigte, der eifersüchtig jeden seiner Schritte bewachte und ihn wie ein Kind behandelte.

Er aber wollte kein Kind mehr sein.

Mit seinen dreizehn Jahren fühlte er sich männlich und stark genug, um in seinen Angelegenheiten ein Wort mitreden zu können. Leiden hatte ihn gereift.

Mentschikoff indessen hielt ihn in schweren Fesseln, beengte und bedrückte ihn barbarisch, behandelte ihn, wie er einst den Cäsarewitsch Alexey behandelt hatte …

Und dann kamen die Flüsterer und erzählten dem Knaben leise, aber eindringlich und herzrührend von dem schweren Ende des Cäsarewitsch Alexey und von dem Anteil, den Mentschikoff daran genommen.

Und wenn in solchen Stunden dem über das Vernommene dumpf brütenden Kinde die fühlende Braut sich nahte, um ihm die fiebernden Wangen zu streicheln, die zitternden Lippen zu küssen – da stieß der junge Kaiser die arme Prinzessin rauh und wild zurück und flüchtete in das Haus des Freundes Iwan Dolgorucky …

Hierher lockten ihn Freundschaft und Liebe.

Iwans jugendliche schöne Schwester Katharina genoß alle Neigung Peters, um die Maria vergeblich warb.

Hier lernte Peter Haß und Zorn gegen Mentschikoff, hier gewann er die Stärke zu einem endlichen Entschluß.

Er fing an sich aufzubäumen gegen die Gewalt des Allmächtigen und ertrotzte von ihm die Rückberufung der Zarin Eudoxia an den Hof. Und diese nährte im Herzen des Enkels die keimende Rachebegier mit wilder Freude und Genugtuung.

Mentschikoffs Stunde hat geschlagen.

Ein gar nicht redenswerter Unterschleif – hat er doch früher weit größere ohne böse Folgen unternommen – eine lächerliche Kleinigkeit ist der Anlaß zu dem Sturze des Gewaltigen.

Eine Strafe ergeht über ihn, wie sie tragischer nicht erdacht werden kann. Von dem Gipfel seiner Allmacht sinkt er in die tiefsten Gründe des Elends, und mit ihm sinkt seine ganze Familie.

Aus dem Palast an der Newa, dem herrlichsten der Residenz, wo durch Jahrzehnte die berühmtesten Feste abgehalten wurden, aus dem prunkenden Palast geht es auf elenden Gefährten in die öde sibirische Verbannung.

Die arme unglückliche Braut, die noch gestern vom Volke als Kaiserin betrachtet und geehrt war, zieht heute im Bettlergewand an der Seite des entehrten Vaters, der gramgebeugten Mutter, der verzweifelten Brüder, gebrochen von hinnen … Während der Vater das fürchterliche Unglück mit stolzem Mut erträgt, ist Maria, die den jungen Peter wohl geliebt hat, nicht fähig, das jähe Elend zu fassen und siecht schnell dahin, ehe das erste Leidensjahr verflossen, ehe sie den schier endlos fernen Ort der Verbannung erreicht.

An die Stelle Mentschikoffs tritt der junge Iwan Dolgorucky. An die Stelle der Prinzessin Maria Alexandrowna tritt die Prinzessin Katharina. Schon in einigen Monaten soll die Hochzeit stattfinden; die Braut erhält den Titel Kaiserliche Hoheit, und in den Kirchengebeten für das Zarenhaus wird ihr Name mitgenannt …

Da aber, knapp vor der Vermählungsfeier, erkrankt der Zar an den Pocken und stirbt eines jähen Todes …


 << zurück weiter >>