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Zar Michael I.

Zar Michael I.
Bildquelle: wikipedia.org

Sitten, Unsitten und Frauenleben unter den ersten Romanows.


Rußlands Elend. – Errettung durch Fürst und Bauer. – Erhebung der Romanows. – Michael Feodorowitsch, der erste Romanowsche Zar. – Der Patriarch Philaret Romanow, Rußlands Unglück. – Herkunft des Romanowschen Reichtums. – Beginn der Romanowschen Tyrannei. – Ein Romanow als Ketzer. – Zar Alexey Michaylowitsch der Aufgeklärte. – Die Romanowsche Günstlingswirtschaft. – Zarin und Arzt. – Heiratsweisen der Zaren. – Alexey Michaylowitsch und Natalia Naryschkina. – Feodor Alexejewitsch der Kranke. – Iwan Alexejewitsch der Blödsinnige. – Sophia Alexejewina die Ehrgeizige und ihr Günstling Galitzin. – Peter Alexejewitsch der Große. – Seine Schöpfungen und Neuerungen. – Sitten und Unsitten seiner Epoche. – Die alte und die neue Zeit, eine Maskerade. – Eine Zwergenhochzeit. – Peter der Große und die Geistlichkeit. – Heirat des Papstes. – Wahl eines neuen Papstes durch besoffene Kardinäle. – Altrussisches Frauenleben. – Orientalische Abgeschlossenheit der Frauen. – Emanzipation. – Frühere Heiratsweisen. – Ehezwang. – Die Rute als Mitgift. – Assembleen. – Ein Läusespielchen. – Etwas vom Saufen. – Ein Kapitelchen Unsittlichkeit. – Eine Ehebruchskomödie.


Schwüle Zeiten lagerten über dem moskowitischen Reiche nach dem gräßlichen Ende des gräßlichen Iwan, nach dem Sturze des falschen Dmitry.

Wirren folgten auf Wirren.

In Ruinen sanken die Städte, in Schutthaufen zerfielen die Dörfer, zu Ödnissen verkümmerten die Felder und Wälder.

Uneinigkeit, Untreue, Habgier herrschten unter den Oberen, sklavische Furcht, fatalistische Trägheit unter den Niederen.

Die alte Kremlstadt befand sich in den Händen der Polen, die grausam wüteten und würgten.

Die hölzerne und steinerne Stadt, die Kirchen und Klöster bestürmten und zerstörten die Feinde; sie schändeten die Genesung bringenden Reliquien der großen moskowitischen Wundertäter und erbrachen die Grabmäler der Heiligen und zerrissen ihre Bildnisse. Und als der Patriarch ihnen mahnend entgegenzutreten wagte, verhöhnten sie ihn, zerrten sie ihn in den Staub und warfen ihn in den Kerker, wo er unter fürchterlichen Qualen starb …

Es war ein trauriges Schauspiel, Über diese, der Romanowschen Ära vorausgehende merkwürdige Epoche der russischen Geschichte gibt es außer den Darstellungen in den allgemeinen Geschichtswerken über Rußland eine interessante spezielle Darstellung von O. Gerakoff, die schon im Jahre 1817 zu St. Petersburg erschienen ist. Sie ist in russischer Sprache geschrieben und führt den Titel: »Eine wenig bekannte Zeit aus der russischen Geschichte – 1598 bis 1618.« (200 pag.). und das russische Volk sehnte sich nach dem erlösenden Schluß desselben, sehnte sich nach dem Helden, der die Wirren lösen, den Konflikten ein Ende machen sollte.

Endlich geschah das Wunderbare. Ein Fürst und ein Bauer, der Knjäs Posharsky und der Bauer Kosma Minin, vereinten sich zur Rettung Rußlands, entflammten das Volk zur Erhebung und vertrieben die Fremden.

Nun versammelten sich die beiden Kammern des großen Rates, die Duma bojarskaja, die Bojarenkammer, und die Duma semskaja, die Landeskammer; und die Vertreter des ganzen Reiches: Metropoliten, Erzbischöfe, Bischöfe, Archimandriten und Igumen, Wojwoden, Bojaren, Okolnitschy, Tschaschniky, Stolniky, Kosaken, Streljzen, Älteste, Attamane, Gosty, Kaufleute und Bürger – kurz: »die besten, kräftigsten und verständigsten Leute« – wählten am 21. Februar 1613 den jungen Michael Feodorowitsch Romanow zum Zaren.

Die Romanows stammten von dem um 1280 aus Preußen oder Litauen eingewanderten Kambila und nahmen schon früh hervorragende Stellen im russischen Reiche ein.

Unter Dmitry dem Donischen war ein Feodor Romanow Wojwod; er trat, indem er seine Tochter an den Fürsten von Twer verheiratete, in ein verwandtschaftliches Verhältnis zum Hause Rurik.

Eine Anastasia Romanowna war die erste Gemahlin Iwans des Schrecklichen und die Mutter des Zaren Feodor, des letzten Regenten aus dem Hause Rurik. Ein leiblicher Neffe der Anastasia war Feodor Nikititsch Romanow, der Vater Michaels, welcher letztere am 12. Juli 1596 geboren wurde. –

Am 19. April 1613 war es, da sah die alte Kremlstadt nach langen schweren Zeiten wieder einen fröhlichen Tag. Hell und freundlich schien die Frühjahrssonne auf den Einzug des ersten Romanow, der dem Reiche Ruhe und Frieden zu verheißen schien. Die Straßen prangten im Festesschmuck, laut jubelte das Volk.

Einige Tage vor dem Einzug in die Hauptstadt hatte der junge Zar einen Akt unterzeichnet und sich verpflichtet: die Religion zu schützen, das Wohl des Volkes über persönliche Motive zu stellen, die alten Gesetze unverändert zu lassen und keine neuen zu erlassen, alle wichtigen Angelegenheiten nicht nach Gutdünken, sondern nach dem Gesetze zu entscheiden, ohne Einwilligung der Räte weder Krieg zu beginnen, noch Frieden zu schließen, und zur Vermeidung von Streitigkeiten seine Privatdomänen entweder an andere abzutreten oder als Krongüter dem Staatseigentum einzuverleiben.

Von Natur aus war Michael ein sanfter wohlwollender Charakter, dem es nicht an Edelmut und am Bestreben mangelte, dem Lande und Volke die gebührenden Freiheiten zu gönnen. Er schien ein konstitutioneller Herrscher werden zu wollen, wie kein besserer zu wünschen ist …

Da hatte er zum Unglück für sich und für Rußland einen Vater, der von einem grenzenlosen Ehrgeiz erfüllt war. Feodor Nikititsch, der als Patriarch seinen bürgerlichen Vornamen in Philaret umgewandelt hatte, verstand es, den eigentlichen Zaren, den jugendlichen Sohn, ganz in den Schatten zu stellen. Die Patriarchenwürde ward ebenso mächtig wie die des Zaren. Philaret setzte seinen Namen auf fast allen Urkunden neben den Namen Michaels. Er nahm an allen politischen. Anordnungen Teil und erließ sogar aus eigener Macht Ukase, zu denen er als Patriarch nicht das mindeste Recht besaß und die selbst Michael ohne Zustimmung der Räte nicht hätte veröffentlichen dürfen.

Philaret waltete im Reiche ebenso unumschränkt wie auf seinen Gütern, deren Zahl er nach und nach weise mehrte, indem er sie sich als »Kirchengüter« vom guten Volke verehren ließ, während sie in Wahrheit nur für ihn persönlich fette Pfründe waren.

So entstand das Fundament des Romanowschen Reichtums, so entstand die Romanowsche Tyrannei, die zarische Selbstherrlichkeit …

Und das Volk merkte nichts, das gute blinde Volk.

Vergessen waren die Schwüre, welche Michael bei seiner Thronbesteigung getan; niemand mahnte ihn daran, und um die verheißenen Freiheiten war es geschehen, ehe man sich's versehen …

Die Ära Romanow, die so hoffnungsvoll begonnen, trübte sich von Jahr zu Jahr.

Die Staatseinrichtungen, statt dem Volke Bewegung zu gestatten, statt dem Lande Nutzen zu stiften, wurden zu formlosen, verknöcherten Geißeln, die alles freie Leben zerschmetterten, die selbst das Denken und Fühlen erstickten. Handel und Wandel wurden gehemmt; im Innern entstand ein grenzenloses moralisches und physisches Elend; nach außen bildete sich hermetische Abgeschlossenheit, starre Unbeweglichkeit.

Und als Philaret endlich, endlich 1634 gestorben war, blieb Michael auf der von dem Vater vorgezeichneten Bahn – –

Der Zar, der den Thron betreten unter Beteuerungen konstitutionellster Natur – der liberale Zar ward zum unbeugsamen Autokraten! –

Gar eigentümliche Zustände sind es.

Der Zar ist alles, ihm gehört alles. Nicht nur das Volk, nicht nur das Land. Nein, auch alle Erzeugnisse des Landes, alle Arbeiten des Volkes, und Luft und Wasser und Licht sind sein Eigentum.

Braucht der Zar Arbeiter, so winkt er bloß.

Und siehe da – aus allen Winkeln des Reiches, auf unwegsamen Stegen und Wegen, aus den asiatischen Wüsten, aus den Ödnissen Sibiriens, aus den südlichen Steppen und aus den westlichen Kornkammern kommen sie herbeigeströmt, die Sklaven, um ihrem Herrn zu dienen, um Tag und Nacht, und Nacht und Tag, im Winter und Sommer, bei erstarrenden Frösten, im Brande der Sonne, unentgeltlich für ihn zu arbeiten.

Unentgeltlich, denn die Krone zahlt keinen Lohn. Sei glücklich, elende Kreatur, daß der große Zar dir erlaubt, für ihn zu schaffen und zu leiden.

Du hungerst, du durstest? Du willst ruhen nach den Mühen der Arbeit?

Was kümmert das die Krone? Die armen Gemeinden mögen dich ernähren, sollen dir Essen und Trinken und Schlafstatt geben …

Der Handel ist Monopol des Zaren, das Verdienen Monopol des Zaren …

Niemand im Lande darf mit einem Gegenstand Handel treiben, bevor nicht der Zar seine Vorräte von diesem Gegenstande vorteilhaft verkauft oder billig erworben hat.

Waren, die aus dem Auslande kommen, müssen zuerst der Krone gemeldet und angeboten werden. Sie hat das Vorkaufsrecht, sie bestimmt den Preis oder die Ware, die sie dagegen geben will. Erst wenn sie genug hat, erst das, was sie übrig läßt, das dürfen die Gosty, die »Kaufleute«, erwerben, die übrigens auch verpflichtet sind, die Handelsgeschäfte des Zaren gratis zu führen und bei allem erst das zarische, dann das eigene Interesse im Auge haben müssen. Wehe dem, der bei Übervorteilung der Krone ertappt wird!

Und doch gibt es kühne Leute, die gewagte Spekulationen unternehmen, die sich sogar zu einer gewissen Höhe und Wohlhabenheit aufschwingen. Allerdings, kaum ist ihnen solch ein Zauberwerk gelungen, kaum ist ein von ihnen geförderter Artikel beliebt geworden, so belegt ein zarischer Ukas diesen Artikel mit einem Monopol; die Vorräte der Kaufleute werden niedrig abgeschätzt, eingezogen und dann zu ungeheuren Preisen wieder verkauft …

Unmöglich ist jegliches Vorwärtsstreben, töricht und unnütz das Verdienen, das Erwerben. Das Erblühen einer Industrie an irgend einem Orte wird zu dessen Verderben. Sofort erscheinen dort zarische Beamte, und die unglückliche Stadt muß wochenlang, monatelang umsonst für die Krone arbeiten – arbeiten, bis der Ruin hereinbricht und der Zar gezwungen ist, einen anderen Ort für seine »Aufträge« auszusuchen …

Am besten geht es daher dem, der in Trägheit dahinlebt oder sich mit so viel Verdienst begnügt, daß er mit den Seinen knapp das Dasein fristen kann!

Dem materiellen Elend entspricht der moralische und geistige Zustand.

Aberglaube, ärgerer Aberglaube als bei den anderen damaligen Völkern hielt die Menschen in Rußland gefangen. Es gab keine eigentlichen Schulen, es gab daher auch fast gar keine »Gebildeten«. Da und dort fand man einige, die sich so nannten. Aber worin bestand ihre Bildung? In der Kenntnis einiger Psalmen und Gebete, in etwas Lesen und Kalligraphie.

Lernen ist schädlich; wer lernt, verfällt in Ketzerei.

Dieser Satz galt durchweg und die Erfahrung schien ihn immer bestätigt zu haben.

Zur Ketzerei verurteilt wurden Leute, die seltsamerweise einen Bildungstrieb verraten, die sich »höhere Kenntnisse« angeeignet hatten, die dadurch auf verfluchte Gedanken kamen und über die traurigen Zustände des Landes nachdachten, die sich fragten, ob hier alles so sein müßte wie es war.

Zuweilen waren es auch Leute, denen absonderliche Schicksale gestattet hatten, über die moskowitischen Grenzwälle einen Blick zu werfen; Leute, die fremde Sitten und fremdes Leben und fremde Freiheit kennen gelernt und die nun anfingen, Vergleiche zwischen hüben und drüben zu ziehen.

Fand sich doch im Zarenhause selbst solch ein Freidenker, solch ein Ketzer!

Das war der Bojar Nikita Iwanowitsch, der Oheim des Zaren Michael.

Er ritt – welche Kühnheit – in polnischem Kleide auf die Jagd … Eigenhändig verbrannte der Patriarch das heidnische Kleid und zwang Nikita, sich durch Weihwasser wieder heiligen zu lassen … Professor Alexander Brückner erzählt in seinen »Beiträgen zur Kulturgeschichte Rußlands« (Leipzig 1887) in einem Abschnitt über »ein Kleiderreformprojekt vor Peter demGroßen«: Es gab Fälle, in denen einzelne Vertreter der höheren Kreise so kühn waren, deutsche Kleidung zu tragen, aber die Regierung nahm ein solches Beginnen übel auf. Am 6. August 1675 erschien ein Ukas an alle Hofbeamten, sie sollten bei Strafe der Ungnade und der Degradation sich nicht erdreisten, ausländische Sitten anzunehmen, die Haare nach ausländischer Sitte zu scheren, ausländische Kleidung, Mützen oder Hüte zu tragen oder ihrem Gesinde das Tragen solcher Gegenstände zu gestatten. (Brückner, a. a. O. Seite 192).

Zu verwundern ist nur, daß Nikita mit so leichter Strafe davonkam. Diese Milde mag aber auch der Grund gewesen sein, weshalb der Ketzer sich zu noch schlimmeren Schandtaten hinreißen ließ: er hielt in seinem Hause – es ist entsetzlich! – ein musikalisches Orchester – mit ausländischen Musikanten! … Alles Drohen des Zaren, alles Fluchen der Geistlichkeit nützte bei diesem unverbesserlichen Freigeist nicht, der sich sogar von heidnischen Holländern ein Boot bauen ließ – jenes Boot, das Peter der Große nachmals fand und Veranlassung ward zur Gründung der russischen Flotte. –

Zar Michael starb 1645. Ihm folgte sein Sohn Alexey, der damals erst 16 Jahre zählte, also im gleichen Alter zur Regierung kam wie sein Vater. Vgl. Zarstwowanije Zarja Alexeja Michaylowitscha (Regierung des Zaren Alexey Michaylowitsch) St. Petersburg 1881. 2 Bände.

Alexey Michaylowitsch soll ein aufgeklärter Mann gewesen sein.

Betrachten wir kurz seine Epoche, seine Reformen, seine Erfolge.

Die ersten Jahre seiner Regierung war Alexey – das gestehen selbst seine eifrigsten Lobredner zu – ein Frömmler und ein Zeitvertändler; um die Staatsangelegenheiten kümmerte er sich zunächst nicht, er überließ sie seinem Günstling Boriß Morosow.

Morosow war ein ebenso kluger wie hartherziger Mann. Als ehemaliger Erzieher des Zaren besaß er dessen volles Vertrauen … Alexey hing so an seinem Günstling, daß er sich sogar mit ihm verschwägerte. Sie heirateten im Januar 1648 zwei Schwestern, die Töchter des Elias Danilowitsch Miloslawsky.

Nun kannte der Hochmut des Günstlings keine Grenzen. Er umgab den Thron mit seinen Verwandten; er beutete das Volk aus, daß es mehr blutete als je.

Das Volk blutete und jammerte, aber sein Jammer drang nicht zum Ohre des Zaren.

Hoch ist der Himmel und weit der Zar – das gilt nicht bloß heute, das galt in Rußland schon vor Jahrhunderten. Endlich brach die Geduld der Sklaven, und am 26. Mai 1648 erscholl in den Straßen Moskaus blutdürstiges Revolutionsgeschrei, und entmenschte Männer und Frauen stürzten sich auf die Paläste der vom Blute des Volkes gemästeten zarischen Beamten … Morosow wurde dem Volkswillen geopfert. Aber der Aufruhr legte sich nicht, durch lange Jahre tobte er fort an allen Enden und Ecken; das Elend konnte nicht genug Sühne finden …

Da sah sich Alexey gezwungen, eine »Kammer für geheime Angelegenheiten« zum Schutze gegen die Revolutionäre zu errichten. Sibirien als Verbannungsheim für politische Verbrecher, oder solcher Verbrechen Verdächtige, kam in Mode – und das wirkte genügend.

Jetzt vermochte Alexey sich der Aufgabe, die seiner wartete, bewußt zu werden, und er ging mit einem gewissen Ernst daran, ihr gerecht zu werden. An Reformen – soweit man radikale Änderungen darunter versteht – dachte er indessen nicht. Er wollte nichts Neues einführen, er wollte nur das Alte läutern

Es glückte ihm nur Manches. Am wenigsten aber gelang ihm die Vertilgung der Bestechlichkeit und Trunksucht …

Eine wichtige Tat, die Anerkennung verdient, war die Sanierung des Gerichtswesens: die genaue Festsetzung der Strafen, die Abschaffung der Todesstrafe für soziale Verbrechen.

Um der Willkür der Beamten vorzubeugen, befahl Alexey, daß fortab jeder Untertan freien Zutritt zu ihm haben sollte, und eine hübsche Sage berichtet, daß vor dem Fenster seines Lustschlosses im Dorfe Kolomenskoje sich eine blecherne Büchse, eine »Gnadenbüchse« befand, in welche allmorgendlich, sobald der Zar ans Fenster trat, die schon draußen angesammelten Bittsteller vor den Augen ihres Fürsten die Beschwerden und Gesuche hineinwarfen.

Die Steuern wurden gemildert, einige der Vorrechte, welche die Großen zum Nachteile der Armen besaßen, aufgehoben, Handel und Wandel ermuntert, die Kirchentexte geprüft und ausgebessert.

Die Tagesgeschichte Europas schien wichtig genug, daß der Zar eine deutsche Zeitung hin und wieder übersetzen und unter seinen Hofleuten verbreiten ließ. Doch waren die Russen keineswegs so neugierig, alles jenseits ihrer Grenzen Vorgefallene schnell wissen zu wollen. So geschah es oft, daß Ereignisse, die schon Jahre alt waren, am Hofe zu Moskau als brennende Neuigkeiten aufgetischt wurden; daß das Beglaubigungsschreiben einer russischen Gesandtschaft nach Spanien im Jahre 1667 an den zwei Jahre zuvor verstorbenen König Philipp den Vierten gerichtet war.

Diese »Taten« verliehen Alexey den Beinamen des – Aufgeklärten … Aber im Lande des aufgeklärten Alexey wurden die Frauen ärger als im ganzen übrigen Orient behandelt.

Man hielt sie vom männlichen Umgang so abgeschieden, Über das Frauenleben jener Zeit berichtete Iwan Ssabjelin in seinem monumentalen russischen Werke: »Domaschny byt russkich zariz w XVI i XVII stol.« (Das häusliche Leben der russischen Zarinnen im 16. und 17. Jahrh.). Dritte Auflage, Moskau 1901. Lex. 8°. 788 Seiten und zahlreiche Bilder-Beilagen. daß selbst der aufgeklärte Alexey dem Arzte nur im dunklen Zimmer zur Zarin Maria zu treten gestattete, und diese durfte ihren Puls erst fühlen lassen, nachdem sie die Hand mit einem feinen Seidenzeug verhüllt hatte, damit die unmittelbare Berührung derselben durch einen fremden Mann vermieden würde.

Erst in den letzten Lebensjahren des Zaren Alexey traten Verhältnisse ein, welche man einigermaßen als freiere bezeichnen kann.

Die erste Gemahlin Alexeys, Zarin Maria Iljinitschna, war gestorben, und im Jahre 1669 beschloß Alexey, wieder eine junge Grattin in seinen Palast an der Moskwa zu führen.

In früheren Jahrhunderten, zur Zeit der Teilfürsten, wählten die Herrscher ihre Frauen vorzugsweise aus regierenden russischen, aber auch ausländischen Häusern, besonders aus Griechenland oder Polen, einmal aus dem Polowzen-Chanat. Die Großfürsten von Moskau befolgten dieselbe Regel, bis Wassily Iwanowitsch zuerst von ihr abwich, indem er sich eine Braut aus dem Stande seiner Untertanen erwählte. Das gleiche taten dann seine Nachkommen und auch die ersten Romanows.

Als Alexey zum zweiten Male zu heiraten beschlossen, wurden aus allen Enden und Winkeln des Reiches siebzig schönheitsstrahlende Jungfrauen, nicht nur aus den Häusern der Vornehmen und Reichen, sondern auch aus den Hütten der Armen, nach der Krönungsstadt gebracht.

Die zarische Oberhofmeisterin nahm die Mädchen in Empfang und unter ihre Aufsicht und wies einer jeglichen ein besonderes Zimmer im zarischen Schlosse an, allwo sie bis nach Verlauf der Wahlzeit ihren Aufenthalt haben sollte. Doch speisten alle Brautkandidatinnen zusammen an einer großen Tafel.

Reichlich hatte der Zar Gelegenheit, die Jungfrauen zu sehen.

Manchmal verkleidete er sich – wie die Legende erzählt – und wartete den Fräulein als schlichter Speisenträger auf, um unerkannt die Manieren einer jeden studieren zu können. Indessen blieb dies den jungen Damen nicht verborgen, und gar sehr nahmen sie sich in acht, daß sie bei Tische recht nett und lieb waren.

Anders war es allerdings, wenn der Zar die »Bräute« durch Ritzen und Löcher in den verschiedenen Zimmerwänden beobachtete. Da konnte er eher das wahre Wesen der Mädchen erkennen, von denen sich jedes in der Hoffnung wiegte, Zarin des moskowitischen Riesenreiches zu werden.

Es ist nur natürlich, daß man von vielen Seiten den Fürsten zu bestimmen suchte, diese oder jene Jungfrau vorzuziehen.

Der Zar indessen hatte einzig und allein sein Herz entscheiden lassen und bald gewählt.

Doch niemand erfuhr vor der Stunde der Entscheidung sein zartes Geheimnis.

Eines Tages rief Alexey Michaylowitsch die Oberhofmeisterin und befahl ihr:

»Lasse für 69 der Jungfrauen prächtige Kleider verfertigen, das prächtigste aber, das Brautkleid, für die siebzigste, deren Namen du am Wahltage erfahren wirst. Denn gewählt habe ich aus dem wundersamen Kranze die köstlichste Blume. Neunzehnmal durchwanderte ich die Frauengemächer. Durch Tage und Wochen beobachtete ich das Wesen einer jeglichen. Aber keine übertraf die Eine, welche nun die Sehnsucht meines Herzens ist.«

Und als der Morgen des 17. Februar 1669 die Kuppeln des Kremls vergoldete und die Oberhofmeisterin mit dem Brautkleide vor dem Zaren erschien und fragte, wem sie es bringen solle, da erwiderte Alexey:

»Gehe zu Natalie, der Tochter des Kirill Naryschkin, und huldige ihr, deiner Zarin.«

Und wenige Stunden später ward die Auserwählte feierlich mit Alexey getraut. Die anderen 69 Jungfrauen aber zogen reich beschenkt wieder heim in ihre Häuser und Hütten …

Natalia Kirillowna Naryschkina, die plötzlich zur Zarin geworden, war die Tochter eines einfachen Reiteroffiziers und einer Ausländerin, einer geborenen Hamilton.

Aus Schottland war unter einem der früheren Zaren ein Hamilton nach Rußland gekommen, und seine Nachkommen lebten als Dienstleute der Krone in der deutschen Sloboda bei Moskau. Der Oberst des Reiterregiments, in welchem Kirill Naryschkin diente, namens Matwejew, heiratete eine Hamilton; deren Nichte wieder vermählte sich mit Naryschkin. Dieser wie auch Matwejew waren beide niederer Herkunft. Selbstverständlich erschien es den Russen, daß der Zar eine niedriggeborene Landestochter heiraten konnte; denn »ein Zar braucht weder Reichtum, noch eine große Verwandtschaft, sondern nur ein schönes und tugendhaftes Gemahl«. Aber gräulich war ihnen die Heirat selbst des niedrigsten Russen mit der vornehmsten Fremden, einer Genossin des heidnischen römischen oder gar lutherischen Glaubens, und an der Sache änderte ein Übertritt der Braut zur orthodoxen Kirche nur wenig.

Matwejew und Naryschkin wurden von ihren Landsleuten ob ihrer Heiraten scheel angesehen, aber sie ließen sich ihre Wahl nicht verdrießen und lebten in heiterer Zufriedenheit; ja, Matwejew erreichte sogar einen gewissen Wohlstand, der es ihm gestattete, die Tochter des Kirill in sein Haus zu nehmen, um sie hier besser zu erziehen, als es sonst in der Sitte der Zeit lag.

Matwejews Haus war anders als die Häuser der übrigen Russen. Die nahende Aufklärungszeit warf dorthin ihre ersten Lichter. Hier herrschten europäische Art und Weise, hier war ein Mittelpunkt für alle Fremden, hier fanden sich die Gesandten der Staaten Europas ein, und die »aufgeklärten Geister« der Zeit – was man damals so nannte – hielten hier ihre Versammlungen. Die Frauen nahmen teil an den Unterhaltungen der Männer und verkehrten mit ihnen freier, beinahe ungezwungen.

Natalia Kirillowna sah andere Sitten als Muster vor ihren Augen, wie die übrigen russischen Mädchen jener Epoche, und infolgedessen eignete sie sich schönere Umgangsformen an, die den Zaren wohl bestricken konnten.

So geschah es – merkwürdiges Schicksal! – daß die Tochter des abtrünnigen Kirill Naryschkin und der heidnischen Fremden zur Zarin von Moskau emporstieg und die Mutter Peters des Großen ward.

Zwar hatte sie einen schweren Stand, da aber der Zar sie aufrichtig liebte, hielt er treu und innig an ihr fest, so daß sie es wagen durfte, der Aufklärung eine Gasse zu bahnen – eine ganz kleine schmale Gasse.

Sie war es, welche nach Alexeys wenige Jahre später erfolgtem Tode die Erziehung des jungen Peter ganz an sich nahm und in ihm Liebe für das Ausland, für ausländisches Wesen, für ausländische Bildung erweckte.

Ihr verdankt also eigentlich Rußland alle die gewaltigen Neuerungen, welche bald darauf den asiatischen Staat in einen halbeuropäischen verwandelten. Von der zeitgenössischen Literatur wurden folgende Werke benutzt: Sigismund Herberstein, Commentarii rerum Moscouiticarum in der deutschen Ausgabe: Jovius und Herberstein, Die Moscovitische Chronica, Frankfurt a. M., Feyerabend 1579. Folio. – Peter Petrejus de Erlesunda, Historien und Bericht von dem Grossfürstenthumb Muschkow etc. Lips. 1620. 4°. 12 Bl. u. 695 S. – Baron Meyerbergs Reise in Russland in den Jahren 1661 und 1662, in der 1858 zu Paris erschienenen französischen Übersetzung in kl. 8°. (A. de Mayerberg, Relation d'un voyage à Moscovie). – A. Olearius, ausführliche Beschreibung der kundbaren Reyse nach Muskow und Persien. 3. Auflage. Schleswig 1663. Fol. – J. Margeret, Estat de l'Empire de Russie, in der »nouvelle édition par Chevreuil«,Paris 1860. 12°. Margeret, ein Franzose, kam 1601 nach Rußland und kehrte nach dem Sturze des falschen Demetrius in seine Heimat zurück, wo er auf Wunsch Heinrichs IV. seine Erlebnisse veröffentlichte. Sein Werk erschien zuerst 1609, ging bis auf ein einziges Exemplar verloren und wurde nach diesem letzten Exemplar 1669 neu aufgelegt. – Nicolas Witsen, Reise in Rußland und der Tartarei, Amsterdam 1671, holländisch. – Reutenfels, De rebus Moscoviticis, Patav. 1680. – Alberti Heidenfeld, Beschreibung der Orientalischen Königreiche Türkey, Persien, Moscau und China. Franckfurt 1680, 8°. – Georg Adam Schleusings Neuentdecktes Sybirien, Jena 1690. 12°. – Salmon, Der Staat von Rußland, Altona 1742. – Strahlenberg, Das Nord- und Östliche Europa, Stockholm 1750. – Vgl. ferner: Schiemann, Rußland bis ins siebzehnte Jahrhundert. Berlin 1884. – Brückner, Die Frauenfrage in Rußland im Zeitalter Peters des Großen. Russische Revue XV. 120. – Brückner, Die Europäisierung Rußlands, Gotha 1880. – Brückner, Beiträge zur Kulturgeschichte Rußlands im XVII. Jahrhundert (Bilder aus Rußlands Vergangenheit, erster Band) Leipzig 1887. – Kleinschmidt, Rußlands Geschichte, dargestellt in der seines Adels, Cassel 1877, 8°. – Dr. Arthur Kleinschmidt, drei Jahrhunderte russischer Geschichte, Berlin 1898. – W. Pierson, Aus Rußlands Vergangenheit, Leipzig 1870. – De la Marche, Anecdotes russes, Londres 1764. – Hupels nordische und Neue nordische Miscellanen, Riga 1782, 19 Bände. – Ustrjalows Geschichte Rußlands. Russisch. – Ssolowjew, Geschichte Rußlands. Russisch. – Karamsin, Geschichte Rußlands. – Die Werke von Strahl und Herrmann, sowie von Wagner (Geschichte des russischen Reiches), sowie die meisten Arbeiten über Peter den Großen. – Besondere Erwähnung verdienen endlich: Crusenstolpe, Der russische Hof. Hamburg 1855. – Galitzine, La Russie au XVIII. siècle, Paris 1863. – Nicolas de Gerebtzoff, Essai sur l'histoire de la civilisation en Russie, 2 vols. Paris 1868. Dem Zaren Alexey folgte 1676 sein fünfzehnjähriger kranker Sohn Feodor. Der frühe Tod desselben im Jahre 1682 schien Rußland wieder einer schweren Zeit anheimgeben zu wollen. Feodor hinterließ keine Kinder, sondern nur einen leiblichen Bruder und einen Stiefbruder. Der eine, Iwan, Sohn der ersten Gemahlin Alexeys, Maria Iljinitschna Miloslawska, war volljährig, aber krank und blödsinnig; der andere, Peter, Sohn der zweiten Gemahlin Alexeys, Natalia Kirillowna Naryschkina, zählte erst zehn Jahre. Den Bemühungen der energischen Zarin Natalia gelang es durchzusetzen, daß neben Iwan, dem rechtlichen Thronfolger, auch Peter zum Mit-Zaren ausgerufen wurde; sie konnte es aber nicht verhindern, daß im Namen dieser beiden Zaren nicht sie, sondern ihre Stieftochter Sophia Alexejewna die Regentschaft erhielt, welche diese ehrgeizige Fürstin in Gemeinschaft mit ihrem Günstling Galitzin Brückner, Russ. Revue XIII, 298 und 305. Eine interessante Studie über diese Zeit veröffentlichte der russische Historiker Stchebalsky, sie erschien in französischer Übersetzung unter dem Titel: Stchebalsky, la régence de la Tzarewna Sophia, épisode de l'histoire de Russie 1682–1689, trad. par le Prince Galitzine, Carlsruhe 1857. auch durch sieben Jahre ausübte. Aber schließlich ging ihre Herrlichkeit zu Ende. In aller Stille war Peter herangewachsen, sein großer Geist erwachte, sprengte die Bande, mit denen Sophia ihn noch zu fesseln versuchte, und er trat aus dem Dorfe Preobrashenskoje, wo ihn die Stiefschwester eingesperrt gehalten, plötzlich auf die Bühne der Welt. Obgleich noch jung, zeigte er entschiedenen Willen der Selbstbestimmung; Sophia erschrak vor ihm und sandte aus den Reihen der Streljzen-Leibwache Mörder ab, Peter zu verderben. Allein gewarnt, rettete sich der junge Zar, trat, an der Spitze der von ihm selbst aus gleichaltrigen Genossen gebildeten, bisher nur zu Spielereien verwendeten Soldatenschar, der herrschsüchtigen Schwester und ihrem Günstling gegenüber und entsetzte sie ihrer Macht. Und nun nahm er die Alleinherrschaft an sich, indem er auch den blödsinnigen Iwan vom Throne stieß.

Eine neue Zeit begann …

Kaum war Peter selbstherrschend geworden, so ging er daran, sein Reich umzugestalten, Asien in Europa, die Barbarei in Zivilisation zu verwandeln.

Vor seiner stürmischen Neuerungssucht sollte alles Alte jählings zusammenbrechen; nichts mehr sollte an die Vorzeiten und Vorfahren erinnern, selbst das Allergeringste, das Allerunwichtigste nach ausländischem Muster neugemodelt werden – ob es nun so gut war oder nicht.

Und er leistete Ungewöhnliches.

Er führte gewaltige Kriege, er schuf eine vortreffliche Armee, er gründete die russische Flotte, er belebte Handel und Wandel und versuchte es wenigstens, auch der Korruption zu steuern und Bildung und Wissenschaft ins Land zu ziehen.

Doch da er selbst im Herzen roh und barbarisch geblieben, fand er für die rechten Ziele nicht die rechten Mittel. Bildung und Gesittung kamen unter dem Schutz der Knute nach Rußland – sie wurden deshalb nur aus Furcht eingelassen, nicht aus Liebe willkommen geheißen, und wo man sich ihnen entwinden konnte, da tat man es.

Es blieb alles ziemlich äußerlich, eitler Firlefanz.

Das Land errang durch Peter Größe, Macht, Ansehen; das Volk aber gewann durch ihn verhältnismäßig wenig; es wurde mit einer Bildung und einer Gesittung begnadet, denen eine ehrliche Barbarei fast vorzuziehen ist.

Entgegen der Meinung, daß nicht das Kleid den Wert des Menschen ausmacht, glaubte Peter, daß ein Barbar nur ein europäisches Kleid sich umzuwerfen braucht, um sofort zu einem gesitteten Menschen zu werden. Das erklärt, weshalb Peter vor allen anderen Dingen der alten nationalen Kleidung an den Kragen ging.

Eines Tages erschien ein kaiserlicher Befehl, daß jeder, der von der Regierung besoldet werde oder Zugang zum Hofe haben wolle, in ausländischer Tracht erscheinen müsse. Ferner wurden Muster einer solchen Kleidung über alle Stadttore von Moskau, Petersburg und allen größeren Orten gehängt, und wollte jemand, der nicht etwa ein Geistlicher, ein Bauer, Kosak, Kalmück oder Tatar war – denn diese blieben noch ausgenommen – mit einem langen Kleide nach alter Art durch die Tore gehen, so hatte er entweder einen Geldzoll von zwei Griewen oder 20 Kopeken zu bezahlen, oder mußte unter dem Tore niederknieen und dulden, daß ihm der Rock soweit, als er beim Knieen des Trägers auf der Erde schleppte, abgeschnitten wurde.

Mit den neuen Kleidern war das Tragen eines langen Bartes unvereinbar. Wie den Orientalen der Bart als Sitz der guten Geister erscheint, so glaubten die Russen, daß er ein Attribut – des Christentums sei, daß durch sein Beschneiden das Ebenbild Gottes entstellt werde. Wie wert den Russen ihr Bart war, geht aus einer Verordnung des Jaroslowschen Gesetzbuchs hervor, welche eine 14 mal größere Geldbuße auf ausgerauften Bart als auf abgehauene Finger setzte. Peter aber kehrte sich nicht daran; die Ausländer trugen glattes Kinn – also mußten es auch die Russen tun. Er befahl, daß man sich die Bärte rasieren ließe, und führte diesen Befehl, ob auch das Volk ihn als heidnisch erklärte, mit tyrannischen Maßregeln durch. Er gestattete den Bart nur den Geistlichen, den Landbauern und solchen, die eine Steuer von 100 Rubel jährlich bezahlten. Ja, auch jeder Bauer, der mit einem Barte in die Stadt kam, mußte unter dem Tore eine Kopeke bezahlen.

Diese Maßregeln führten die neue Sitte in den Hauptstädten schnell ein; schwieriger aber ward die Verbreitung derselben in den entfernteren Teilen des Reiches, und da geschah es oft, daß übereifrige Beamte dem zarischen Befehl mit einer drakonischen Gewaltanwendung Gehorsam zu schaffen suchten, wie einmal in Woronesch. Die Mitglieder des Magistrats dieser Stadt waren nicht zu bewegen, sich rasieren zu lassen. Zu Ostern sollte der Zar Woronesch besuchen, und Mentschikow wollte seinem Herrn eine freudige Überraschung damit bereiten, daß die Magistratsherren zu seinem Empfange mit rasiertem Kinn erschienen. Er hatte für sie vollständige deutsche Kleider machen lassen und berief sie am Abend vor Ostern zu sich.

»Ich habe«, so sprach er dann zu ihnen, »den strengsten Befehl vom Zaren, daß ihr diese Kleider anzieht und euch den Bart scheren lasset. Wollt ihr? Nein? Dann macht euch zur Reise nach Sibirien fertig, die Kibitken sind bereit, euch aufzunehmen.«

Die Bedrohten weinten, flehten, fielen auf die Kniee und versicherten, daß sie lieber ihre Köpfe als ihre Bärte verlieren wollten.

Mentschikow winkte einigen Soldaten, daß sie die Jammernden zu den Kibitken schleppten. Da beschloß der jüngste der Herren, welcher erst kurz verheiratet war und dem das Scheiden von der jungen Gattin doch schwerer fiel als die Trennung von seinem Barte, den letzteren zu opfern, und er rief:

»Ich bleibe – es geschehe der Wille des Himmels.«

Wieder winkte Mentschikow, und es erschien ein Friseur, und der stattliche Bart des Abtrünnigen fiel.

Und das böse Beispiel wirkte, einer nach dem anderen der Herren folgte, ein Bart nach dem anderen zerfloß unter dem Seifenschaum und dem Rasiermesser …

Dies eine Beispiel mag für viele genügen. Lange noch war das Rasieren unpopulär, und gar viele fromme Russen ließen sich den unfreiwillig abgeschnittenen Bart mit in den Sarg geben, um im Jenseits dem Schutzpatron des Reiches, dem heiligen Nikolai, dieses Glaubenszeichen vorweisen zu können.

Gar nicht zu bewegen, sich dem neuen Gesetz zu fügen, blieben nur die Raskolniky oder Altgläubigen. Peter traute sich aber nicht, dieser mächtigsten aller religiösen Sekten allzu schroff zu begegnen, und ließ ihnen den Bart gegen Entrichtung einer regelmäßigen Bartsteuer. Als Quittung und als Dokument ihres Bartprivilegiums ward ihnen jährlich nach bezahlter Steuer eine Münze gegeben, welche »Borodowaja«, Bartmünze, hieß. Auf derselben war auf der einen Seite eine Nase mit Schnurrbart und Bart; auf der andern die Aufschrift: »dan platschena«, bezahlte Steuer, samt der Jahreszahl.

Um seinen Leuten den Fortschritt von einst und jetzt recht klar vor Augen zu führen, veranstaltete Peter einmal bei Gelegenheit der Hochzeit eines Hofnarren ein Fest nach altväterlicher Sitte.

Zu diesem mußte alles in Kleidern erscheinen, die man vor Jahrhunderten getragen. Auf sonderbar geschirrten Pferden kamen die Bojaren in unförmlichen Kostümen, mit ungewöhnlich hohen Mützen, herangeritten. Einige hielten statt der Zügel silberne Ketten, deren Glieder anderthalb Daumen breit waren. Mit kleinen Silberplatten waren auch die Brust- und Schweifriemen der Rosse geziert, und wenn die Pferde liefen, tönte es wie Glockenklang.

Die Frauen fuhren dicht verschleiert in unbequemen zweirädrigen Tatarenwagen, welche über jeden Stein stolperten und stürzten, so daß die Insassinnen sich in einem ewigen Kreischen und Jammern befanden. Ihre Kleidungen waren ebenfalls nach längst verstorbenen Moden geschnitten. Dicht gekräuselte Hemdärmel reichten bis über die Hände herunter, und fünf Daumen hohe Absätze machten die Schuhe zu Stelzen, auf denen die Schönen hin und her balanzieren mußten und nur mit Mühe das Gleichgewicht erhalten konnten.

Das Fest fand, wie alle damaligen Feste, in dem Prachtpalast des Fürsten Mentschikow statt. Auf einem drei Stufen hohen Thron saßen der Afterzar und der Afterpatriarch und empfingen die Huldigungen der Menge. Jeder Gast wurde bei seinem Eintreten mit seinem und seines Vaters Namen angerufen, trat dann zum Zaren und zum Patriarchen, küßte beiden ehrerbietig die Hände und empfing als Willkommgruß eine Schale Schnaps.

Dann ward an einfachen hölzernen Tischen gespeist. Allein die Speisen, nach der alten Kochkunst bereitet, ekelten die durch neuere Rezepte verwöhnten Mägen der Gäste an. Noch schlimmer war das aus Met und Branntwein gemischte Gebräu, welches den Lieblingstrank der alten Russen gebildet. Hatten die Gäste alles gleichmütig ertragen – das ward unerträglich …

Nach der Tafel wurde getanzt. Doch was waren das für komische Tänze? Die Männer und Weiber glaubten ihren Augen kaum. Statt der graziösen französischen und deutschen Tänze, welche sie in ihren Sälen gewohnt waren, sahen sie hier Sprünge und Stampfereien, die keiner von ihnen mitmachen mochte. Dazu diese Musik, diese schreckliche Musik des Kuhhorns, der Balalayka, des Gudoks und der Dudelsackpfeife.

Endlich wurde das neuvermählte Paar in die Brautkammer geführt. Da aber war es schauerlich. Obgleich man vor Kälte klapperte, hatte man nach alter Sitte die Stube ungeheizt gelassen, und ein schmales Bett aus ungehobelten Brettern winkte dem jungen Ehepaare.

Da verwünschten alle die gute alte Zeit. –

Besonderes Vergnügen hatte Peter an Zwergen, welche seine Hofnarren abgeben mußten, und er nahm alle Gelegenheiten wahr, mit diesen verkrüppelten Geschöpfen seinen Spaß zu treiben.

Gelegentlich der Vermählung des Herzogs Friedrich Wilhelm von Kurland mit der zarischen Prinzessin Anna, welche am 10. des Wintermonats 1710 stattfand, ließ Peter eine Hochzeit zweier Zwerge mit aller möglichen Pracht, die bei der Vermählung eines regierenden Fürsten beobachtet wird, veranstalten. Bei dieser Hochzeit mußten alle Beamten und Bedienten von eben derselben kleinen Menschengattung sein, wie das Brautpaar, zu welchem Zwecke aus den entferntesten Teilen des Reiches 72 der verkrüppeltesten Männlein und Weiblein zusammengebracht wurden.

Am Tage vor der Hochzeit fuhren die zwei kleinsten dieser kleinen Menschen in einem dreirädrigen Miniaturwagen von Haus zu Haus, die Hochzeitsgäste einzuladen, während vor dem Wagen zwei andere Zwerge auf Zwergenpferden voranritten.

Am Tage der Trauung führte den Hochzeitszug als Marschall ein Zwerg an; ihm folgte das kleine, aufs zierlichste herausgeputzte Brautpaar, begleitet von dem Kaiser und seinen Räten, den Bojaren und Knjäsen. Hierauf kamen die übrigen Zwerge, Paar auf Paar, und an diese schloß sich die neugierige Menge.

Bei der Trauung hielt Peter selbst nach dem Gebrauch der griechischen Kirche den Kranz über dem Kopfe der Braut. Das Hochzeitsmahl war im Palaste des Fürsten Mentschikow, in demselben Saale, wo vor zwei Tagen der Zar an dem Vermählungsfeste seiner Tochter, der Großfürstin Anna, die Gäste bewirtet hatte. Die Zwerge speisten an niedrigen Tafeln; die Brautleute saßen an zwei verschiedenen Tischen unter seidenen Thronhimmeln; der Marschall und seine acht Untermarschälle – sämtlich Zwerge – rannten geschäftig hin und her; der Zar und die übrigen hohen Herren mit ihren Damen saßen als Zuschauer auf einer Bank an der Seite des Saales.

Während der Tafel spielten sich viele köstliche Szenen ab. Der kleine Vorschneider, welcher zwischen den beiden Brautjungfern saß, wurde von diesen mit einem schönen Bande beschenkt, wofür er einer jeden zur Erkenntlichkeit einen Kuß gab. Der kleine Marschall brachte die Gesundheit aus, indem er ein großes Glas auf einen Zug leerte, was sich sehr possierlich machte. Nach aufgehobener Tafel tanzten die Zwerge einen Nationaltanz, der durch die absonderlichen Gestalten der Tanzenden ergötzlich genug war. Einige hatten einen hohen Buckel und kurze Beine; andere waren mit einem ungeheuer dicken Bauch ausgestattet; einige watschelten auf Füßen gleich einem O, andere auf Füßen gleich einem X; bei vielen konnte man vor dem erschrecklich dicken Kopfe kaum noch etwas anderes vom Körper sehen; manche hatten schiefe Mäuler oder auffallend große Ohren, andere endlich ganz kleine Augen und dicke Backen … Die Lustigkeit wurde rechtschaffen bis gegen Mitternacht getrieben, worauf das junge Ehepaar nach dem Zarenpalast gebracht ward, wo es Wohnung erhielt.

Wie die Hochzeit eines Zwerges, so wurde auch das Begräbnis eines solchen mit dem feierlichsten Pomp begangen. Vier Priester im Kirchenornate, zwei Marschälle des Kaisers und ein Chor von 30 Sängern gingen vor der Leiche her. Der mit schwarzem Sammt bedeckte Sarg lag auf einem, von sechs sehr kleinen Rappen gezogenen Schlitten, auf dem sich auch der hinterbliebene Bruder des Verstorbenen, ein 50jähriger Zwerg, befand. Gleich hinter der Leiche kamen die anderen Leidtragenden: 12 Paar Zwerge in schwarzen Trachten, mit langen Mänteln und Floren, und 12 Paar der Größe nach sich folgende Zwerginnen. Den Zug beschlossen der Zar, die Minister, Generale und Beamten.

Die meisten seiner Neuerungen trugen dem Zaren keine Sympathie ein. Er geriet bald in den Ruf eines Abtrünnigen, und es fehlte auch nicht an Stimmen, die ihn sogar als Satan bezeichneten, namentlich als er die Rechte der Geistlichkeit anzutasten, die Patriarchenwürde abzuschaffen wagte und statt derselben eine ganz vom Zaren abhängige Behörde, den Heiligen Synod, errichtete.

Ja, schließlich ließ er die Geistlichen auch nicht mehr in die Kirche, und es kam vor, daß er an Sonntagen selbst als »Summus pontifex« auftrat und mit lauter Stimme die Gebete und allerlei Predigten vortrug, so daß ein Zeitgenosse Des großen Herrn Czaars und Großfürsten von Moskau Petri Alexowicz Leben und Thaten. Franckfurt 1710. von ihm sagte: »Er ist ein recht gottesfürchtiger und streitbarer Josua, welcher nicht nur die Hände aufhebt zum Beten, sondern dieselben auch zur Regierung und Verteidigung seines Volkes braucht, durch sein fleißiges Kirchengehen aber mit seinem Exempel bezeiget, mit was für Ehrerbietigkeit er Gott umb die Wohlfahrt des Landes wolle anrufen und sein heiliges Wort zum Segen der Untertanen in aller Herzen verehren lassen.«

Den Geistlichen war das ein Greuel, und sie erhoben ein großes Gejammer über den »Satanzaren«. Da griff Peter zu einem Mittel, um den Klerus zu verderben – er wollte ihn lächerlich machen. Er stellte Maskeraden an, in welchen die Geistlichen persifliert wurden; er ernannte seinen Jugendlehrer Sotow, einen 84jährigen, halb blödsinnigen Mann zum Papste, der in dieser Würde einer hübschen jungen Witwe angetraut ward. Zur Feier dieser sonderbaren Hochzeit wurde ein großes Fest bereitet. 400 Personen, Männer und Frauen, Bojaren, Offiziere, Kaufleute und fremde Gesandte mit ihren Familien fanden sich dazu ein.

Die vier Personen, die nach russischer Sitte einige Tage vor der Hochzeit zu derselben einluden, waren die größten Stammler, die man im ganzen Zarenreiche hatte finden können. Zu Marschällen, Brautführern und Arrangeuren wählte der Zar steinalte, zu Läufern dickbeleibte podagrische Personen.

Ein Bojar stellte für diesen Tag den Zaren von Moskau vor und zwar in der Maske des Königs David, aber statt der Harfe hielt er in der Hand eine mit einer Löwenhaut überzogene Leier, die er immerfort drehte.

Der Zug bewegte sich durch die vornehmsten Straßen von ganz Petersburg. Der Afterzar saß in einem großen Schlitten auf einem hohen Gerüste; an dessen vier Enden befanden sich ungeheure Bären, die von Zeit zu Zeit durch scharfe Stacheln zu fürchterlichstem Brummen gereizt wurden. Peter selbst war als friesischer Bauer gekleidet; er und noch drei andere gleich ihm gekleidete Generale schlugen die Trommel. Die übrigen Gäste gingen je vier in verschiedenen Trachten und mit verschiedenen Instrumenten. So kam unter Läuten aller Glocken der Hauptstadt der Zug in die Hauptkirche, wo das ungleiche Brautpaar vor den Altar gebracht und von einem hundertjährigen Priester getraut wurde, dem schon Gehör, Gesicht und Gedächtnis fehlten. Man hielt ihm zwei Lichter vor die bebrillte Nase und schrie ihm in die Ohren, was er dem Brautpaare vorbeten sollte. Aus der Kirche ging es in den Palast des Zaren, wo die Lustbarkeiten in ausschweifende Trinkgelage ausarteten.

Der Afterpapst war eines Tages tot, und unter den feierlichsten Zeremonien wurde zur Wahl eines neuen geschritten.

Im Hause des verstorbenen Papstes sollte die Wahl stattfinden. Hier waren aus diesem Anlasse zwei große bleierne, zwei große hölzerne und 64 steinerne Glocken, mit Klöppeln versehen, aufgehängt, und alle wurden in wildem Gewirr durcheinander geläutet.

In dem »Wahlzimmer«, dessen Wände statt mit Tapeten mit Strohmatten bekleidet waren, stand ein mit roter Leinwand bedeckter, 6 Stufen hoher Thron; mitten auf ihm lag eine halb blau, halb rot bemalte Schnapstonne, auf der ein lebendiger Bacchus saß, nämlich ein Mensch, den man durch 8 Tage nicht hatte nüchtern werden lassen. Zur rechten Seite des Thrones war ein Stuhl für den Afterzaren und auf der linken Seite einer für den zu erwählenden Papst. An der Wand standen 13 durchlöcherte Stühle für die »Kardinäle«.

In einem Nebenzimmer, dem »Konklavezimmer«, waren für den Papst und die Kardinäle 14, durch Strohmatten voneinander getrennte Logen errichtet. In jeder hing ein Schuh von Bast statt eines Leuchters. In der Mitte dieses Zimmers standen ein Bär und ein Affe aus Ton, daneben Schnapstonnen.

Nachmittags begannen alle Glocken der Residenzkirchen zu läuten, und durch die Straßen bewegte sich ein seltsamer Zug.

Voran schritt ein Marschall in gewöhnlicher Kleidung mit einem roten Stab. Ihm folgten zwölf Chorpfeifer als Pagen des Papstes; sie trugen Löffel mit Schellen.

Dann kamen die hervorragendsten Zivilbeamten und Staatsdiener, Minister, Generale, Gesandte, Geistliche, wirkliche und falsche, der Kaiser, ein Zwerg als päpstlicher Sekretär, sechs Stammler als päpstliche Herolde.

Auf einer Schnapstonne, die sechzehn, aus den Schänken gerade zusammengelesene besoffene Bauern trugen, saß ein besoffener Kerl als Bacchus. Vor dieser sehr schwankenden Tonne ging ein alter schwacher wankender Greis, der brennende Tannenzweige hin und her schwenkte, um den Weihrauch zu symbolisieren.

Eine andere Schnapstonne mit einem zweiten Bacchus wurde von zwölf Kahlköpfen, die mit Luft gefüllte Schweinsblasen in den Händen hatten, transportiert.

Den Zug beschlossen die Kardinäle; sie hielten an das Herz gedrückt Bücher, die Gebetbüchern ähnlich waren, aber bloß Lieder zu Ehren des Bacchus enthielten.

Als die Prozession in den Vorhof des Wahlhauses gekommen war, empfing man sie mit lautem Willkommen und schlug mit hölzernen Hämmern auf leere Tonnen. Während sich die übrige Gesellschaft in verschiedenen Zimmern trinkend und johlend unterhielt, wurden die »Kardinäle« in das Konklavezimmer eingesperrt und mußten in demselben über Nacht bleiben. Abgesehen von dem, was sie sonst zu trinken beliebten, war jeder von ihnen gezwungen, alle Viertelstunden einen riesigen Löffel voll Branntwein hinunterzuschlucken. Am nächsten Morgen wurden dann die besoffenen Kardinäle herausgelassen, um die Wahl vorzunehmen, konnten sich aber nur schwer einigen; jeder hätte gern das lächerliche Amt übernehmen mögen, denn es war mit ihm eine jährliche Besoldung von 2000 Rubeln verbunden; ferner wurde dem sogenannten Papst ein Haus in Petersburg und eins in Moskau geschenkt und ihm zugestanden, aus dem zarischen Keller soviel Wein, Schnaps und Bier zu verlangen, als er für sein Haus nur immer brauchen konnte; schließlich mußten ihm auch alle, ob hoch, ob niedrig, hohe Ehre erweisen, als wenn er wirklich Summus Pontifex wäre, und wer dessen sich weigerte, unterlag einer schweren Geldstrafe.

So ist es begreiflich, daß die Kardinäle sich nicht bald einigen konnten. Endlich aber entschied der Machtspruch des Kaisers, und der Proviantkommissär Strogost wurde gewählt.

Man trug ihn auf den Thron, und alle nahten sich ihm und küßten seine Pantoffel, er aber, der in seiner chimärischen Herrlichkeit aufgeblähte Papst, reichte jedem einen Löffel Schnaps. Hierauf setzte man den Papst bis zur Brust in eine schnapsgefüllte Tonne, aus welcher er dann den Hinzutretenden zu trinken gab.

Endlich ging es zur Tafel; die wirkliche Äbtissin Galitzyn und drei Nonnen servierten die Speisen, welche aus gut zubereiteten Katzen, Mäusen, Füchsen, Bären, Wölfen und ähnlichen artigen Tieren bestanden. Dabei wurde recht wacker bis in die späte Nacht getrunken.

Man trennte sich unter allerlei Scherzen und versprach, bei nächster Gelegenheit den Afterpapst auch zu krönen. Die nächste Gelegenheit aber, zu welcher diese Herren alle zusammenkamen, war – die Leichenfeier Peters des Großen.

Mehr Verständnis und Folgsamkeit als bei den Männern fand Peter der Große bei den russischen Frauen.

Ihre Eitelkeit ließ sie die russische Tracht gern gegen die ausländische vertauschen; Frauen lieben den Wechsel der Mode. Dazu kam, daß mit Annahme der fremden Kleidung für die Frauen ganz besondere Vorzüge verbunden waren.

Die Frauen wurden früher sehr eingeschlossen gehalten, Vgl. außer dem bereits genannten großen Werke von Iwan Ssabjelin über das häusliche Leben der russischen Zarinnen (russisch, Moskau 1901) auch die kleine, aber sehr gute Arbeit von Wl. Michnewitsch, Die russische Frau im XVIII. Jahrhundert (russisch, Kiew 1895). und sie durften selten anderswohin als ins Bad, in die Kirchen und Klöster und zu ihren Anverwandten, und dann auch nur völlig verhüllt oder im wohlzugemachten Wagen oder Schlitten. Selbst bei den Mahlzeiten im eigenen Hause durften sie, falls Fremde anwesend waren, nicht erscheinen. Nur in seltenen Fällen, wenn der Hausherr einem Gaste besondere Ehre erweisen wollte, rief er vor der Tafel seine Gattin oder seine Töchter, damit sie dem Fremden einen Kuß und ein Schälchen Schnaps schenkten; dann aber mußten sie sofort wieder ihren Poklon oder Abschied nehmen und sich zurückziehen.

Die Öde und Langeweile vertrieben sich diejenigen, denen es die Mittel ihrer strengen Eheherren gestatteten, indem sie sich Zwerge hielten, welche durch allerlei Späße ihre Herrinnen erheitern, welche ihnen Märchen erzählen, ihnen den Kopf krauen und die Fußsohlen kitzeln mußten, um ihre Sinnlichkeit zu erregen.

Die ärmeren Weiber aber ergaben sich der Trunksucht und Trägheit. In allen Stuben konnte man auf den flachen Öfen immerfort Weiber liegen sehen, welche sich hier durch Wochen befanden, hier aßen, tranken, schliefen …

Plötzlich änderte sich das alles. Kaum hatte Peter der Große die Alleinherrschaft übernommen, so zerriß er die drückenden Fesseln, die auf dem weiblichen Geschlecht lasteten. Er befahl, daß die russischen Frauen zunächst äußerlich den ausländischen gleichgestellt wurden und ließ für sie deutsche, französische, englische und holländische Kleider kommen. Die Modefragen erhielten damals eine wahre soziale, ja weltgeschichtliche Bedeutung. Die neumodisch Gekleideten waren frei, die Altmodischen blieben Sklaven. Die Neumodischen wurden mit Ehren und Privilegien überschüttet und galten als Vornehme und große Menschen, die Altmodischen wurden überall zurückgesetzt. Daß die Frauen sich nicht lange bitten ließen, neue Moden anzunehmen, versteht sich – umsomehr, als diejenigen, die nach neuen Moden gekleidet waren, Zutritt zu allen Hofgesellschaften haben sollten. Neue Wege eröffneten sich für die, welche bloße Sklavinnen gewesen, und freudig folgten die meisten den Wünschen des Zaren. Die Männer waren allerdings nicht immer damit einverstanden. Es kam vor, daß manche Frau aus Furcht vor dem Zorn des altgläubigen Ehemannes nicht ihrem Herzen zu folgen wagte, und Peter mußte dann die betreffenden Frauen mit Polizei zum Balle begleiten lassen.

Eine andere sittengeschichtlich interessante Neuerung des Zaren betraf die Aufhebung des Ehezwanges. Die Eltern allein hatten bisher über das Schicksal ihrer Kinder zu entscheiden gehabt.

War eine Tochter erwachsen, so kamen deren Eltern zu einem Junggesellen und boten ihm – oder wenn er mit dem Jawort nicht gleich herausrücken wollte – seinen Eltern das Mädchen an und machten nach Art der Marktschreier eine vorteilhafte Beschreibung des Brautschatzes. Waren dann die Eltern miteinander eins geworden, so wurde die Hochzeit gewöhnlich bald vollzogen, ohne daß sich das Brautpaar vorher gesehen hatte.

Der Bräutigam und dessen Freunde begaben sich mit dem Popen in Prozession zur Braut, die ihren »Auserwählten« in Gesellschaft ihrer Gespielinnen mit einem Kuß und einer Schale Schnaps, als Zeichen ihrer Einwilligung, empfing. Dann verschleierte sie sich und blieb bis nach der Trauung verhüllt.

Nachdem die Eltern der Beiden die Trauringe miteinander gewechselt, fuhr zunächst der Bräutigam in die Kirche. Hierauf folgte die Braut in einem verdeckten Wagen oder Schlitten, den ein mit Fuchsschwänzen über und über bedecktes Pferd zog.

Nach vollzogener Trauung brachte der Priester dem jungen Paare ein geräumiges Glas mit Schnaps dar, das er, nachdem die Neuvermählten ihm aus demselben dreimal ordentlichen Bescheid getan, auf die Erde warf, worauf es von der Braut zertreten wurde mit dem Wunsche: »Allen wünsche ich gleiche Zerschmetterung, die zwischen Mann und Frau Feindschaft und Widerwillen hervorzurufen sich unterstehen werden.«

Nunmehr trat der Vater der Braut zu der letzteren und zeigte ihr eine Birkenrute, gab ihr damit einige Streiche und sagte:

»Siehe, meine liebe Tochter, das sind die letzten Schläge, die du von meiner Hand bekommst. Ich entlasse dich aus der väterlichen Gewalt und übergebe dich der deines Gatten. Erweisest du ihm jemals nicht den gebührenden Gehorsam, so möge er dich an meiner Statt durch diese Rute an deine Schuldigkeit erinnern.«

Mit diesen Worten übergab der Vater der Tochter das Zweiglein, das bei den altrussischen Frauen gleiches Ansehen genoß wie der Trauring.

Nach dieser schönen Einleitung der Ehe wurde die Braut in des Bräutigams Haus gebracht. Hier war das Brautbett aus vierzig Roggengarben geschichtet, und rund herum standen etliche Fässer mit Weizen, Gerste und Hafer. Ein bejahrtes Weib, recht nach dem alten Stempel, mußte vor der Kammertür eine ehrwürdige Schildwache und Segensprecherin abgeben, damit das noch nicht berührte Bett ja nicht bezaubert werden möchte.

Die Zeremonie schloß, indem – nach dem Ausdruck eines älteren Historikers – »das übrige mit Vergnügen vollzogen ward«. –

Wie konnten so geschlossene Bündnisse gut gedeihen? Nicht genug, daß keine Liebe zwischen den Ehegatten Platz greifen konnte, war das Weib auch dem Manne so untertan, daß es den Herrn hassen mußte. Für die schlechte Behandlung rächte es sich, wo es konnte, mit ehelicher Untreue. Dafür wieder strafte der Mann mit schweren Mißhandlungen, ja mit dem Tode.

Peter wollte das Elend der Frauen mildern und betrachtete die Aufhebung des Ehezwanges als einen Schritt dazu. Er befahl, daß keine Ehe ohne freie Bestimmung des jungen Paares geschlossen werde und daß die Verlobten sich wenigstens sechs Wochen vor der Hochzeit sollten sehen dürfen.

Die russischen Frauen jener Zeit waren nach dem einstimmigen Urteil aller zeitgenössischen Reisenden hübsche Geschöpfe. Nur hielten sie sich nicht für schön, wenn sie nicht ziemlich rot im Gesichte waren. Wenn die Russen damals eine schöne Frau beschreiben wollten, sagten sie: sie hat eine lebhafte Röte – was das höchste Lob für die russischen Frauenzimmer war. Und wenn die Natur sie nicht mit solcher Zier versehen hatte, so unterließen sie es nicht, sich diese Zier durch die Kunst zu verschaffen; sie schminkten sich unerträglich. Die Bauerndirnen auf der Landstraße, die Bettlerinnen in der Stadt bettelten nicht um Brot, sondern um ein paar Kopeken zur Schminke … Auch Dicke des Leibes galt als großer beneidenswerter Vorzug. Stark in Mode waren schwarze Zähne und Schönheitspflaster in allerhand Figuren: als Blumen, Bäume, Wagen, Pferde oder andere Tiere.

Die Jungfern flochten ihr Haar zumeist in zwei auf den Rücken herunterhängende Zöpfe, an denen am Ende große bunte Quasten befestigt waren. Die verheirateten Frauen aber trugen ihr Haar unter einer Haube.

Die Frauen von Stande kleideten sich auf Peters Befehl nach ausländischer Mode. Doch kam es vor, daß manche sich nicht darein zu finden verstanden, und man begegnete oft einer vornehmen russischen Dame, die nach deutscher oder französischer Sitte aufs prächtigste in Seide und Atlas gekleidet und mit Tressen, Spitzen und Bändern geschmückt war und dabei – bloßfüßig ging und ihre Pantoffeln verlegen in der Hand trug, weil sie mit ihnen nichts anzufangen wußte. Nicht so stark wie die Städtebewohnerinnen fühlten die Weiber auf dem Lande die eingetretene Veränderung. Sie kamen selten aus der Stube, blieben zumeist bei ihren alten Sitten und Unsitten, gingen nach wie vor barfüßig oder zogen plumpe Schuhe wie die der Männer an. Auf dem Leibe litten sie im Sommer nur einen langen, dünnen Kittel von blauem Linnen ohne Ärmel, welchen sie mit einem Gürtel befestigten und nur selten auszogen; des Winters aber trugen sie über dem Kittel einen Schafpelz. Den Hals zierten sie mit einer Schnur Glasperlen, die Ohren mit großen dreifach untereinander herabhängenden Ohrgehängen. Auf der Brust hatten sie schließlich ein kleines bleiernes Kreuz, welches sie niemals ablegten, außer wenn sie eine Ausschweifung begehen wollten. Solches Kreuzlein trugen auch die Männer am Halse. Man hielt dasselbe für so heilig und für einen Russen notwendig, daß man keinen begrub, den man ohne dies Kreuz auf der Brust fand.

Um die Geselligkeit unter den Beamten seines Hofes und den Bürgern der Residenz und um den zwanglosen Verkehr zwischen Männern und Frauen zu befördern, führte Peter Vergnügungsgesellschaften ein, denen er den Namen Assembléen gab. Und der vielbeschäftigte Zar fand Zeit genug, die Grundregeln dieser Assembléen selbst auszudenken und als Verordnung niederzuschreiben:

 

Verordnung wie die Assembléen in Petersburg zu halten sind.

1.

Assemblée ist ein französisches Wort, welches in der russischen Sprache nicht gut wiedergegeben werden kann. Es bedeutet eine Anzahl Menschen, welche zum Zeitvertreib oder um sich über ernstere Dinge zu unterhalten zusammenkommen. Ein Freund kann daselbst den anderen sehen, man kann sich sprechen, erfahren, wie es jedem ergeht, und sich auch über die Zeitereignisse informieren.

2.

Die Ordnung, Assembléen zu geben, trifft jeden Vornehmen des Hofes ungefähr einmal im Winter, und der Polizeimeister kündigt es demjenigen an, bei welchem jeweilen nach des Zaren Gutdünken eine Assemblée stattfinden soll.

3.

Derjenige, bei welchem die Assemblée stattfindet, hat schon früher vor seinem Hause eine Schrift auszuhängen und jedem, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, davon Nachricht zu geben.

4.

Die Assemblée soll nicht vor 4 oder 5 Uhr nachmittags anfangen und nicht über 10 Uhr abends hinausgedehnt werden.

5.

Der Wirt ist nicht gehalten, die Gäste zu empfangen, zu begleiten oder zum Essen und Trinken zu nötigen. Wohl gehalten ist er dagegen, Stühle, Lichter, Getränke und allerlei Spiele anzuschaffen und den Gästen frei zur Verfügung zu stellen.

6.

Niemand ist an eine gewisse Stunde zu kommen und zu gehen gebunden, genug ist es schon, wenn er sich auf der Assemblée sehen läßt.

7.

Ein jeder hat Freiheit, in der Assemblée nach Gefallen zu sitzen, zu spazieren oder zu spielen, Ein nationales Lieblingsspiel war, dass zwei liebe Russen sich zusammentaten, auf der Bank oder dem Tisch einen Kreis zeichneten und in den Mittelpunkt desselben je eine – Laus setzten. Wessen Tierchen zuerst die Kreislinie erreichte, der hatte gewonnen … Solche Insekten zu besitzen, galt als keine Schande, selbst die vornehmsten Damen hatten sie in Hülle und Fülle, und auch von Peter dem Ersten erzählen glaubwürdige Personen, daß er, wenn er an diesen schönen Wettrennen teilnahm, nicht gerade um ein Rößlein aus eigenem Gestüt verlegen war. ohne daß ihm die jemand – bei Strafe des großen Adlers, d. h. des Austrinkens des großen Branntweinpokals – vorwerfen darf.

8.

Jeder, der die Assemblée besucht, braucht nur beim Eintreten und beim Weggehen zu grüßen.

9.

Es darf niemandem mehr Wein oder Branntwein zu trinken gegeben werden, als er verlangt.

10.

Wenn aber jemand gegen die Gesetze der Assembléen oder gegen den Anstand sündigt, so soll er durch starke Trinkportionen gestraft werden.

11.

Personen von Range, wie Edelleute und Oberoffiziere, auch bekannte Kaufleute und Schiffbaumeister, Kanzleibediente, nebst den Frauen und Kindern der betreffenden, können den Assembléen ohne weiteres beiwohnen.

12.

Den Lakaien, außer denen vom Hause des Wirtes, soll ein besonderer Platz eingeräumt werden, damit in den Zimmern der Assemblée genügsamer Raum bleiben möge.

 

Daß es da sehr lustig zuging, ist klar. Besonders getrunken wurde ungeheuer. Trunkenheit war zur Zeit Peters in Rußland so allgemein, daß man es kaum mehr für ein Laster hielt. Ja, einige Reisende versichern ernstlich, daß die damaligen Russen die Besoffenheit beinahe als einen Teil der Religion ansahen und glaubten, sie hätten einen Festtag nicht nach Gebühr heilig genug gefeiert, wenn sie nicht die Nacht vorher berauscht gewesen.

Eine eigentümliche Sitte war es selbst in den feinsten Kreisen, daß man bei Gesellschaften die Gäste mit Gewalt zum Saufen zwang, indem man die Türen schloß und Wachen davor stellte, die niemand hinauslassen durften, der nicht seine volle Ladung hatte.

Einmal gab Peter einem deutschen Gesandten zu Ehren eine Gesellschaft auf dem Schlosse Peterhof. Bei der Mittagtafel wurde den Gästen mit Tokajerwein so scharf zugesetzt, daß endlich keiner mehr auf den Füßen stehen konnte, und dennoch mußte jeder hernach noch ein Quartier Branntwein von der zarten Hand der Zarin zu sich nehmen, wodurch alle ihren Rest bekamen. Nur der Zar hatte die Klugheit gebraucht, selbst nicht so viel mitzutrinken, und er hatte nun seine Lust daran, seine Gäste ohne Verstand zu sehen. In diesem Zustand ließ er sie wegtragen und zwar den einen in den Garten, den anderen in den Wald, die übrigen in verschiedene Zimmer. Um vier Uhr nachmittags wurden die Besoffenen zusammengelesen und in einen jungen Wald geschleppt, wo der Zar ihnen befahl, eine Reihe Bäume umzuhauen, indem er ihnen selbst vorarbeitete; in mehrstündiger Arbeit schwitzten sie die Weindünste aus. Beim Abendessen empfingen sie zur Belohnung abermals eine so starke Ladung, daß sie ohne Vernunft zu Bette kamen; aber kaum hatten sie anderthalb Stunden geruht, als ein Günstling des Zaren sie aus den Federn holte und zu einem neuen Gelage versammelte, das bis früh dauerte. Um 8 Uhr morgens wurden sie alsdann zum Kaffee gebeten, der in einer guten Schale Branntwein bestand. Hierauf mußten sie auf elenden Bauernmähren ohne Sattel und Steigbügel einen hohen Berg hinan und eine Weile im Walde herumreiten. Dann wurden sie bei der Mittagstafel mit dem vierten Rausche bewillkommt und mußten sogleich denselben Nachmittag mit dem Zaren zu Schiff nach Kronschlott fahren und bei einem heftigen Sturm sieben Stunden in Lebensgefahr schweben.

Neben den geschilderten Assembléen gab es theatralische Vorstellungen. Peters Schwester, die Prinzessin Natalja, schrieb für sie viele Schauspiele in russischer Sprache, wozu sie die Stoffe teils der Bibel, teils weltlichen Chroniken entnahm. Schauspieler (und Musiker) waren Russen. Der Komiker, ein Offizier, mischte gewöhnlich seine eigenen Späße, die mit dem Stück in gar keinem Zusammenhange standen, hinein. Zum Schluß trat ein Redner auf, der die Moral der Geschichte erzählte und den Zuhörern gute Lehren gab.

Der durch Peters Neuerungen jäh erfolgte Umschlag hatte bald auch üble Wirkungen im Gefolge, und der plötzliche ungeahnt enge Verkehr zwischen Männern und Frauen, der dazu hätte dienen sollen, die Roheit und Trunkenheit der Männer zu mäßigen, erweckte häufig die größte Unsittlichkeit, die keine Grenzen kannte …

Die Frauen wußten nicht ihre Freiheit zu fassen. Sie glaubten, daß Unsitte und rohes Betragen Zeichen derselben seien. Je schamloser man war, für je höher, emanzipierter hielt man sich. Ein Reisender jener Zeit, der berühmte Olearius, jammert bei einer Schilderung der russischen Frauen immerfort über deren Sittenlosigkeit und stößt dann folgenden Seufzer aus: »Die Frauenspersonen sind sehr unverschämt und ausgelassen. Es ist in Rußland nichts Seltenes, daß junge Weiber, wenn sie baden wollen, sich unter freiem Himmel ausziehen und aus dem Bade nackt wieder herauslaufen. Vierzig, fünfzig und mehr Frauen und Mädchen tanzen und springen ohne Scham und Ehrbarkeit, so wie sie Gott erschaffen hat, herum und scheuen sich auch nicht vor den Fremden, die vorübergehen.«

Peter selbst ging in der Unsittlichkeit seinem Volke mit dem ärgsten Beispiel voran. Seine eigene Unsittlichkeit aber war für ihn Grund genug, Unsittlichkeit anderer Personen streng zu strafen. Namentlich beim Militär. Und er stellte in seinem Kriegsreglement einige dahin bezügliche interessante Paragraphen auf:

 

Kap. III, welches von Unzucht handelt.

Art. 1.

Eine öffentliche Dirne soll weder bei der Miliz, noch in der Garnison, weder auf Märschen noch in Feldlagern geduldet, sondern angegeben und sofort durch die Profosse hinweggejagt werden.

Art. 2.

Weil unzüchtige Reden eine große Veranlassung zur Unzucht geben, sollen dieselben, wie auch schandbare Lieder, bei großer Strafe verboten sein.

Art. 3.

Der Ehebruch soll nach den Rechten einer jeden Nation, von welcher der Beschuldigte ist, gestraft werden.

Art. 4.

Die Notzüchtigung zieht unvermeidlich die Todesstrafe nach sich.

Art. 5.

Unnatürliche Unzucht mit einem Viehe, Unzucht zwischen Männern und Männern und Knabenschändung soll man mit Feuertod richten.

 

Daß es dem Zaren aber auch nicht an Humor in der ernsten Sache fehlte, zeigt ein Vorfall, der im Jahre 1724 in Moskau viel Heiterkeit erregte.

Eines betagten vornehmen Russen junge und schöne Ehegattin lebte mit einem anderen in ungeziemender Vertraulichkeit. Diese aber wurde einst durch des Gatten unerwartete Dazwischenkunft so plötzlich zerstört, daß der Buhle in der Bestürzung statt seiner eigenen Beinkleider, in denen sich eine goldene Repetieruhr, eine schwere Goldbörse und andere Kostbarkeiten befanden, die Hosen des Geprellten ergriff. Dieser fand die Beute, faßte aber die vernünftige Entschließung, der kostbaren Hose zu Liebe seinen Verdruß und Schimpf stillschweigend zu verbeißen. Nicht so zufrieden mit dem Tausch war der verliebte Flüchtling; ihm war der Verlust seiner Hose so empfindlich, daß er kurz darauf den Alten, als dieser aus der Kirche trat, in eine Ecke führte, ihm Hände und Füße küßte und ihn sowohl um Vergebung des Vergehens als um die Auslieferung der im Stiche gelassenen Hose ersuchte. Der weise Alte aber schalt den Bittenden einen Unsinnigen, der nicht wüßte, was er redete, rühmte die junge Frau, seine Gattin, als ein Muster der Tugend und ehelichen Treue, und ließ den Jüngling stehen. Dieser warf sich darauf zu des Kaisers Füßen, beichtete alles offenherzig und bat um gnädige Hilfe. Allein der Zar sprach dieses Urteil: »Einem Ehemanne gehört alles, was er auf seinem Ehebette findet«.


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