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XIII.

Ernst Starkeband erwachte wie aus einem wunderschönen Traum, als Fräulein von Dahlwitz eines Abends erwähnte, daß Frau von Ramin übermorgen eintreffen würde, um ihre Tochter abzuholen, da sie zurückgekehrt und der Umbau ihres jetzigen Wohnhauses fertig sei. Diese Nachricht glich einem betäubenden Schlag.

Bis tief in die Nacht hinein saß er am offnen Fenster seiner Schlafkammer im Beamtenhaus, das in der Rückfront von dichtem Gartengesträuch umstellt war; oder er ging rastlos auf und nieder durch die offene Tür in das angrenzende Wohnzimmer. Es lag nach der Vorderseite des Gebäudes und gewährte den Ausblick auf den großen Wirtschaftshof mit einer vollen Übersicht des Herrenhauses, das mit festverschlossenen Fensteraugen im Nachtschlaf träumte. Vom Dorf herüber hörte man die Turmuhr die Stunden schlagen – manchmal zerriß ein Hundeblaff die lastende Stille – und oben das Firmament mit dem goldenen Sternenreigen und seinen unlösbaren Geheimnissen. Weither von den Stoppelfeldern kam ein müder Wind und raunte in den Sträuchern vom beginnenden Sterben des Sommers.

War es denn möglich? Sie ging fort und mit ihr das Licht und das Leben! Kein Lachen mehr, keine frohe Stimme, kein Singen auf den Treppen und durch die Gänge, davon das todernste, schweigende Haus da drüben so fröhlich geworden! Keine helle, leuchtende Gestalt mehr im Abenddämmer auf der Terrasse, wenn die Schatten schwarz wurden und die Fledermäuse huschten! Kein lockender Blick, der zu ihm flog wie ein scheuer Nachtfalter und ein süßes, hochmütig stolzes Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde mit sehnendem Verlangen übergoß – unbewußt und verräterisch – – –

Und sie ging zu ihm, zu diesem wertlosen Mann, der nur Genuß suchte auf dieser Welt, aber das echte Glück nicht kannte – um ihm anzugehören. – Nein, das war nicht zu ertragen!

Vater, Vater, warum hast du mich entrechtet? schrie es in seiner Seele aus tiefster Not. Warum gabst du mir nicht deinen Namen, wenn doch in meinen Adern dein Blut fließt? Warum hast du meine Mutter und mich verstoßen? Ich bin ein Unseliger, ich gehöre nicht hierhin und nicht dorthin, und wo mich mein Herz hinzieht, bleiben mir die Türen verschlossen!

Er dachte daran, daß sein Vater die Schuld mit dem Tode gebüßt, eine doppelte Schuld an zwei Frauen, die ihn hingebend geliebt und aus deren dunklem Verhängnis es keinen ehrenhaften Ausweg für ihn gab – wäre es nicht am besten, ihm zu folgen? – – Dort in der Kammer hing seine Jagdflinte – er konnte damit früh vor Sonnenaufgang in den Wald gehen – die Sache ließ sich wohl so machen, daß scheinbar ein Unglücksfall vorlag – – – Er ging in die Kammer, holte das Gewehr und prüfte es sorgfältig auf seine Zuverlässigkeit; dann trug er es an seinen Ort zurück. Nein, das wäre verfrüht. Er hatte noch einen Tag Frist. Und – gab es überhaupt Unmöglichkeiten für ein unbeugsames Wollen und eine überlegene Kraft? – Wenn er seinen ganzen leidenschaftlichen Willen dagegen setzte, würde der unnatürliche Bund zwischen diesem holdseligen Weibe und dem fatalen Dutzendmenschen nicht zerreißen wie ein dünner Seidenfaden? Nur wer sich selbst aufgibt, ist verloren, der Stärkere bleibt Sieger.

In derselben Nacht lag Nettchen Echtermann schlaflos in ihrem Bett in der schmalen Kammer, zu deren offenem Fenster heute allerlei Gespenster stiegen, die sie quälten und beunruhigten. Das Herz tat ihr so seltsam weh, sie fühlte sich einsam und verlassen. Natürlich, sie wußte es, wenn man von Sonnenaufgang bis Niedergang auf den Füßen ist mit der großen Verantwortung, die man auf sich genommen, fällt man abends um vor Müdigkeit. Warum hat sie ihm auch neulich ein betrübtes Gesicht gezeigt, so daß er verstimmt von ihr ging? Seitdem kam er nicht wieder. Es war töricht von ihr und ungerecht, sie zu allerletzt hätte ihm seinen Pflichteifer verübeln dürfen, er konnte von ihr Verständnis erwarten dafür, daß ein rechter, tüchtiger Mann zu Zeiten seine ganze Person restlos für die Arbeit einsetzen muß, die das Fundament seiner Zukunft abgeben soll. Aber – konnte er nicht auch einmal, ein einziges Mal ein bißchen Nachsicht haben mit ihrer Schwäche? Mußte sie immer die Vernünftige sein?

Auch Nettchen hörte die alte Turmuhr die Stunden der Nacht zählen, und eine kalte, graue Angst kroch wie ein häßliches Gewürm an sie heran, aus dem tiefsten Unterbewußtsein ihrer Seele.

Nein, nein, daran wollte sie nicht mit dem Schatten eines Zweifels denken! Das konnte, das durfte nicht sein! Gestern noch war Edith bei ihr gewesen, sie hatte plaudernd bei ihr gesessen mit der freien, klaren Stirn und dem offnen, sorglosen Blick, den keine Schuldige hat, den kein Weib haben kann, das sein Wort gebrochen und heimlich sündigt. Und mit dem alten, fröhlichen Ton hatte sie von ihrer Ausstattung und Hochzeit gesprochen. In den nächsten Tagen wollte sie nach Kerkow zurückkehren.

Und Ernst? War sie seiner sicher? – – – Ihr war so seltsam bang zu Mut, als drohe irgendwo und irgendwie ein Unheil, aber die schweigende Nacht hatte keine Antwort auf ihre Schicksalsfragen.

Am folgenden Tage, als Ernst um die Mittagsstunde, vom Felde heimkehrend, die große Lindenallee durch den Park dahergeritten kam, trat ihm Edith aus einem Seitenweg entgegen. Es durchzuckte ihn freudig, daß es nicht Zufall sei, der sie herführte. Er sprang sofort aus dem Sattel, und als sie dem alten Kameraden die Hand reichte zum Gruß, küßte er sie inbrünstig. Das Pferd am Zügel führend ging er neben ihr. Sie sprachen von ganz äußerlichen Dingen – wie früh das Laub schon falle und sich färbe, daß die Hasen- und Hühnerjagd vielversprechend sei und eine große Treibjagd für Schönermark in Aussicht genommen wäre. – Edith plauderte heiter und unbefangen wie immer, mit der sicheren, konventionellen Haltung der großen Dame, die ihr zur zweiten Natur geworden. Sie wußte gar nicht, daß ihr Auge ein Wohlgefallen verriet an ihrem Begleiter in der Reitjoppe mit dem graugrünen, kecken Jagdhut, die alle Spuren von Sonne, Regen, Arbeits- und Wetterstrapazen an sich trugen und ihn doch in ihrer einfachen Zweckmäßigkeit so malerisch gut kleideten.

»Ist es wahr, daß gnädiges Fräulein uns morgen verlassen?« fragte er, als sie sich dem Hause näherten. Sie bejahte es mit einem aufrichtigen Bedauern, daß die Zeit für ihren Aufenthalt in Schönermark um sei.

»Ich werde Sie so sehr vermissen,« sagte er einfach und warm, »wollen Sie mir nicht noch eine Stunde schenken, die mir gehört, mir allein – um unserer alten Freundschaft willen? Ich möchte Ihnen etwas erzählen, das Sie nicht wissen – es würde mir ein Trost sein, mich einmal darüber zu Ihnen aussprechen zu können – ich wüßte dann, daß Sie Verständnis und Teilnahme für mein Geschick haben können – wollen Sie ungefähr um sechs Uhr auf der Bank, wo der Parkweg in den Wald mündet, auf mich warten? Ich bitte so sehr darum.«

Sie hatte keine Zeit sich zu besinnen, Tante Claudine trat eben aus der Haustür und kam ihnen entgegen. Einen Augenblick war sie sprachlos erstaunt, doch er sah sie so ruhig mit zwingender Überlegenheit an, daß sie wie unter Suggestion erwiderte: »Gut, ich werde kommen.« Und dann begrüßten sie die Tante.

Edith hielt Wort.

Schon etwas vor sechs Uhr saß sie auf der roh gezimmerten Lattenbank, die am Ausgang des Parkes, von Haselgesträuch halb versteckt, den Waldweg hinuntersah. Ein breiter Graben und ein hohes Gitter trennten Park und Wald. Nach wenigen Minuten wurde Ernst in der Fernperspektive sichtbar, wo die schlanken Fichtensäulen in blaugraues Dämmern zerflossen. Im Vordergrund brannten ihre Stämme noch im roten Abendleuchten. Er war im Jagdanzug, das Gewehr über der Schulter. Edith ging ihm durch die Gattertür entgegen. Für das Kind vom Lande bot der Graben kein Hindernis, sie überflog ihn mit leichtem Sprung.

»Der Wald ist so schön, kommen Sie, ich möchte noch etwas gehen,« rief sie ihm entgegen. Er strahlte über das ganze Gesicht vor Freude, als er ihr die Hand küßte. Und dann schlenderten sie langsam tiefer in das Waldweben hinein, das sie mit seinem heiligen Zauber umfing. Gras und Kraut dufteten hier würziger und die Fichtenstämme strömten ihren kräftigen Kien- und Harzgeruch aus; der Schrei der Häher und das Klopfen der Spechte gaben das Gefühl, der Außenwelt weit entrückt zu sein. Der Märchenvogel, die Elster, flog von Baum zu Baum neben ihnen her und ihr gelles »Schack, Schack« ging zuweilen in ein geisterhaftes Lachen über. Edith trug ihren Gartenhut am Arm, die rote Abendsonne streute Funken in die goldene Flechtenkrone. »Der Waldeskönigin,« sagte Ernst, als er ihr ein Sträußchen von Erika, Pechnelken und rubinroten Preißelbeeren reichte.

Noch nie in all diesen Wochen war er ihr so nah getreten wie mit diesem Wort, doch sie nahm es gar nicht übel, sondern lächelte und steckte den Strauß in ihren Gürtel. Es war eine weiche Bitte in seiner Stimme, als er von der anderen Seite des Weges herüberkommend jetzt neben ihr schreitend, zu ihr sprach:

»Darf ich heute einmal die Schranke fallen lassen, die mich als den Angestellten von der Herrentochter trennt und mir immer das Gefühl des Deklassierten gibt? In dieser Gnadenstunde des Schicksals möchte ich mit Ihnen ganz frei, jenseits aller Grenzen der sozialen Klassenunterschiede stehen, nur als Mensch zum Menschen, wo das große Verstehen anfängt, das nur innere Werte anerkennt und die äußerlichen für subaltern nimmt. Darf ich?«

Ein wenig verwirrt sah ihn Edith an. In ihrem Konversationsstil gab es eine solche Sprache nicht. Doch ihre taktfeste Haltung hielt auch einen Stoß aus.

»Ich dächte, wir sind trotz allem doch immer die alten Kindheitsfreunde geblieben,« entgegnete sie freundlich.

»Trotz allem? Ach nein, es hat sich eine tiefe Kluft zwischen uns aufgetan, und vergeblich suchte ich bisher die Brücke, die hinüberführt. Die Tragik meines Lebens ist, daß ich weder hüben noch drüben Wurzel fassen und mich zugehörig fühlen kann. Und das hängt mit der Lüge meiner Geburt zusammen. Ein Leben, das auf dem schwankenden Boden einer betrügerischen Unwahrheit aufgebaut ist, kann nie zu der rechten inneren Festigkeit kommen.«

Es lag eine schmerzliche Bitterkeit in seiner Stimme, und Edith horchte erstaunt auf. Ihre Erziehung hatte es mit sich gebracht, daß ihr die Tragödie seiner Abstammung, so wie sie sich in Wahrheit zugetragen, verschwiegen geblieben war. Für die Tochter aus guter Familie durfte es diese Seite des Lebens nicht geben, ihre Unschuld war gleichbedeutend mit Unwissenheit, mußte es offiziell wenigstens sein.

Der Gang beider hatte sich immer mehr verlangsamt, jetzt blieb Edith stehen, und da gerade einige ausgerodete Baumstümpfe am Wege lagen, setzte sie sich und sah fragend zu ihm auf.

»Was ist das für eine Lüge?«

Er stellte seine Jagdflinte an einen Baum und warf sich in das Gras und Moos zu ihren Füßen.

»Sie wissen wohl, daß Ihre Tante Claudine mit dem jungen Kerkower Ramin verlobt war, der sich kurz vor der Hochzeit erschoß?«

»Ja, das weiß ich. Tante muß ihn sehr geliebt haben, weil sie unverheiratet blieb.«

»Aber die eigentlichen Gründe der damaligen Begebenheiten wissen sie sicher nicht?«

»Ich glaube doch. Wichard von Ramin hatte eine Ehrenschuld, die sein Vater nicht begleichen konnte. Auch soll er kein gutes Leben geführt haben. Tante war gezwungen, ihm den Abschied zu geben, und da erschoß er sich.«

»Es gab noch mehr Opfer seiner Verfehlungen. Meine Mutter war Köchin bei den Ramins. Sie wurde dort plötzlich mit dem herrschaftlichen Kutscher Starkeband verheiratet. In dieser unnatürlichen Ehe wurde ich geboren, und gleich darauf endete Wichard von Ramin den Konflikt, in den er mit dem Rest seines Ehrgefühls geraten, durch Selbstmord. Bis dahin hatte meine Mutter schweigend geduldet, doch an seiner Leiche brach das Elementargefühl der Leidenschaft durch alle Schranken. Sie brachte den alten Ramins ihr Kind – sie soll es ihnen in wildem, fassungslosem Schmerz vor die Füße geworfen und sie der Schuld an dem Unglück angeklagt haben. Man brachte sie in eine Anstalt. Doch das Unheil fraß wie ein eiterndes Geschwür weiter. Der Kutscher Starkeband trank sich zu Tode, meine schöne, unselige Mutter ging früh zugrunde. Mein guter, alter Onkel Pastor rettete mich, er und Fräulein von Dahlwitz haben sich des wilden Sprößlings der Ramins erbarmt, den zu Unrecht der Name seines Stiefvaters Starkeband deckt. Das ist die Lüge meiner Herkunft.«

Edith schwieg ein Weilchen, ihr Auge hing an den Fichtenwipfeln, die im Verglühen der Sonne brannten. Dann kam es zögernd von ihren Lippen:

»So wären wir also blutsverwandt?«

»Ja, nach den heiligen Rechten der Natur. Doch die Sache wurde von den alten Ramins vertuscht, man erklärte meine Mutter für unzurechnungsfähig durch seelische Erschütterungen im Wochenbett. Gesetzlich war auch nichts zu beweisen. Ich habe jedoch untrüglich die Überzeugung, daß Wichard von Ramin und nicht der Kutscher mein Vater sei. Man sagt, die alte Baronin habe den Enkel, den einzigen, den sie je haben konnte, anerkennen wollen, doch die Familie ließ es nicht zu. Sie soll sich zu Tode gegrämt haben. Auch Fräulein von Dahlwitz weiß alles und Onkel Martin, dem meine Mutter auf dem Sterbebett beichtete.«

»Aber – können Sie nicht doch ganz zufrieden mit Ihrem jetzigen Schicksal sein? Tante Claudine hat eine große Vorliebe für Sie und behandelt Sie fast wie einen Sohn.«

»Nach allgemein gültigen Satzungen haben Sie recht, wenn Sie meinen, daß mein Los für einen wilden Sprößling außergewöhnlich gnädig gefallen sei. Doch es ist eine höhere Macht in mein Leben getreten, stärker als Klugheit und Selbstbeschränkung. Bisher war es mir unter dem Einfluß meines Pflegevaters gelungen, seinem Rat zu folgen und die bösen Gespenster der Vergangenheit zu bannen, mich innerlich ganz auf eigene Füße zu stellen, mit der festen Zuversicht, daß die Welt dem Tüchtigen gehört, der sie zu meistern weiß, und daß es Besseres zu tun gibt, als sich die Seele mit vergangenem Unrecht zu vergiften. – Jetzt muß ich erkennen, daß dieses mir widerfahrene Unrecht, an dem ich unschuldig bin, zum Stein in meinem Weg geworden ist. Und es gibt Steine, über die man nicht hinwegkommt.«

Edith sah immer noch in die dämmerblaue Waldferne jenseits der Lichtung mit geschlagenem Klafterholz. Ihre Haltung drückte eine gewisse Befangenheit aus.

»Sollte es nicht möglich sein – –« begann sie stockend.

»Nein,« schnitt er ihr mit starker Betonung das Wort ab, »es ist nicht möglich. Die Liebe ist immer noch das Größte auf Erden. Und nun hören Sie mein Unglück. Ich liebe eine Tochter aus vornehmem Hause. Hätte mein Vater mich nicht entrechtet, sondern durch die Ehe mit meiner Mutter legitimiert, so wäre ich heute Herr auf Kerkow und hätte Chancen, die Heißgeliebte zu gewinnen. Ich würde es mir zutrauen, jeden Rivalen aus dem Felde zu schlagen und sie im Sturm zu erobern. So wie es ist stehe ich im Schatten der Unebenbürtigkeit, und jeder Fatzke von Kavaliersrang wird mir vorgezogen. Mein bestes Selbstbewußtsein und alle erworbenen Vorzüge von Wissen und Tüchtigkeit berechtigen mich nicht zum Wettbewerb um die sozial hoch über mir Stehende. Es gibt in diesem Erdenwinkel noch [unübersteigliche] Schranken zwischen dem Inspektor, dem Sohn der Köchin, mit dem Makel an seinem Namen, und der Aristokratin. Können Sie verstehen, Edith, daß ich mir in Verzweiflung die Hände wund ringe, daß meine innere Unabhängigkeit von der Vergangenheit zusammenbrechen muß an dieser Tatsache?«

Er sah leidenschaftlich bewegt mit brennenden Augen zu ihr auf. Eine zarte Blutwelle stieg ihr verräterisch in das Gesicht, doch sie wollte nicht verstehen.

»Und – – und werden Sie wieder geliebt?« kam es zögernd von ihren Lippen mit der Bemühung, Haltung zu bewahren und ihre Verwirrung zu unterdrücken.

»Nein, ich war zu stolz, um diese Liebe zu werben. Und – sie hat einem anderen ihr Wort gegeben. In gänzlicher Unkenntnis wahren Manneswertes und ohne eine Ahnung von der Seligkeit echter Liebe. Oh, wie bald wollte ich es sie lehren! – – Edith, wozu raten Sie mir? Soll ich den Kampf aufnehmen, glauben Sie, daß es möglich wäre, alle Schranken niederzureißen, jedes äußere Hindernis zu verlachen, um der Liebe willen? Könnten Sie sich vorstellen, daß ein Weib für den Mann ihrer Liebe auf alle Vorrechte von Geburt und Stellung verzichtet, um mit ihm Hand in Hand zu gehen, ob auch der Weg durch Dornen und Nesseln führt?«

Er hatte im leidenschaftlichen Drang der Erregung ihre Hand ergriffen, vor ihr im Grase liegend, sein ganzes Wesen stand in loderndem Feuer, das zündend in ihr Blut überging. Wie hypnotisiert von der Kraft und Glut des Mannes zu ihren Füßen starrte sie ihn an. Er war schön wie ein Sommertag in seiner brausenden Fülle. Und ringsumher das Schweigen des Waldes mit seiner weltentrückten Einsamkeit.

Einen Augenblick war es, als wollte etwas Hartes, Totes in ihr zerbrechen, als poche und klopfe in der Tiefe ein heißer Lebensquell, doch er war nicht stark genug, um den Stein zu sprengen und fortzuwälzen, der ihn verschloß, den Stein einer angelernten Kultur. Ein Schwergewicht hielt ihn nieder, das sofort mechanisch seine Wirkung ausübte, weil darauf eingestellt. Diese Schwerkraft lag in der Religion der herrschenden Kaste, ihre Vormachtstellung über alles zu schätzen – die erste und älteste Religion der Menschheit, so alt wie sie selbst.

Doch – – es lockte so süß mit tausend nie gehörten Stimmen in ein Zauberreich berauschender Wonne!

Zitternd erhob sie sich wie ein Wild, das der Jäger gestellt.

»Ich weiß es nicht – –« stammelte sie, tonlos, »ich kann darauf keine Antwort geben – – ich – –«

Er sprang auf und rang nach Fassung.

»Edith!«

Es kam wie ein Schrei aus tiefster Seelennot.

Im nächsten Augenblick hatte er sie in seine Arme gerissen und erstickte sie mit seinen heißen Küssen.

Tief im Walde verhallte das Lachen der Elster.


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