Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Achter Gesang
Krieg und Versöhnung

                      Schon rötete den Tag der Morgensonne Kuß,
Und durch das Sieb der Blätter rieselte der Guß
Der Zitterstrahlen in die grünen Waldeslauben,
Der Käfer Surren weckend und der Turteltauben
Verliebtes Gurren. Aber träg und traumbefangen
Schlief noch Apoll, die Stirn von Schlummergold umhangen.
Ihm log der Traum, daß er im Hochzeitsbette läge
Und Heras wundersamen Leib im Arme wäge.
Ists Traum? Ists Wahrheit? Sachte schickt er seine Hand
Zu fragen, wo in Welt und Raum er sich befand.
Doch wie nun statt beseelten Lebens Gegenwart
Der leere Wagen traf den Finger fremd und hart
Und des verwunderten Gehörs gespanntes Lauschen
Nicht mehr vernahm des Busens traulich Atemrauschen
Und keine Antwort brachte seine Stimme wieder,
Sprang er erschreckt empor und sperrte weit die Lider.
«Ach, weh mir ungetreuem Wächter!» schrie er klagend,
Das Haar zerraufend und die Brust mit Fäusten schlagend,
«Ein feindgesinnter Dämon hat mir unverspürt
Den muntern Geist zur Unzeit, ach, mit Schlaf verführt
Und während luftige Hoffnungsträume mich umwoben,
Ist, was in Wahrheit ich bereits besaß, zerstoben.»
Mit diesen Worten griff er Pfeil und Bogen auf
Und jagte durch den Wald davon in hastigem Lauf,
Beständig in die Luft den teuren Namen schreiend,
Den Schlaf verwünschend und der Sündenschuld sich zeihend.
So stürzt, wenn er der Hindin Angesicht verlor,
Mit witterndem Gemäul und aufgeregtem Ohr
Laut röhrend durch das Unterholz und widerwirsch
Und schüttelt seines Hauptes Stolz der Edelhirsch.
Also Apoll, doch ratlos nicht und blindlings nur,
Ihn leitet eine sichre, wundersame Spur,
Verläßlicher und deutlicher als Stapfen täten:
Denn wo auch flüchtig nur der Fürstin Fuß getreten,
Verblieb ein Farbenschein, als ob ein Kleinod glühte
Mit Pfauenglanz, das Regenbogensonnen sprühte.
War aber wo die Irisflammenspur zerronnen,
Winkt ihm ein Haar, aus samtner Mitternacht gesponnen.

Und also hitzig jagend, wie der Windhund spürt,
Des Eifer keine Schranke hemmt, kein Mahnruf rührt,
Vernahm er plötzlich wirres Laufen und Gesprenge
Vom Schloß herüber durch den Tann wie Volksgemenge,
Und sein erregter Argwohn hört ein Unheil läuten.
«Wer sah die Königin? Was will der Lärm bedeuten?»
Bot er dem nächsten Trupp entgegen. Doch sie sahen
Ihn seltsam an und wichen aus bei seinem Nahen.
Wie wenn der Arbeit ledig, drin sein Fleiß gewaltet,
Heimwärts ein Mann die frohe Ungeduld entfaltet
Und sieht ein flüsternd Nachbarvolk sein Haus umstehn
Und keucht herbei: «Weh mir! Wen trafs? Was ist geschehn?»
Doch keiner hat den Mut, das Schweigen aufzubrechen,
Den Dolch der schlimmen Zeitung ihm ins Herz zu stechen,
Er aber fliegt mit Doppelsätzen, sinnverwirrt,
Dem Anblick in den Rachen, der ihn malmen wird,
Des Unheils Art zu lernen und den Grad der Schwere,
Ob nicht die Wahrheit milder als die Ahnung wäre:
Also durchstürmt Apoll die aufgeregte Masse
Des Volks. Doch wie er aus dem dunklen Waldgelasse
Gelangte nach dem Graben vor dem Schlosse jetzt,
Stemmt er den Fuß und prallte rückwärts, geistentsetzt.
Denn siehe, wahrlich, oben auf des Schlosses Zinne
Sie selbst, die Falsche, die Verräterin, in Minne
Mit ihrem weißen Arm den Räuber Zeus umfangend.
Herum die stolzen Amazonen, farbenprangend,
Mit Pfauenbüschen, Spießen, Schwertern und Standarten.

Sprachlos vernahms Apoll, und seine Augen starrten.
Sein Geist entwich, der Atem mied ihn eine Weile,
Und kraftlos aus den Fingern glitten ihm die Pfeile.
«Seh ich Gespenster? Oder foppt mich Traumbetrug?»
Er griff sich an den Kopf: «Ist jemand dort nicht klug?»
Rieb sich die Augen, spornte seine Phantasie,
Doch dieser Falschheit Urgebirg erstieg sie nie.
«Dämon, mein edler Dämon, gib mir des Gewähr:
Wes Brauches lebst du? Rede! Wannen kommst du her?»
«Ich komme her vom Sonnenberg der Überwelt,
Und meines Brauches ist die Wahrheit tagerhellt.»
«Steht unsereinem an, mit Niedertracht zu fechten?»
«Verzieh! Mit Weibesfalschheit kann ein Held nicht rechten.»
Darauf das Antlitz rückwärts wendend, schroff und harsch:
«Schafft einen räudigen Hund mir!» so befahl er barsch.
Also geschah. Doch zornig herrscht Apoll: «Zu rein!
Ein Hund ist sauber, eine Hündin muß es sein.»
Und als auch das geschehen, tat er flink am Nacken
Mit schuhbewehrter Hand die räudige Hündin packen,
Schwang sie empor und zeigte nach der Königin:
«Tfuh! Schließ die Augen! Puh! Sieh nicht nach Hera hin!
Kein Balsam kann dir helfen, keine Salbe nutzen,
Der Blick der Buhlin wird auf ewig dich beschmutzen!»
Es riefs Apoll und warf die Hündin weg im Schwang,
Darauf entfernt er sich weitab in festem Gang.
Umsonst versuchten ihn mit freundlicher Gewalt
Die Brüder umzustimmen. Ohne Aufenthalt,
Den Bitten taub, ließ er die Freunde hinter sich
Und schlug sich ins Gebirge unabänderlich.

Nun aber tobte gegen Zeus der Kriegessturm,
Und Zorn- und Rachewolken bäumten sich zum Turm.
Die Burg zu brechen meinten trotzig die Titanen,
Versuchend, eine Brücke nach dem Schloß zu bahnen,
Dem grimmen Ares, dessen Schlachtruf aus der Weite
Die Haufen holte, stellte Pallas sich zur Seite,
Die Lanze hoch, die Stirn empor, den Helmbusch auf,
Und jauchzend lief das Volk mit ihrem Siegeslauf.
Hermes derweil, als Brautgebühr und Hochzeitssteuer,
Beigt um den Graben einen Reisigkranz zum Feuer.
Poseidon unternahms, den Bergbach einzudämmen,
Gewillt, das Räubernest mit Wasser einzuschwemmen.
Die wankelmütigen Autochthonen, stets dabei,
Wenn Furcht sie nicht mehr bändigte, zur Meuterei,
Gesellten treulos, ihrer Fürstin ungeacht,
Die eignen Truppenscharen zu der Übermacht.
So wälzte sich von allen Seiten tausendfache
Gefahr herbei, und hochauf brandete die Rache.
Doch wie der Maiblust, wenn der schwüle Fegwind feuchtet,
Die Luft durchreisend, vor dem finstern Himmel leuchtet,
Schwebt über all der Gärung Aphrodite hin,
Im Sechsgespann, umjauchzt als Gegenkönigin.

Doch Moira spottete der Feinde Überzahl.
«Ich weiß ein Schnäblein, bissiger als Erz und Stahl.
Zwar schlägt es blutige Wunden nicht, doch stiftet Leid.»
Sie sprachs, und zum Olymp empor schwang sich der Neid.
Kaum daß er seinen bleichen Schnabel eingesetzt,
So war der Bund entzwei und Freund mit Freund verhetzt,
Poseidon sprach zu Hermes: «Wie sich Ares bläht,
Sich auf den Schenkeln wiegt und in den Hüften dreht!
Fürwahr, man soll mich länger nicht Poseidon heißen,
Die Königskrone will ich diesem Fant entreißen.»
Hermes erwiderte: «Gewiß, du redest wohl.
Doch glaubst du dir, Poseidon, denn ein Monopol?
Du stehst nicht einzig, andre wohnen neben dir.
Gebührt die Krone wem, warum nicht eben mir?»
«Darüber», rief Poseidon, «tät mir leid zu reden.
Mich lächerts. Herrschaft schickt sich nicht für einen jeden.»
«Oho! Worin wohl», schrie ihm Hermes zornig zu,
«Du Blasbalg, sag doch, bin ich schlechter denn als du?»
Und also fort. Der Hochmut schwoll, der Dünkel dampfte,
Als Ares königlichen Tritts vorüberstampfte.
«Friede! Was geht hier vor?» heischt er gebieterisch.
Sie schäumten ihm entgegen: «Deinen Kehricht wisch!»
So diese. Aber ärgerlich zu Artemis
Bog sich die kühne Pallas und versetzte dies:
«Was ist das für ein sinnlos Jauchzen und Geschrei
Um Aphrodite! Sind denn nichts wir andern zwei?
Man preist sie schön. Ward Häßlichkeit denn uns zuteil?
Ihr Liebreiz? Der ist billig, denn sie hält ihn feil.
Sieh, wie sie mit den Äuglein keckt, die Lippen leckt,
Jetzt halb den Busen, pfui! und jetzt ein Bein entdeckt.
Ich aber will mich ungesäumt des Werks befleißen,
Sie von dem stolzen Wagensitz herabzureißen.
Fall du indessen nur den Pferden in die Zügel!»
Doch Artemis: «Ich diene keinem Fuß zum Bügel.
Beliebt es dir, so magst du selbst die Pferde halten.»
«Bescheiden möge jeder seines Amtes walten.»
«Bescheidenheit ziemt dir», fuhr Artemis dazwischen.
Hoch richtete sich Pallas auf und rief mit Zischen:
«Brauch nicht mit deiner künftigen Herrin diesen Ton!»
«Uhu! Blindeule! Deine Herrin steht hier schon.»
Verwundert nahm Hephaistos die Verwirrung wahr:
«Ich bin ein biederer Zyklop, bescheiden gar,
Doch seh ich nach dem Thron Poseidons Fäuste langen,
Darf ich des nämlichen mich füglich unterfangen.»
Darob erstaunte Uros der Zentaur: «Sieh doch!
Von Königskronen träumt ich gestern nimmer noch.
Doch wenn ich seh Hephaistos nach dem Zepter greifen,
Was sollt ich hier allein im Hintergrunde schweifen?»
Und also fort. An allen Enden Zank und Zwist,
Und aus der Scheide flog das Schwert in kurzer Frist.
Man rottet sich. Dem Willen steht der Widerwille.
«Wag du den ersten Mordstreich!» schwieg die Totenstille.

Doch siehe da – Irene, vor die Reihen tretend,
Die Hand erhebend und Gesichte gläubig betend:
«Ein alt Gedenkbild, Freunde, wird mir offenbart,
Erinnrungskunde hab im Herzen ich bewahrt.
Ich weiß gewiß: wir haben ehedem geweilt
In einem seligen Land, wo aller Kummer heilt.
Ein Schrein ward uns vertraut, ein Kleinod liegt darin,
Das wehrt dem Bruderkrieg und zähmt den Eigensinn.
Das Wunder zu erwähren schafft geringe Sorgen.
Mich denkts, im Tempel hätt ich selbst den Schrein geborgen.»
Und als berittne Boten rasch sich aufgemacht
Und aus dem Tempelschatz das Kästlein dargebracht,
Da zielten aller Augen einzig auf den Schrein,
Gespannt, welch Kleinod möchte drin enthalten sein.
Was war es, was Irenes Finger suchend fing?
Ein staubiger Wanderschuh, verächtlich und gering.
Doch kein Juwelgeschmeid, nicht Gold noch Silberglanz,
Nicht des Rubins und nicht des Demants Feuerkranz
Bewirkt ein solches Wunder je von ferne nicht
Wie dieser plumpe Wanderschuh, unwert und schlicht.
Der Neid entfloh, das Werk der Zwietracht war zerstört,
Schluchzen ringsum und weinend Stammeln ward gehört.
Dieweil der Schuh den Göttern ins Gedächtnis sprach,
Daß längst verstorbne Bilder wurden wieder wach:
Des Hades düstres Regenhaus, der Höllenhund,
Der Auszug durch den atemlosen Felsenschlund,
Des Kronos grauser Sprung, der Hebe bittre Nüsse
Und der geliebten Himmelstöchter Freundschaftsküsse.
«Ach Brüder», schluchzten sie «was soll der Streit uns frommen?
Sind wir deswegen fernher zum Olymp gekommen,
Um uns zu hassen, zu bekriegen, zu zerfleischen?
Wer zwingt uns denn, des Nächsten Weh und Leid zu heischen?
Sei König, wer da mag! Fahr hin! was liegt dabei?
Doch uns zu lieben, Brüder, Schwestern, steht uns frei.»
Jetzt Pallas trat, die Kluge, spruchbereit hervor:
«Gönnt mir zu reden, Freunde, leiht mir euer Ohr.
Wohl dem, dem Huld und Lieblichkeit im Herzen spielt!
Doch gilts zu handeln, merk, was der Verstand empfiehlt,
Dieweil nun nämlich doch verlangt Anankes Schluß,
Daß uns ein König sei, ein Herr entstehen muß,
Indes der einzige, vor dem sich jeder beugt,
Er, den der Ruhm bekennt, dem selbst ein Dämon zeugt,
Der herrliche, der unvergleichliche Apoll
Sich unserm Wunsch entzieht, gekränkt, empört von Groll,
So werde denn, da uns der Helden bester fehlt,
Aus der Bewerber Zahl der Auswürfling erwählt.
Es tut dem Ehrgeiz minder weh, dem Schelm zu weichen,
Als hintenan zu stehn dem Manne seinesgleichen.
Nie wird Poseidon Hermes König nennen wollen,
Und Hermes wird Poseidon mühsam Ehrfurcht zollen.
Dagegen Zeus erträgt der Stolz von obenher.
Denn jeder denkt: eh als ein andrer, lieber der!
Das hält. Nun will ich noch den Nachbaracker pflügen:
Die Schwester wird sich nimmermehr der Schwester fügen.
Es leidet weder Aphroditen, weder mich
Die herbe Artemis als Fürstin über sich.
Ich wieder dulde weder sie noch Aphroditen,
Und diese wird sich beider Übermacht verbitten.
Viel minder einer Fremden, wer sie immer wäre,
Mißgönnen wir die Macht und weigern wir die Ehre.
Drum rat ich: Nehmt vorlieb! Laßt sitzen auf dem Throne
Mit ihrem Zeus die schnöde Jungfer Amazone.»
Pallas, die Kluge, sprachs. Verständig schien das Wort,
Und freundlich murmelnd pflanzte sich der Beifall fort.,
Ein Täflein heischte Pallas jetzt und einen Stift
Und schickte dem Verräter diese Friedensschrift:
«Pallas entbietet Zeus: Im Namen aller Götter,
Du schnödes Ungeheuer, Krondieb, Rechtsverspötter,
Da du den Thron nun einmal hast, magst ihn behalten.
Die Braut dazu. Bekomms! Nun möge Friede walten.»
Zeus schrieb zurück: «Den Urlaub, den ihr mir beschieden,
Brauchts nicht. Ich hab den Thron. Doch sei es um den Frieden.»

So wurde Friede denn gesetzt im ganzen Land
Und Zeus von aller Welt als König anerkannt.

Und eine Hochzeitfeier, wie sie keine noch
Die Welt vordem geschaut, wie grau ihr Alter doch,
Ließ Zeus, den Geiz und Knauserei nicht quälten,
Zurüsten seiner königlichen Anvermählten.
Da ruhten alle andern Sorgen und Geschäfte,
Dem nahen Fest zu dienen wirkten alle Kräfte.
Und einen Boten schickte Moiras Huld zu Zeus:
«Das Fest, das jedermann ergetzt, auch dich erfreus.
Von Mitternacht zu Mitternacht, den ganzen Tag
Der Hochzeit werde, was dein Herz sich wünschen mag.»
«Mein Wunsch?» erklärte Zeus. «Wohlan, ich wünsche mir,
Daß mir zum Ruhm an meinem Tage Mensch und Tier
Nicht dulde weder Seelennot noch Leibespein.
Der Traurige soll froh, der Kranke schmerzlos sein.»

Und wie nun stets die Stunden auf die Zeitenspindel
Die Hore spann und der Minuten Kleingesindel,
Kam an des Tages Vortag, der zum Fest erkoren,
Wohl eine schlimme Mär der Königin zu Ohren:
Es hätten sich mit Aphroditens Haß verschworen
Pallas und Artemis, daß keine dieser drei
Wohnte mit ihrer Gegenwart dem Feste bei,
Verschmähend, ihr den schuldigen Kniefall zu gewähren
Und Handkuß und die andern königlichen Ehren;
Vielmehr, um die Verachtung frei zu offenbaren,
So wollten sie dem Festzug in die Speichen fahren,
Mit fürstlichem Gepräng, den Königswagen hindernd
Und also ihr im Lande Furcht und Ansehn mindernd.
Und also fort. In ewiger Meuterei beharrend,
Die Fürstin ärgernd und mit allen Kräften narrend.

Ein nächtlich Niemandweiß und heimlich Stelldichein
Im stillen Wald entbot die Fürstin jetzt den drein,
Ob sie mit sanftem Wort in gütlichem Verhandeln
Vermöchte, bittend ihren Meutersinn zu wandeln
Oder vielleicht mit einem kleinen Tauschgeschäfte
Um einen billigen Preis die Eifersucht entkräfte.
Hera hub an: «Liebschwestern, was begehret ihr?
Sagts kurz! Sprecht klar!» «Die Amazonen fordern wir.»
Hera erwiderte: «Zu welcherlei Beginn?»
«Sie zu erwürgen. Dieses ist der klare Sinn.»
«Mund zu! Hand weg! Das will ich kräftig euch verwehren.»
«So sollst du keine Art von Herzeleid entbehren.»
Entrüstet floh die Königin ein kleines Stück,
Dann kam sie mit entschloßnen Schritten fest zurück.
«Nehmt hin, ich will euch alle meine Schätze geben.»
«Wir wollen Schätze nicht, der Amazonen Leben!»
«Die Hälfte meines Reichs, die Erde laß ich euch.»
«Die Amazonen laß! Wo nicht: die Hoffnung scheuch!»
Die Lippen nagte Hera, biß sich in die Hand,
Wandte zur Flucht sich, kehrte wieder, schwankte, stand.
Dann plötzlich eilte sie waldeinwärts, kniete, grub
Im Boden, bis sie eine bittre Wurzel hub,
Zerkaute sie und sog den Saft mit heißen Tränen,
Sprang auf und schleudert ihnen heftig zu: «Hyänen!
Fluch euch! Fahr hin! Nehmt alle! Außer Promachos.»
«Wir fordern alle, von der Wurzel bis zum Sproß.»
Sie schluchzte: «Pallas, schone Promachos! Verschone
Sie, Artemis!» «Nicht eine außer. Keine ohne.»
Den Gürtel nahm sie, drin ihr stolzer Leib gezwungen,
Und als sie um die Augen ihn als Band geschlungen:
«Ich sehe nichts, ich höre nichts, was auch geschehe.
Vergebt, ihr treuen Amazonen! Weh mir! Wehe!»
Nach diesem reichten sie zum Bunde sich die Hände.
Und durch den Wald entschlüpften munter und behende
Die Schwestern drei. Doch wie von Harz gefangen, klebten
Der Fürstin Schritte, und die schwachen Kniee bebten.

Und als des Hochzeittages Morgen nun gekommen,
Umsungen und umjauchzt, von Glück und Glanz umschwommen,
Da trug die Welt ein selten Prachtgewand zur Schau.
Gemustert wie Damast erschien des Himmels Blau,
Und um den Sonnenball, in dessen Mittelpunkte
Ein blitzender Demant in weißem Blendlicht prunkte,
Schwang sich ein siebenfacher Hof von Flammengarben,
Des Feuer wechselt unaufhörlich Form und Farben.
Doch unten auf der Erde wich an diesem Tage
Von Mensch und Tier die mannigfaltige Not und Plage.
Der Kranke rief: «Welch Wunder! Sieh, nicht schmerzt mein Bein.
Ists möglich? Ach, ich mein, ich muß im Himmel sein.»
Und zu der Gattin sprach der Gatte: «Weine nicht!
Vergib! Hör an, was meine Reue dir verspricht.»
Und alles, was ein Weltenhochzeitfest erfordert,
Ereignete sich pünktlich, wie es Zeus beordert.
Und keines Edlen Huldigung gebrach dem Zug,
Außer Apoll. Und jeder übte Zucht und Fug.
Und vor der Fürstin knieten neben Artemis
Pallas und Aphrodite. Sie vermochten dies.
Und als sie gar der königlichen Braut die Hände
Ehrfürchtig küßten, war des Jubelsturms kein Ende.
Doch wie am Abend nun im festgeschmückten Saale
Die Gäste sich erlabten an dem üppigen Mahle:
«Poseidon», hauchte Hermes, «Bruder, ich gestehe,
So wie ich jetzt so wohl, so wollt ich einst dir wehe.»
Poseidon lachte: «Dies, o Bruder, liegt im Alten.
Die Freundschaft wird deswegen um so zäher halten.
Doch kannst du auch, o Zeus, verzeihen deinem Gaste,
Daß ich dich einst, ich wills bekennen, grimmig haßte?»
«Das wollen wir», geruhte Zeus, «entschlummern lassen.
Jetzt scheint mir wichtiger, den Becher anzufassen.»
Doch wie nun selbst die Königin mit Aphrodite
Zärtlich verschlungen, nach vertrauter Freunde Sitte,
Einander unermüdlich auf die Lippen küßten,
Als wenn von jeher sie von nichts als Liebe wüßten,
Da flossen aller Tränen, die der Anblick rührte,
Und keiner, der nicht Andacht und Bewundrung spürte.
Doch als der Abschiedslärm nun durch die Hallen schallte
Mit schwerer Zunge, welche stammelnd Liebe lallte,
Und mit erstauntem Blick besah die Morgensterne
Das Zechervolk, eh daß es heimzog in die Ferne,
Spähte durchs Fenster in den Amazonensaal
Arglistig Aphrodite. Wie sie dort zumal
Die tapfern Kriegerinnen schaute, weinestrunken
Und schlafbesiegt am Boden sämtlich hingesunken,
Entwehrt, entkleidet, ohne Argwohn, waffenlos,
Ein Haufe blanken Opferfleisches, atmend bloß,
Da stieg sie hurtig in die Rüstungskammer, drückte
Den feinen Leib in einen Kinderharnisch, bückte
Sich unter einen stolzen Helm, von Golde schwer,
Und einen runden Schild und einen leichten Speer
Ergreifend, eilte sie auf rachefrohen Sohlen,
Des Ares Mörderschar zum blutigen Werk zu holen.
«Holla! Was soll das? Stürmt man so zur Tür herein?»
Und siehe: Aphrodite, rot vom Fackelschein.
Nie kam des Todes schauerliche Mordgewalt
Einher vermummt in eine holdere Gestalt.
Von Schreck gelähmt, von Schlaf und Trunkenheit umnachtet,
Ward wehrlos da das Amazonenheer geschlachtet.
Als aber jetzt der Amazonen Mädchenschaft,
Die lieblichen Parthenier, keusch und jugendhaft,
Umfingen gnadeflehend Aphroditens Knie:
«Laß leben diese», meinte Ares, «schone die!»
«Mitnichten», widerhielt ihm Aphroditens Zorn,
«Das liebe linde Dörnlein wächst sich aus zum Dorn.»

Vom Hochzeitlager schreckte Zeus: «Was hör ich tönen?
Was will das gräßliche Geschrei und röchelnd Stöhnen?»
Und doppelfüßig sprang er aus dem Bett zu Boden
Und lauschte nach dem Hof und hielt zurück den Oden.
Dann brüllt er mächtig: «Hera! Weh und Leid! Erwache!
Man mordet deine Amazonen! Auf zur Rache!»
Sie schwieg. Kein Laut. Nur zähneklappernd Atemzittern,
Und Fingernägel, die im Kissen krampfhaft knittern.
Horch: Hilfgeheul die Treppen aufwärts. Wild, im Schuß
Stürzt er zur Tür. Fluch! Außen hindert ein Verschluß.
Zurück, und ihre Schulter schüttelnd: «Haifisch, stumm!
Sperr auf dein Mordgebiß! Gesteh, du wußtest drum!»
Und da sie nach wie vor das Wort versagte, riß
Er sie zu seinen Füßen, ihrer Schuld gewiß.
Still litt sie die Gewalttat, steif und stockig harrte
Sie seiner Strafe, weil ihr Blick ins Leere starrte.
Bis daß der grausige Lärm erstickte im Gewimmer,
Und siehe da: der neue Tag im Morgenschimmer.
Jetzt wischte mit der Hand sich über Stirn und Haar
Die Schuldige: «Vorbei! Nun ists schon minder wahr!»
Und atmete genesend, wie erlöst vom Wahn.
«Verruchte!» keuchte Zeus, «was hast du da getan!»
Und droht ihr mit geballter Faust, zum Schlag erhoben.
Ruhselig lächelt ihm ihr feiner Blick nach oben:
«Gewagt, den Richter aufzuspielen, Zeus, gewagt!
Hab ich den Kronendieb um Rechenschaft gefragt?»
Und rankte schlangenschmiegsam sich an ihm empor,
Entrunzelt ihm die Stirn und schmeichelt ihm ins Ohr:
«Du Böser, von der Bösen laß ein Wort dir sagen:
Es können Wolf und Wölfin minnig sich vertragen.»
Von ihrem Spruch betroffen, ihrem Hauch berührt,
Stand er verraten da, entwaffnet und verführt.
Mit Not entwand er ihren Armen seinen Leib,
Und schaudernd knirschte seine Lustgier: «Welch ein Weib!»
Sie hauchte: «Wünschest du mich anders als ich bin?»
Und stellte sich in nackter Größe vor ihn hin,
So daß das Morgenfrühlicht, das den Raum erfüllte,
Dem Trunknen ihrer Schönheit Wunderbau enthüllte,
Aus dessen tausend Reizen jauchzte Genesis:
Hie Wert! Und jeder andre Wert ist ungewiß!
Zeus schrie: «Die ganze Welt ist eitel Truggefüge!
Willkommen, Weib, du einzig lebenswerte Lüge!»
Und riß sie an sich, ihrer Blutschuld ungeacht.
Das war des Zeus, des Weltenkönigs, Hochzeitsnacht.

Am fernen Quell im Waldgebirge grollend lag
Apoll. Da horch: am dritten nach dem Hochzeitstag
Naht ein Geräusch vom Walde, unten längs dem Bache,
Wie wenn ein starker Keiler oder eine Bache
Mit wuchtigen Tritten durch die Lorbeerstauden bräche,
Den Grund aufpflügend mit dem wühlenden Gebreche.
Drohend rief an Apoll: «Wer wagts? in meinen Hain?
Wer du auch seist, du sollst mir unwillkommen sein.»
Da schwebt ein schwarzer Schatten aus dem Wald empor,
Und finstern Hauptes trat der große Zeus hervor.
Auf sprang Apoll, und sein ergrimmtes Auge maß
Den Feind, der seinen Ruhm, sein Reich, sein Weib besaß.
Als einzigen Gruß hob Zeus den Aigismantel hoch.
«Apoll», beschloß er düster, «neidest du mich noch?»
Und sieh: lebendige Traufen roten Blutes troffen
Innen vom Mantel, außen starrten Augen offen,
Dazwischen tönt es wie von kindlichem Gewimmer,
Und beide aufgesperrten Augen tränten immer.
«Elender!» rief Apoll, von Grausen jach erfaßt,
«Sag an, Unseliger, wie trägst du diese Last?»
«Dies ist mein Herrschermantel und mein täglich Hemd,
Auf ewig unabwerfbar mir ins Fleisch geklemmt.
Nun sprich, antworte, Bruder, wirst du noch mir neiden?»
«Ist das der Preis, sei du der König von uns beiden!»
«Wohlan», sprach Zeus, «vernimm denn meiner Ankunft Grund:
Willst du, so laß uns schließen einen Fürstenbund.
Zwar du bedarfst mich nicht, ich kann dir nichts gewähren,
Ich aber und mein Volk kann deiner nicht entbehren.
In dieser Welt, von Übeln krank, von Blute rot,
Tut Geist und Schönheit, tut ein Flecklein Himmel not,
Ein Glücklicher, der nichts vom Pfuhl des Jammers weiß,
Ein Edler, rein von Schuld, ein Held, des Helmbusch weiß.
Ich kann nicht dulden, daß du feindlich ferne weilest.
Ich fordre dich, daß du die Herrschaft mit mir teilest.
Zwar mir der Weltenlärm, der Völker Not und Streit,
Die strenge Rute, waltend der Notwendigkeit,
Doch dir im lichten Ätherglanz das Reich des Schönen,
Wo hoch im freien Räume die Gedanken tönen.
Ich setz dir im Gebirg ein unabhängig Schloß,
Darin als Fürst du schaltest mit Gesind und Troß:
Vor seiner Schwelle ende meines Zepters Fug.
Ich heische kein Entgelt. Dein Dasein gilt genug.
Nun laß durchs Ohr ins Herz dir meine Rede rinnen.»
Apoll erwiderte: «Ich heische kein Besinnen.
Vom Bösen bist du, Unhold, aber groß und wahr.
Die Freundschaft schlag ich aus, das Bündnis nehm ich dar.»

Er sprachs. Mit diesem schieden friedlich und versöhnt
Er, der die Welt beherrscht, und der, der sie verschönt.


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