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Der Cäsarewitsch Alexey, der Sohn der Jewdokia. – Seine vernachlässigte Erziehung. – Alexeys Vermählung mit einer braunschweigischen Prinzessin. – Alexeys Roheit gegen seine Gemahlin und seine Liebschaft mit einer finnischen Sklavin.
Ununterbrochenes Unheil hatte über dem Cäsarewitsch Alexey von seiner frühesten Kindheit an gewaltet.
Als er erst acht Jahre alt war, wurde seine Mutter Jewdokia Lopuchina, die erste Gemahlin Peters des Großen, von ihrem Gatten grausam verstoßen. Die Ungnade, in die sie fiel, wirkte auch auf das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurück.
Nicht freundliche Gefühle erweckte der kleine Alexey in Peters Herzen, und der Zar suchte sich den unangenehmen Reminiszenzen an seine Gemahlin dadurch zu entziehen, daß er ihren Sohn, den Thronerben, so wenig als möglich vor sein Angesicht ließ.
War es zu verwundern, daß hinwiederum im Herzen des Sohnes keine Liebe für den Vater Platz fand? Daß dort sich nur Gram über den Verlust und die schmachvolle Behandlung der Mutter einnistete? und daß sich dieses Gefühl zu unbesiegbarem Rachedurst entwickelte?
Als der Prinz sein zehntes Jahr erreicht hatte, fiel es dem Kaiser doch ein, daß man dem Thronfolger, dem Erben des gewaltigen Reiches, eine Erziehung angedeihen lassen mußte.
Man ernannte den deutschen Baron Huyssen zum Lehrer und Gouverneur des Cäsarewitsch, die Oberaufsicht aber erhielt Peters Günstling Mentschikoff. Und was der erstere, ein braver tüchtiger Mann, an Alexey Gutes tat, suchte der letztere wieder in Böses zu verwandeln.
So kam der Prinz nicht recht vorwärts, so ward sein Charakter gewaltsam schwach und erbärmlich gestaltet. Und doch war er nicht unbegabt. »Alexey« – so schrieb Baron Huyssen nach Europa – »ist ein Prinz, dessen Genie alles zu begreifen fähig ist. Drei Stunden wendet er täglich zu den Studien an. Schon sechsmal hat er die heilige Bibel, fünfmal in slawonischer und einmal in deutscher Sprache durchgelesen, auch alle griechischen Patres nebst anderen geistlichen und weltlichen Büchern, die in slawonischer Sprache in Moskau, Kijew und in der Wallachey gedruckt sind, fleissig durchblättert. Deutsch und französisch schreibt und redet er gut. Täglich lernt er etwas auswendig, erwägt die Lebensbeschreibungen grosser Kaiser und Könige mit vielem Nachsinnen und stellt sich ihre ruhmwürdigen Taten zur Nachahmung vor. Mathematische Handgriffe und Leibesübungen werden nicht versäumt. Kurz, Alexey ist ein Herr, der gegen Gott wahre Verehrung, gegen den Zaren kindlichen Respekt und tiefen Gehorsam, gegen einheimische und fremde Minister besondere Achtung und gegen seine Bedienten und Untertanen eine mit Ernst vermischte Liebe bezeiget.«
Insbesondere hatte Alexey eine starke Neigung für theologische Studien. Seine Exemplare theologischer Werke waren dicht mit Randglossen von seiner Hand beschrieben.
Ungern dachte er an weltliche Dinge und die Hoffeste mied er, soviel er konnte. War er aber einmal doch gezwangen, sie zu besuchen, so entzog er sich den weltlichen Unterredungen über Politik und Krieg, sammelte einige Geistliche um sich und flüchtete mit ihnen in einen stillen Winkel, um über Kirchen und Kirchenwesen zu disputieren.
Baron Huyssen suchte den Prinzen von dieser schädlichen Einseitigkeit zu heilen, allein es gelang ihm nicht, da Mentschikoff ihm entgegenarbeitete und dafür Sorge trug, daß der Prinz möglichst wenig in die Staatsverhältnisse eingeweiht wurde. Und als Huyssen energischer auf seine Rechte als Lehrer und Gouverneur des Prinzen pochte, da war es Mentschikoff ein leichtes, den unliebsamen Kollegen beiseite zu schieben und durch Erteilung einer Mission vom Hofe zu entfernen.
Nun hatte Mentschikoff freies Spiel; nun übernahm er, der bekanntlich trotz seiner hohen Stellung weder zu lesen noch zu schreiben verstand, noch sonst die geringste Bildung besaß, die alleinige Erziehung und Ausbildung des Prinzen.
Diese Erziehung bestand darin, daß der Fürst seinen Zögling, wenn er hin und wieder Interesse für Staatsdinge bekundete, mit Gewalt davon zurückdrängte. Dafür ließ er ihm seinen Willen in seinen theologischen Neigungen und gab ihm auch reichliche Gelegenheiten, seinen wilden sinnlichen Leidenschaften zu frönen. Das war ja der sicherste Weg zum Ruin. Alexey machte von diesen Gelegenheiten ausgiebigen Gebrauch; er war nicht nur der größte Frömmling, sondern auch einer der ärgsten Wüstlinge seiner Zeit.
Nicht gerade zur Stärkung und Besserung des Charakters des Prinzen diente Mentschikoffs rohe Behandlung, die selbst vor Tätlichkeiten nicht zurückschreckte. Für die kleinsten Vergehen der Widerspenstigkeit gegen seinen grausamen »Erzieher« wurde der Thronfolger streng gestraft. Sein Herz krampfte sich zusammen vor ohnmächtiger Wut, wenn es solche Leiden von dem Emporkömmling erdulden mußte, der schon Alexeys Mutter, der Zarin Jewdokia, den Untergang bereitet hatte.
Wagte der Prinz in seiner Not sich einmal an seinen Vater klagend und hilfeflehend zu wenden, so wurde er aus »Zeitmangel« schroff zurückgewiesen; denn Peter der Große hatte nur Zeit für seine Kriege, für seine weltbewegenden Neuerungen und seine Liebeshändel; aber niemals Zeit für seinen Sohn. Von Mentschikoff hatte Alexey nach solchen Versuchen, sich Recht und Schutz zu verschaffen, das schlimmste zu erwarten …
So verging Jahr um Jahr, so wuchs Alexey heran, unter härteren Verhältnissen als der ärmste Bauernsohn. Und es wurde immer trauriger.
Als der Prinz noch Knabe war, begann am Lebenshimmel Peters des Großen der Stern der livländischen Sklaventochter emporzusteigen, die unter Mentschikoffs Schutz ihre wunderbare Laufbahn mit schwindelnder Schnelligkeit zurücklegte. Bald gewann sie den größten Einfluß am Hofe, und eine solche Stütze, wie nun wieder der allmächtige Günstling des Zaren an seiner Schutzbefohlenen fand, machte den Fürsten völlig übermütig gegenüber dem Cäsarewitsch. Und als endlich das Unglaubliche geschehen war, als die hergelaufene Magd den russischen Kaiserthron als Gattin des größten russischen Herrschers bestiegen hatte; als die Aussicht erwuchs, daß Peter dem Ersten aus seiner neuen Ehe ein Prinz geboren werden könnte, der würdiger des Thrones sein würde, als Alexey es schien – da war für den letzteren alles verloren …
Im Herzen des Cäsarewitsch hatte Peters Vermählung mit seiner Maitresse Katharina, bei deren Taufe Alexey sogar Gevatter hatte stehen müssen, einen gewaltigen Riß getan, und die verführerischen Einflüsterungen des Adels und des Klerus fanden günstigen Eingang bei ihm.
Adel und Klerus haßten Peter den Großen und seine Neuerungen, die ihnen alle Macht entzogen. Sie stellten deshalb ihre Hoffnung auf Alexey; sie suchten ihn zu sich herüberzuziehen; sie malten ihm aus, wie Katharinas Erhebung ihn bedrohe, wie der Zar nur danach trachte, ihn zu vernichten, wie ihm kein anderes Schicksal bevorstehe, als gleich seiner Mutter verstoßen zu werden.
Da erkannte Alexey seine traurige Lage; da sah er seine Jugend, sein Glück, sein Leben verloren.
Aber er wollte nicht untergehen; er wollte nicht vernichtet, verstoßen werden, er klammerte sich verzweifelt an die dargebotene Hilfe.
Williges Ohr lieh er den Einflüsterungen, denn er fühlte, daß sie die Wahrheit kündeten. Er wandte sich ab von dem herzlosen Vater, der ihn vernachlässigt, verbittert, verdorben hatte, und warf sich den Feinden des Zaren in die Arme.
Da jubelte Fürst Mentschikoff, dem nichts verborgen bleiben konnte. Er jubelte, denn der verhaßte Cäsarewitsch grub sich selbst die Grube … Und jubelnd eilte der geschäftige Denunziant zum Zaren, verdächtigte den Sohn beim Vater, reizte den Vater gegen den Sohn.
Peter erschrak über den Abgrund, der sich vor ihm auftat. Aber er fühlte seine Schuld. Er fühlte, daß er selbst den einzigen Sohn, den Erben der Krone und des Reiches, ins Verderben gestürzt, zum Verrate an dem Vater und Herrn getrieben hatte.
Die Reue kam über ihn; er wollte gut machen, was er in seiner Blindheit Fürchterliches verschuldet hatte. Er rief den Sohn, warnte ihn, er stellte ihm seine böse Handlungen und ihre Folgen eindringlich vor; er behielt ihn fortan in seiner Nähe, in seiner Erziehung; er wollte ihn ändern, aber – es war zu spät …
Alexey blieb verstockt, und selbst, daß der Zar ihm eine Zeitlang die Regentschaft des Reiches anvertraute, milderte ihn nicht. Er nahm vielmehr nur die Gelegenheit wahr, um seinen Freunden, welche die Feinde des Kaisers waren, zu helfen und zu nützen.
Zorn und Gram ergriffen den Zaren, aber im Bewußtsein, wie groß seine Schuld an Alexeys Untreue war, gewann er es über sich, nicht zu streng zu strafen und zu einem letzten Mittel zu greifen, um den Prinzen in Güte auf den rechten Weg zurückzuführen: Alexey sollte sich mit einer ausländischen Prinzessin vermählen, eine Zeitlang im Auslande leben, fremde Sitten und Gebräuche kennen lernen und vielleicht lieb gewinnen. Sein Sinn sollte geläutert, sein Herz gereinigt, sein Charakter gefestigt werden.
Die Wahl des Zaren fiel auf die braunschweigische Prinzessin Charlotte, und der Cäsarewitsch schien diesen Plan des Vaters gar nicht ungern zu sehen. Denn so sehr er auch an der Sitte der Väter hing und nur eine Russin als Zarin sich hatte vorstellen können, so glaubte er durch die Vermählung mit der ausländischen Prinzessin des Vaters Gunst zu gewinnen und sich die Thronfolge zu sichern.
Prinzessin Charlotte war die zweite Tochter des Herzogs Ludwig Rudolph und die jüngere Schwester der Gemahlin Kaiser Karls VI. Sie war eine schöne Frau und besaß alle Eigenschaften des Geistes, die einen Mann dauernd zu fesseln imstande sind.
Baron Huyssen war es, der diese Vermählung einleitete und zustande brachte und es sogar durchsetzte, daß die Prinzessin bei ihrem lutherischen Glauben verharren durfte.
Am 14./25. Oktober 1711 wurde die Hochzeit in Torgau mit großem Gepränge gefeiert; dann ging das Paar nach Wolfenbüttel und nach kurzem Aufenthalt nach Petersburg.
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Eine auf die Vermählung des Cäsarewitsch mit der braunschweigischen Prinzessin geprägte Medaille zeigte die Brustbilder des Cäsarewitsch und der Prinzessin. Umschrift: Alex. Petr. Imp. Russ. Haer. et Carol. Christ. Soph. Pr. Bruns, et Lun. R. Ein Altar, auf dem ein Feuer brennt, daran zwei Wappen, der russische Adler und das braunschweigische Pferd.Über dem Altar zwei sich vereinigende Hände, mit der Inschrift: Non usquam junxit nobiliora fides. Am Rande: Ob nupt. Torgau celebrat. XXV. Oct. MDCCXI.
Der Professor zu Helmstädt Johann Georg Eckhard bewies bei Gelegenheit dieser Vermählung, dass beide Vermählte von dem griechischen Kaiser Konstantin abstammten. »Der Himmel selbst,« sagte dieser gelehrte Herr in der Einleitung zu seiner Abhandlung über diesen Gegenstand, »schien dieses gute Vorhaben der Vermählung zu billigen, und der weißen Taube Fuß zu regieren, welche von ungefähr auf dem hochfürstlichen Wolfenbüttelschen Schlosse ins Zimmer fliegende und sich auf die daselbst befindliche Erdkugel setzende, mit ihren Tritten die Atlantische See und die Moskowitische Tartarey nachdenklich bezeichnete, als eben der nunmehro wirklich verlobten durchlauchtigsten Prinzessin durchlauchtigste Eltern das vorseyende Schicksal ihrer hohen Familie miteinander überlegten.«
Auf Grund dieser schönen stilvollen Idee meinte der Herzog Anton Ulrich, der Vater der Braut: »Dieser Zufall könnte Materie zu einem Gedichte abgeben.« Daraufhin »verfertigte« der Philosoph Leibniz sofort folgendes Epigramm:
Augurium columbae.
Blankenburgiaci museo in Principis, Orbem
Signat olivifero laeta columba pede.
Hinc Scythiae in campis, illinc Atlantis in undis.
Scilicet et Natas utraque regna colent.
(Leibnitii Literae ed. Chr. Kortholt, I. 286.)
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Peters Plan schien gelungen, aber es war eine Täuschung.
Kaum war Alexey nach Rußland zurückgekehrt, zerfloß aller Segen, den die deutsche Heirat über ihn ausgegossen, und die alten Leidenschaften nahmen wieder von ihm Besitz.
Obgleich Prinzessin Charlotte mit großer Zärtlichkeit an ihm hing und mit Liebe und Güte auf ihn einzuwirken suchte, vermochte sie doch nicht, ihn zu lenken. Und selbst nachdem sie Mutter geworden war, blieb Alexey ungerührt, hart und roh.
Peter, der für seine edle Schwiegertochter die höchste Achtung empfand, war über das Benehmen des Cäsarewitsch erbittert. Aber die Vorwürfe, die er seinem Sohne machte, erwirkten das Gegenteil ihrer Absicht.
Alexey wich ganz von der Seite seiner Gemahlin und ergab sich den ausschweifendsten Buhlereien. Und Peter durfte nicht einmal wagen, ihm Vorwürfe zu machen, denn Alexey konnte sich mit Recht auf das Beispiel des Vaters berufen.
Wie Peter entflammte schließlich auch Alexey in wilder Liebe zu einer schlichten Magd, einer finnischen Sklavin, die vor Katharina jedoch den Vorzug eines reinen Lebenswandels voraus hatte.
Sie hieß Euphrosyne und war auffallend schön. Wie und wo Alexey sie kennen gelernt hat und näheres über dieses Verhältnis habe ich nicht zu erkunden vermocht. Man weiß nur, daß Alexey sie auf seiner Flucht nach Deutschland mitnahm; in Leipzig aber wurde sie gefangen genommen, dann nach Rußland zurück und vor den Zaren gebracht. Er begnadigte sie und gab ihr die Freiheit, nachdem sie bewiesen hatte, daß sie den Cäsarewitsch nicht zu fesseln versucht hatte, sondern von ihm unter Androhung der Todesstrafe zur Liebe gezwungen worden war. Peter beschenkte sie reich und versprach ihr, wenn sie heiraten wollte, einen guten Brautschatz. Sie aber erwiderte: »Ich bin zur ersten Liebe genötigt worden, freiwillig werde ich nie mehr einem Manne angehören.«
Alexeys Gemahlin war ob dieser Vorgänge trostlos. Sie grämte sich, verfiel in eine schwere Krankheit und starb am 20. Oktober 1715, nachdem sie noch kurz vorher einem Sohne, dem nachmaligen Kaiser Peter II., das Leben gegeben hatte.
Es wird märchenhaft erzählt, Freundinnen der Großfürstin hätten sie, während einer Abwesenheit des Cäsarewitsch von Petersburg, ins Ausland befördert und das Gerücht verbreitet, daß sie gestorben wäre; man begrub alsdann einen Holzblock statt ihrer. Der Zar wäre damals auch nicht in Petersburg gewesen (was nicht stimmt) und deshalb hätte die ganze Geschichte leicht vollführt werden können. Die Großfürstin reiste unterdessen, so lautet das Märchen weiter, in der Tracht einer Bürgersfrau, begleitet von einem deutschen Diener, der als ihr Vater galt, nach Paris und schiffte sich von Havre oder Marseille nach Louisiana ein. Ihr Außeres erregte dort Aufmerksamkeit, und ein Offizier, namens d'Aubant, der in Rußland gewesen war, glaubte sie zu erkennen, traute aber seinen Augen nicht. Um seiner Sache gewisser zu werden, näherte er sich dem angeblichen Vater und knüpfte mit ihm allmählich eine innigere Bekanntschaft an, die sich bis zum Beziehen einer gemeinsamen Wohnung steigerte. Einige Zeit darauf fand man in den Zeitungen die Nachricht von dem Tode des Cäsarewitsch. Jetzt erklärte d'Aubant der Großfürstin, daß er sie kenne und bereit sei, alles aufzubieten, um sie nach Rußland zurückzuführen. Doch die Prinzessin fühlte sich in ihrer sicheren Verborgenheit glücklicher als je in der Nähe des Thrones und verlangte von d'Aubant unverbrüchliche Verschwiegenheit. Er willigte ein, und sie lebten fort wie früher. Indessen hatten die Schönheit, der Geist und die Tugenden der Prinzessin den lebhaftesten Eindruck auf ihn gemacht, und auch er blieb ihr nicht gleichgültig, und als ihr Bedienter eines Tages gestorben war, heiratete sie den ritterlichen Mann. Im ersten Jahre ihrer Ehe erhielt sie eine Tochter, welche sie selbst nährte und erzog. So lebte die Familie zehn Jahre in glücklichstem Frieden. Da erkrankte d'Aubant, und eine Operation ward nötig. Sie verkauften ihre Sachen und reisten nach Paris. Nach glücklich vollzogener Operation bewarb sich d'Aubant bei der indischen Compagnie um eine Anstellung auf der Insel Bourbon. In Paris wurde Charlotte von dem Marschall von Sachsen erkannt; die Großfürstin bat ihn, noch einige Zeit Stillschweigen über seine Entdeckung zu halten, und währenddem reiste sie mit ihrem Mann und ihrem Kinde nach der Insel Bourbon ab. Als der Marschall von Sachsen dies erfuhr, hielt er sich für verpflichtet, seinem Könige von der Sache Mitteilung zu machen. Der König ließ darauf den Gouverneur der Insel Bourbon bitten, dem gewissen d'Aubant und seiner Familie die größte Rücksicht zuzuwenden. Zugleich unterrichtete der König auch die Königin von Ungarn von dem Schicksal der Prinzessin, und die Königin schickte eine Botschaft an die Frau d'Aubant, worin sie sie einlud, zu ihr zu kommen, aber ohne Mann und Kind, für die gesorgt werden sollte. Die Prinzessin wies diese Bedingungen zurück und blieb bei ihrem Gatten bis 1747, wo er starb. Darauf kehrte sie nach Europa zurück. Um 1765 oder 1768 soll sie noch zu Vitry bei Paris gelebt und den Namen Frau von Moldack geführt haben. –
Die Liebschaft Alexeys mit der Sklavin Euphrosyne hatte der Prinzessin das Leben gekostet – diese Liebschaft war aber auch mit die Veranlassung zu dem schrecklichen Ende des Cäsarewitsch.
Der Tod der Prinzessin, sowie der Umstand, daß wenige Tage später die Kaiserin Katharina eines Sohnes entbunden ward, der ebenfalls den Namen Peter erhielt, bewogen den Zaren, sich ganz von seinem Thronfolger abzuwenden, und das letzte Band zwischen Vater und Sohn, zwischen Kaiser und Kronprinz war zerrissen.
Es ist nur zu verwundern, daß das unerträgliche Verhältnis sich noch über zwei Jahre hinziehen konnte.
Endlich, am 3. Februar 1718, wurde Alexey durch ein Manifest des Zaren der Thronfolge verlustig erklärt, und als der Unglückliche Widerspenstigkeit an den Tag legte,machte man ihm den Prozeß und überlieferte ihn einem gewaltsamen Tode …
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Das Manifest, mit welchem Peter dem Volke die Enterbung des Thronfolgers anzeigte, ist ein interessantes Schriftstück. Der Zar beleuchtete darin des Prinzen Betragen von den frühesten Jahren bis zu dieser Stunde. Er sprach von der Unempfänglichkeit des Zarewitsch für jeglichen Unterricht, er klagte über die Verbindung des Alexey mit schlechten Menschen, wovon ihn weder Güte noch Strenge hätten zurückführen können. »Ich habe ihn,« so erklärte der Zar ferner, »um ihn das Kriegswesen zu lehren, mehr als einmal auf meinen Feldzügen mitgenommen und ihn vor Gefahren beschützt, denen ich mich selbst auszusetzen kein Bedenken trug. Ich habe ihm, um ihn zur Regierungskunst zu bilden, die Reichsregentschaft anvertraut. Ich habe ihn, um ihn zur Nacheiferung zu spornen, in das Ausland gesandt. Aber meine Bemühung glich dem Samen, der auf einen Felsen fällt. Nicht nur ist Alexey dem Guten nicht gefolgt, er hat es gehasst. Auch seine Verbindung mit einer selbstgewählten, verständigen und geistreichen und tugendsamen Prinzessin hat ihn so wenig gebessert, dass er vielmehr die eheliche Treue gebrochen, mit einem Frauenzimmer niedrigster Abkunft öffentlich gelebt und dadurch die Tage seiner Gemahlin wahrscheinlich verkürzt hat. Durch seine Flucht ist endlich das Mass seiner Verbrechen voll. Er hat sich unter den Schutz des Kaisers Karl begeben und ihn durch verleumderisches Vorbringen, dass ich ihn verfolge und ohne Ursache von der Erbfolge ausschließen wolle, dass er seines Lebens bei mir nicht sicher sei, zur bewaffneten Verteidigung seiner Person aufgerufen. Er hat sich der Rückkehr geweigert, und nur die Besorgnis, wider seinen Willen ausgeliefert zu werden, hat ihn endlich zur Nachgiebigkeit bewogen und hierher gebracht. Dass er strafbar sei, hat er selbst bekannt. Wohl hätte er den Tod verdient. Aber die väterliche Zärtlichkeit erbarmt sich sein. Ich verzeihe ihm seine Verbrechen und erlasse ihm alle Strafe. Aber diesem Unwürdigen die Kronfolge zu lassen, streitet wider mein Gewissen, denn ich sehe voraus, dass er durch seine verderbte Aufführung den Ruhm der Nation vernichten, die Provinzen, welche ich durch unablässige Anstrengung erworben und durch Gottes Gnade gesichert habe, wieder verlieren und die wissenschaftlichen Anstalten, die ich mit vieler Sorgfalt zum Ruhm und Besten des Reiches und der Nation errichtet, zerstören würde: beklagenswert würden meine Untertanen sein, wenn ich sie durch einen solchen Nachfolger in einen Zustand zurückwerfen ließe, der ärger wäre als er zuvor gewesen. So handle ich denn zur Wohlfahrt meines Reiches, da ich hierdurch sowohl aus väterlicher Gewaltkraft, mit welcher nach den Gesetzen des Reiches jeder Privatmann einen Sohn nach Gefallen enterben kann, als aus landesherrlicher Machtvollkommenheit meinen Sohn Alexey wegen seiner Verbrechen und Unwürdigkeit der Nachfolge auf den russischen Thron für verlustig erkläre. Er soll derselben verlustig sein, wenn nach mir auch kein Zweig meiner Familie übrig sein sollte! Da es mir an älteren Erben fehlt, so erkläre ich meinen zweiten Sohn Peter, so jung er ist, zum Erben des Thrones. Mein väterlicher Fluch treffe Alexey, wenn er jemals Anspruch auf die Erbfolge machen und sie suchen sollte. Alle meine Untertanen, welchen Standes sie seien, sollen dieser meiner Verordnung gemäß meinen Sohn Peter als rechtkräftigen Nachfolger achten, und wer von jetzt an Alexey als Thronfolger zu betrachten oder ihm zu dem Ende Beistand zu leisten wagt, den erkläre ich für einen Verräter gegen mich und das Vaterland.« – Vgl. Akta des Inquisitions-Prozesses wider den Czarowitz Herrn Alexium Petrowitz. 1718. – Manifest über den Zarewitsch Alexium. Franckfort 1719. – Memoires en forme de manifeste, sur le procez criminel jugé et publié à S. Petersbourg en Moscovie le 25 juin 1718 contre le Czarevitch Alexei, convaincu de factions, rebellion et desobésisance envers son père et Seigneur Souverain. Nancy 1718. – A. Brückner, Der Zarewitsch Alexey. Heidelberg 1880.
Über die Todesart des Zarewitsch sind alle möglichen Gerüchte verbreitet worden. Ustrjalows Ansicht ist, Alexey sei an den Folgen der Knutung gestorben. Er erhielt vierzig Knutenhiebe, von denen schon einer den Tod herbeiführen konnte. Pleyer (siehe Ustrjalow VI, 541–545), spricht von der Köpfung des Prinzen. Diese Tradition blieb die stärkste, allerdings mit verschiedenen Details. Zumeist spielen Adam Weide und Anna Cramer eine Rolle dabei. Vgl. Büsching IX. Vor-rede. – Helbig 69 und 71. – De Bie schreibt an die Generalstaaten, man habe Alexey durch Öffnen der Adern getötet (Ustrjalow VI, 549–569). – Lefort, der sächsische Gesandte, behauptet, Peter selbst hätte seinen Sohn zu Tode geknutet. Bruce und ein Schreiben von Rumjäntzoff erzählen von Vergiftung. Die Vergiftung des Thronfolgers erwähnt auch »A select collection« II, 128. – Vgl. ferner: »Der Zarewitsch Alexey Petrowitsch«, nach neu entdeckten Quellen, in der russischen »Zeitschrift der Historischen Gesellschaft« 1861 III. – Duclos, Pièces interéssantes et peu connues. 180. – Bülau, Geheime Geschichten und rätselhafte Menschen, Leipzig, Brockhaus 1863, Band IV, 161-184. an den Tag legte, machte man ihm den Prozeß und überlieferte ihn einem gewaltsamen Tode …