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Markwitz kam alle Tage, aber er bekam Jettka nur flüchtig zu sehen.
Sie ließ ihn stets mit seiner Braut allein, und vom Billardspiel war zwischen ihnen nicht mehr die Rede.
Gabriele nahm es als selbstverständlich hin, daß er am liebsten mit ihr allein sei, es kam ihr nicht in den Sinn, daß er das Glück etwas zuviel und zu häufig genoß, daß er eine unterhaltende Abwechslung vorziehen könne.
Endlich sah sie sich genötigt, auf acht Tage nach Berlin zu fahren, um die hochwichtigen Einkäufe für ihre Wintertoilette zu besorgen.
Markwitz bat sie, sich doch die Sachen schicken zu lassen, aber davon wollte Gabriele nichts wissen.
Die Toilette war ihre Leidenschaft, und das Wählen und Einkaufen machten ihr zuviel Vergnügen, als daß sie es entbehren wollte; sie hielt es zudem für ihre Pflicht, sich gerade jetzt besonders zu putzen.
Die Begleitung ihres Verlobten lehnte sie entschieden ab, teils aus Rücksicht auf die Welt, teils weil seine Gegenwart sie in den Modemagazinen und Putzmachergeschäften nur stören würde.
Jettka wurde gebeten, unterdessen die kleine Ella zu bemuttern und dem Hauswesen in Helmershausen vorzustehen.
Gabriele war übertrieben ängstlich mit ihrem Töchterchen und brauchte stets mehrere zuverlässige Personen zu seiner Bewachung.
Bald darauf kam Markwitz, der die Geschäftsleitung von Gabrielens Besitz ganz in die Hand genommen hatte, eines Vormittags in Angelegenheiten der Wirtschaft nach Helmershausen.
Gabrielens Wirtschafterin hatte verschiedene Anliegen für ihn, aber ihm fiel ein, daß er zuvor Jettka nach ihren Wünschen fragen wollte, ehe er etwas in Haushaltungssachen anordnete.
Da er gerade den Diener mit einem Auftrag fortgeschickt hatte, ging er unangemeldet nach dem kleinen Salon, wo er sie vermutete.
In seinem vielbewegten Leben hatte er es verlernt, sich streng an die Vorschriften der Etikette zu halten, sobald es sich um den Ernst der Arbeit oder wichtigere Dinge als Gesellschaftsformen handelte.
Der Salon war leer, und er hob suchend die Portiere zum angrenzenden Boudoir, blieb aber etwas überrascht auf der Schwelle stehen.
Tief in das zottige Eisbärfell des Diwans geschmiegt, lag Jettka, den Kopf vornüber auf den verschränkten Armen ruhend und schlafend.
Das einfache weiße Kleid, das sie stets trug, in reizender Unordnung, und noch reizender ihr Haar, in wilder Auflösung im Nacken hängend.
Und was für ein Haar!
In schweren Ringeln und Wellen floß es über sie hin und lag in üppigen Strähnen über das Bärenfell und die Kissen des Diwans geworfen.
Neben ihr in dem großen Kaminofen brannte ein helles Feuer, das jene goldroten Reflexe über das strömende Haar streute, das Markwitz schon einmal bewundert hatte und das auch ihr weißes Gesicht mit rosigem Schimmer verklärte.
Der Schlaf hatte alles Stolze, Kalte und Herbe ausgelöscht in diesen Zügen, sie zeigten den weichgerundeten Liebreiz, wie ihn nur diese sorglose, von den Bitternissen des Lebens unberührte Jugend kennt.
Staunend fragte sich Markwitz, ob dies dasselbe Weib sei, wie er es bisher gesehen, das reife, gefestigte, in sich abgeschlossene Weib, dessen Augen zuweilen einen stahlharten Blick hatten und die Gleichgültigkeit der Welt- und Lebensverachtung.
Um dieser Härte willen hatte er Jettka in den letzten Wochen fast abstoßend gefunden, obgleich sie nie aufhörte, ihn zu fesseln und zur Neugier zu reizen.
Er war sich selbst nicht bewußt, wie weit diese Abneigung Unmut über ihre unwandelbare Gleichgültigkeit gewesen, die wie ein Frost über sie gekommen nach jenem interessanten Abend am Billard und nachdem er sie im Kaminspiegel als heimliche Lauscherin ertappt hatte.
Ein ahnungsvolles Mitleid ergriff ihn.
Der Schlaf entschleierte ihm ihre Seele.
Da war nichts als Liebe, Güte und Vertrauen auf dem Grund dieser Seele und die ganze berauschende Süßigkeit großer, seltener Liebesfähigkeit.
Wie bitter muß das Leben gewesen sein, das diese weiche Seele so hart machte!
Das kleine Gemach mit den schweren Portieren und durch Stoffdraperien und Spitzen halbverhängten Fenstern, mit den dicken Teppichen und Samtmöbeln war wohlig warm, während draußen ein scharfer Nordwind wehte, der die letzten Blätter von den Bäumen riß und die ganze Natur frostig und mürrisch stimmte.
Seinem ersten Impuls folgend, wollte sich Markwitz bei Jettkas Anblick zurückziehen, aber der Mann siegte in ihm stets über den konventionellen Kavalier.
Der ihm eigene, urwüchsige Übermut, mit dem er in jungen Jahren manch tollen Streich ausgeführt, erwachte, er war nicht Philister genug, um ein junges, reizendes Weib, das sich in einer solchen Situation überraschen ließ, ungestraft und unbehelligt zu lassen.
Auf dem Teppich vor dem Diwan lag ein feines, schwarzes Schühchen, das Jettka vom Fuß geglitten war.
Der Schelm sah Markwitz aus den Augen, als er, leise heranschleichend, den Schuh aufhob und mit seiner Beute den Rückweg antreten wollte. Doch die schweren, knarrenden Reiterstiefel verrieten ihn. Jettka schlug die Augen auf.
Sie schrie nicht auf und zeigte keine übertriebene Verlegenheit, sie errötete nur heftig; doch als sie den Raub ihres Schuhs bemerkte und den Scherz in Markwitz' Zügen las, lachte sie. Auch Markwitz lachte, und den Schuh auf dem Rücken haltend, sagte er: »Wer den hellen Tag verträumt, Hab und Gut gar leicht versäumt.«
Jettka hatte sich langsam aufgerichtet und mit großer Gelassenheit ihr Haar zusammengerafft, das sie zu einem einzigen Knoten im Nacken schlang.
Ebenso schnell und geschickt ordnete sie ihre Toilette, und den schmalen Fuß im seidenen Strumpf, der seines Schuhs beraubt war, ein wenig unter dem Saum des Kleides sichtbar werden lassend, erwiderte sie nichts als: »Bitte, bittet«
»Oh,« lachte Markwitz noch immer übermütig und zum Scherz aufgelegt, »ein geraubtes Pfand muß man einlösen.«
»Womit?«
Markwitz bemerkte in diesem Augenblick, daß Jettka auch kokett sein konnte. Eine neckische, verhaltene Koketterie lag in dem fragenden Augenaufschlag, die ihm eine ganz neue Seite ihres Wesens offenbarte.
»Erzählen Sie mir, was Sie soeben geträumt haben, es muß ein sehr schöner Traum gewesen sein.«
Sie öffnete die Lippen zu einer scherzenden Antwort, aber als die Blicke beider sich begegneten, flog derselbe zündende Funke plötzlichen Verstehens zwischen ihnen hin und her wie damals im Kaminspiegel.
Der Scherz versagte, und die grenzenlose Verlegenheit, mit der das junge Weib die Augen vor dem Kraft und Leben sprühenden Mann senkte, war so beredt und so bestrickend, daß Markwitz jenen Rausch zu Kopf steigen fühlte, der stets auf einen solchen Sieg folgt.
Im nächsten Augenblick kniete er vor ihr auf dem Teppich, um ihr den Ritterdienst des Schuhanziehens zu leisten, und als er den feinen Fuß in seiner großen Männerfaust hielt, sagte er: »Ich will Sie nicht quälen, aber Sie müssen etwas recht Böses geträumt haben.«
Sie schüttelte den Kopf und streifte seinen Blick nur mit einem Lächeln. Es war ein süßes Lächeln, dem etwas wie Bangen zugrunde lag. Jenes heimliche, echt weibliche Bangen vor der sieghaften Männlichkeit, das Männer so gern in schönen Frauenaugen lesen und das sie nur zu leicht um den Verstand bringt.
Im nächsten Augenblick war Jettka ihm gegenüber wieder die Fremde, die Freundin seiner Braut. Sie besprachen jetzt ruhig die geschäftlichen Angelegenheiten, und Jettka zeigte die alte, kühle Sicherheit.
Markwitz wußte jedoch nun ganz genau, daß sie nur eine Maske vor das Gesicht genommen hatte, aber er bewunderte die Meisterschaft, mit der sie sich in der Gewalt hatte. Er bewunderte auch den praktischen Verstand und den scharfen Blick, den sie in allen Geschäftssachen offenbarte. Es war ein Vergnügen, mit ihr zu verhandeln, während er mit Gabriele nie fertig werden konnte.
Gabriele war stets blind gegen das Nächstliegende, gegen das, was sein mußte. Ihren Launen und Einfällen opferte sie das Zweckmäßige, und da ihr jeder Überblick fehlte, machte sie bei selbständigen Entschlüssen gewöhnlich Dummheiten.
Es war kein Zweifel, in Jettka hatte er ein Weib von ungewöhnlichen Gaben vor sich, wie es ihm bisher noch nie begegnet war. Nein, nie! – Leider! –
Trotzdem er so viel Frauen gesehen, in aller Herren Ländern. Eine innere Unruhe faßte ihn bei diesem Gedankengang, und er brach jäh ab.
»Ich hoffe, Sie werden mit mir zu Mittag speisen,« sagte Jettka mit der Würde der Hausfrau, die eine selbstverständliche Gastfreundschaft übt. »Es ist so einsam hier,« fügte sie mit einem bittenden Blick hinzu, »ich bin vorhin aus Langweile eingeschlafen. Und ich spielte gern einmal wieder eine Partie Billard.«
»Ihr Wunsch ist mir Befehl,« erwiderte Markwitz, und er blieb nur zu gern.
Bald darauf saßen sie in dem wohldurchwärmten, behaglichen Speisezimmer bei einem vorzüglichen Mittagessen beisammen. Markwitz ließ einige Flaschen vom besten, alten Wein aus dem Keller holen, er fühlte sich so wohl und heiter, wie in all den letzten harten Arbeitsjahren nicht. Sie hatten beide viel von der Welt gesehen und fanden reichen Gesprächsstoff im Meinungsaustausch über fremde und heimische Kulturerscheinungen.
Dabei entdeckten sie, daß sie in selbständiger Urteilskraft, im Erfassen und Durchdenken der Zeit- und Lebensprobleme die gleichen ebenbürtigen Partner waren wie beim Billardspiel. Zuweilen kreuzten sich die Klingen ihres Geistes im scharfen Disput, der stets mit befestigter Hochachtung auf beiden Seiten endete.
Markwitz war noch nie bei einem Weib ein so blitzartiges Verstehen seiner geheimsten Gedanken und Regungen begegnet.
Und sie war frei von jeder weibischen Prüderie und Engherzigkeit. Er konnte ihr rückhaltlos sein Vertrauen schenken und über Dinge seines vergangenen Lebens sprechen, die er Gabriele niemals anzudeuten wagte.
Markwitz hatte nie vorher erfahren, welch ein Genuß es für einen Mann ist, einem Weib gegenüber offen und wahr sein zu können.
Es ging ihm plötzlich ein Licht auf, warum er bisher nie geliebt hatte, warum er nie die große, alles besiegende Leidenschaft empfunden, die er für eine Phantasiegeburt der Dichter und Schwärmer gehalten. Die konventionelle Verlogenheit der Frauen war schuld daran. –
Als sie sich endlich von der Tafel erhoben, um in heiterster Stimmung nach dem Billardzimmer zu gehen, fragte sich Markwitz, ob er denn gar keinen Fehler an Jettka entdecken könne. Fehler mußte sie haben, Fehler hat jeder Mensch, aber wo lagen die ihren?
Wo gab es einen Mangel bei dieser Vielseitigkeit der Veranlagung, bei dieser hohen Potenz weiblichen Liebreizes, äußerlicher und innerlicher Grazie, verbunden mit Geist, Intelligenz und Energie? Bei dieser elastischen Kraft der ganzen intellektuellen Persönlichkeit? Er fand heute keine Antwort auf diese Frage, und er ahnte nicht, auf welche Weise ihm einst die Antwort werden sollte.
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