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11

 

Raubmord um Mitternacht!
Reicher Anwalt findet seine Gattin erschossen!
Juwelen von ungeheurem Wert geraubt!

 

Diese fetten Schlagzeilen schrien am nächsten Morgen Tam entgegen, als sie das Extrablatt öffnete, welches Dips von einem gerade vorbeigehenden Zeitungsjungen bekommen hatte. Einen Augenblick lang flimmerte das Zimmer verschwommen vor ihren Augen, als sie in der ersten Zeile den Namen Paula Kent las.

Tam überflog den Bericht, der offenbar der Presse im letzten Augenblick zugegangen war, denn das Blatt beschränkte sich auf die Mitteilung weniger Tatsachen.

Es wurde folgendes berichtet: Roger Kent, der wegen einer starken Erkältung nicht fest schlafen konnte, war ungefähr um drei Uhr aufgewacht und hatte nach seiner Frau gerufen. Da er keine Antwort bekommen hatte, war er in ihr Zimmer, das neben dem seinen lag, gegangen. Dort fand er sie nicht. Durch ihre Abwesenheit stark beunruhigt, war er in die unteren Räume gegangen, um nach ihr zu suchen. Das Nachtlicht, das gewöhnlich in dem unteren Flur brannte, war ausgelöscht, der ganze Flur lag im Dunkeln, und während er nach dem Schalter an der Wand tastete, war er über die Leiche seiner Frau gestolpert, gerade vor der Tür des Bibliothekzimmers.

Die junge Frau Kent hatte noch dasselbe Kleid an, das sie zum Abendessen getragen hatte. Ihre Juwelen, deren Wert auf ungefähr dreißigtausend Dollar geschätzt wurden, waren verschwunden, und so blieb kaum ein Zweifel über das Motiv dieses Mordes.

Tam las bis zu Ende, sie ließ ihr Frühstück stehen und telefonierte nach dem Präsidium. Als sie erfuhr, daß Inspektor McCoy im Theater sei, verlor sie keine Sekunde, um ihn dort aufzusuchen.

»Bearbeitest du den Fall Kent?« stieß sie hervor, viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um sein freundliches »Guten Morgen« zu hören.

»Heiliger Petrus, habe ich nicht genug Sorgen mit dem Fall Kirby, wozu sollte ich noch einen anderen übernehmen?«

»Unsinn, das ist doch kein anderer, das ist doch derselbe Fall! Hast du noch nicht daran gedacht, daß man Paula Kent ermordete, um sie zu hindern, mir noch mehr zu erzählen?«

»Du bist sehr liebenswürdig, Tam. Ich habe als Polizeiinspektor ja auch einige Erfahrung und bin ohne deinen Hinweis zuerst auf den gleichen Gedanken gekommen, zunächst nur darum, weil der Gatte der Ermordeten mit dem Fall Kirby in Zusammenhang steht. Bevor du, überkluge Tam, noch aus dem Bett warst, habe ich meine Erkundigungen eingezogen. Es ist ein Schulbeispiel für Raubmord, alle anderen Kombinationen sind Unsinn.«

»Jedenfalls wirst du doch zugeben, daß Clyde Kirbys Mörder Paulas Tod sehr gelegen kommt.«

»So schien es mir zuerst auch. Aber, wie ich schon sagte: es deutet alles auf gewöhnlichen Raubmord. Außerdem hat ja auch keiner gewußt, daß du dem mysteriösen Girl auf der Spur warst, und noch viel weniger, daß sie eingewilligt hat, dir etwas über die Extrapistole zu erzählen.«

»Woher wissen wir das? Es ist ja möglich, daß sie mit einem Dutzend Menschen gesprochen hat, nachdem ich weggegangen war. Um Himmels willen, frag doch mal nach, wer nach mir Kents Haus aufgesucht hat, und versuche festzustellen, welche Telefongespräche geführt wurden, vielleicht gibt das einen Anhaltspunkt.«

»Nicht so einfach, wenn ein anderer Inspektor diesen Fall bearbeitet!«

»Du meinst also damit, daß du dich ganz und gar davon fernhältst?«

»Natürlich, Roger Kent hat ungefähr um drei Uhr morgens das Polizeipräsidium angerufen, sie haben Conway Fisk hingeschickt. Wenn du glaubst, daß ich wich in die Arbeit eines Kollegen einmische, nun, dann weißt du weniger von anständiger Polizeimoral, als ich geglaubt habe.«

»Du bist also noch nicht einmal in Kents Haus gewesen?«

»Nein, und ich werde auch nicht hingehen! Du scheinst vergessen zu haben, daß Clyde Kirby heute beerdigt wird, und natürlich habe ich die Absicht, dabei zu sein. Bei so rührseligen Angelegenheiten offenbaren die Menschen oft Dinge, die sie sonst verbergen.«

»Dann ist es besser, wenn ich mit Fisk spreche.« Sie war schon auf dem halben Weg zur Tür, als McCoy sie zurückrief.

»Halt! Tam, bevor du dich noch in einen anderen Fall einmischst, sollst du erst mal hören, was heute morgen geschehen ist. Terry Nagle hat mich ausgesucht, um mir mitzuteilen, daß er eine Pistole aus seinem Ankleidezimmer vermißt. Er hat die Nummer der Waffe vergessen, aber aus seinen Beschreibungen ist sehr leicht zu entnehmen, daß es die übriggebliebene ist, die man in Ragans Kasten gefunden hat. Das schlimmste an der Sache ist, daß er sie schon seit Wochen nicht gesehen hat, und er hat gar keine Ahnung, wann sie – hm – gestohlen worden sein kann.«

»Warum bist du deswegen so ärgerlich? Du hattest doch schon herausgefunden, daß die Pistole ihm gehört.«

»Aber verstehst du denn das nicht? Wenn er schuldig wäre, würde er sich doch nicht freiwillig als Eigentümer bekennen!«

»Auch das ist möglich, entweder, um den Eindruck eines reinen Gewissens zu erwecken, oder vielleicht auch, weil er annahm, daß du bereits herausgebracht hast, wer diese Schußwaffe gekauft hat.«

»Hm, das klingt ganz plausibel«, gab McCoy gedankenvoll zu. »Eine Schwierigkeit bei dem Mann ist nur, daß er so schrecklich unschuldig aussieht und daß es ganz lächerlich erscheint, ihn eines Mordes zu verdächtigen, solange man mit ihm zusammen ist. Wenn er weg ist, erinnert man sich erst daran, daß seine Braut besonderes Interesse haben konnte, Kirby aus dem Weg räumen zu lassen, und daß er, abgesehen von den Girls, der einzige ist, der Gelegenheit hatte, auf ihn zu schießen.«

»Die letzte Vermutung hängt gänzlich von Darcys Behauptung ab, daß Kirby sich von seiner Begleiterin wegwandte, sonst konnte Kirby nicht von jemandem, der so weit links stand wie Terry, erschossen worden sein.«

»Und das bedeutet?«

»Nichts Besonderes! Nur das eine: wenn eine Aussage nur von einem einzigen Zeugen abhängt, ist es nicht klug, ihm unbedingt Glauben zu schenken. Traurige Erfahrungen haben uns bereits gelehrt, daß sowohl das menschliche Auge als auch das Gedächtnis alles andere als unfehlbar sind.«

»Du glaubst also, daß Darcy ganz unbewußt das Ausmaß von Kirbys Wendung nach der linken Seite übertrieben hat?«

»Das ist möglich. Würde es sich lohnen, ein paar Beamte auszuschicken, um das Publikum auszufragen, das Freitagabend in der Nähe von Kirby saß? Vielleicht kann jemand Darcys Aussage bestätigen?«

»Das ist keine schlechte Idee, ich werde es versuchen. Es ist nur ein Glück, daß wir die Adressen von den Zuschauern notiert haben, bevor wir sie gehen ließen.«

»Gibt es noch etwas, was du mir erzählen willst?« Tam war augenscheinlich sehr darauf bedacht, schnell wegzukommen, eine Tatsache, die McCoy mit wahrem Kummer bemerkte. Er hätte ihre ungeteilte Mitarbeit vorgezogen.

»Oh, ich will dich nicht aufhalten! Lauf nur und steh dort Conway Fisk im Wege.«

»Morgen um dieselbe Zeit werden wir alle drei zusammenarbeiten«, prophezeite Tam und ging, bevor er noch einmal seiner Überzeugung Ausdruck geben konnte, daß der Mord an Paula Kent mit dem Fall Kirby nichts zu tun habe.

In Kents Haus waren die Vorhänge herabgelassen. Auf Tams Klingeln öffnete derselbe Diener, der sie vor weniger als vierundzwanzig Stunden eingelassen hatte.

Ja, die Polizei sei anwesend, sagte er ihr, aber Inspektor Fisk sei jetzt nicht im Hause, werde jedoch jeden Augenblick zurückerwartet. Könnte sie vielleicht Herrn Kent sprechen? Der Diener bezweifelte das, Herr Kent sei durch die Ereignisse dieser Nacht zu sehr erschüttert, als daß er irgend jemand außer den Beamten sprechen könne. Endlich willigte er ein, ihre Karte zu überreichen, aber er ließ Tam außerhalb einer sorgfältig geschlossenen Tür warten. Als sie wieder geöffnet wurde, stand Roger Kent selbst vor ihr.

»Kommen Sie, bitte, herein, Fräulein O'Brien«. Seine sonst so gemessene Stimme klang sehr sonderbar, als ob sein Mund und seine Zunge trocken wie Papier seien.

»Ich habe bereits heute morgen daran gedacht, nach Ihnen zu schicken«, sagte er ihr und führte sie in das Wohnzimmer, in dem durch die Dunkelheit der herabgelassenen Vorhänge alle Farbe verbannt war. »Die Polizei scheint sich auf die vermißten Juwelen meiner Frau zu konzentrieren, und sie glaubt, daß sie dem Mörder nur durch sie auf die Spur kommen kann; aber ich glaube nach allem, was ich von Ihnen gelesen und gehört habe, daß Ihre Methoden mehr Originalität aufweisen. Sicherlich ist es doch schwierig, die Steine aus einem Kollier oder einem Armband zu identifizieren, wenn sie herausgebrochen worden sind!«

»Das hängt von den Steinen ab. Ein Sachverständiger kann gewöhnlich Steine identifizieren, wenn sie einmal durch seine Hände gegangen sind. Waren die, die Ihre Gemahlin gestern abend trug, versichert?«

»Natürlich, aber der Geldverlust regt mich nicht auf«, sagte er mit kühler Abweisung.

»Ich habe die Sache nicht von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet«, gab Tam zurück, »sondern ich dachte daran, daß die großen Gesellschaften die besten Sachverständigen für Juwelen befragen, wenn sie über den Wert der Steine Gewißheit haben wollen, bevor sie sie versichern. Ich nehme an, daß die Polizei bereits diese Berichte zu ihren Zwecken gebraucht.«

»Dann geben Sie also zu, daß Paulas Mörder nur dann festgenommen werden kann, wenn er versucht, seine Beute abzusetzen?«

»Es ist unmöglich, das zu sagen, bevor ich mehr weiß. Er kann vielleicht irgendeine Spur zurückgelassen haben, der man nachgehen kann. Kommt der Inspektor, der mit diesem Fall beauftragt ist, hierher zurück?«

»Ja, eigentlich müßte er schon zurück sein.«

»Ich möchte gern mit ihm sprechen. Vielleicht erzählen Sie mir in der Zwischenzeit genau, was sich zugetragen hat.«

»Darf ich daraus entnehmen, daß Sie die Absicht haben, sich an der Suche nach dem Verbrecher zu beteiligen?«

»Ich bin schon dabei«, teilte sie ihm mit größter Offenheit mit. »Bitte erzählen Sie mir zuerst, wie Ihre Frau den gestrigen Nachmittag und Abend verlebt hat!«

»Mit mir! Ich kann sogar sagen, daß sie von der Zeit an, da Sie weggingen, bis ich ins Bett ging, kaum aus meinen Augen war.«

»Hatte sie keine Besuche?«

»Keinen, der empfangen wurde.«

»Keine Gäste zum Abendessen?«

»Nein.«

»Wie ich aus den Zeitungen entnehme, hat sie sich nicht einmal nach dem Essen umgekleidet?«

»Nein.« Sein Ton war etwas erstaunt. »Meiner Erkältung wegen zog ich mich sehr früh zurück, und Paula las mir eine Zeitlang vor, eine Stunde oder auch mehr. Vorlesen war eine Kunst, in welcher sie sich besonders hervortat. Der beruhigende Laut ihrer Stimme entspannte meine Nerven, und endlich konnte ich einschlafen.«

»Erinnern Sie sich nicht daran, ob sie ihr Zimmer verlassen hat?«

»Nein, ich kann mich nur noch schwach erinnern, daß ich eine Glocke anschlagen hörte, gerade, als ich einschlief, es kann das Telefon in ihrem Zimmer gewesen sein.«

»Haben Sie eine Ahnung, wie spät es war?«

»Ungefähr zehn oder halb elf, glaube ich.«

»Sie wissen also nicht sicher, ob es das Telefon war, was Sie hörten?«

»Gar nicht sicher. Das Geräusch kann auch nur eine Einbildung sein, manchmal macht man ja Fehlschlüsse dieser Art, wenn man im Einschlafen ist.«

»Wie erklären Sie sich, daß sie nicht zu Bett gegangen ist?«

»Nachdem sie mein Zimmer verlassen hat, ging sie vielleicht aus irgendeinem Grunde nach unten und traf dort den Einbrecher, der bereits an der Arbeit war. Der medizinische Sachverständige behauptet, daß sie schon mehrere Stunden tot gewesen sein muß, als ich sie fand.«

»Sie lag also in der Halle vor der Bibliothekszimmertür?«

»Nein.« Kent räusperte sich mit wachsender Ungeduld. »Irgendwie haben die Zeitungen den Bericht mißverstanden, sie lag im Bibliothekszimmer, nicht vor der Tür.«

»Aber wie konnten Sie dann über sie stolpern, als Sie nach dem Schalter für das Flurlicht suchten?«

»Leicht genug. Der Flur war ganz dunkel, ich ging durch die Tür, die in das Bibliothekszimmer führt, während ich noch glaubte, mich in dem Flur zu befinden.«

»Bestehen irgendwelche Anhaltspunkte dafür, wie der Einbrecher Eintritt erlangt hat?«

»Ja, Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß der Haupteingang etwas höher liegt als die Straße, und daß ein eiserner Balkon, den man leicht genug vom Hausaufgang aus besteigen kann, vor den Fenstern des Wohnzimmers und der Bibliothek entlang läuft. Eins der Fenster in der Bibliothek wurde halb offen gefunden.«

»So. Und nichts außer den Juwelen Ihrer Frau ist weg?«

»Wir nehmen an, daß der Einbrecher, zufrieden mit seiner reichen Beute, Angst hatte, noch länger hier zu verweilen. Paula muß ihn überrascht haben, bevor er noch mit seiner Arbeit begonnen hatte, denn, obgleich etwas Silber im Speisezimmer in Unordnung gebracht ist, so fehlt doch nichts davon.«

»Sehr seltsam«, entfuhr es Tam. Dann, bevor sie noch Zeit hatte, weitere Fragen zu stellen, hörte sie Stimmen in der Halle, die die Rückkehr des Inspektors ankündigten.

Inspektor Conway Fisk, ein großer, gut aussehender Mann, war ein alter Freund Tams und ihres Vaters. Er begrüßte sie mit offener Freundlichkeit und war sofort einverstanden, daß sie mit ihm allein das noch bewachte Bibliothekszimmer untersuche. Sobald sie die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hatte, stellte sie ihm eine Frage, die einen Funken größten Interesses in Fisks scharfe Augen brachte.

»Sind Sie wirklich so naiv, daß Sie glauben, dieser Fall sei ein einfacher Raubmord?«

»Was könnte es sonst sein?«

»Seit gestern wissen wir, daß Paula Kent das verschwundene mysteriöse Girl des ›Piratengoldes‹ ist«, sagte sie ihm. »Sie gab auch zu, daß sie etwas über eine Extrapistole wisse, etwas, was Verdacht gegen irgend jemand erwecken könnte. Leider wurden wir durch Roger Kent in unserer Unterhaltung gestört. Ich hatte keine weitere Gelegenheit, sie zu vernehmen, nahm mir aber vor, später am Nachmittag oder am Abend zurückzukommen. Dann, als ich sie ein wenig später anrief, bat sie mich, bis heute zu warten, da sie glaubte, daß ihr Gatte heute wieder ins Büro gehen würde, und ich war töricht genug, in diesen Aufschub einzuwilligen. Und jetzt fehlt mir leider ihr Bericht über die Extrapistole in Ragans Requisitenkasten.«

»Sie glauben also …?«

»Daß sie ermordet wurde, um sie am Sprechen zu hindern. Glauben Sie das nicht auch?«

»Lassen Sie mir Zeit, das zu überlegen, der Gedanke an einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen kommt mir sehr überraschend.«

Er begann schnell im Zimmer auf und ab zu gehen, seine dunklen Augenbrauen waren gedankenvoll zusammengezogen. Tam setzte sich in einen Sessel und beobachtete ihn ruhig. Er begann zu fragen: »Frau Kent hat also geglaubt, das, was sie zu sagen habe, könne Verdacht gegen jemanden erregen. Sie hat dann zu sprechen aufgehört, ohne eine Andeutung fallen zu lassen, gegen wen. Ich glaube, Sie sind der Meinung, Paula Kents Aussage würde den wahren Mörder Clyde Kirbys entlarven; und dieser Mensch habe nachher erfahren, daß Frau Kent beabsichtigte, ihn bloßzustellen, und sei dazu getrieben worden, sie zu ermorden – aus Selbsterhaltungstrieb?« Tam nickte nur mit dem Kopf, und er fuhr schnell fort: »Wie hat aber der Täter von dieser Absicht erfahren? Nach Roger Kents Aussagen hat Paula das Haus gestern nicht verlassen und außer Ihnen keine Besucher empfangen. Diesen Besuch hat er, nebenbei gesagt, mehr als seinen eigenen Besuch angesehen, als den seiner Frau.«

»Es gibt ja noch ein Telefon.«

»Stimmt. Wenn Sie hier warten wollen, so werde ich mit dem Polizeipräsidium sprechen und werde veranlassen, daß alle gestern über diesen Anschluß geführten Gespräche festgestellt werden.«

Er verließ das Zimmer mit einer Geschwindigkeit, deren sie sich von früheren Fällen, bei denen sie zusammen gearbeitet hatten, noch erinnerte, und er kam zurück, bevor sie noch ihre Zigarette halb zu Ende geraucht hatte.

»Man wird uns anrufen, sobald etwas zu berichten ist.« Er warf sich in einen Sessel in der Nähe von Tam, lehnte sich nach vorn zu ihr hinüber, die Hände über die Knie gefaltet. »Ich bin noch gar nicht sicher, daß Sie recht haben. Hauptsächlich wegen der Juwelen. Wenn Paula Kent ermordet wurde, nur, um sich ihres Schweigens zu versichern, warum sollte sich dann ihr Mörder mit ihnen belasten? Sie verdoppeln die Gefahr der Entdeckung.«

»Man kann die Sache auch anders sehen. Durch den Raub der Juwelen wollte der Täter die Polizei vielleicht auf eine falsche Spur locken und sie veranlassen, den Mörder in der Unterwelt zu suchen. Nach meiner Ansicht gehört der Täter zu den Mitwirkenden des ›Piratengoldes‹. Schon aus diesem Grunde kann ich den Tod Paula Kents nicht für einen einfachen Raubmord ansehen.«

»Ich begreife Ihren Standpunkt, aber noch etwas anderes spricht gegen Ihre Theorie.« Er sprang auf und öffnete eine der Schreibtischschubladen, nahm etwas heraus und kam mit einem blauseidenen Schal zurück. »Das fand man nicht weit von Paula Kents Leichnam, ganz augenscheinlich wurde es als Maske benutzt, und wer anders als gewerbsmäßige Einbrecher benutzen so etwas?«

Auseinandergefaltet zeigte das Tuch vier grob geschnittene Löcher, so gestellt, daß kaum ein Zweifel über den Zweck blieb.

»Es ist aber doch recht seltsam, daß ein berufsmäßiger Verbrecher ein so verhängnisvolles Beweismaterial am Tatort zurückläßt«, bemerkte Tam, trug das Halstuch an ein Fenster und hob den Vorhang hoch, um etwas mehr Licht einzulassen.

Tams kräftige schlanke Finger falteten das Halstuch sorgfältig in ein Dreieck zusammen. Sie verband die beiden Enden und brachte die zerknautschten Stellen ganz genau wieder zusammen. Sie zeigte es Fisk und hielt es hoch, um ihm die Größe zu demonstrieren, die es vorher gehabt hatte.

»Der Mörder muß ja einen schrecklich großen Kopf gehabt haben.«

»Um Himmels willen, ich hatte gar nicht versucht, es wieder zusammenzuknüpfen!«

»Sie selbst haben einen ziemlich großen Kopf«, bemerkte Tam. »Nehmen Sie das Tuch doch bitte mal um, ich glaube, es wird Ihnen noch zu groß sein.«

Er kam sofort ihrem Wunsche nach und paßte die Augenlöcher genau an. Die so improvisierte Maske war viel zu groß, und er mußte sie mit der Hand festhalten, damit sie nicht auf seine Schultern glitt. Er nahm sie ab, gab sie Tam zurück und starrte sie entgeistert an.

»Wir haben keinen Polizeibericht von einem Einbrecher, der einen so großen Kopf hat«, sagte er, »und das würde doch sicherlich ein besonders gekennzeichneter Mann sein. Hat einer von den ›Piratengold‹-Leuten einen anormal großen Schädel?«

»Nein, aber ich halte diese vergessene Maske für eine absichtliche Irreführung. Der Mörder nahm sich nicht die Zeit, eine normale Kopfgröße auszumessen. Die Augenlöcher wurden einfach ausgeschnitten und die gegenüberliegenden Ecken zusammengebunden, um die Seide etwas zu zerknautschen, dann wieder aufgeknotet, um den Eindruck zu erwecken, daß die Maske zufällig fallengelassen worden sei. Ich sehe die Sache jetzt so: wer auch immer Paula Kent ermordet hat, der hat irgendwie erfahren, daß sie der Polizei erzählen wollte, was sie über die Extrapistole wußte. Dann hat er Paula antelefoniert und darauf bestanden, sie gestern abend zu sprechen, mehr in der Absicht, sie zum Schweigen zu überreden als sie zu töten, obwohl dieser Plan als letzte Zuflucht im Hintergrund gelauert haben muß, warum hätte er denn sonst eine Pistole mit sich genommen? Paula muß eingewilligt haben, diesen geheimen Besuch zu empfangen, nachdem ihr Gatte fest eingeschlafen war. Bedenken Sie, sie hat sich nicht mal umgezogen. Der Verbrecher, wir wissen noch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, fand Paula aus Furcht vor Enthüllung so verstört, daß sie nicht die Kraft hatte, ihr Wissen für sich zu behalten. Es ist auch möglich, daß sie sich gestritten haben, auf jeden Fall kam es dem Besucher zum Bewußtsein, daß nur die Tote schweigen würde. Nachher versuchte er, den Eindruck zu erwecken, als ob Paula nur zufällig von einem Einbrecher getötet wurde, also von jemand, der keine persönlichen Beziehungen zu ihr hatte. Die improvisierte Maske, das geöffnete Fenster und die geraubten Juwelen sollten nur die Polizei irreführen.«

»Was auch gelang«, gab Fisk kläglich zu. »Wenn Sie nicht mit Ihren neuen Tatsachen und Theorien hereingeschneit wären, hätten wir die Unterwelt ganz einfach nach einem der bekannten Einbrecher, der kein Alibi für die letzte Nacht nachweisen konnte, durchsucht und hätten auf der Jagd nach den vermißten Juwelen alle Leihämter und zweideutigen Geschäfte bewachen lassen.«

»Sie glauben also, daß ich recht habe?«

»Ja.« Er nickte mit bewunderndem Lächeln. »Diese seidene Halstuchgeschichte überzeugt mich.«

»Wir haben noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft.« Tam zeigte auf einen kaum sichtbaren rosaroten Fleck auf dem dunkelblauen Stoff. »Das sieht aus wie Fettschminke und riecht auch danach, und wenn die Analyse beweisen sollte, daß ich recht habe, dann müssen wir den Täter wohl unter den Schauspielern suchen.«


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