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Die Kinder Peters des Großen und Katharinas der Ersten.


Familienleben des Zarenpaares. – Briefwechsel. – Briefproben. – Peter Petrowitsch, Thronfolger nach Alexeys Tode. – Sein tragisches Ende. – Prinzessin Anna. – Eine tragikomische Liebesgeschichte.


Katharina gebar dem Zaren zahlreiche Kinder: M. J. Semewsky (Zariza Katerina Alexejewna 1692-1724, H. Auflage, St. Petersburg 1884, Seite 342-348) zählt 14 Kinder des Zarenpaares auf, die im Laufe der Jahre 1704-1728 geboren wurden. den Prinzen Peter, die Prinzessin Anna, welche als Herzogin von Holstein die Mutter Peters des Dritten, die Prinzessin Elisabeth, welche selbst Kaiserin von Rußland wurde, und noch mehrere Mädchen und Knaben, die früh verstarben.

Das Familienleben scheint nicht unfreundlich gewesen zu sein, soweit sich dies aus den Briefen Peters an Katharina Der Briefwechsel Peters des Großen mit Katharina der Ersten wurde zuerst herausgegeben von der »Kommission zur Edition von Staatspapieren und Verträgen bei dem Moskauer Hauptarchiv des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten« als erster Teil der »Briefe russischer Herrscher und anderer Personen der zarischen Familie«, Moskau 1861, 166 Seiten. Russisch. Das Buch enthält 223 Briefe, 178 Briefe Peters und 50 Katharinas von 1707, resp. 1718 bis 1724. – Eine ausführliche Anzeige, systematischer und klarer als die Originalausgabe, veröffentlichte A. Brückner in Raumer-Riehls Historischem Taschenbuch, 6. Folge, 10. Jahrg. Leipzig, Brockhaus 1880, 178-239. – Vgl. ferner: Brückner, Peter der Große, Berlin 1879, 568. – Sammlung von Briefen des Kaisers Peter des Ersten, Russisch, Petersburg 1887–1889. – Die Werke von Golikow, Ustrjalow und Ssolowjew. beurteilen läßt.

Katharina vermochte allerdings nur mit Hilfe ihrer Kinder und Hofdamen zu antworten, da sie selbst nicht schreiben konnte.

In Peters Briefen an die Zarin herrscht ein scherzhafter Ton vor. Es werden aber doch auch sehr ernste Dinge berührt, für die Katharina augenscheinlich genug Interesse bekundet: die Last der Geschäfte, die Gefahr der politischen Verwickelungen, die Höhe des Spiels, bei dem es sich während des nordischen Krieges um Rußlands Machtstellung handelte. Peter seufzt unter der Schwere der Verantwortlichkeit und schreibt einmal im Jahre 1712: »Gott sei Dank, wir sind gesund, aber es ist ein schweres Leben: ich kann mit der linken Hand nicht viel machen; in der rechten aber muß ich zugleich den Degen und die Feder halten; wie viel Gehilfen mir zur Seite stehen, weisst Du selbst ganz gut.«

Die Zarin versteht seine Klage und sucht ihn zu erfreuen, indem sie keine Gelegenheit zu seiner Ermutigung ungenützt vorübergehen läßt. Zu jedem Gedenktage eines noch so kleinen Sieges gratuliert sie ihm. Sie folgt mit Spannung den kriegerischen Ereignissen und geht sogar in Einzelheiten ein, sorgt für entsprechende Feier der Erfolge in der Hauptstadt und im Reiche. Sie versteht auch die Bedeutung von Peters Lieblingsschöpfung, der Flotte, zu würdigen und freut sich über das Wachstum des Geschwaders, kümmert sich um den Bau der Schiffe und präsidiert bei feierlichen Stapelläufen. Sie läßt es bei alledem nicht an schmeichelnden Bemerkungen für den Zaren fehlen, und weiß dadurch seine Neigung immer warm zu erhalten.

Peter schrieb immer und oft der Zarin, wenn er sich unterwegs befand, und wenn es auch nur einige Zeilen waren, um ein Lebenszeichen von sich zu geben. Die Briefe sind außerordentlich interessant. Wenn er der Zarin schreibt, daß sie zu ihm kommen soll, so gibt er ihr genaue Wegweise und bittet sie, sich vor unnötigen Strapazen zu hüten.

Die Adresse der Briefe lautet bis zum Jahre 1712: »An Katerina Alexejewna«; dann, seit Katharina offiziell zur Gemahlin des Kaisers erklärt worden war: »An die Gossudarynja Zariza Katharina Alexejewna«. Auf seinen Briefen aus dem Ausland stand gewöhnlich: »A Sa Majesté la Czarinne«. Auch die Art der Anrede hat ihre Geschichte. In den Jahren 1707 bis 1709 heißt Katharina: Matka, Mutter. Von 1711 beginnen die Briefe: »Mutter, guten Tag« oder »Muder« – mit russischen Buchstaben – oder »Katharinuschka, mein Freund, ich grüße Dich, mein Herzensfreundchen.«

Die Anrede Katharinas in den Briefen an den Zaren ist ehrfurchtsvoller. Sie schreibt: Ew. Gnaden oder Ew. Majestät; aber nachdem sie im Laufe des Briefwechsels wärmer werden durfte: »Mein Väterchen, Mein Herzensfreundchen, Mein Freund, Herr Vizeadmiral, sei gegrüßt und lebe gesund, viele Jahre«, und einmal die etwas mystische Anrede: »Erlauchtester und Ausgezeichnetster Herr Oberfürst, Oberaufseher und Kavalier des gekrönten Zirkels und Beides, Excellenz!«

In seinen Briefen an Katharina scheint der Tyrann nur gemütlicher, schmelzender Liebhaber. Einmal sagt er 1708: »Ich hoffe, Dich, Mutter, bald zu sehen, weil es ohne Dich langweilig und traurig ist. Es gibt niemand, der für meine Wäsche sorgt«. – Aus Wolgast am 14. August 1712: »Heute bin ich von der Flotte aus hierher gekommen und hoffe, bald bei Dir zu sein; ich habe große Sehnsucht, Dich zu sehen; ich glaube, Du bist noch ungeduldiger. Man muß noch ein wenig aushalten; dann ist mein Kommen noch lustiger.« Und im Jahre 1716: »Ohne Dich ist es gar zu traurig, das weißt Du selbst sehr wohl; in so geringer Entfernung voneinander zu leben und doch einander nicht zu sehen.« Wiederholt bittet er, sie solle doch »um Gottes Willen« öfter an ihn schreiben. Mit den Briefen sandte er der Frau kleine Geschenke, Stoffe zu Kleidern, Zitronen, eine Uhr, »nach der neuen Mode inwendig mit einem Glase, damit kein Staub einzudringen vermag«, ein Petschaft mit dem Namen der Zarin, Austern, einmal aus Poltawa Ungarwein; in Belgien kaufte er ihr die schönsten Spitzen, »wie solche nirgends in ganz Europa so schön gemacht werden können«; als er sich in Reval hat scheren lassen, schickt er seiner Katharina die – abgeschorenen Haare. Einmal sendet er einen Fuchs und ein paar Tauben, ein andermal Erdbeeren und Kirschen, Bier, Pomeranzen und Gurken. Sie erwiderte diese Geschenke, indem sie zumeist Getränke schickte, besonders Branntwein, dann auch Obst und Nüsse, einmal ein Tönnchen Heringe, ein andermal 1717 nach Spaa ein Kamisol, welches Peter zum erstenmal anzog. Einmal läßt sie ihm, als er in Paris ist, einige Flaschen Ungarwein zukommen und bemerkt dazu: »Wenn ich bei Ew. Majestät wäre, so würden Sie, glaube ich, nicht soviel Ungarwein nötig haben.« – 1716 schreibt Peter an die Zarin: »Ich danke für das Präsent und sende Ihnen auch eins; beiderseits sehr passende Geschenke: Du hast mir etwas geschenkt, um meinem Alter zu Hilfe zu kommen, ich Dir etwas, um Ihre Jugend zu schmücken«. Darauf schilt sie ihn gründlich, daß er sich einen »alten Kerl« nenne, und erbietet sich, durch Zeugen zu beweisen, daß er es nicht sei. – Eine große Rolle in diesen Briefen spielt ein »Iwaschka Chmelnizky« – nämlich der Name des russischen Bacchusgottes, wörtlich Iwaschka Rausch. Der Zar erzählt von seinen Abenteuern mit diesem lustigen Genossen, und Katharina geht auf die Scherze humorvoll ein und schreibt einmal: »Der Franzose, welcher die neuen Blumenbeete einrichtet, ging neulich – der arme Kerl – in der Nacht über einen Graben. Da begegnet ihm Iwaschka Chmelnizky, stößt ihn durch einen besonderen Zufall vom Brückensteg ins Wasser und befördert ihn auf diese Weise in die andere Welt, damit er auch dort Blumenbeete einrichte.«

Reiseeindrücke schildert Peter fast gar nicht. Aus Karlsbad schreibt er 1711: »Wir sind hier, Gott sei Dank, ganz wohl, nur ist der Bauch von dem vielen Wasser ganz aufgetrieben, weil man uns tränkt wie die Pferde; etwas anderes haben wir hier nicht zu tun.« Es fehlt nicht an gewagten, oft frivolen Späßen von beiden Seiten, die zuweilen cynisch werden. Sie warnt ihn 1709 vor Liebesabenteuern, und er antwortet darauf: »Wir sind ja alte Leute und gar nicht solche – –.« Sie macht sich nichts aus seinen »Maitreßchen«, wenn er ihr sonst nur treu bleibt.

Auch für die Kinder Katharinas zeigte Peter, im Gegensatz zu seinem Benehmen gegen Alexey, die innigste Teilnahme und Zärtlichkeit. Alexey wird in diesem Briefwechsel fast gar nicht erwähnt. Im Jahre 1711 meldet Peter aus Torgau, daß die Trauung Alexeys mit der Prinzessin von Wolfenbüttel vollzogen worden sei, und setzt hinzu: »So gratuliere ich Ihnen denn zur jungen Schwiegertochter.« Im Jahre 1714 bemerkt die Zarin, es sei von Alexey ein Brief eingetroffen, den sie beilege. Das ist alles! Dagegen geschieht der Kinder des Alexey nach der Katastrophe von 1718 einigemal Erwähnung. In einem Schreiben vom 11. Oktober 1718 sagt Peter, daß man den Geburtstag des kleinen dreijährigen Enkels Peter Alexejewitsch mit einer »Collation« feiern müsse. Katharina erwähnt ein anderes Mal, daß sie sich mit den Kindern »und Enkeln« wohlbefinde.

Die Geburts- und Namenstage der Kinder werden nie vergessen. Gern hört er, wenn ihm die Gattin Züge aus ihrem Leben und Treiben erzählt. Bei Krankheitsfällen in seiner Familie zeigt der Zar die größte Bestürzung. Sonderbar mag der Kosename erscheinen, den Peter den Kindern beilegte: »Küsse statt meiner unser Eingeweide,« sagt er oft. Und später schreibt er an Frau und Kinder zugleich: »Katharinuschka, mein Herzensfreundchen, sei gegrüßt mit den Eingeweidchen zusammen.« Ein anderesmal an die beiden ältesten Mädchen ein Erguß: »Annuschka und Lisenka! seid gegrüßt! Ich danke Euch für Eure Briefe! Gott sei mit Euch!« Bisweilen nennt er die Töchter scherzweise »Räuberinnen«.

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Im Jahre 1721 kam der deutsche Gesandte Bergholz nach Petersburg und schilderte die Kaiserin und ihre Familie in einem Briefe nach Europa:

... In der mittelsten breiten Gartenallee war es, wo wir bei einer hübschen Fontäne in einer Ecke die Zarin in einem sehr prächtigen Schmuck erblickten. Mein Auge fiel gleich auf die älteste Prinzessin, Anna, welche eine Brünette und schön wie ein Engel war. Teint, Hände, Taille sind die schönsten in der Welt. Sie hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem Zaren, ist auch für ein Frauenzimmer schon vollkommen groß. Auf der linken Seite der Zarin stand die zweite Prinzessin, Elisabeth, welche blond von Haaren, schön von Haut ist, und ihr Gesicht scheint, wie das Gesicht der ältesten, die Anmut selbst zu sein. An Vivacité und Feuer übertrifft sie die älteste weit; sie ist auch weit kleiner als diese, soll auch fast zwei Jahre jünger sein, aber sie ist um Hals und Brust voller als die älteste, welche etwas mager ist. Sie gingen in einerlei Couleur gekleidet, die jüngere aber hatte noch Flügel hinten am Kleide, welche der anderen schon seit geraumer Zeit abgeschnitten waren. Jedoch waren sie beide hinten noch zugeschnürt und waren über die Maßen wohl gemacht. Die Kleider waren von Gold und Silber, bloß von zweifarbigem schönen Stoff. Auf den Köpfen hatten sie viele prächtige Edelsteine und Perlen und waren vollkommen nach der neuesten französischen Mode gecoiffiert und sowohl aufgesetzt, als wenn sie die beste französische Coiffeuse hätten. Sonsten stand noch bei der Zarin der kleine Großfürst (Peter Alexejewitsch) mit seiner Schwester (Natalia), welche beide Kinder von der seligen Prinzessin von Wolfenbüttel und dem seligen Kronprinzen sind, und muß ich gestehen, daß diese beiden Kinder aussehen, als wenn sie aus Wachs poussiert wären, sie sind schön wie die Engel. Der Prinz soll erst im 6. Jahre sein und ist für sein Alter recht wohl gewachsen; und die Prinzessin geht in ihr 8. Jahr, für welches Alter sie gleichfalls nicht mehr klein ist. Diese beiden haben ihre besondere Speisetafel, und die beiden Prinzessinnen auch. Sonst ist noch die kleine Prinzessin von der Zarin da, die noch auf dem Arme getragen wird und nicht älter als 4 Jahre ist, welche gleichfalls ein über die Maßen schönes Kind ist. Die alte verwitwete Zarin (die Gattin des verstorbenen Zaren Iwan) mit ihrer fünfjährigen Tochter, die brünett ist und auch nicht übel aussieht, waren ebenfalls da. Unter den anderen Damen, welche ich damals sah, war wohl die Fürstin Tschirkassin diejenige, welche mir am meisten in die Augen fiel, und man versicherte mir auch gleich, daß dieselbe für die größte Schönheit unter den hiesigen Damen gehalten würde. Sonst waren dort wohl noch 30 andere artige Damen, und unter denselben viele, die unsere Damen an Politesse, an guten Manieren und an Schönheit wenig nachgeben. Ich muß frei gestehen, daß ich mir hier nicht einen so kompletten artigen Hof vorgestellt habe, wie er in der Tat ist. Ihre Majestät die Zarin hat 4 Kammerjunker, welche alle recht artige und wohlgemachte lange Kavaliers sind, zwei Russen und zwei Deutsche; die Russen heißen Chapelloff und Scheskin, die Deutschen aber sind Balk und Mons, welcher letztere sehr bei der Zarin in Gunst stehen soll. Sonst sind noch an der Zarin Hof unterschiedene andere Kavaliere, als ein Hofmarschall, ein Stallmeister und andere mehr. Die Pagen gehen grün, mit roten Aufschlägen und mit goldenen Tressen auf allen Nähten, wie auch die Trompeter und Waldhornisten; die Lakaien und Stallknechte aber, welche die Zarin in großer Menge hat, haben keine Tressen auf den Nähten, sind aber doch schön gekleidet. Die Kapelle ist mit vielen braven deutschen Musikanten versehen, welche auch alle in schönen grünen Monturen gehen müssen, obgleich die Musiker sonst nicht gern in Livrey gehen. Mit einem Wort, ich habe der Zarin Hof so komplett und artig gefunden als fast einen in Deutschland. Der Zar aber hat einen desto schlechteren, denn er hat fast nichts als einige Dentschiky oder niedere Bediente, wovon zwar einige von Familie, die meisten aber von geringer Herkunft sind; trotzdem haben dieselben viel bei ihm zu sagen … Vgl. das Tagebuch von Bergholz in Büschings Magazin XIX–XXII. Russisch von Ammon herausgegeben, Moskau 1868.

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Der Liebling der Eltern war der kleine Prinz Peter Petrowitsch. Seine Geburt hatte den Kaiser in einen wahren Glückstaumel versetzt; sie erfolgte gerade zur Zeit der schlimmsten Streiche Alexeys. Nun sah der Zar seinen Thron und seine Nachfolge nicht mehr auf zwei Augen gestellt, auf die des widerspenstigen Alexey; er hatte nun noch einen Sohn, den er sich für seine Ideen heranziehen wollte.

In einem Briefe an Scheremetjeff jubelt der Zar: »Gott hat mir und der Armee einen Rekruten geschenkt, zu welchem wir uns Glück wünschen können.«

Eine Anekdote erzählt, daß der Kaiser noch in derselben Nacht, da der Prinz geboren worden, seinen Generaladjutanten in die Festung sandte, um das frohe Ereignis dem Volke durch Kanonenschüsse kund zu tun.

Der Adjutant kommt zum Festungstor, der wachthabende Soldat aber weigert sich, ihn einzulassen.

Nach dem Zapfenstreich durfte niemand in die Festung.

Da geht der Zar selbst hin und wird ebenso energisch zurückgewiesen.

»Aber Kerl,« schreit erregt der Zar, »die Kaiserin hat einen Prinzen geboren, die Kanonen sollen gelöst werden!«

Da jubelt der Soldat:

»Ein Prinz? Urrah! Geh hinein! Mögen sie morgen mich totschießen …«

Am 17. November 1715 fand unter großen Festlichkeiten die Taufe statt. Bei der Tafel gab es eine originelle Überraschung. Zwei große Pasteten wurden aufgetragen, eine für die Damen, eine für die Herren. Aus der ersten stieg, als sie entzweigeschnitten ward, ein lebendiger Zwerg, aus der anderen eine Zwergin hervor. Beide hielten zierliche Reden, tranken auf die Gesundheit des Zaren, der Zarin, des neugeborenen Prinzen, der geehrten Gäste, und tanzten dann auf dem Tische einen komischen Tanz. –

Der kleine Schischetka, wie man den Prinzen kosend nannte, wurde sorgsam gehegt und gepflegt. Die Liebe zu ihm äußert sich vielfach im Briefwechsel des Zarenpaares. Die Zarin schreibt im Sommer 1718: »Unser teurer Schischetka erwähnt sehr oft seines teuren Papas«; und ein paar Wochen später: »Unser teurer Schischetka entwickelt sich mit Gottes Hilfe sehr glücklich und ergötzt sich fortwährend mit soldatischen Übungen und mit Kanonen.« Auch bemerkt die Zarin, wie es dem Kleinen höchst mißfalle, daß der Vater abwesend sei – »ich bitte sehr,« schreibt sie, »mich in Schutz zu nehmen; Ihretwegen habe ich viel Zank mit ihm, wenn ich ihm sage, daß Papa verreist ist. Das kann er gar nicht leiden. Sagt man aber: Papa ist hier, dann ist er froh.« Als er die ersten Zähne bekommt und sich dabei verhältnismäßig wohl befindet, ist der Vater ganz glücklich, so gute Nachrichten zu erhalten.

Nachdem Alexey, der Sohn der Eudoxia, aus dem Wege geräumt war, wurde Peter Petrowitsch offiziell zum Cäsarewitsch ernannt. Sein Glanz währte aber nicht lange.

Ein Jahr nach dem Tode des Alexey, im selben Jahre, da der Zar auch einen seiner besten Feldherren, den Grafen Scheremetjeff, den eigentlichen Entdecker Katharinas, verlor – am 25. April 1719 wurde der Prinz Peter, die Hoffnung und Freude des Kaisers, während eines Gewitters durch einen Blitz getötet …

Peters Schmerz war grenzenlos, so grenzenlos wie bisher sein Glück über den Besitz des Knaben gewesen.

Durch Tage und Nächte blieb er einsam, nahm weder Speise noch Trank zu sich und wollte keinen Menschen sehen. Selbst die Zarin durfte nicht zu dem Verzweifelten.

Düstere Stille herrschte bei Hofe, herrschte in der Residenz, und die Kunde von Peters Kummer, der ihn für alles andere teilnahmslos machte, verbreitete sich allüberallhin.

Da begannen die Feinde seiner Neuerungen sich zu rühren.

Da glaubten sie ihre Zeit gekommen.

Katharina erkannte die Gefahr, berief den Senat und bewog ihn, sich mit dem Fürsten Dolgorucky an der Spitze zum Zaren zu begeben.

Hier sprach Dolgorucky, dem es oft gelungen, des Zaren Trotz zu brechen:

»Willst du, Herr, daß die Russen sich einen anderen Regenten wählen? Das Reich gerät in Verwirrung, die Geschäfte stocken, die überwundenen Feinde erheben sich aufs neue. Kannst du dein stolzes Werk fallen sehen?«

Wohl ermannte sich der Zar und kehrte wieder zurück zum Leben und zur Tätigkeit. Den schweren Verlust aber konnte er nicht verschmerzen, an ihm krankte er bis an sein Lebensende.

Den Sohn, dem er Alexey geopfert, hatte ihm das Schicksal wie zum Hohn, wie zur Rache jäh entrissen.

Wer sollte nun den Bau weiterführen, den er begonnen? …

Peters Liebling wurde nun seine Tochter Anna, die ihm sehr ähnlich war. »Peters große Züge« – so schildert man sie – »sind in ihrem Gesichte ausgeprägt. Peters Geist glänzt aus ihren Augen. Nur haben Natur und Erziehung alles verschönert. Ihr schlanker Wuchs und das vollkommene Maß ihres Gliederbaues lassen ihre ungewöhnliche Länge schnell vergessen. Ja, diese Länge ihrer Gestalt erhöht ihre Majestät. Dennoch verkennt man in Blick und Lächeln nicht die Grazie ihrer sanften Weiblichkeit.«

Peter der Große unterrichtete seine Tochter Anna fleißig in den Regierungsgeschäften, im Glauben, daß sie nach seinem und Katharinas Tode berufen sein würde, den Thron zu besteigen. Sie war klüger, charaktervoller und gebildeter als alle andern russischen Prinzessinnen jener Zeit.

Außer Russisch verstand sie vortrefflich Französisch, Deutsch, Italienisch und Schwedisch.

Sie besaß Unerschrockenheit und Geistesgegenwart und war – was hier wirklich besonders bemerkt werden muß – auch sittsam inmitten der tollen Lasterhaftigkeit ihrer Umgebung.

Man hat es damals wagen dürfen, selbst an hochstehende Personen mit rohen Liebesanträgen heranzutreten – und es darf uns daher nicht wunder nehmen, daß ein junger Graf Apraxyn, von Annas Schönheit berückt, sich ihr zu Füßen warf, und – indem er ihr seinen Degen darreichte – ausrief:

»Ich liebe dich! Erhöre mich! Oder ende meine Pein!«

Worauf die Prinzessin das Schwert ergriff und sagte:

»Wohlan! Ich will sie enden!«

Der liebeglühende Graf Apraxyn soll sich gar schnell aus dem Staube gemacht haben …

Es fanden sich für Prinzessin Anna bald zahlreiche Bewerber. Auch von König Ludwig dem Fünfzehnten brachte ein Gesandter einen Antrag. Anna war indessen bereits mit dem Herzoge von Holstein verlobt.

Dieser paßte seinem äußeren Wesen nach kaum zur schönen Tochter Peters des Großen. Ein Zeitgenosse sagt über ihn in einem Bericht nach Deutschland:

»Er ist von mittlerer Größe und wohl proportioniert. Er hat dicke Lippen und eine breite Zunge, welches macht, daß er schwer spricht. Als er, da er noch sehr jung war, mit seinem Vetter, dem König von Schweden, eine Wintercampagne in Polen machte, wo es sehr kalt war, und er den König die Kälte so gleichgültig ertragen sah, schämte er sich, darüber zu klagen, bis seine Zehen erfroren waren, so daß er etliche derselben mußte ablösen lassen.«

Doch war er geistreich, klug und edel.

Die Verlobung geschah 1724, die Hochzeit kurz nach Peters Tode. Der Brautschatz der Kaisertochter bestand außer den Juwelen in 150 000 Dukaten baren Geldes und einer jährlichen Apanage.

Die Ehe war kurz, da die Herzogin bereits am 15. Mai 1728 starb. –

Von einer anderen Tochter Peters und Katharinas, der späteren Kaiserin Elisabeth, wird in einem besonderen Kapitel die Rede sein.


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