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Markwitz erzählte seiner Braut schriftlich von diesem Besuch bei Jettka und erhielt umgehend den Befehl, ihn, wenn irgend möglich, täglich zu wiederholen.
Gabriele schrieb, daß sie in acht Tagen nicht mit ihren Besorgungen fertig werden könnte, die großen Geschäfte erwarteten teilweise noch die Sendungen zur Weihnachtsausstellung aus Paris, und sie müsse das Neueste sehen, bevor sie ihre entscheidende Wahl treffen könne. Sie tröstete ihren Verlobten wegen der Verzögerung mit dem Glanz der neuen Toiletten, der ihn überraschen und erfreuen würde, bat aber dringend, wenigstens alle Tage eine Partie Billard mit Jettka zu spielen, da sie es sonst nicht verantworten könne, ihre Cousine so lange allein zu lassen.
Zugleich erhielt Jettka ein Schreiben, mit der Bitte, Markwitz recht angenehm zu unterhalten, damit er nicht zu ungeduldig würde bis zu ihrer Rückkehr.
Markwitz fühlte einen heftigen Unmut über diese Briefe. Er schrieb seiner Braut in erregtem Ton, daß sie die Toilettenfrage zu wichtig nähme, sie gefalle ihm ohne das Allerneuste aus Paris genau ebenso gut. Er bat dringend, so bald als möglich zurückzukommen, es sei doch auch für Fräulein Ebenschütz ebenso unpassend, ihn häufig allein zu empfangen, wie für sie. Ob sie sich das gar nicht überlegt hätte?
Gabriele antwortete mit einer langen Epistel.
Zuerst kam eine Abhandlung über Liebe und Leidenschaft. Je ungestümer der Mann sei, um so zurückhaltender müsse die Frau sein. Es schiene nun einmal ihr unabänderliches Schicksal, unter der Leidenschaft der Männer leiden zu müssen, es sei nicht ihre Schuld, daß Gott sie so geschaffen.
An diese angenehme Betrachtung schloß sich eine konventionelle Moralpredigt, mit der Versicherung, daß ihre Liebe nicht geringer sei als die seine, weil sie die Selbstbeherrschung der wohlerzogenen Dame besitze. Er werde das später dankend anerkennen.
Was Jettka beträfe, brauche er sich keine Sorgen zu machen. Sie sei in der Gesellschaft gar nicht bekannt, und nach ihrer Abreise würde niemand von ihr sprechen oder sich für sie interessieren.
Einem etwaigen Gerede würde die Veröffentlichung der Verlobung später sofort die Spitze abbrechen, und eigentlich sei doch Jettka eine alte Jungfer, die überhaupt nicht mehr in Betracht käme.
Markwitz fühlte zum erstenmal echten, unverfälschten Zorn auf seine Braut, als er diesen Brief in der Faust zusammenknüllte und von sich schleuderte.
Einen halben Tag lang ging er mit finsterer Stirn umher, entschlossen, Gabriele nicht den Willen zu tun, sondern mit dem Frühzug nach Berlin abzureisen.
Am Nachmittag aber ritt er nach Helmershausen, er mußte nach der Wirtschaft sehen.
Dort fand er Störungen im Brennereibetrieb, und da die Kartoffelernte schon angefangen hatte, überzeugte er sich, daß er die Wirtschaft jetzt nicht herrenlos lassen könne. Das beruhigte sein Gewissen vollkommen.
Er war bis zum späten Abend rastlos tätig und wollte nur auf eine halbe Stunde zu Jettka gehen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Er fand Jettka nicht in den Wohnräumen und erhielt den Bescheid, das Fräulein sei mit dem Baden des Kindes beschäftigt, werde aber in einer Viertelstunde erscheinen.
Todmüde von den Strapazen des Tages legte er sich in einen Sessel des kleinen Boudoirs, das nur von dem Kaminfeuer und einer rubinroten Glasampel magisch beleuchtet war. Er hatte sich den ganzen Tag, vom Morgengrauen an, in Wetter und Wind, auf der Jagd und bei der Arbeit auf den kotigen Kartoffeläckern umhergetrieben, er hatte in der Mühsal und derben Realität des Tagesgetriebes, in der Leitung der großen Wirtschaften und ihres Arbeiterpersonals, so viel körperliche und moralische Kraft verausgabt, daß jetzt eine wohlige Schlaffheit und Müdigkeit über ihn kam.
Jettka ließ auf sich warten, und so schlief er ein.
Wie lange er so geschlummert in einem festen, tiefen Schlaf, der seine Glieder in Wohlbehagen löste, wußte er nicht. Er erwachte plötzlich von einem Wonneschauer – war es ein Traum oder Wirklichkeit gewesen?
Die Ampel war erloschen, das Zimmer fast dunkel. Nur hie und da streute die verglimmende Kohlenglut des Ofens noch tiefrote Lichtfunken in den Purpur der Velourtapete, der Samtmöbel und Portieren.
In dieser rötlichen Finsternis hatte er eine weiße Gestalt gesehen, über sich gebeugt und langsam, ganz langsam das Gesicht dem seinen nähernd.
Er hatte etwas Heißes auf seinen Lippen gefühlt, fast als ob eine Kohle ihn versenge, und doch so weich, so leise, wie ein Hauch, während Ambraduft über ihn hinströmte. Ihm war, als habe er die Arme ausgebreitet, um das Traumbild zu fassen, aber es war zerronnen; als er sich taumelnd vom Schlummer erhob, war das Gemach leer. Einen Augenblick glaubte er ein Frauengewand auf dem Teppich des Nebenzimmers zu hören, aber auch dort war alles leer und dunkel.
Er fand den alten Diener verschlafen in der Vorhalle, und dieser bestellte, das Fräulein habe ihn nicht stören wollen und ließe ihm gute Nacht sagen.
Es war Mitternacht, als er, immer noch wie ein Träumender, heimritt durch Sturm und Regen.
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