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XV.

Es war ein trüber, naßkalter Herbsttag, der das Städtchen Staßfurt noch öder und reizloser erscheinen ließ, als gewöhnlich. Mit hochgeschlagenem Paletotkragen, Galoschen und Regenschirm patschte Claus von Dahlwitz, innerlich fluchend über fehlende Fahrgelegenheit, über die tägliche Fron am Gericht und das »gottverdammte Nest«, vom Bureau nach Hause, durch die Pfützen der triefenden Straßen. Doch in seinen möblierten Zimmern erwartete ihn eine Überraschung, die er sich nicht hatte träumen lassen, und die alles in den Schatten stellte, was er eben noch als Schikane seines Geschicks empfunden.

In einem der grünen Plüschsessel aus dem vergangenen Jahrhundert, unter der Hängelampe, mit ihrem unvermeidlichen Gasgeruch, saß eine Dame und hatte es sich mit seinen Zigaretten bequem gemacht. Sehr fesch, nach der allerneuesten Mode von heute – Irma von Erdödy, die bischöfliche Nichte mit der erstklassigen Gelbsternfigur.

Er stand sprachlos.

»'N Tag, alter Junge, freudige Überraschung, was?« Sie paffte ihm einige blaue Rauchkringel entgegen. Er wurde bleich vor Zorn.

»Das ist gegen unser Abkommen,« fuhr Claus Irma an.

»Sehr erfreut, dich bei guter Gesundheit zu sehen. Da du mir auf meinen letzten Brief nicht geantwortet, ließ mich die Sorge, du könntest krank sein oder gestorben, nicht mehr ruhig schlafen. Ist das nicht rührend von mir?«

»Du hattest Anforderungen an mich gestellt, für die es keine Antwort gibt,« entgegnete er hastig und schleuderte seine nassen Sachen auf den nächsten Stuhl.

»Ja, siehste, darum bin ich gekommen. Denn wenn du das Schreiben verlernt hast, wirst du doch wohl noch reden können.«

»Nicht um Haaresbreite gehe ich über das Abkommen hinaus. Ich habe meine Versprechungen erfüllt und dir blutige Opfer gebracht. Mehr kann und tue ich nicht!«

»Es gibt Notlagen, mein Lieber. Du bist ohnehin viel zu gut weggekommen, ich habe mich übertölpeln lassen. Dein Heiratsversprechen war bindend. Wenn ich damals nicht ein Auge auf den netten schwarzen Affen, den Grafen Lognelli geworfen hätte, wäre es anders für dich gekommen. Aber der arme Junge stürzte beim nächsten Rennen und liegt seitdem in der Klinik, total alle. Nun muß ich auf dich zurückgreifen. Du weißt, ich habe Dokumente in der Hand – ich war beim Rechtsanwalt – die dich bloßstellen. Um es kurz zu machen – ich brauche zehntausend Mark, bar auf den Tisch – entweder du zahlst, oder ich klage auf Eheversprechen und wende mich an deine Braut.«

Claus war grün im Gesicht.

»Du Luder!« zischte er sie an. »Weißt du und dein Herr Rechtsanwalt nicht, daß dein sauberer Lebenswandel mich von jedem Versprechen entbinden würde?«

Jetzt wurde der Gelbstern melodramatisch. Ihr Lebenswandel sei tadellos, niemand habe Beweise dagegen, er am allerwenigsten. Sie sei eine hochanständige Dame und ohne Eheversprechen sei bei ihr nichts zu wollen. Das sei sie ihrem Onkel, dem Bischof schuldig, und dem Großonkel, den der Kaiser Franz Joseph – –

Hier fing Claus an zu toben, er stieß die Stühle umher, daß sie krachten und warf mit einigen Gegenständen wie Sofakissen, Lampenteller und Galoschen um sich. Sie erhob sich, streifte die feinen Wildledernen über die Hände und sagte: »Also gut, ich klage.«

Er wußte genau, wie schlau sie sich gedeckt hatte, er konnte nichts Beweiskräftiges gegen sie vorbringen. Ein Haßgefühl stieg in ihm auf, als könne er sie kaltblütig erwürgen, wenn die Gelegenheit dazu günstig gewesen wäre.

»Bleib!« schrie er sie an, »willst du mich zwingen, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen? Das hieße die Henne schlachten, die goldene Eier legen soll! Jetzt wollen wir mal ruhig und vernünftig reden.«

Sie blieb und die »ruhige, vernünftige« Aussprache dauerte eine geraume Weile, sie wurde auch zuweilen wieder stürmisch, besonders wenn Irma ihre erlauchten Verwandten und den Kaiser Franz Joseph in die Wagschale warf. Zum Schluß hatte sie Claus so weit mürbe, daß er versprach, seinen bereits stark in Anspruch genommenen Kredit noch mit den gewünschten Zehntausend zu belasten. Es galt jetzt alles zu vermeiden, was ihn bloßstellen konnte. Erst die Hochzeit – dann ließe sich schon energisch gegen die Erpresserin vorgehen. Leider war seine Hochzeit bis nach Weihnachten verschoben, es sollte eine Doppelhochzeit mit Horst und Adrienne werden; der Umbau des Kerkower Wohnhauses wurde aber nicht früher fertig.

Nachdem alles erörtert und nichts mehr zu sagen blieb, gingen sie zusammen in das erste Weinlokal der Stadt. Dort, bei Hummersalat und Gänsebraten mit Chablis und Sekt, gab es eine unterhaltsame Stunde, denn die bischöfliche Nichte brachte den ganzen Anekdotenschatz und die neueste Chronique scandaleuse aus den Berliner Kreisen, in denen man sich nicht langweilt, mit sich, Kreise, in denen Claus früher zu Hause gewesen und die er jetzt ungern entbehrte. Mit dem Abendzug dampfte Irma wieder ab; Claus aber erwachte am anderen Morgen mit einem Brummschädel und einem fatalen Nachgeschmack der stattgehabten Wiedersehensfreude. Ärger, Wut und Verlegenheiten versetzten ihn in eine grimmige Laune. Ärger, daß er sich von der »gerissenen Abenteuerin, Hochstaplerin, Männerfängerin hatte dumm machen lassen«, Wut, kalte, maßlose Wut auf die skrupellose Erpresserin, und beklemmende Sorge, so kurz vor dem Ziel noch zu Fall zu kommen. Er kannte Irma Erdödy zur Genüge – wenn er nicht zahlte, machte sie jede Drohung wahr – sie nutzte mit schlauer Kenntnis der Sachlage seine Abhängigkeit jetzt noch aus, wohl wissend, daß er nach der Hochzeit auf festeren Boden gerettet sei und ihr die Stirn bieten konnte. Seinen Einwänden, daß sie durch den Verrat seinen Ruin und gänzliche Zahlungsunfähigkeit herbeiführen würde, schenkte sie keinen Glauben. Man würde ihn schon nicht fallen lassen, sie kenne diese Hochmutsprotzen, die hackten sich lieber ein Glied ab, als daß sie es zu einem öffentlichen Skandal kommen ließen. Habe nicht seine Chère tante immer gezahlt? Sie würde auch weiter zahlen, er sei ja der einzige Neffe, und sie besäße sonst keinen Erben ihres Namens.

Ein grimmiges, zynisches Lächeln, das mehr einem Grinsen glich, verzerrte sein Gesicht, als er sich erinnerte, daß er gestern halb im Ernst, halb unter dem Einfluß des Alkohols, den Gedanken gehegt und ausgesponnen, ob er nicht die Gefahr, die ihm drohte, durch Gewalt beseitigen könne? Beim Teufel, er würde sich kein Gewissen daraus machen, solch einem Schädling das Lebenslicht auszublasen, wenn es geschehen könne ohne seine eigene kostbare Person in Gefahr zu bringen. Er hatte ernstlich geschwankt, ob er mit nach Berlin fahren solle. Sie wären dort in der Nacht angekommen, niemand hätte etwas von seiner Anwesenheit gewußt, und da Irma die kleine Wohnung allein innehatte, und nur eine Aufwartung hielt, wäre er in kurzer Zeit mit ihr fertig geworden und wieder mit dem Frühzug heimgekehrt. Wohnungs- und Hausschlüssel besaß er noch von früher. Die Sache ließe sich wohl so machen, daß es wie ein Selbstmord ausgesehen. Verdammte Feigheit, daß er sich die glänzende Gelegenheit entgehen ließ. Er war doch längst mit sich einig, daß der Mensch alles ungestraft darf, was er kann. Nur das Können oder Nichtkönnen entscheidet für den höheren Menschen, alles andere ist für die blöde Masse.

Nun galt es sofort die Zehntausend zu beschaffen, und das war nicht so leicht, jedenfalls nur mit den höchsten Wucherzinsen. Wenn das so weiterging, und die gute Tante noch lange lebte, gehörte ihm kein Fuß Boden mehr von Schönermark, ehe er die Herrschaft dort antrat. Was sie neulich für ihn geopfert, war nur das Notwendigste gewesen, das Schlimmste zu verhüten. – Gottseidank, daß sie die Wahrheit nicht ahnte! Ja, das verdammte Jeu! – Aber – ist denn das Leben lebenswert ohne diese kleinen Sensationen? Nur der Spießer und der Philister, die am Biertisch Fett ansetzen und mit der Herde trotten, können mit der vorschriftsmäßigen Ration Lebensgenuß auskommen.

Claus verbrachte eine unangenehme Woche mit viel Ärger und Unannehmlichkeiten. Die Sicherheiten und Wucherzinsen, die verlangt wurden für Beschaffung des Geldes, bedeuteten den »reinen Selbstmord« wie er sich sagte. Er war noch im Kampf mit den Halsabschneidern, als eine Depesche von Edith eintraf. Der Inhalt lautete:

»Tante Claudine gefährlich erkrankt. Komme sofort.«

Kaum traute er seinen Augen! Wäre es möglich, sollte das Schicksal ihm zu Hilfe kommen? Donnerwetter, das wäre eine Rettung!

Er stürzte sofort, sich Urlaub zu holen, dann telegraphierte er nach Schönermark, um seine Ankunft zu melden und an Irma folgenden Wortlaut:

»Tante im Sterben. Bitte um ein wenig Geduld.« Mit dem nächsten Schnellzug reiste er ab.

Hoffnungsfreudig und in fiebernder Spannung traf er in Schönermark ein. Schon auf der Bahnstation hatte er von dem alten Kutscher erfahren, es stehe sehr schlecht mit dem gnädigen Fräulein, sie habe sich wahrscheinlich angesteckt. Unter den polnischen Arbeitern, die der Herr Inspektor gemietet, sei ein Typhusfall vorgekommen, ein Küchenmädchen im Herrschaftshaus habe Verkehr mit den Polen gehabt und die Krankheit weitergetragen. Zuerst sei sie selbst erkrankt, doch nur leicht, man habe den Fall nicht richtig erkannt, bis nun das gnädige Fräulein auf den Tod darniederliege. Das Mädchen sei schon wieder gesund.

Claus wurde von Edith empfangen, die es sich nicht hatte nehmen lassen, sofort nach Schönermark zu eilen, und weil sie seine Zimmer bewohnte, war er im Beamtenhaus einquartiert, gerade Ernst gegenüber, auf der inneren Seite des Flureingangs, wo es einige ausgebaute Logierzimmer gab für großen Gastbesuch, wie er auf dem Lande zuweilen vorkommt. Es wäre jetzt allerdings Platz genug im Herrschaftshause für mehr Gäste als Claus gewesen, doch Frau von Ramin, die ihre Tochter nach Schönermark gebracht, bestimmte es so, wegen der Etikette. Es galt nicht für zulässig, daß das Brautpaar unter demselben Dach die etwas abgelegenen Logierräume allein bewohnte. Man konnte nicht vorsichtig genug sein mit dem Ruf einer jungen Dame und Braut. Frau von Ramin hatte auch die Absicht, öfter von Kerkow herüberzukommen. Wenn nicht eine Schwester vom Roten Kreuz, eine Dame aus guter Familie, Fräulein von Brenner, zur Pflege anwesend gewesen, hätte sie Edith nicht allein gelassen. Auch die Ansteckung machte ihr Sorgen, doch Edith setzte wie gewöhnlich ihren Willen durch aus Liebe zu Tante Claudine, für deren Leben sie in großer Angst und Sorge zitterte. Es wurden alle Vorsichtsmaßregeln gegen Ansteckung getroffen, und Frau von Ramin überzeugte sich, daß die Schwester vorzüglich war und für alles auf das Beste sorgte. Man ließ Edith nur wenig in das Krankenzimmer.

Bei seiner Ankunft traf Claus den Arzt, Sanitätsrat Ganzow, und die Schwester am Krankenbett, und beide machten sehr ernste Gesichter. Tante Claudine lag in einem Betäubungsschlaf, Claus wurde nur bis an das Vorzimmer gelassen. Auf seine dringende Bitte an den langjährigen Hausarzt, ihm die Wahrheit zu sagen, zuckte dieser die Achseln. Es sei ein sehr schwerer Fall, zu der Ansteckung käme eine Erkältung, das gnädige Fräulein schone sich zu wenig, die forsche, flotte Wirtschaft mit dem neuen, jungen Inspektor mache ihr Freude, da vergäße sie ihre Jahre und die Vorsicht. Doch sie habe eine so ausgezeichnete Natur, daß er die Hoffnung nicht aufgäbe sie durchzubringen.

Es folgte nun eine Woche der Spannung, die für Claus eine Nervenfolter bedeutete. Ein Haus, in dem eine Schwerkranke liegt, die mit dem Tode ringt, ist kein gemütliches Haus, es stand alles auf dem Kopf. Es zeigte sich, wie populär Tante Claudine nicht nur bei ihrem Personal, sondern im ganzen Dorfe sei, denn allgemein und weitgehend machte sich die Sorge um ihr Leben fühlbar. Überall herrschte eine bedrückte Stimmung, man sah bekümmerte, ernste Gesichter, und an allen Orten drehten sich die Gespräche um die Kranke und ihr Ergehen.

Edith war ganz ungenießbar, sie hielt jede Ablenkung und kleine Zerstreuung für ein Verbrechen an der geliebten Tante, und wollte sich aus der nächsten Umgebung des Krankenzimmers nicht entfernen. Claus hingegen vermied gern die Atmosphäre von Karbol und Medikamenten, wie die Notwendigkeit, auf den Zehen zu schleichen und zu flüstern. Er langweilte sich zum Sterben, das ganze Haus lag in Stille und Schweigen, unheimliche Öde herrschte in den großen, leeren Gemächern, in denen Gespenster der Melancholie und Vorboten des Todes umzugehen schienen. Draußen in der Natur war es nicht erfreulicher. Das Zerstörungswerk herbstlicher Verwesung befand sich im vollen Gange. Ernst Starkeband sah er wenig oder gar nicht. Ernst war anstrengend nach wie vor im Feld und in der Brennerei beschäftigt, zur Zeit nahm die große Kartoffelernte Mensch und Tier in Anspruch. Die Mahlzeiten, die er mit Fräulein von Dahlwitz einzunehmen pflegte, ließ er sich seit ihrer Erkrankung auf sein Zimmer schicken. Er kam zwar jeden Tag ein- oder zweimal nach der Kranken zu sehen, und oft nahm er der Pflegeschwester einen Teil der Nachtwache ab, damit sie einige Stunden ungestört schlafen konnte, doch bei diesen Gelegenheiten begegnete er Claus gar nicht oder nur flüchtig.

In diesen Tagen der Langeweile fand Claus seine Hauptunterhaltung darin, Ernst nachzuspüren. Er überzeugte sich, daß der »Kutschersohn« zur Zeit unumschränkter Herr auf Schönermark sei. Allem Anschein nach schien dies bereits der Fall, als Tante Claudine noch nicht erkrankt gewesen. Diese Beobachtung veranlaßte ihn, dem »anmaßenden Inspektor« gegenüber den künftigen Herrn markieren zu wollen. Er ließ ihn eines Tages rufen und erklärte ihm, daß er an Stelle seiner Tante die Geschäfte übernähme. Er möchte sich doch in allen Dingen an ihn wenden, und ihm jeden Abend den üblichen Rapport abstatten. Ernst Starkeband sah ihn sehr verwundert an.

»Verstehen Sie etwas von Landwirtschaft, Herr von Dahlwitz,« fragte er kühl.

»Nein – hm – ich bin natürlich kein Fachmann, indessen – ich dächte –«

»Verzeihen Sie, es hätte gar keinen Zweck, wenn Sie sich bemühen wollten, wir wollen doch unsere Zeit nicht unnütz vergeuden. Ich bin von Ihrer Fräulein Tante berufen, die Wirtschaft mit allen Geschäften selbständig zu führen, und es liegt zur Zeit nichts vor, das irgendeiner besonderen Nachfrage oder Besprechung bedürfte. Sollte sich etwas ereignen, das meine Machtbefugnisse überschritte, und Fräulein von Dahlwitz wäre noch nicht imstande zu entscheiden, so würde ich mich an Sie zu einer Beratschlagung wenden.«

Damit war Claus kurz und deutlich abgefunden, wagte aber nicht energischer vorzugehen. Seine Tante konnte wieder gesund werden, er durfte ihre Gnade nicht aufs Spiel setzen, Ernsts Auftreten bewies, wie gefestigt seine Stellung sei.

Und wo er auch hinsah, hinhorchte und nachforschte, nirgends bot sich ihm eine Gelegenheit, dem Herrn Inspektor etwas am Zeuge zu flicken. Er mußte sich eingestehen, daß Ernst seine »verdammte Pflicht und Schuldigkeit« tue, denn mehr wollte er ihm nicht zugestehen. Seine Eifersucht erhielt neue Nahrung als er erfuhr, daß der verhaßte Rivale während der kurzen Zeit seiner Tätigkeit den Respekt und das Vertrauen aller Leute erworben.

Selbst der alte Jochen Kuphal, der auf dem Hof das Gnadenbrot erhielt, sagte ihm: »Deer nige Heer Entspektor is forsch, aber er is och sehr jut, mich hat er bei Mamsell besseres Essen verschafft, alle Dage en bisken Fleesch, weil ich nun schon alt und schwach bin.«

Aha, dachte Claus, er macht sich populär, und das alte Mißtrauen verstärkte sich, daß Ernst nach seinem Erbe strebe und intrigiere, um sich an seine Stelle zu setzen. Trat er nicht auf, als sei er bereits der unumschränkte Herr auf Schönermark? Und Tante Claudine ließ sich gänzlich von ihm einwickeln. Weiß Gott, was passierte, wenn sie wieder gesund würde und noch lange lebte. Alte Weiber werden schwach. Und der alte Heuchler, der Pastor, der so großen Einfluß auf sie hatte, sekundierte natürlich seinem Pflegesohn. Er und kein anderer brachte wohl damals das Märchen auf von der Vaterschaft Wichard von Ramins. Es war raffiniert ausgeklügelt, um den Kutschersohn der verliebten, verwitweten Braut als Vermächtnis des verlorenen Bräutigams aufzuhalsen und Muttergefühle für ihn zu erwecken!

Es kam alles zusammen in diesen öden Tagen des Wartens und der Spannung, um Claus nervös zu machen bis zur Hysterie, so daß er überall Gefahren und Gespenster sah. Edith hatte kein Verständnis dafür; wenn er ihr seine Befürchtungen auch nur andeutete und Ernst verdächtigen wollte, lachte sie ihn aus, ja, sie entrüstete sich und fand ihn abgeschmackt. Zu seiner Beruhigung beobachtete er, daß keinerlei Verkehr zwischen ihr und Ernst stattfand. Ernst machte seine Besuche am Krankenbett, wie ausgesucht zu den Zeiten, wo das Brautpaar im Speisezimmer bei den Mahlzeiten saß. Damit die Schwester daran teilnehmen konnte, hatte er sich angeboten, unterdessen die Wache zu übernehmen. So angenehm Claus sein Fernbleiben vom Tisch war, fiel ihm doch die Intimität, die in diesem Liebesdienst lag, stark auf die Nerven. Er wollte es zuerst durchaus nicht zugeben.

»Ich halte es nicht für passend, den Inspektor zuzulassen, ich dächte, das erste Hausmädchen, die Frieda, könnte Sie für diese Stunde unbeschadet vertreten, ich bitte, es anzuordnen,« sagte er erregt im Tone des Herrn.

Doch Fräulein von Brenner, die Schwester, war eine Dame, die sich nicht kommandieren ließ, wo es ihre Patientin galt.

»Verzeihen Sie, Herr von Dahlwitz, ich halte Herrn Starkeband für sehr viel zuverlässiger als das Hausmädchen, und ich konnte mich in den ersten Tagen meines Hierseins, als Ihre Fräulein Tante noch zugänglicher war, überzeugen, daß sie gerade nach ihm am meisten verlangte. Wissen Sie nicht, daß zwischen beiden ein Ausnahmeverhältnis besteht? Ich wundere mich gar nicht darüber, dieser prächtige Mensch verdient es von ihr, mehr wie ein Sohn als wie ein Beamter behandelt zu werden,« entgegnete sie, ohne seinem Wunsch, der wie ein Befehl geklungen, nachzukommen.

Claus biß sich auf die Lippen und dachte: Also auch die! Er macht ja alle Weiber verrückt, doch Edith freute sich und stimmte lebhaft zu.

Einmal, auf einem Spaziergang mit Claus im Park, begegnete sie Ernst. Es war ihr sehr peinlich, sie hatte alles daran gesetzt, eine Begegnung zu vermeiden und ihn hier nicht vermutet. Sie stießen an einer Wegebiegung im dichten Gehölz aufeinander, Ernst konnte nicht mehr ausweichen, wie er es vorgezogen haben würde, nun trat er ihnen gelassen gegenüber und grüßte.

»Holla, Herr Inspektor, wollen Sie uns nicht begleiten, wir wollen uns mal draußen Ihren berühmten Dampfpflug ansehen,« rief ihm Claus mit gemachter Freundlichkeit entgegen. Doch Ernst entschuldigte sich mit Zeitmangel und ging seiner Wege.

»Ich weiß nicht, was der Kerl hat. Sein ganzes Wesen ist gekniffen, als habe er ein schlechtes Gewissen,« bemerkte Claus gereizt und verdrießlich.

»Kannst du dich wundern, wenn er es merkt, daß du ihn nicht magst?«

Edith hatte wieder den herausfordernd kühnen Ton.

»Meinetwegen soll er es merken! Aber es steckt mehr dahinter, ich sehe scharf, das kannst du mir glauben, und weiß, wo er hinaus will.«

Edith machte eine ablehnende, gleichgültige Miene, die fast etwas Verächtliches hatte und schwieg. Und gerade diese hochmütige Unabhängigkeit reizte ihn und entfachte seine Leidenschaft. Wie schön sie war in diesem wenig kleidsamen Ulster mit der Regenkappe! Er wollte sie an sich reißen und küssen, ein wildes Verlangen bäumte sich auf gegen ihre Tyrannei und die Sklavenketten, die sie ihm angelegt, doch sie stieß ihn unsanft zurück.

»Du weißt, ich liebe keine öffentlichen Szenen!« Und es war, als umgäbe sie ein stählerner Panzer.

Doch in dieser Nacht, allein in ihrem Zimmer, hatte sie ihr blondes Haupt in die Kissen ihres Lagers gewühlt und schluchzte wild. Und ein anderer, allein in seinen vier Wänden, ging rastlos auf und nieder, und konnte keine Ruhe finden für sein gemartertes Herz. Doch er schämte sich seiner Schwäche bis zum Zorn gegen sich selbst, und das gab ihm Kraft, hart zu werden und stolz.


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