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Im hellen, goldenen Sonnenschein des Tages erreichte er sein Ziel. Aber je näher das Ende der Reise kam, um so schwerer wurde der Alp, der ihm auf der Seele lastete und ihm jede Freude an der nie gesehenen Schönheit der Natur nahm. Ja, diese Schönheit übte einen schmerzhaften Reiz auf ihn aus, wie es jedem geht, dem ein Glück in den Schoß fällt, das er unfähig ist zu genießen. Immer brennender, immer zehrender wurde seine Ungeduld, seine peinliche Erwartung, immer beklemmender die Vorahnung von etwas Feindlichem, Entsetzlichem, das seine Hoffnungen vernichten würde, sein Leben zerstören.
Endlich, endlich war er dem Zug entronnen mit dem von Station zu Station fremdartiger werdenden Publikum. Unempfindlich gegen das farbenbunte, vielgestaltige Verkehrstreiben um ihn her, gegen die ganze nervenaufreizende, sinnberauschende Atmosphäre von Monte Carlo atmete er auf, als er endlich den Bahnhof und die Straßen hinter sich hatte, als die Formalitäten des Zimmermietens im Hotel des Colonies erledigt waren und er sich nach der Anwesenheit eines Fräulein Ebenschütz erkundigen konnte.
Der diensttuende Kellner nannte ihm die Zimmernummer – er wußte auch, daß das Fräulein zufällig anwesend war, soeben vom Morgenspaziergang zurückgekehrt. Er fragte, ob er eine Botschaft überbringen oder Monsieur melden solle. Markwitz dankte. Er werde das Fräulein später aufsuchen.
Nein, überraschend, unangemeldet wollte er Jettka wiedersehen. Er wartete ab, bis sich der Kellner entfernt hatte, dann flog er die Treppe hinauf, klopfte und stieß fast zu gleicher Zeit die Tür auf. Jettka hatte die Unvorsichtigkeit gehabt, die Tür nicht zu verschließen. Das Fenster war weit geöffnet, und die schmetternde Musik des Promenadenkonzerts, die von unten herauftönte, ließ sie das Klopfen und Eintreten von Markwitz überhören, denn sie wandte der Tür den Rücken. Markwitz aber konnte ihr Gesicht und die ganze Situation deutlich in dem großen gegenüberhängenden Kaminspiegel überblicken. Er blieb einen Augenblick wie erstarrt.
Jettka stand halb über den Tisch gebeugt, der ganz mit Goldrollen bedeckt war. Mit fliegenden, zitternden Händen wühlte sie im Gold, einen Ausdruck von Gier, von wilder, maßloser, dämonischer Freude in den funkelnden Augen, der Markwitz das Blut gerinnen machte. Plötzlich blickte sie auf und sah im Spiegel Markwitz, der die Tür leise hinter sich geschlossen hatte. Klirrend rollten einige Goldstücke auf den Boden, sie wurde totenbleich und stützte sich wankend auf den Tisch.
Immer noch sprachlos trat Markwitz näher. Da lachte sie plötzlich schrill und gellend auf.
»Wollen Sie mich verhaften? Hat Gabriele Sie als Schergen gesandt? Fürchten Sie, daß die Mitgift Ihnen geschmälert werden könnte? Oh, seien Sie unbesorgt! Ich gebe alles mit Zinsen zurück! Ich unternehme nichts, was ich nicht durchführen kann. Halten Sie mich wirklich für eine Diebin? Ich habe nicht gestohlen, ich habe nur auf acht Tage geborgt. Ich habe nur nach Ihrem Rat gehandelt, daß man Mut zum Erfolg haben muß, um zu siegen. Sehen Sie – alles dies ist mein – ich bin reich, und Gabriele kann ihr Geld mit Zinsen zurückbekommen! Man muß das Schicksal nur zu zwingen verstehen!«
Sie hatte ihre Haltung wiedergefunden, während sie sprach, und stand jetzt selbstbewußt, fast herausfordernd vor ihm, triumphierend auf den Tisch mit seinen Schätzen weisend.
»Jettka, was haben Sie getan?« sagte Markwitz tonlos. Er fiel in den nächsten Sessel und bedeckte die Augen mit der Hand, denn der Glanz des Goldes tat ihm weh. Es war ihm zumute, als hätte er einen schweren, betäubenden Schlag bekommen. Jettka sah ihn einen Augenblick schweigend an, dann trat sie hochaufgerichtet ihm gegenüber.
»Ich will Ihnen alles sagen. Ich gehöre nicht zu den vielzuvielen, die Unglück und die Schmach der Armut lebenslänglich mit feiger Ergebung tragen. Glaubten Sie je im Ernst, ich, Jettka Ebenschütz, würde mit demütiger Resignation in den Schatten treten und es selbstverständlich finden, daß eine Gabriele sich vor mir im Sonnenschein breitmacht? Naturen wie ich beherrschen und korrigieren das Schicksal. Ich habe nichts getan als einen günstigen Augenblick wahrgenommen. Ich entlieh die hunderttausend Mark, die Gabriele zufällig in ihrem Geheimfach zu liegen hatte – und wie Sie sehen, habe ich diese Summe hier verzehnfacht. In wenigen Tagen. Wenn das Glück mir hold gewesen wäre, hätten weder Sie noch Gabriele je etwas davon erfahren.«
Ein eiskalter Schauder ging Markwitz durch Mark und Bein.
»Wissen Sie nicht, daß Sie eine Diebin gewesen wären, wenn Sie, statt zu gewinnen, Gabrielens Geld verloren hätten?«
»Wenn!« lachte Jettka gell auf, »mit Wenn schlägt man keine Schicksalsschlachten. Mit Wenn hätte Cäsar nie den Rubikon überschritten und wäre nicht der Große! Mit Wenn wäre Napoleon nie der Staatsstreich geglückt, und er hätte nie die Kaiserkrone von Frankreich getragen!«
Markwitz stand auf, ein Frösteln ging ihm über die Haut, mitten in dem warmen, breit hereinflutenden Sonnenschein des Mittags.
»Und Sie, mein lieber Freund,« fuhr Jettka mit einem gewissen Hohn fort, »wenn Sie nicht so sicher und bequem in den Armen Ihrer wohlsituierten Witwe gelandet wären, hätten Sie vielleicht einiges Verständnis für solche behalten oder erworben, die allein in der ewigen Wüste des Lebens den Kampf mit sich und ihrem Schicksalsgott kämpfen, jenen Kampf, wo immer etwas auf dem Platz bleibt – und immer das Liebste auf Erden.«
»Jettka,« sagte Markwitz mit erstickter Stimme, »ich kam nicht her um des Geldes willen – ich wußte gar nichts von der Summe, die Sie genommen. Ich kam nur her, um Sie zu sehen, um Ihnen Lebewohl zu sagen. Ich gehe ins Ausland, um ein neues Leben zu beginnen, ich habe mit Gabriele gebrochen. Wir gaben uns unser Wort zurück.«
Jettka stand eine Sekunde regungslos, wie betäubt.
»– Sie haben – haben freiwillig mit Gabriele gebrochen? Sie kamen her – nur um mich zu sehen?«
»Ich suchte Sie in München in Ihrer Wohnung, und dort erfuhr ich, daß Sie hier sind. Den Grund Ihres hiesigen Aufenthalts wußte ich nicht.«
Jettka fand eine Zeitlang kein Wort. Sie legte nur die eine Hand mit dem feinen, bläulichen Geäder, die wunderbar schön in der Form war, über die Augen, als blende sie ein plötzliches Licht.
»Sie kamen den ganzen weiten Weg – nur – um mich zu sehen?« fragte sie dann noch einmal langsam, jedes Wort schwer betonend.
»Um Ihnen Lebewohl zu sagen – auf eine lange Zeit – vielleicht für immer. Denn ob und wie ich aus dem Lebenskampf heimkehren werde, kann ich heute nicht wissen. Nur ein gutes Wort von Ihnen wollte ich mitnehmen auf die Schicksalsreise – einen freundlichen Wunsch –«
Eine kleine Pause entstand, dann rang sich ein halb erstickter Jubelschrei von Jettkas Lippen.
Lachend, schluchzend stürzte sie auf Markwitz zu und faßte mit beiden Händen seine Rechte.
»Frei, frei sind wir beide von allen Ketten, von all den alten, schmachvollen, klirrenden Ketten, die uns wund und elend gemacht – glauben Sie denn, ich werde Sie gehen lassen? Ich werde Sie fortlassen auf Jahre – vielleicht auf immer? Sehen Sie dorthin –« sie wies auf den Tisch mit seinem funkelnden Gold – »das ist genug für uns beide! Die Schlacht ist bereits gewonnen, die Sie schlagen wollen! Den häßlichen, gemeinen, brutalen Kampf um die Existenz brauchen wir beide nicht mehr zu kämpfen – der Sieg ist unser – jetzt gilt es nur, das höhere Leben zu leben, das feine, freie Leben der Höhenmenschen!«
Sie hatte, glühend vor Freude und Begeisterung, mit hell ausbrechendem Jubel gesprochen, aber Markwitz sah sie traurig an.
»Nein, nein, Jettka, das Glück, an das ich glauben soll, muß ein anderes Fundament haben als das Glücksspiel, als dieses Teufelsgold. Der Erfolg, den Sie hatten, macht den Frevel am Eigentum einer andern nicht wieder gut. Denken Sie einmal ernsthaft nach – nach vierundzwanzig Stunden, wenn der erste Rausch verflogen, würde der Mann in Ihren Augen verächtlich sein, der sich auf die vorgeschlagene Weise das Leben angenehm machte. Bedenken Sie doch das Ungeheuerliche – mit Ihnen soll ich dieses Gold genießen, das einer Veruntreuung an meiner ehemaligen Braut entstand!«
Wieder stand Jettka regungslos, schweigend. Freude und Jubel waren ausgelöscht aus ihren Zügen, in denen sich ein schwerer Kampf malte.
»Markwitz!« sagte sie endlich gepreßt, »wenn dieses Gold uns trennt – wenn es Sie forttreibt von mir –« ihr Atem ging schnell wie in einer furchtbaren Aufregung, »dann werfe ich es fort, ich schenke es dem ersten, besten Bettler – ich werfe es ins Meer –«
»Das würden Sie bereuen – und Sie würden vielleicht zum zweitenmal das Schicksal mit einem Geniestreich von dieser Art zwingen wollen –« unterbrach sie Markwitz, sich erhebend.
»Nein, nein, nein!« rief Jettka mit verzweifelter Leidenschaft, »was geschah, hätte nie geschehen können, wenn Sie nicht von mir gegangen wären, zurück zu Gabriele! Als auch Sie in meinen Augen herabsanken zu einem Alltäglichen, der für Reichtum und Wohlleben seine Persönlichkeit verkauft, da trieb es mich, va banque zu spielen mit dem Schicksal, dem Leben, mit Recht und Gewissen – alles, alles hatte Wert und Geltung für mich verloren!«
Sie standen sich beide im heißen Aufruhr tiefster Seelenregungen gegenüber. Was im verborgensten Grund ihres Wesens schlummerte, rang sich empor.
Aber die Antwort, die sie nach ihrem Bekenntnis erwarten durfte und mußte, blieb aus.
Er konnte das Grauen vor ihrer Tat nicht überwinden. Sie war berauschender, bestrickender denn je mit dieser großen, lodernden Leidenschaft, die ihre letzte Hülle von sich warf und die nackte Seele zeigte in ihrer ganzen Glut und ungebrochenen Kraft – sie konnte seine Sinne entflammen bis zur Raserei – aber sein Bestes, Heiligstes konnte er nicht der Abenteurerin schenken, nicht dem Weib, das va banque mit Recht und Gewissen, mit Gott und Teufel spielte. Seine Seele verlangte nach dem Weib, das ihm Heimatsfrieden geben konnte, vor dem er niederknien und in dessen Schoß er das Haupt in süßer Ruhe betten durfte. Zu dem er gläubig aufblicken konnte mit nie wankendem Vertrauen als zu seinem höheren, besseren Selbst.
»Dies ist nicht der Augenblick, um über unser Leben zu entscheiden, Jettka,« sagte er gepreßt. »Meine nächste Sorge ist, Sie so schnell wie möglich hier fortzubringen aus der fürchterlichen Gefahr der Versuchung. Keinen Tag länger dürfen Sie hier bleiben. Packen Sie sofort Ihre Sachen, vertrauen Sie mir dieses Geld an, wir reisen mit dem nächsten Zug. Ich will die Spielhölle nicht einmal sehen. Dann dürfen Sie keine Stunde unnütz verstreichen lassen, Sie dürfen keine ruhige Minute haben, ehe Sie nicht auf Heller und Pfennig das zurückerstattet haben, was Sie genommen.«
Jettka lachte auf, es war ein schrilles Lachen mit einem wehen Klang.
»Markwitz – Sie besitzen doch etwas mehr Bürgertugend, als angenehm und zuträglich ist! Wie können Sie angesichts dieses Himmels und Meeres, in dieser uns vom Glück geschenkten Stunde an Gabrielens Kassaschrank denken? Es ist doch so furchtbar gleichgültig, ob die behäbige Witwe, die ja wohl noch im Gipsverband liegt, ihre Moneten einen Tag früher oder später zurückerhält. Es ist ja unendlich viel wichtiger, daß wir beiden Königskinder des Glücks hier einen Atemzug Himmelsluft tun und ein paar Herzschläge Ewigkeit erleben. Und wenn Gabriele mich mit Steckbriefen suchen ließe, es sollte mir den Genuß einer solchen Stunde nicht trüben.«
Sie hatte sich ihm genähert mit einem Lächeln, das ihrem Gesicht den höchsten Liebreiz verlieh. Sie trug auch hier das schlichte weiße, weichfließende Kleid und keinen andern Schmuck als die goldene Krone ihres prachtvollen Haars.
»Jettka, Sie sind die Versuchung selbst, die einen Riesen schwach machen könnte!« stieß Markwitz fast rauh hervor. »Ich muß mich eisenhart machen, um für uns beide klaren Kopf zu behalten. Nein, nein, nein! Ich will nichts sehen und hören von dem Teufelszauber, der hier in der Luft liegt und die Menschen entnervt. Gott sei Dank, daß ich Philisterblut genug in mir habe, um hier nüchtern zu bleiben. Und danken Sie dem Schicksal, daß ich zur rechten Zeit gekommen bin, um Ihnen den Zügel anzulegen. Hier, das Gold belege ich mit Beschlag – – – so, jetzt sind Sie wenigstens aus der schlimmsten und größten Gefahr!«
Er hatte Gold und Banknoten zusammengerafft und in einem bereitliegenden Ledertäschchen verschlossen, das er sich umhängte. Den Rock knöpfte er darüber zu. Jettka ließ ihn ruhig gewähren. Sie wandte sich ab und lehnte stumm am Fenster.
»Ich gehe jetzt, mich nach dem nächsten durchgehenden Zug zu erkundigen,« fuhr Markwitz geschäftsmäßig fort, »wenn wir noch Zeit haben, hole ich Sie hernach zum Mittagessen ab. Jedenfalls packen Sie Ihre Sachen unterdessen.«
Er ging, und sie blieb regungslos in ihrem Sessel liegen. Mit leerem, stumpfem Blick sah sie vor sich nieder.
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