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Die Sonne bald befragend, bald den Horizont,
Begann und flüsterte Themiurgos der Geront
Zu Archelaos in Besorgnis und in Ängsten:
«Was tun? Versammelt sind die Völker schon des längsten;
Die Amazonen auch; und alles ist bereit.
Einzig die Fürstin selber zögert allezeit
Mit ihrer bangersehnten Ankunft später Huld.
Und manches Mundes Murren meldet Ungeduld.»
Er sprachs. Und Boten schickt er aus in seinen Nöten,
Auf daß sie untertänige Mahnung ihr entböten.
Die Boten jagten hin, die Boten jagten wieder.
«Sagt an! Sprecht schnell! Liegt unsre Herrin krank darnieder?
Geschah ein Unfall? Was es sei, wir wollens wissen.»
«Getrost! Gesunden Schlafes liegt sie auf dem Kissen,
Im Traume lächelnd, mit Rhodopen eng verschlungen,
Und zarte Kosenamen lispeln ihre Zungen.»
So trösteten die Boten. Doch ein Blinzeln lief
Die Reihen auf und ab, worin der Aufruhr schlief.
Ein Grüpplein zischte Zorn, ein andres schwieg im Grimme.
«Ei nun, Themiurg», begehrte maulend eine Stimme,
«Was stehst du also kläglich da und schaust erschreckt?
Wenn Hera die Gemeinde so verächtlich neckt,
Daß sie das Fest verschläft, was brauchts der Königinnen?
Wir können ohne sie, versuchts, das Spiel beginnen.»
Und da des Volkes Überzahl, im Raum beengt
Und immer neu von frischen Kömmlingen gedrängt,
Beständig ihm vor Augen, angenehm und nah,
Die leere königliche Schauburg winken sah,
Geschah manch kleiner Ruck, zunächst zur Kurzweil bloß,
Aus Übermut; dann wogte Stoß und Widerstoß;
Bis unversehens in die königliche Gasse,
Die Wand durchdrückend, kollert eine wirre Masse.
Unwillig aber sprach, ergrimmt von Ärgernis,
Der heftigen Pallas Ungestüm zu Artemis:
«Sag an, in diesem zuchtvergeßnen Volksgewühl,
In dieser Stickluft, von Zyklopenschweiße schwül,
Gezwängt, gedrängt, gestoßen, schlimmer noch: berührt,
Ist das fürwahr der Ehrenplatz, der uns gebührt?
Wenn einmal doch den Thron verschmäht die Königin,
So seh ich keine Ungeziemlichkeit darin,
Einstweilen, bis sie naht, uns dorthin zu versetzen.
Der weite Raum, der freie Blick wird uns ergetzen.»
«Ei ja!» bewilligt Artemis. Und kaum gesprochen,
War sie mit Pallas, kurz entschlossen, aufgebrochen.
«Was euch wohl ansteht, ziemt auch mir», meint Aphrodite
Und fügte sich zum kecken Zug geschwind als dritte.
Doch kaum betraten sie den Teppichstufensteg,
Versperrten Heras Amazonen schroff den Weg.
Nun heftiger Gegenreden rasches Wortgefecht:
«Wohin?» «Wo uns beliebt!» «Hierher habt ihr kein Recht.»
«Wer wagts und wehrts uns?» «Wir, wir wollens euch verwehren.»
«Holla! Versuchts! Zu eurer Schande wird sichs kehren.»
Und schon von Iphikleias Widerstand beleidigt,
Hatt Artemis zum Einzelkampfe sie beteidigt,
So daß die beiden ungesäumt ins Sandfeld schossen,
Nach gleichen Waffen rufend und nach zweien Rossen;
Indessen Aphroditens flinke Zungenspitze,
Geläufig wie ein Rädlein, hämische Witzesspritze
Und Spott und Schmähung auf die Amazonen goß.
«Schweig du doch, Aphrodite», herrschte Promachos,
«Der Waffen, du unsterblich Dirnenangesicht,
Der Waffen, Häsin, gegen dich bedürft ich nicht.
Mit bloßen Händen wollt ich spielend dich bezwingen;
Zwar mit der linken wirbelnd in die Luft dich schwingen,
Doch mit der rechten, wisse, mit der rechten Hand
Erhöh ich lachend vor dem Volke dein Gewand,
Und gleich wie einem rotzigen Jungen wohlerwogen
Die fromme Zucht der Rute klatschend wird gezogen,
So würd ich deiner frechen Dreistigkeit zum Heil
Bedienen nicht dein Antlitz, nein, das Gegenteil.»
Hui! welch ein froher Jubelsturm der Amazonen
Sich brausend jetzt erhob, den frischen Spruch zu lohnen.
«Zick, zick! o Promachos! hiß, hiß! huja! gewagt!
Tu also der ambrosischen Häsin, wie gesagt!»
Doch Pallas, von Empörung jählings übermannt,
Schlug auf den Mund der Promachos die Rächerhand.
Da spürte sie von grimmen Fäusten sich erfaßt,
Und auf den Boden prellte sie der Feinde Last.
Allein die Heroldschar und Weibel, sanft, doch kräftig,
Vermittelten und mahnten eifrig und geschäftig.
Und selbst mit ehrerbietigem Bückling kam heran,
Demütig klagend, Archelaos der Prytan,
Hub an und sprach zu den Titanentöchtern dreien:
«Hochedle Jungfraun, werte Gäste, wollt verzeihen.
Und daß sich eures gar gerechten Unmuts Wolke
Verziehe, will ich feierlich ob allem Volke
Auf die Prytanenschauburg euren Adel setzen.
Der freie Raum, der hohe Blick wird euch ergötzen.»
Und wie sie also übereingekommnermaßen
Auf Ehrenstühlen zwischen den Prytanen saßen
Und guckten wohlzufrieden aus der hohen Feste
Und keck herab, wie Eier aus dem Vogelneste,
Gab mit unbändgem Fußgestampf und Handgeklapp
Das Volk das Urteil seines Wohlgefallens ab.
Doch alle Blicke, alle Rufe wandten sich
Jemehr desmehr zu Aphroditen namentlich:
«Erheb dich, Schönin! Auf den Schemel! Zeig dich mir!»
«Willfahre!» raunte Pallas ärgerlich zu ihr.
Und wie sie endlich lächelnd auf dem Schemel stand,
Den Liebesstürmen dankend mit anmutiger Hand:
«Du bists, die wir begehren», tönt es, «du allein,
Du mußt die Königin des heutigen Festtags sein!
Themiurg, was soll hier noch Bedenken und Besinnen?
Fang an, fang endlich an! Den Wettkampf, laß beginnen!»
Da horch! Trompetenschmettern, Pauken, Rosseschnaufen.
«Die Königin!» Und hastig scharten sich die Haufen.
Dann Totenstille. Sie erschien, zu Wagen sitzend,
Rhodope neben ihr, goldschimmernd, kleinodblitzend.
Fragend die Reihen flog der Fürstin Blick entlang,
Verwundert. Denn kein Willkomm tönt ihr zum Empfang,
Kein Gruß erscholl. Die Männer schwiegen all und Frauen,
Und drohend kniff die Königin die schwarzen Brauen.
Doch wie sie vollends neben den Prytanen droben
Die drei Titanenjungfern thronen sah, von oben
Mit selbstbewußter Stirn hernieder triumphierend,
Hochnäsig, und ins Antlitz ihr gelassen stierend:
«Prytanen und Geronten, höret meinen Schwur
Und merkt ihn wohl: Wenn wenige Wimperwinke nur»,
Befahl sie, «jene dort, wohin sie nicht gehören,
Beharren, wahrlich, einen Eidschwur will ich schwören,
So werd ich meine wackern Amazonen heißen,
Mit Fäusten ohne Schonung sie herabzureißen.»
Verlegen sahen die Behörden stumm zu Boden,
Und dem erstarrten Volk versagten Puls und Oden.
Und Pallas erst, dem strengen Machtwort klüglich weichend,
Dann Artemis, gleich einer zornigen Löwin schleichend,
Verstanden sich zum unwillkommnen Niederzug.
Doch als der Herrin Blick nun Aphroditen frug,
Kaum zwängte diese sich vom weichen Stuhl mit Mühe:
Gehorsam dünkt ihr schwer und jeder Schritt zu frühe.
Böswillig zaudernd tat sies, aber tat es doch.
Jetzt, als sie vor dem königlichen Wagenjoch,
Gegeißelt von der Amazonen Hohngeschrei,
Die widerwilligen Füße störrisch schob vorbei,
Da bäumte, streckte, sträubte gleich dem Adler sich,
Der einen Wurm zerkrallt, die Fürstin königlich
Und warf den Kopf zurück und protzt hervor das Mieder,
Und Schauer der Verachtung schüttelte sie nieder.
«So wird zur Schande dir, zur Warnung aller Welt»,
Hohnlachte sie, «gezüchtigt und zurechtgestellt,
O Aphrodite, eine unverschämte Dirne,
Die sich vermißt und beut der Königin die Stirne.»
Gleich einer Schlange, die mit unvorsichtgem Tritte
Ein Wandrer quetscht, fuhr zischend rückwärts Aphrodite:
«Die du auf deine königliche Würde pochst,
Die Herzen nicht bezwingst, die Furcht nur unterjochst,
Versuchs! Versuchs! mit meiner Schönheit dich zu messen.
Ich wüßte, wes der Sieg und die Beschämung wessen.
Ein Vorschlag: Laß in einem Walde zum Exempel
Oder verschloßnen Zimmer oder einem Tempel
Drei Greisen, würdevoll und kunstgelehrt zumal,
Oder von edlen Frauen irgendeiner Zahl
Oder dem nächsten Bauern ohne Unterschied,
Der unsern Ruhm nicht kennt und ahnt nicht, wen er sieht.
Vor Augen stellen unser wahrhaft Formgefüge,
Frei wie es ist, entledigt jeder Kleiderlüge,
Dann Heroldruf verkünden, was das Urteil spricht –
Wagst du die Prüfung, Hera? Gelt, du wagst sie nicht?
Ja, du bist keusch, du bist verschämt und spröd und züchtig.
Allein man merkt ja doch warum, der Grund ist tüchtig.
Sorgfältig hält ja manche manches bloß versteckt,
Weil man die Fehler sähe, würd es aufgedeckt.
Wer weiß, das vielgerühmte Rätsel deines Leibes
Ist das Geheimnis eines schiefgewachsnen Weibes.
Und all dein königlicher Staat vielleicht entrückt
Uns einen Bresten, den er nur verhehlt, nicht schmückt.
Zwar weich ich dir, der Königlichen, Hehren, Keuschen,
Doch den Gemahl beklag ich, den du wirst enttäuschen.»
So gab den Schimpf die Antwort Aphroditens wieder.
Ruhselig aber schloß die Königin die Lider,
Tat einen kleinen Achselzuck, und offenbar
Erschienen Hals und Schultern plötzlich bloß und klar,
Leuchtend, gleich einem Rundgebirg von Marmelstein,
Doch matt wie Perlenglanz und Alabasterschein.
Und siehe, wo ein ander Weib die Kette ziert,
Dort, wo der Hals sich in den Busen sanft verliert,
Ward hier ein selig Schöpfungswunderwerk geschaut,
Von Genesis vergönnt der einzigen Götterbraut:
Denn ihren Nacken, ihres Busens Schild umwand
In weitem Schwung ein dreifach Sternenkronenband,
Weiß wie der Gletscherneuschnee, frisch vom Frost gefirnt.
Doch nicht von totem Silber, nicht aus Samt gezwirnt:
Das Wunderwerk entwuchs dem dichtenden Geblüte,
Wie aus dem Blumenkelche träumt der Duft der Blüte.
Anbetend stand das Volk in stummer Andacht da,
Als es die wundersame Offenbarung sah.
Dann plötzlich rast ein lautes Beifallssturmgebraus
Von allen Bänken siegreich in die Welt hinaus:
«Du bist von besserm Stoff als andre Körper sind!
Du bist der Schöpfung Endzweck, der Vollendung Kind!
Befiehl und herrsche! Knechtschaft mußt du uns erlauben.
Sei hässig oder mild, wir beten an, wir glauben.»
Vernichtet war die Gegnerin, geflüchtet schon,
Und huldreich lächelnd stieg die Königin zu Thron.
Doch eigensinnig immerfort zu ihren Ehren
Tobte der Beifallärm, als wollt er ewig währen.
Als endlich das Entzücken sich genug getan,
Erhob vom Stuhl sich Archelaos der Prytan:
«Verkünd uns, Hermeneus», begann er, «nunmehr denn
Die heutige Satzung; dieses Tages Wettspiel nenn.»
«Heut, als am dritten Tage, soll der Streit entbrennen»,
Verkündete der Hermeneus, «im Wagenrennen.
Wem also, frag ich, oder welchen von den Helden
Beliebt das Wagnis, sich zu diesem Streit zu melden?»
Flugs eilte hin und her der Weibel bunte Schar.
Der Namen Antwort brachten sie ihm treulich dar.
Dann rief er: «Zwischen zweien wird der Sieg entscheiden:
Poseidon und Apoll. Heran zum Kampf, ihr beiden!»
So rief der Hermeneus. Doch als Apoll erschien,
Warf Heras Zunge diesen Molch ihm hämisch hin:
«Mußt du, Apoll, dich denn in jedes Kampfspiel mengen?
Dich stets beleuchten? Immerdar nach vorne drängen?
Den Dünkel sieht man selten mit Verdienst gepaart.
Ein einziges recht zu schaffen ist der Meister Art.»
«Erlauchte Königin, du bist ein Kind von Jahren»,
Entgegnete geschwind Themiurg, «drum unerfahren.
Du wüßtest der Geschichte Lehrspruch andern Falles:
Die vielen können nichts, der einzige kann alles.
Doch fern von uns, was andre schaffen oder schüfen:
Apoll beweise, was er kann; wir wollens prüfen.»
Inzwischen trat Poseidon in des Feldes Mitte,
Und einer sprach zum andern: «Das sind Löwenschritte.»
Vom Leuen lieh er auch das lockige Herrscherhaupt!
Und jeder sprach: «Wer hat der Krone den beraubt?»
Und sieh, ein holdes Lächeln, ihrer Gunst zum Zeichen,
Mochte die Königin Poseidon gnädig reichen,
So daß Rhodope staunend frug und froh erregt:
«Ist dies der Freier, Herrin, dem dein Herze schlägt?»
«Pfui!» rief die Fürstin ärgerlich und unmutvoll,
«Doch eine Tugend hat er: er ist nicht Apoll.»
Und als nun hübsch geführt und ebenrecht gereiht
Die Wagen standen vor dem Herold sprungbereit
Und jeder Kämpe stieg in jenes Viergespann,
Das ihm der Würfel unbestechlich Los gewann,
Poseidons Fäuste sich bemächtigend der Rappen,
Apoll die Füchse ziehend aus der Hand der Knappen:
«Ein Fährnis, edle Helden, ist das heutige Spiel»,
Warnte der Hermeneus. «Vernehmt des Rennens Ziel:
Seht ihr dort hinten ferne, wo die Hügelbrücke
Sich teilt, drei Wölklein steigen aus des Passes Lücke?
Dort ist der Übergang; ihr merkts am heitern Schein.
Hinter dem Passe gehts durch einen hohlen Stein.
Jenseits des Steines springt ein scheußlich Felsengrab
Auf zweien Straßen nach dem Erdenland hinab.
Zwar kurz, doch jäh und grausig fällt die alte Straße,
Die neue läuft in weitem Bogenschwung mit Maße.
Die erste jagt euch an Hephaistos' Mechanei
Im Engtal einer schauerlichen Reuß vorbei.
Die zweite aber schlängelt oberhalb der Felsen
Links zwischen des Gebirges Häuptern sich und Hälsen.
Nun möge jeder seine Lieblingsstraße wählen.
Sie führen beid ans Ziel, ihr könnt es nicht verfehlen.
Dies ist das Ziel: die Mauer, wo die Erde grenzt.
Ein Fichtenbaum hängt über, buschig und geschwänzt.
Von jenem Fichtenbaume bringt ein kleines Reis,
Denn solches gilt euch vor den Richtern als Beweis.
Jetzt, liebe Freunde, kaum daß ich den Finger hebe,
Stehts jedem frei, daß er dem Ziel entgegenstrebe.»
Kaum aber daß der Hermeneus den Finger hob,
Als flugs das doppelte Gespann durchs Blachfeld stob,
Immer den Weiden folgend, wo ein Murmelbach,
Verborgen im Gebüsche, Selbstgespräche sprach.
Grüßend begann der Bach: «Ihr mutigen Gesellen,
Verzeiht, ich würde gern mit euch im Wettstreit schnellen,
Doch leider ist verschieden unser beider Lauf:
Ich muß hinab, ihr aber strebt zum Paß hinauf,
Und sieh, je fleißiger ich spute und mich eile,
Des weiter öffnet sich die Schere beider Teile.»
Da rief ein Segelwölklein zu der Sonne: «Tritt
Nur dreist auf meinen Rücken, denn ich renne mit.»
Und als sie ihm behutsam auf den Rücken trat,
Schrieb um das Wölklein sie ein golden Kronenrad.
Apoll vernahms, und zwitschernd aus dem Herzen schlüpfte
Ihm, husch, ein lustig Schwälblein, das gen Himmel hüpfte,
Und hing sich an des Wölkleins goldne Räderspeichen.
«Die Krone», blinzt es, «deut ich als mein Siegeszeichen.»
Doch schade, sieh: bereits ihm gegenüber hing
Poseidons Schwälblein, das dieselben Mücken fing.
Es konnte keins für sich das Phänomen erbeuten,
Der Sinn der goldnen Krone ließ sich doppelt deuten.
Doch als nun mehr und mehr der Festplatz rückwärts schwand,
Nach unten fallend, und am Passeshügelrand
Sich freier ebnete des Horizontes Weite
Und Klarheit stieg herab und Licht erschien zur Seite
Und auf die Tafelhöhe kamen jetzt die beiden,
Wo sich der Berg vergleicht und wo die Wasser scheiden:
«Poseidon, lieber Bruder, sprich», begann Apoll,
«Wie meinst du, daß die Eiferfahrt geschehen soll?
Nach Weiberbrauch mit Haß und Hinterlist und Trug?
Oder nach Mannesart in Redlichkeit und Fug?
Selbst tatenmutig und des Nächstenwertes froh,
Sag an, Poseidon, sprich, scheint dirs nicht schöner so?»
Poseidon wandt ihm freundlich zu die Löwenmähne:
«Was du begehrst, o Bruder, ist, was ich ersehne.
Denn Beßres weiß ich nicht im weiten Weltenrund
Als einen offnen Spruch aus einem wahren Mund
Und eines Freundes Blick aus lauterm Herzensgrund.
Leer wäre ja der Weltraum, kalt der Sonne Glut,
Gab es nicht Mannesfreundschaft, fest und warm und gut.
Drum wollen wir, jawohl, uns das Gesetz verschreiben:
Wer auch der Sieger sei, wir wollen Brüder bleiben.
Nicht wahr, ich sage das, begreifst du, wohlverstanden,
Für allemal, der Wahrheit überhaupt zu Handen.
Denn deiner Einsicht zollt ich nicht die schuldge Ehre,
Dächt ich, du könntest zweifeln, wer der Sieger wäre.
Es kann nicht einem einzigen immer alles batten,
Heut reitest du, Apoll, in eines Größren Schatten.»
«Hab Dank zum Gruß», versetzt Apoll, «für deine Worte!
Doch mein Begriff ist lahm am Fuß und schmal die Pforte
Zu meiner Einsicht. Drum versteh ich annoch nicht:
Von wannen ziehst du solche Siegeszuversicht?»
Poseidon lächelte: «Das spürt man in der Brust.
Wie mal ich dirs? Man fühlts, man weiß es unbewußt.«
Es ist, als ob die Welt posaunte vor mir her:
Wenn ich erscheine, schnadra, gilt kein andrer mehr!
Kurz, man besitzts, man hats, man spürts im Handgelenk,
Zwar deines Wertes, Bruder, bin ich tief gedenk.
Ich weiß dich edel, seh dich schön, gescheit und gut,
Es fehlt dir nichts als etwas Feuersturm im Blut.
's ist alles mehr – wie drück ichs aus? – im Glatten nur,
Es mangelt die dämonische Gigantenspur,
Der löwenzornige Tritt, der Donnerwettergeist,
Der Höll und Himmel grimmig aus den Angeln reißt,
Kurzum der Griff, die Pranke, die Persönlichkeit.»
Apoll fiel ein: «Du meinst die Poseidönlichkeit.
Doch zähm ein wenig deine löwischen Gebärden
Und acht auf deinen Weg und sieh nach deinen Pferden.»
Denn sieh, schon war die Reise jenseits angekommen,
Bergab, und rätselhaftes Tosen ward vernommen.
Und scheltend lief vorbei die unzufriedne Reuß,
Von der weissagte der wahrhaftge Hermeneus.
«Halt!» schrie ein Fels und sperrte grob den Weg. Wo ein?
Da fügten sie sich kleinlaut in den hohlen Stein.
Ein Weilchen Nacht, ein donnernd Haus im Wasserbraus.
Jetzt Licht. Guttag! Da stutzten sie: Wohin? Woaus?
Ein Höllenlabyrinth, ein himmelhoher Schnitt,
Wo Fluh auf Fluh kopfüber in den Abgrund ritt.
Und Finsternis und Wasserspuk und Sonne drehte
Einen gespenstgen Schleierwalzer. Da erspähte
Der festre Blick die Kreuzung, wo versprochnermaßen
Der Weg sich spaltete in zwei getrennte Straßen.
Und hochaufloderte der Kämpen Eifermut:
«Jetzt auf! Jetzt weise sich, wer tüchtig ist und gut!»
Ein treuer Augenschwur, eins zwei, ein letzter Blick
Aus kühnen Wimpern, und – hurra! – jetzt hilf, Geschick!
Der obern, längern Straße war Apoll gewogen,
Der neuen. Gerne folgten den geschwungnen Bogen
Die mutigen Füchse, an der Flachbahn sich erlustend
Und mit gesenktem Maul den Duft der Alpen prustend.
Sie möchten gern noch schleuniger den Lauf beflügeln,
Allein der Meister hielt zurück mit kurzen Zügeln.
Poseidons Löwenungestüm indessen jug
Gradaus, die Schlucht hinab; im Laufe nicht: im Flug.
Vom Wellensturz der Reuß umdonnert und umzischt,
Vom Wassertanz umweht, umstäubt von milchigem Gischt.
Das war kein Fahren, weder Zaum noch Zügel galt.
Verstoßen von des Abgrunds schleudernder Gewalt,
Rannten in sinnverlaßner Flucht die wilden Speichen,
Und des Gespannes einzger Dienst bestand im Weichen.
Doch ob der Wind umwetterte des Führers Haupt,
Des triftigen Herrscherblickes ward er nicht beraubt;
Um alle Felsenschroffen, alle Riff und Ränke
Warf er das schräge Fahrzeug sicher und gelenke,
Und auf des schlimmsten Steges schwindelhohe Brücke
Schoß er die krummen Rappen mit genauem Glücke.
Steinboten sprengten warnend ihm voraus: «Entfleuch!
Hallo! macht Platz! Poseidon reitet, rettet euch!»
Der Schlagwind warf sich brüllend ihm entgegen: «Halt!»
Poseidon überjauchzt ihn und durchschnitt ihn halt.
Die Rufen zitterten und zuckten das Genäck,
Und Schuttlawinen schüttelte zu Tal der Schreck.
Und wie nun an Hephaistos' kluger Mechanei
Die sechzehnfüßige Tobsucht rasselte vorbei,
Gebrach den Schmieden die erhobne Hämmerkraft,
Und geistlos klafften Aug und Mund, verblüfft, vergafft.
Und also lustig fort. Doch unten im Verschluß
Des Tales, wo, allseits gezwungen, sich der Fluß
Aufschäumend durch ein Tor der Erdenmauer drängt,
Brach von der Fichte, die von jenseits überhängt,
Poseidon nicht ein Zweiglein: einen buschigen Schwanz.
Schwang fuchtelnd ihn ums Haupt, und rückwärts ging der Tanz.
Da weigerten die Rappen, sei es vom Geschrei
Des tollen Meisters, sei es von der Mechanei
Erschreckt, wo dumpfen Donners die Maschinen stampften
Und Wirbelsäulen schnaufend aus den Schloten dampften,
Plötzlich den Dienst. Und wie nun der gewaltige Herr
Mit Wutgebrüll, mit Peitschen und mit Faustgezerr
Sie peinlich nötigte und von der Stelle zwang:
«Wohlan denn», knirschten sie, «ein Sprung ist auch ein Gang.»
Und seitwärts rissen sie den Wagen in die Wellen,
Platschend und watend in den wilden Wasserschnellen.
«Ei daß doch», schrie Poseidon, «euch der Haifisch hätte!»
Da rissen sie den Wagen wieder aus dem Bette.
Und greulich längs den Uferwüsten im Gerolle
Rückte die Reise aufwärts durch die Wasserhölle.
Kein brauner Pfad, kein rauher Grund, worauf sie fußten;
Nur Schlipferstein, vom Schaum verglitscht; allein sie mußten.
Doch auf dem bergumkränzten Feld Agon indes
Begann und sprach zum Herold Telopsiades
Themiurg: «Setz dich ins Luftschiff, steig empor in Eile,
Daß dein Bericht die Neugier der Olympier heile:
Wer von Poseidon und Apoll, den Kämpen zwei,
Bisan mit seinem Viergespann der vordre sei.»
Der Herold stieg ins Schiff und flog geschwind empor:
«Poseidon», rief er, «ist Apoll des weiten vor.
Allein im Abschuß, unten in Hephaistos' Hölle
Klettert sein Wagen greulich stolpernd durchs Gerölle.
Verkehrt: die Räder springen und die Rosse gleiten,
Und Schwierigkeiten tauschen mit Unmöglichkeiten.
Die Naben stehen schief, die Achse scheint zertrümmert.
Drum für Poseidon, Freunde, bin ich fast bekümmert.
Apoll, dem Spätern, scheint der Siegespreis zu locken.»
«Geh hurtig», flüsterte die Königin erschrocken
Ins Ohr Rhodopens, «geh und dieses Spieglein nimm!
Und sputig durch die Weiden nach dem Passe klimm!
Jenseits beim Straßenkreuze hinterm hohlen Stein
Such dir am Weg ein Plätzlein aus im Sonnenschein.
Setz dich und kämm dich vor dem Spieglein singend dort,
Verstohlen aber blinzle seitwärts immerfort.
Und wenn dein Aug Apoll entdeckt, hüpf auf und spring
Und jauchze: ‹Heil dem Sieger!› und das Spieglein schwing,
So daß du, während du dem Helden Willkomm spendest,
Den Blick der Pferde schmerzlich mit dem Spieglein blendest,
Damit sie, überrascht von Schrecken, rückwärts reißen,
Den Wagen stürzen und im Bachgrund ihn zerschmeißen.
So wird Apoll erliegen ohne unsre Schuld.
Ich aber lohn es dir mit meiner ewgen Huld.»
Und als Rhodope nun das Spieglein angenommen
Und durch die Weiden nach dem Passe war geklommen,
Erwählte sie ein Plätzlein hinterm hohlen Stein
Am Höllenuferrand im grellen Sonnenschein
Und kämmte singend vor dem Spieglein, wie befohlen,
Das seidne Haar und blinzte nach dem Weg verstohlen.
Und siehe da: Apoll, die Stirn vom Sieg geprägt,
Im muntern Viergespann, vom Schnellauf froh erregt.
Flugs sprang sie ihm entgegen, tanzte, hüpft und sang:
«Heil dir und Glück dem Sieger!» und das Spieglein schwang
Die Augen schmerzlich blendend den erschrocknen Rossen,
Die drückten furchtsam sich zur Seite, unentschlossen.
Und es bedachten sich und zweifelten die Füchse:
«Wenn mir von jemand Aufschluß nur zum Trost erwüchse,
In welches Tierreich zählt der Blendling, den wir schauen?
Was meinst du, Bruder, soll mans wagen? kann man trauen?»
«Still!» meint ein andrer, «laß den Meister uns befragen,
Er meints ja ehrlich und verstehts. Er wirds uns sagen.»
Dem Rate folgend, wandten sie sich ängstlich um:
«Sag redlich, Meister, ists geheuer dort herum?»
Apoll erklärte: «Liebe Freunde, wahr und ehrlich:
Ein Mägdlein ists, zwar falsch, doch Pferden ungefährlich.
Mit einem dummen Spieglein übt sie das Gefecht.
Doch haltet still und prüft es und beseht euchs recht.»
Vorsichtig aus dem Wagen steigend, führt er dann
Vorüber an Rhodopen langsam das Gespann.
Zwölf Schritte jenseits stieg er sachte wieder ein,
Dann, sicher angekommen unterm hohlen Stein,
Kehrt er sich um und rief Rhodopen blinzelnd zu:
«Ei du scheinheilig gleisnerisches Schlänglein du!
Mit einem Spieglein wolltest du Apoll verderben?
Umsonst! Die Krone will ich dennoch wohl erwerben.»
Beschämt, mit heißer Stirn und purpurroten Wangen,
Warf sie das Spieglein in die Schlucht, und unbefangen
Die Arme von sich spreizend, zu Apoll gewandt:
«Ich habe ja, ich hab kein Spieglein in der Hand!»
Dann auf den Boden sank die schöne Lügnerin,
Bedeckt ihr Angesicht und weinte vor sich hin.
Das Spieglein aber während seines Falles fing
Sich im Gesträuch der Schlucht, daran es baumelnd hing.
Zum Talwind sagte jetzt der Bergwind: «Siehst du nicht
Das Spieglein dort im Busche mit dem lustigen Licht?
Es ist, als hielt es tausend Funkelsternlein feil.
Komm, laß uns mit ihm spielen, ich und du zum Teil.»
Und kaum gesprochen, gab dem Spieglein er von links
Ein Schüpflein, dann ein zweites, drittes neuerdings.
Der Talwind aber trieb mit lässigem Händedruck
Das Scheiblein ihm zurück. Und also Zuck auf Zuck.
Da tauchten in die Milch der Brandung Feuerbäder,
Und längs den Flühen jagten Riesensonnenräder.
Und öfters wars, nachdem das Blendeglas sich drehte,
Als ob von Silber eine Sichel Blitze mähte.
Der Bachwind aber meinte: «Ei, ich seh nicht ein:
Was jene dürfen, sollt es mir verboten sein?»
Von unten stupfend, stieß das Gläslein er empor:
Da lodert eine Flammensäule steil hervor.
Indes erstürmten, kletternd aus des Abgrunds Dunkel,
Den Stutz die Rappen. «Halt! Was will dort das Gefunkel?»
Gesträußt die Ohren, reckten sie die Mäuler, schnoben
Und glotzten steifgebannt. Umsonst Poseidons Toben.
Kalt rieselte der Schweiß von ihren hastigen Flanken,
Und pfadlos rasten die verzweifelten Gedanken.
«Es flammt – und ist kein Stein – und hat doch Augen! Hu!
So ists ein Wolf! – Siehst du die Flügel? Ai! Lauf zu!»
Ein Schwung. Rechtsumgekehrt und köpflings in die Schlucht
Hetzt, über Felsen schmetternd, die bestürzte Flucht.
Die Deichsel spliß, die Räder schwirrten ab. Ein Schlitten,
Hopste der Wagen. Krach! und er zerbarst inmitten.
Weitab den Führer schleudert in den Bach der Prall,
Und über seinen Körper schoß der Wasserschwall.
Die führerlosen Rappen aber treiben strenge
Talwärts, schluchtab. Doch unten im Verschluß der Enge,
Am Reußtor, wo kein Ausweg durch die Mauer sprießt,
Rennt auf ein Gitter Melanipp und wird gespießt.
Melampus reißt sich los, jagt längs der Mauer, setzt
Mit einem Riesensprung hinüber – such ihn jetzt!
Anthrax und Korax aber halten kräftig krumm,
Werfen das Rist zurück und kehren glücklich um:
Blitzschnell hinan die alte Straße, hoch den Kopf,
Verfolgt vom Rasseln und vom klappernden Geklopf
Der nachgeschleppten Wagenstücke, die beständig
Ihnen die Schenkel dreschen, boshaft und lebendig.
Sie mögen noch so wilde Hufeshaspeln schlagen,
Sie können doch dem eignen Fahrzeug nicht entjagen.
«Er ists, er kommt! Schon spür ich ihn! Jetzt hat er mich!
Willst du wohl sputen, Schnecke? Dopple! strecke dich!»
Sie greifen in die Luft, sie schwimmen auf den Bäuchen,
Und weithin hörbar pustet ihr verzweifelt Keuchen.
Rhodope! Liebling! Aller Mägdlein Zierde du!
Was weilst du noch und säumst und rastest ohne Ruh,
Verhärmt, von Gram verzehrt und reuetränentrunken,
Am Wegesrande, weltenblind und traumversunken?
O wärst du doch dem Herrlichen, den du betrogen,
Hurtig auf Bettelfüßen trippelnd nachgezogen,
Mit deinen treuen Augen ihm ins Antlitz sehend,
Ein Lächeln suchend, einen gnädigen Blick erflehend!
Verzeihung hättest du mit einem Wort erreicht,
Und deinem schweren Herzen wäre wohl und leicht.
Halt ein! Was tust du? Weh! Rhodope! Nein! Halt ein!
Erspring den nächsten Bergsims! Flieh nicht durch den Stein!
Hörst du? Der Gang ist schmal! Die Flucht der feinen Sohlen
Werden die fürchterlichen Hufe überholen!
Spring lieber in den Wildbach, wenn dus noch erlangst!
Zu spät. Auf Mörderfüßen stampft heran die Angst.
Erreicht und überritten. Ungern stürzt sie, greift
Nach einem Halt, erhascht den Zaum – und wird geschleift.
Kein Schrei entfährt ihr, der erschrockne Atem wehrts.
Gelähmt vor Überraschung, schweigt sogar der Schmerz.
In Glück und Bosheit auf dem Thron inzwischen saß
Und des Triumphes saftigen Vorschmack lüstern aß
Hera. Und um Apoll ergiebiger zu schaden
Und alle schwarzen Vögel auf sein Haupt zu laden,
Kniff sie die beiden Daumen unverwandt nach innen
Und spuckte heimlich aus. Versuchs jetzt, zu entrinnen!
Da horch! Trompetenstoß! Und großen Bogens schwenkte
Apoll den ruhigen Vierspann auf den Kampfplatz, lenkte
Den Wagen vor den Hermeneus, und zum Beweis
Des Zieles überreicht er ihm das Fichtenreis.
Das war ein Faustschlag, der ihr grob ins Antlitz schlug.
Aufschreiend schnellte sie vom Throne: «Halt! Betrug!
Gesteh, Verruchter, sprich, was hast du unternommen,
Daß wunderbar du deinem Schicksal bist entkommen
Und von Anankes finstrem Urteilsspruch genasest?»
«Gebiete deiner Zunge, Königin, du rasest!»
Braust auf Themiurg. «Was Treue oder was Betrug,
Entscheiden wir. Der Richter Stimme sagt genug.»
Es riefs Themiurg. Die Fürstin überhörte dies,
Fuhr fort und schrie, indem sie nach dem Gegner wies:
«Steh Rede! Aufschluß heisch ich! Gib mir Rechenschaft:
Was hast du mit Rhodopen, sprich, Apoll, geschafft?
Hast du sie mir entwendet oder mir verführt?
Die Freundin fordr ich und das Licht, das mir gebührt.»
Da schrillte durch die Luft ein jäher Warnungsschrei.
Gezeter flog daher. Die Menge stob entzwei.
Ein Schnauben, Keuchen, Strampeln wie von tollen Rossen.
Und Korax kommt mit Anthrax jetzt ins Feld geschossen.
Da hast du, stolze Fürstin, von der Freundin Kunde!
Rhodopen mit sich schleifend, jagen sie die Runde.
Dann rückwärts nach der königlichen Schauburg sticht
Die Hetze, trifft die Schranken, dran ihr Ansturm bricht.
Ein Knäuel überwälzt sich. Von der Wucht des Pralls
Geknickt, röcheln die Rappen mit gebrochnem Hals.
Wer sahs? Wie kam sie her? Schon fällt die Königin
Wehklagend über ihrer Freundin Leichnam hin,
Ob sie vielleicht den bleichen Tod von dannen schrecke,
Mit ihren Küssen den geliebten Atem wecke.
«Wach auf, Rhodope, öffne deine treuen Augen!
Laß mich dein Lächeln trinken, Trost und Heilung saugen
Aus deinem Odem! Gönn mir eines Hauches Huld!
Ach Jammer! Reuig spür ich deines Todes Schuld.
Weh mir, der Mörderin! Wer kann mir Sühne leihen?
Stirb nicht! noch nicht! Erst muß dein Segen mir verzeihen.»
Ein Wimperschlag, ein Lippenzuck: ein mildes Licht
Verklärte das bestäubte Marterangesicht.
Und mit den blutigen Armen schwächlich nach den Wangen
Der Herrin tastend, lispelte sie todumfangen:
«Hera, Geliebte, Freundin und Gebieterin,
Wehklage nicht! Ich zahle, was ich schuldig bin!
Es schmerzt ja nicht, o nein, es heilt, für dich zu bluten.
Nimm meinen Segen und gedenke mein im guten.»
Dann ward sie stumm. Der Amazonen Trauerzug
Erschien, der die und diese still von dannen trug.
Jetzt aber seine Stimme ernst und feierlich
Entnahm der Hermeneus und hob vom Stuhle sich:
«Als Sieger», rief er, «dieses Tags im Wagenrennen
Trug mir der Richter Wahlspruch auf, Apoll zu nennen.
Doch weil Anankes nachtgeborner Todesschauer
Das Antlitz der Gebieterin verhängt mit Trauer,
Geziemt uns nicht, dem frohen Feste heut zu leben.
Zieht heim! Ein jeder mög andächtig sich entheben.»
Da brachen auf die Völker und entfernten sich.
Der weint und jener murrte, der nach Hause schlich.
Im Bachbett aber lag, betäubt, das Aug geschlossen,
Poseidon, von des Sturzbads Wogen übergossen,
Die tosend ihm umbrausten das erstaunte Ohr,
Das, fallverwirrt, der Dinge Deutlichkeit verlor.
Ein Trugbild gaukelt ihm der Wasserdonner vor:
Gesang am Hochzeitsfest erachtet er zu hören,
In Heras keusches Lager meint er zu gehören.
Und mächtig schlenkert er die starken Bein und Arme,
Ob er die spröde Braut erhasche, sie umarme.
Steinblöcke packt er, die er hitzig an sich riß
Mit Räuberküssen, die er in den Felsen biß.
Und wie nun grölend der Zyklopen plumpe Scharen
Zur Stelle polterten, ihn hilfreich aufzubahren,
Wähnt er von wilden Feinden boshaft sich umstellt,
Und gleich dem Löwen wehrte sich der tapfre Held.
Man mußt ihn überrumpeln und mit Stricken schnüren,
Um ihn dem unwirtsamen Kessel zu entführen.
Und als sie in der Mechanei ihn arzeniert,
Mit Butter eingesalbt, mit Kneten ihn hantiert
Und ihm die vielen Beulen, Schrammen, Schelferwunden
Mit Pflastern und mit Wickeln säuberlich verbunden,
Ward er gepflanzt auf einen ältlichen Zentauren,
Der trug ihn langsam heim mit Sorgfalt und Bedauren
Und lud ihn schonend nieder vor Apollons Zelt.
«Die Hand her, Bruder!» grüßte der verbundne Held,
«Schlag ein! Laß dich umarmen! Ehrlich ists gemeint!
Als treuer Freund verbleib ich herzlich dir vereint.
Du hast den Sieg – ein wenig zwar aus Zufall nur –,
Den Glanz, den Ruhm. Mir aber bleibt die Eigenspur,
Das Ich, der Wildlingswuchs der Ungewöhnlichkeit» –
Apoll fiel ein: «Hab Dank für die Versöhnlichkeit.
Du redest Gold; der Glanz des fremden Ruhms ist Nickel.
Doch wachs jetzt nicht so wildlings, denk an deine Wickel!» |