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8.

»Jetzt weiß ich die Antwort – ich habe gefunden, was ich suchte!« rief Markwitz, als er am folgenden Tag fast stürmisch und einen Strom frischer Luft mit sich bringend das Wohnzimmer betrat, in dem Jettka mit einer Zeitung am Fenster saß. »Die Entschädigung des Weibes für die selbstsüchtigere Liebe des Mannes und für all seine Herrenrechte ist die Mutterliebe und das Mutterglück!«

Jettka erhob sich mit einer schnellen Bewegung, ihm entgegengehend. »Lesen Sie erst diese Depesche!«

Die Depesche war von Gabriele und sehr lang.

Sie hatte sich durch einen Fehltritt beim Aussteigen eines Wagens den Fuß gebrochen und lag sehr elend in einer Klinik, wohin man sie gebracht. Markwitz sollte sofort kommen und ihr Töchterchen mitbringen in Begleitung des Kinderfräuleins.

Dieses war der wesentliche Inhalt einer langen, sehr konfusen Tirade, die deutlich anzeigte, daß sie sich in einem Zustand völliger Haltlosigkeit und Verzweiflung befand und sich dem Tode nahe glaubte.

Markwitz sah einen Augenblick fassungslos und bestürzt aus. »Halten Sie einen Beinbruch auch für lebensgefährlich?« fragte Jettka.

»Nein, unter keinen Umständen bei einer gesunden, jungen Frau wie Gabriele,« erwiderte er mit schwer verfinsterter Stirn. »Es ist wohl das Gefühl des Alleinseins unter Fremden, was ihr so völlig die Fassung raubt. – Fatal, sehr fatal!«

»Werden Sie reisen?« fragte Jettka weiter.

Ihre Augen waren fest auf ihn gerichtet, mit einem Blick, der die einfache Frage zu einer lebensentscheidenden, zu einem Schicksalswort machte.

Einen Augenblick sah er sie sprachlos an, wie sie mitten im Zimmer hoch aufgerichtet vor ihm stand, die Arme schlaff an dem schlanken Körper herabhängend, eine zwingende, fast gebietende Forderung im Blick und eine heiße Seelenangst.

Zwischen ihnen auf dem Teppich lag eine goldene Herbstsonne, denn heute lachte der Himmel nach den Stürmen der letzten Tage in klarer Bläue.

Und es war ihm, als hörte er laut und deutlich die Worte: Du mußt bleiben, denn du gehörst zu mir. In diesem Augenblick entscheidet sich unser Schicksal. Die Liebe hat immer recht, jede andere Rücksicht ist Feigheit und bringt Verderben. –

Aber es war nur eine Sekunde, die wie ein Blitz ein tiefes Dunkel erhellte.

»Selbstverständlich,« erwiderte er, sich abwendend, »und mit dem nächsten Zug. Haben Sie das Kind fertig gemacht, und ist das Fräulein bereit? Dann bestelle ich gleich den Wagen und nehme beide mit. Wir können auf einem Umweg immer noch etwas notwendiges Gepäck für mich abholen, so viel Zeit ist noch bis zum nächsten Schnellzug.«

Jettka hatte sich verrechnet, wenn sie glaubte, ein Mann wie Markwitz könne das Weib, dem er Treue gelobt, im Unglück verlassen, selbst wenn das Unglück nur eine vorübergehende Fatalität war.

Und sollte er die Erkenntnis, daß seine Wahl ein verhängnisvoller Irrtum war, mit seinem Lebensglück bezahlen, auf unritterliche Weise konnte er nicht sein Wort brechen.

Jettka, die in seiner Seele besser las als er selbst, fühlte in diesem Augenblick erst seinen ganzen Wert. Er war der erste Mann, der ihr Achtung abzwang. Sie hatte zuviel Schmutz und Schwäche in der Welt und bei den Männern gesehen und darüber Glaube und Liebe verloren.

Wie ein Wunder war darum die Offenbarung der Liebe über sie gekommen, der echten Weibesliebe, die in dem Mann Stütze und Halt findet und einen Stärkeren über sich fühlt mit wachsendem Vertrauen – wie ein unirdischer Traum von Glück streifte sie eine Ahnung, was ihr Leben sein könne unter dem Schutz einer solchen Liebe.

Aber mit dem dumpfen Bewußtsein, daß sie, die Tochter des zügellosen Wüstlings, nicht zu den Sonntagskindern des Schicksals gehörte, denen solch ein reines, großes Glück in den Schoß fällt, wandte sie sich wortlos, um mechanisch das Notwendige und Nächstliegende zu tun, das Kind zur schleunigen Abreise zu rüsten.

Mit automatischer Starrheit tat Jettka alles, was sie tun mußte, und wohnte dem Aufbruch der Abreisenden bei. Nur mechanisch erfaßte und beantwortete sie Markwitz' herzliche Abschiedsworte. Er bat sie zu bleiben bis zu ihrer aller Rückkehr, die so bald als tunlich erfolgen sollte, und sich die Zeit nicht zu lang werden zu lassen. Er besprach dann auch noch einiges Geschäftliche mit ihr und bat sie, einige Geldsendungen, die eintreffen würden, im Geldschrank sicher unter Schloß und Riegel zu verwahren. Er zeigte ihr zu diesem Zweck noch einmal die Mechanik, wie der Schrank durch bloßen Druck des unsichtbaren Schlosses zu öffnen sei, ohne zu wissen, daß Gabriele ihr auch das Geheimnis seiner verborgenen Fächer mitgeteilt hatte. Ohne diese Kenntnis konnte man weder zu den Juwelen noch zu den Kapitalien, die er in sich schloß, gelangen.

Als der Wagen vom Hof rollte, sah Markwitz sich noch einmal um und sah Jettka, wie sie ihm unbeweglich auf der Veranda des Hauses nachblickte. In dem Trubel und der Aufregung der letzten Stunde war er nicht mehr zur Besinnung auf sich selbst gekommen. Es durchfuhr ihn jetzt wie ein Schreck, daß es ihm schwer wurde, Jettka zu verlassen, um zu Gabriele zu gehen. Das Zusammensein mit Jettka hatte einen so starken Reiz auf ihn ausgeübt, daß er den Zwischenfall, der ihn zu Gabriele führte, heute wie eine unangenehme Störung empfand. Was sollte das werden?

Durfte er Gabriele heiraten, wenn Herz und Sinne ihn zu einer andern zogen? Aber durfte ein Mann von Ehre ein Weib im Stich lassen, dem er sein Wort gegeben? Mit Gabriele fiel ihm ein glänzendes Los, die Zukunft des reichen Mannes, in den Schoß. Und ehe er Jettka kennenlernte, war ihm auch Gabriele begehrenswert erschienen.

Mit Jettka würde wohl sein Leben in alle Zukunft Mühe und Arbeit bleiben. Und eignete sie sich für das entbehrungsreiche Los, Gattin eines schwer arbeitenden, abhängigen Landwirts zu sein? Sie, mit ihrem hochmodernen, verfeinerten Großstadtair? Wie seltsam berauschend dieses Air war, ein Gemisch von großzügiger, naturwahrer Weiblichkeit und höchstem Kulturraffinement!

Würde ihn dies auf die Dauer beglücken? Und wie eine leise Warnung regte sich in ihm der Instinkt des Gefühls, der sich niemals irrt, wenn Verstand und Sinne sich zehnmal irren, und dieser Instinkt wußte, daß jenes Kulturraffinement bereits die Grenze überschritten hatte, die Gesundheit des Leibes und der Seele bedeutet, wahrend er mit der Vollkraft seiner ungebrochenen Männlichkeit diesseits der Grenze stand. Jenseits aber beginnt die Fäulnis, und die Gesundheit soll ihre Ansteckung meiden.

Alles dies war dunkel, unklar und wirr in ihm, und er fühlte sich in einem Konflikt, aus dem weder Wille noch Energie ihn befreien konnten. – –

Während er mit solchen Kämpfen und Schicksalsfragen im Herzen im Schnellzug die norddeutsche Ebene durchflog, wanderte Jettka ruhelos in dem vereinsamten Haus umher. Eine dumpfe Verzweiflung war über sie gekommen. Das Glück hatte sich für immer von ihr gewandt. Nun sie es einmal wie in einem Traum gesehen, wußte sie, daß sie das frühere Leben nicht mehr weiterleben konnte. Einen Lohn für dieses grausame Genarrtwerden vom Schicksal mußte sie haben, wenn sie nicht Selbstmord begehen sollte.

Schlimmer fast als die Qual der Entsagung war das Gefühl ihrer Niederlage.

Sie hatte ihr ganzes seelisches und moralisches Wollen daran gesetzt, den Mann, den sie liebte, an sich zu fesseln, an sich zu reißen, wenn auch mit stolzen, ehrlichen Waffen – und es war nicht geglückt! Im Kampf gegen die schwache, kindische Törin, die ihr im Weg stand, war sie unterlegen. Der Dämon des Hasses regte sich in ihrer Seele gegen Gabriele, das Kind des Glücks.

Alle goldenen Gaben des Lebens waren über diese ausgeschüttet, jede Pforte, jeder Weg stand ihr offen zu irgendeinem Paradies irdischer Freuden, das sie sich nur zu wählen brauchte – für sie gab es nur einen einzigen Weg, eine einzige Tür, durch die sie eingehen konnte zum Erdenglück – und gerade diese einzige mußte sie ihr verschließen!

Hatte Gabriele überhaupt eine Ahnung von dem Wert des Mannes, den sie sich gewählt? Würde nicht jeder andere, der ihrer Eitelkeit genügte, den gleichen Erfolg bei ihr haben und sie in kurzer Zeit über den Verlust Markwitz' trösten?

Und war Markwitz nicht viel zu klug, um das zu wissen? Warum also kehrte er jetzt zu ihr zurück, statt die Gunst des Augenblicks wahrzunehmen mit jener erlaubten und notwendigen Rücksichtslosigkeit, ohne die man auf Erden nie zu dem Recht seiner Persönlichkeit kommt?

Jetzt oder nie war der Moment, sich zu entscheiden, und er liebte sie doch tausendmal mehr als Gabriele – ja, er liebte sie mit der echten Liebe, nur um ihrer selbst willen – weil er nicht anders konnte – während er Gabriele niemals um ihrer selbst willen, ohne die äußeren Glücksumstände, gewählt hätte. Gabriele mit ihrem Gold! Das war es, was ihn auch jetzt zu ihr zurückführte. Und das war die Probe auf das Exempel, daß die Liebe ein Wahn, ein Aberglaube, eine Illusion auf Erden ist.

Jettka war in einem Sessel an einem Fenster zusammengesunken, schob die Spitzenvorhänge beiseite und starrte in die sonnenklare Herbstlandschaft hinaus. Sie stieß den Fensterflügel auf und atmete in tiefen Zügen die feuchtwarme Luft mit dem Gartengeruch nassen, welkenden Laubes und verwehender Blumen, den Sterbegeruch des Sommers.

Es lag etwas seltsam Nervenaufreizendes in dem faulig-süßen Duft der verblühenden Rosen und Astern, der die ganze Atmosphäre erfüllte, in den leuchtenden Farben des tiefblauen Äthers und goldgelben Laubes, aus dem hie und da eine purpurrote Georgine oder Rose flammte. Auf Jettkas feine Nerven und Sinne wirkten diese Luft und Farben fast wie ein Weinrausch, das erregte Blut stürmte noch heißer durch ihre Adern, und in ihrem Hirn jagten sich Gedanken und Traumvorstellungen.

Immer und immer wieder stand sie im Geist vor der verschlossenen Pforte des Glücks und suchte nach dem Schlüssel. Eins war sonnenklar. Liebe gab es nicht auf Erden. Nicht die Liebe, die sie jetzt von fern wie eine überirdische Offenbarung im Traum gesehen.

Jene Nützlichkeitsliebe, die Markwitz als Naturgesetz hinstellte, war für sie wertlos. Um solch einer Liebe willen würde sie nicht drei Schritte gehen oder einen Finger rühren. Was blieb nun übrig, wenn man diese Illusion aus dem Leben strich? Macht, nichts als Macht zum höchsten Lebensgenuß, und diese Macht ist das Gold.

Blühende Jugend und Lebensfrische ohne die Zaubermacht des Goldes sind ohnmächtig, aber mit diesem Schlüssel erschließen sie jedes Paradies auf Erden.

Wie hatte Markwitz gestern gesagt? Wer an die Notwendigkeit des Erliegens glaubt, der ist schon verloren. Das war ein wahres Wort. Selbstvertrauen ist alles.

Aber wie kann man sich zum Herrn eines widrigen Schicksals machen? Wie?

Und mitten in all dem Grübeln und Martern ihres Gehirns, in der Seelenangst, mit der sie sich hätte den Kopf zerschlagen mögen an den verschlossenen Pforten der Schicksalsmysterien, überkam sie der Jammer ihrer zerstörten letzten Illusion.

Immer wieder trat das kraftvolle, unwiderstehliche Bild des Mannes vor ihr Auge, des einzigen, der ihr Herz und Seele genommen und sie die süße Qual des Liebesverlangens gelehrt hatte. Für ihn und mit ihm hätte sie jede Entbehrung, jede Entsagung auf sich genommen, auch den Fluch der Arbeit im Schweiß des Angesichts. Zu ungeahnter Höhe hätte diese Liebe sie geführt. Das Trugbild war zerronnen. Das Menschenleben aber ist eine Realität und zu kurz, um sich mit Trugbildern der Phantasie aufzuhalten.

An diesem Punkt angekommen, begann sie von neuem das Grübeln und Sinnen, den Ersatz zu finden für das Verlorene. Ruhelos durchwanderte sie die Gemächer, bis die grauen Schatten der Abenddämmerung Licht und Farben auslöschten und endlich die tote, stille, kalte Herbstnacht herniedersank. So still war die Nacht, daß sie nicht schlafen konnte, weil ihre Gedanken zu laut sprachen. Und in der lastenden Grabesstille der tiefen Mitternacht erhob sie sich wie eine Nachtwandlerin von ihrem Lager und ging in dem weißen schleppenden Hemd mit bloßen Füßen, die Kerze in der Hand, nach dem Kabinett mit der Spiegeltür.

Lautlos öffnete sich die Tür, und lautlos gehorchte das unsichtbare Schloß dem Druck ihrer schlanken, weißen Finger und öffnete den eisernen Geldschrank. Die Geheimfächer sprangen auf, und das Kerzenlicht flackerte über funkelndes Gold und blitzende Juwelen.

Es war kein Tropfen Blut in dem Gesicht des Weibes, dessen schweres Haar in einem einzigen langen Zopf bis in die Kniekehlen herabfiel, als es mit eiskalten Fingern Goldstücke und Banknoten in einem Kästchen zusammenpackte, Geheimfächer und Schranktüren schloß und, das Kästchen in den Falten des Nachtkleides verbergend, mit den nackten Füßen lautlos wie ein Geist den Weg zurückging, den es gekommen.

Das Kästchen mit seinen Schätzen unter ihrem Kissen verborgen, lag Jettka wieder in ihrem Bett, und jetzt waren es nicht mehr die Gedanken, sondern ein leises, metallisches Tönen wie klingendes Gold, das sie in dem Grabesschweigen der regungslosen Herbstnacht als seltsam zauberische Musik hörte. Diese Musik hatte etwas Beruhigendes, Einlullendes für ihre überreizten Nerven, sie schlief darüber ein, fest und tief; es war ein Schlaf traumloser Erschöpfung.

Erst am hellen Tag erwachte sie, und sie mußte sich lange besinnen, bis ihr die Ereignisse der Nacht einfielen. Einen Augenblick zweifelte sie an der Wirklichkeit des Geschehenen, es war ihr, als hätte sie alles nur geträumt. Doch bei der ersten Bewegung fühlte sie das Kästchen unter ihrem Kissen.

Mit einem Schlag waren alle ihre Sinne wach, ihre Nerven in höchster Anspannung. Der Dämon der Leidenschaft für das rote Gold, der den Zügel verloren, ging mit ihr durch. Kein Bedenken, kein Skrupel wurde wach. Eine heiße, wilde Freude loderte in ihr auf, eine felsenfeste Zuversicht auf das Gelingen ihres tollkühnen Plans.

Sie brauchte höchstens acht Tage Zeit, nur acht Tage Frist sollte ihr das Schicksal gewähren, und sie hatte gesiegt, die Schlacht gegen das verhaßte, grausame Schicksal war gewonnen! In diesen acht Tagen konnte sie die Reise nach Monte Carlo hin und zurück machen und dort mit diesem geliehenen Kapital die Bank sprengen.

Geliehenes Geld bringt dem Spieler Glück.

Sie war nicht umsonst die Tochter des Glücksspielers, der erbliche Keim, der ihr im Blut gelegen, schoß plötzlich mächtige Triebe. Ehe Gabriele zurückkehrte, würde die geliehene Summe wieder im Kassenschrank ruhen, und niemand brauchte zu erfahren, woher der Reichtum stammte, den sie sich geholt.

Den Leuten hier im Haus konnte sie leicht etwas über ihre Reise vorspiegeln. Angeblich würde sie auf acht Tage geschäftehalber nach München zurückkehren, ja, um der Sache ein ganz harmloses Ansehen zu geben und jede Art der Nachforschung zu vermeiden, wollte sie Gabriele von dieser Münchener Reise Mitteilung machen mit dem Versprechen baldiger Wiederkunft.

Wie in einem Freudenrausch sprang sie von ihrem Lager. Welch eine Glücksfügung war dieser gebrochene Fuß, der eine vorzeitige Rückkehr Gabrielens unmöglich machte!

Solche Glückschancen bieten sich vielleicht jedem Sterblichen einmal im Leben, aber den gegebenen Augenblick richtig erfassen und benutzen, das ist die Probe auf den Charakter!

Der Schwache zaudert, aber der Starke, Mutige greift zu. Und im goldenen Sonnenlicht des jungen Morgens stand Jettka mitten in ihrem Zimmer und reckte die Arme mit einem wonnigen Kraftgefühl empor, als wolle sie nach etwas schwer Erreichbarem, Hohem greifen.

Das Nachtgewand glitt zu Boden, und in der keuschen Schönheit ihres schlanken, weißen Leibes mit dem rieselnden Goldhaar fühlte sie sich in diesem Augenblick schon Herrin des Geschicks und der Erde.

* * *


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