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McCoy machte sich indessen über den Papierkorb her. »Nichts als belanglose alte Briefe, Rechnungen, Quittungen, Programme«, murrte er. »Warum zum Teufel verschwendet er die Zeit darauf, solchen Kram zu zerreißen, wo jeder Augenblick kostbar ist? Ah!« Dieser Ausruf klang ganz anders. »Hier ist etwas Interessantes, – steht aus wie ein Stück von einem Vertrag. ›Die obgenannte Person erklärt sich hierdurch damit einverstanden‹ …«
Er legte das Stück Papier zur Seite und machte sorgfältig Jagd nach den anderen Teilen dieses Fragments, und nach und nach häufte er einen ziemlich großen Berg an. Weiter unten fanden sich nur noch Zigarettenstummel, Schnüre und Packpapier in dem Papierkorb. Sorgfältig häufte McCoy alles auf eine Zeitung, und sehr gewissenhaft suchte er nach den noch fehlenden Teilchen des Aktenstücks.
»Was ist denn das?« Tam, die aufmerksam seiner Arbeit zugeschaut hatte, hob ein kleines weißes, rechteckiges Stück Papier auf, das er zur Seite geschoben hatte. Es war ein handschriftlich ausgefülltes Formular, und sie prüfte es noch aufmerksamer, als McCoy es getan hatte. »Quittung für ein Postpaket an das Newarker Postamt. Warum ausgerechnet Newark, möchte ich gern wissen?«
»Höchstwahrscheinlich eine alte Bestätigung, die mit den anderen Papieren Darcys zusammengekommen ist.«
»Das Datum ist noch nicht alt.«
»Auf jeden Fall ist das wohl kaum von Bedeutung. Sieh nach, ob du etwas Klebestoff und ein leeres Blatt Papier findest, ich möchte gern diese Schnitzel zusammensetzen.«
Während er die eine Ecke des Tisches frei machte, brachte Tearly, der jetzt ein gewisses Interesse an den Vorgängen zu zeigen begann, eine Tube Klebstoff und einen großen Bogen Papier. Offenbar hatte keiner bemerkt, daß Tam die Postquittung, statt sie wieder hinzulegen, sorgfältig in ihrer Tasche verbarg. McCoys Fund hingegen war ein Wechsel auf Darcy über zehntausend Dollar, zahlbar an Clyde Kirby am siebenten des laufenden Monats, also zwei Tage nach seinem Tode. »Sieht doch ganz so aus, als wenn wir hier das Motiv hätten«, murmelte McCoy abgespannt, aber dennoch triumphierend; »es muß so gewesen sein, daß Darcy den Wechsel nicht einlösen konnte und Kirby ermordet hat, um ihn an der Eintreibung zu hindern. Er hat dann das Arbeitszimmer durchstöbert, um seinen eigenen Wechsel wieder in die Hand zu bekommen. Was sagen Sie dazu, Herr Tearly, fangen Sie nun auch an, daran zu zweifeln, daß die Polizei immer so danebengreift, wie Sie anfangs glaubten?«
»Ich … ich kann das nicht fassen«, stammelte der Schauspieler.
»Na, mit der Zeit werden Sie schon dahinterkommen!« versprach ihm McCoy heiter, »und wenn wir jetzt noch die Pistole und die geraubten Juwelen fänden, dann könnten wir den Fall dem Gericht übergeben.«
»Juwelen? Ja, was für Juwelen?« fragte Tearly entsetzt.
»Die von Paula Kent! Sie müssen nämlich wissen, daß nach Darcy wegen Mord und Raubmord gefahndet wird.«
Als die zwei Zivilbeamten kamen und den Haussuchungsbefehl mitbrachten, konnte man die ganze Wohnung systematisch nach den vermißten Juwelen und der Pistole durchsuchen. Tam überließ den drei Männern die Haussuchung, während sie zuerst versuchte, sich mit Humphrey Tearly zu unterhalten.
Sie überredete ihn, ihr beim Kaffeekochen behilflich zu sein, teils weil sie alle todmüde waren, teils um seinen überreizten Nerven eine kleine Ablenkung zu bieten.
In diesem Augenblick erschien Conway Fisk, um zu berichten, daß man bis jetzt nichts von Darcy gehört habe, aber ein Aufruf war durch das ganze Land gegangen, und alle Morgenzeitungen würden Einzelheiten bringen, um die Hilfe des Publikums anzuregen.
»Wir haben uns per Radio mit allen Schiffen, die nachts ausgefahren sind, in Verbindung gesetzt, und Darcys Foto ist an alle Zeitungsbüros und Polizeireviere im Lande geschickt worden«, schloß er. »In ein oder zwei Tagen werden wir ihn sicher hinter Gittern haben.«
Aber Humphrey Tearly, der den schwarzen Kaffee, den Tam ihm fast aufgezwungen hatte, schlürfte, wagte, ein gutes Wort für seinen abwesenden Freund einzulegen.
»Ist es nicht möglich, daß der schlechte Alkohol Darcy so benebelt hat, daß er die Besinnung verloren hat und für alle seine Handlungen von heute abend nicht verantwortlich gemacht werden kann? Ich habe von solchen Dingen gehört und gelesen.«
»Reiten Sie jetzt noch immer auf diesem geheimnisvollen schlechten Sprit herum?« fuhr McCoy ihn an. »Es gibt ein Sprichwort, das sagt, Liebe macht blind, – mir scheint, als ob sie in Ihrem Fall eine ziemlich dicke Binde trägt.«
»Wenn Sie ihn so gut kennten wie ich, dann würden Sie wissen, was für ein anständiger Mensch er ist …«
»Die meisten Mörder sind im Privatleben sehr liebenswert,« versicherte McCoy ihm ernsthaft. »Das Unglück ist nur, daß sie sich zum zweiten und dritten Mord viel leichter entschließen als zum ersten, und deswegen müssen wir sie einsperren, ehe das Morden eine feste Angewohnheit wird.«
»Ich kann Sie nicht hindern, sich darüber lustig zu machen, aber soweit ich den Fall beurteilen kann, haben Sie kaum Beweismaterial gegen ihn.«
»Wir werden mehr Beweismaterial haben, wenn wir Dimples Denby erst zum Sprechen gebracht haben werden«, prophezeite der Inspektor. »Und wir haben die feste Absicht, diesen Versuch bald zu machen. Wir werden sie verhaften, sobald wir hier fertig sind.«
»Würde sie nicht in Freiheit viel nützlicher sein?« meinte Tam ruhig. »Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch sie jetzt ihren Kopf verliert. Vielleicht macht sie den Versuch, mit ihrem Helfershelfer in Verbindung zu treten.«
»Du hast nicht so unrecht, Tam! Es ist am besten, wenn wir sie noch ein paar Tage auf freiem Fuß lassen, wir haben dann immer noch Zeit genug, sie zu verhaften, wenn in der Zwischenzeit nichts passiert. Übrigens, ihr könnt ihren »Schatten« mal heraufrufen. Wir wollen doch hören, woher sie kam, als sie heimkehrte.«
Einer der Beamten ging auf die Straße, fand Dimples Beobachter immer noch auf seinem Posten und brachte ihn herauf. Es stellte sich heraus, daß Dimples zuerst mit zwei anderen Girls an einem Automaten-Restaurant haltgemacht hatte, dann in Vivians Faynes Wohnung gegangen war, wo sie sich einige Zeit aufgehalten hatte, und von dort direkt nach Hause gekommen war.
McCoy stieß einen erstaunten Pfiff aus. »Also ist Vivian Fayne auch beteiligt, ich möchte nur gern wissen, welche Rolle sie spielt.«
Dies war keine Frage, die eine sofortige Antwort erwartete, und der Fund, den einer der Beamten machte, lenkte sofort seine Aufmerksamkeit ab. Ganz hinter dem Kamin hatte er ein ziemlich großes Stück zerknüllter Seide gefunden, das augenscheinlich aus der Feuerstelle herausgefallen war, bevor es ganz verbrannte.
»Häßliche Angewohnheit, Lumpen in einem offenen Feuer zu verbrennen,« bemerkte der Inspektor abfällig. »Außerdem noch etwas?«
»Nur ein paar große Druckknöpfe«, der Mann zog sie hervor. »Sie sehen aus, als ob sie von einem Paar Handschuhen stammten, aber dann muß das Leder vollständig weggebrannt sein.«
Keiner von diesen Funden interessierte McCoy besonders, er packte das verbrannte Tuch und die geschwärzten Druckknöpfe in ein Papier ein, dann schaute er sich fragend im Zimmer um.
»Wo können denn bloß die Juwelen stecken? Oder sollte er sie etwa mitgenommen haben? Kaum anzunehmen, sie wären ja zu belastend, wenn man sie bei ihm finden sollte. Ich wette, er wird es auch nicht wagen, sie aufs Leihamt zu bringen, auch wenn er dringend bares Geld brauchen wird. Die Beschreibung seiner Personalien ist jetzt zu weiten Kreisen bekannt, er würde zu schnell erkannt werden. Ob die Juwelen wohl im Theater sein können?«
Die anderen wußten, daß er nur laut dachte, aber nicht ihren Rat hören wollte, und keiner antwortete.
Bei der Durchsuchung hatte einer die verschiedenen Gegenstände auf dem Kamin in Unordnung gebracht, und Tam, die das bemerkte, während ihre Augen nach vermutlichen Verstecken umherstreiften, ging halb unbewußt hin, um sie wieder geradezustellen. Darcys rätselhafte Nonne stand ganz gefährlich nahe am Rand, und während sie sie weiter zurückschieben wollte, merkte sie, daß die Standfläche nicht eben war. Ohne sich ihres Tuns ganz klar zu sein, hob sie die Figur hoch, um zu sehen, woher das kam. Sobald sie sie in ihren Händen hatte, war sie aber über das unerwartete Gewicht ganz erstaunt. Es war möglich, daß Modellierton in Wirklichkeit ein schwereres Material war, als sie geglaubt hatte, und um sich über diesen Punkt zu vergewissern, hob sie die stehende Frauenfigur hoch, verglich ihr Gewicht mit dem des Nonnenkopfes, – der Kopf war beträchtlich schwerer. Einen Augenblick stand sie da, immer noch die beiden Modelle gegeneinander abwiegend, dann stellte sie das eine zurück und wendete den Kopf der Nonne nach unten, um sorgfältig die Standfläche zu prüfen.
»Mac, hier stimmt etwas nicht mit diesem Modell.« Sie trug es zu ihm hinüber: »die Standfläche zeigt Spuren, als ob sie aufgearbeitet worden sei, als sie schon trocken war. Die Figur ist auch schwerer, als meines Wissens Ton sein darf.«
Sofort verstand er, was sie meinte. »Du glaubst also, daß innen etwas verborgen ist? Etwas, was schwerer ist als der Ton?«
»Es wäre kein schlechtes Versteck«, war ihre Antwort.
»Es ist ja schade, den Kopf zu zerstören, es ist eine verdammt gute Arbeit, aber wir müssen wissen, ob du recht hast.«
McCoy hielt die lächelnde Nonne in Schulterhöhe, dann ließ er sie fallen. Der zarte Ton zerschmetterte in tausend Stücke, und mittendrin lag ein Revolver.
Zunächst sprach keiner ein Wort, nur Humphrey Tearlys verzweifeltes Stöhnen unterbrach die Grabesstille, dann bückte sich McCoy, nahm ein Taschentuch, um die Fingerabdrücke nicht zu verwischen, und hob sorgfältig die Schußwaffe auf.
»Ganz aufschlußreich, was?« Er sprach mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Das ist die vermißte Requisitenpistole, dieselbe Marke, dasselbe Kaliber, dasselbe Modell. Hinterläßt nicht viel Zweifel an Darcys Schuld.« Dann nach sorgfältiger Untersuchung: »Sie ist so sauber geputzt wie eine Pfeife, ich zweifle, ob die Sachverständigen überhaupt Fingerabdrücke darauf finden werden.« Er schaute einen Augenblick lang auf die Trümmer der Nonne, dann drehte er sich Humphrey Tearly zu. »Wann hat er diesen Kopf modelliert?«
»Gestern … heute … ich weiß nicht genau«, stammelte Tearly. Seine Nerven waren am Zerreißen.
»Sie müssen es genau wissen«, schrie ihn McCoy an. »Denken Sie nach!«
»Ich sage Ihnen doch, daß ich es nicht genau angeben kann, ich weiß nur, daß der Ton Montag nachmittag geliefert worden ist. Gestern vor dem Frühstück hat er noch daran gearbeitet und heute wieder, ich weiß nicht, ob er mit dem Modellieren bereits am Montagabend angefangen hat oder nicht. Als ich zu Bett ging, war er noch aus.«
Die Entdeckung der vermißten Pistole war die letzte, die in dieser Nacht gemacht wurde. Entweder waren Paula Kents Juwelen nicht in der Wohnung, oder sie waren so schlau versteckt, daß sie der Entdeckung entgingen.
Ein wenig später trennten sich Tam und die beiden Inspektoren mit Rücksicht auf den aufgabenreichen Tag, der vor ihnen lag, um noch ein paar Stunden schlafen zu können. Sie verabredeten sich zu früher Stunde in McCoys Büro. Die beiden Detektive in Zivil blieben zurück.
Donnerstag morgen hatte man den Flüchtling noch nicht ergriffen. Wie das in solchen Fällen immer ist, meldeten sich zahlreiche Leute, die ihn an den verschiedensten Orten gesehen haben wollten, aber alle Angaben erwiesen sich als unrichtig. Die Polizei war genötigt, jeder Spur, auf die sie gewiesen wurde, nachzugehen, obwohl erfahrungsgemäß selten einer dieser Hinweise zum Erfolg führte.
Tam fuhr wie verabredet zeitig in McCoys Büro, sie schien übernächtigt und sah sonderbar bedrückt aus. Sie überraschte den Inspektor damit, daß sie ihn um einen Haussuchungsbefehl für das Zimmer und die Habseligkeiten eines Fräulein McGuire, Stenotypistin, bat und, nachdem sie ihn bekommen hatte, schnell wieder ging.
In der Zwischenzeit überwachten die beiden Inspektoren eine äußerst sorgfältige Untersuchung von Jules Darcys Garderobe im Theater, die nicht das geringste Resultat zeitigte. Ragan erkannte die Pistole, die man im Kopf der Nonne gefunden hatte, als die wieder, die er in dem Requisitenkasten vermißt hatte. Sie hörten aus den Berichten der Sachverständigen für Fingerabdrücke, daß die Waffe zu sorgfältig gereinigt worden war, um auch nur noch einen einzigen Fingerabdruck zu zeigen, und ließen tausend andere notwendige Kleinigkeiten über sich ergehen.
Die gewöhnliche Donnerstag-Nachmittag-Vorstellung des »Piratengoldes« wurde abgesagt, und der Nachmittag wurde damit verbracht, Proben mit einem Ersatz für Darcy abzuhalten.
In einer Pause zwischen den Nummern näherte sich Dimples Denby ziemlich schüchtern McCoy.
»Gestern abend, als das Mädchen sagte, sie hätte gesehen, wie ich Montagabend durch die Bühnentür lief, habe ich das ein wenig grob abgestritten. Nachher erinnerte ich mich, daß ich ungefähr um diese Zeit nach einem Päckchen Kaugummi in einen Laden gelaufen war.«
»Das kann wahr sein und auch nicht.« Er schaute sie mit halbfreundlichem Skeptizismus an. »Wir werden mehr darüber wissen, mein liebes Kind, wenn wir erst mal Ihren Freund, den Erpresser, gefaßt haben.«
Ungefähr um erreichte die Nachricht von Jules Darcys Verhaftung endlich das Präsidium. Anstatt die Stadt zu verlassen, wie man angenommen hatte, hatte er sich unter einem falschen Namen in einem ruhigen Hotel im inneren Stadtviertel eingetragen, und nur durch einen unglücklichen Zufall war er verraten worden. Ein Liftboy, der von einer wilden Leidenschaft für Operetten besessen war, hatte den Helden des »Piratengold« erkannt und seine Entdeckung sofort dem nächsten Polizeiwachtmeister bekanntgegeben. Als McCoy sich vergewissert hatte, daß der Gefangene tatsächlich Darcy war, rief er sofort Tam an. Sie antwortete auf den Anruf, aber ihre Stimme klang eher gelangweilt als begeistert. »Na, haben wir Aussicht auf ein Geständnis?«
»Leider nein. Er sagt nichts und will den Mund nicht auftun, bevor er nicht mit seinem Rechtsanwalt gesprochen hat. Aus diesem Mann etwas herauszubekommen, wird schwer sein.«
»Und dir würde besonders viel an einem Geständnis liegen?«
»Besonders viel? Alles! Ich ginge in die Hölle dafür! Was für eine dumme Frage! Als ob wir nicht immer alles daran setzten!«
»Naaja!« Tam zog das Wort ganz lang, als ob sie im Geist einen ganzen Plan während dieses Wortes konstruiere. »Wenn du also so verrückt bist nach einem Geständnis, und wenn du deswegen etwas riskieren willst, etwas nicht Alltägliches, wohlverstanden, dann laß Darcy morgen früh nach seiner Wohnung bringen und richte es so ein, daß Mona Dare und Terry Nagle, Vivian Fayne, Lois Chalmers, Dimples und Roger Kent zur selben Zeit da sind. Ich kann dir natürlich nicht unbedingt dafür garantieren, es ist aber ziemlich sicher, daß du ein Geständnis bekommst, wenn du alles so einrichtest. Einverstanden?«