Baruch de Spinoza
Ethik
Baruch de Spinoza

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Definitionen der Affekte

1. Die Begierde ist das Wesen des Menschen selbst, insofern es begriffen wird als von irgendeiner gegebenen Affektion desselben dazu bestimmt, etwas zu tun. Erläuterung. Wir haben oben in der Anmerkung zu Lehrsatz 9 dieses Teils gesagt, Begierde sei Verlangen mit dem Bewußtsein desselben, das Verlangen aber sei das Wesen des Menschen selbst, insofern es bestimmt ist, das zu tun, was zu seiner Erhaltung dient. In derselben Anmerkung habe ich aber auch erinnert, daß ich in der Tat zwischen menschlichem Verlangen und der Begierde keinen Unterschied anerkenne. Denn mag der Mensch sich seines Verlangens bewußt sein oder nicht, so bleibt doch das Verlangen ein und dasselbe. Um also keine Tautologie zu machen, habe ich Begierde nicht durch Verlangen erklären wollen, sondern sie so zu erklären gesucht, daß ich alle Bestrebungen der menschlichen Natur, die wir mit den Benennungen: Verlangen, Wille, Begierde oder heftiges Verlangen bezeichnen, in eins zusammenfaßte. Denn ich konnte sagen, Begierde sei das Wesen des Menschen selbst, insofern es begriffen wird, als bestimmt, etwas zu tun; aber aus dieser Definition würde (nach Lehrsatz 23, T. 2) nicht folgen, daß der Mensch sich seiner Begierde oder seines Verlangens bewußt sein könnte. Daher war es nötig, um die Ursache dieses Bewußtseins mit einzuschließen (nach demselben Lehrsatz), hinzuzufügen: insofern es begriffen wird als aus irgend einer gegebenen Erregung desselben bestimmt, etwas zu tun. Denn unter der Affektion des menschlichen Wesens verstehen wir jeden Zustand dieses Wesens, mag er angeboren sein oder mag er durch das bloße Attribut des Denkens oder durch das bloße Attribut der Ausdehnung begriffen werden, oder mag er sich endlich auf beide zugleich beziehen. Hier also verstehe ich unter der Benennung Begierde jedes Streben, Wollen, Verlangen und jede heftige Begierde, wie sie nach dem verschiedenen Zustande desselben Menschen verschieden und nicht selten einander so entgegengesetzt sind, daß der Mensch hin- und hergerissen wird und nicht weiß, wohin er sich wenden soll.

2. Lust ist der Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit.

3. Unlust ist der Übergang des Menschen von größerer zu geringerer Vollkommenheit.

Erläuterung. Ich sage Übergang, denn Lust ist nicht die Vollkommenheit selbst; denn wenn der Mensch mit der Vollkommenheit, zu der er übergeht, geboren würde, würde er ohne den Affekt der Lust im Besitz derselben sein; was aus dem Affekt der Unlust, welcher diesem entgegengesetzt ist, noch deutlicher erhellt. Denn daß die Unlust in dem Übergang zur geringeren Vollkommenheit besteht, nicht aber in der geringeren Vollkommenheit selbst, kann niemand leugnen, da ja der Mensch insofern nicht Unlust haben kann, als er irgendeiner Vollkommenheit teilhaftig ist. Auch können wir nicht sagen, daß die Unlust in dem Mangel größerer Vollkommenheit besteht, denn Mangel ist nichts, der Affekt der Unlust aber ist ein Akt, der darum kein anderer sein kann als der Akt des Übergehens zu geringerer Vollkommenheit, d. h. ein Akt, wodurch das Tätigkeitsvermögen des Menschen vermindert oder eingeschränkt wird (siehe Anm. zu Lehrsatz 2 dieses Teils). Im Übrigen übergehe ich die Definitionen von Wohlbehagen, Wollust, Mißmut und Schmerz, weil sie sich hauptsächlich auf den Körper beziehen und nur Arten der Lust oder Unlust sind.

4. Bewunderung ist die Vorstellung eines Gegenstandes, in welcher der Geist deshalb gefesselt bleibt, weil diese besondere Vorstellung keine Verbindung mit den übrigen hat. Siehe Lehrsatz 52 dieses Teils und die Anm. dazu.

Erläuterung. In der Anmerkung zu Lehrsatz 18, Teil 2, haben wir gezeigt, warum der Geist aus der Betrachtung eines Dinges alsbald auf das Denken eines anderen Dinges verfällt, weil nämlich die Vorstellungen dieser Dinge gegenseitig miteinander verkettet und so geordnet sind, daß eine der anderen folgt; dies läßt sich aber nicht denken, wenn die Vorstellung des Dinges neu ist, sondern der Geist wird in der Betrachtung dieses Dinges festgehalten, bis er von anderen Ursachen dazu bestimmt wird, etwas anderes zu denken; daher ist die Vorstellung eines neuen Dinges, an sich betrachtet, von derselben Natur, wie die übrigen Vorstellungen, und ich rechne deshalb die Bewunderung nicht zu den Affekten, sehe auch keinen Grund, dieses zu tun, da ja dieses Abgezogensein des Geistes nicht aus irgendeiner positiven Ursache entspringt, die den Geist von den anderen Dingen abzieht, sondern nur daraus, weil die Ursache fehlt, wodurch der Geist bei der Betrachtung eines Dinges bestimmt wird, an andere Dinge zu denken. Ich erkenne daher nur drei (wie ich in der Anm. Lehrsatz 2 dieses Teils erinnert habe) ursprüngliche oder primäre Affekte an, nämlich: die der Lust, der Unlust und der Begierde, und habe nur deshalb über die Bewunderung gesprochen, weil es gewöhnlich ist, einige Affekte, die aus den drei ursprünglichen abgeleitet werden, mit anderen Benennungen zu bezeichnen, sobald sie sich auf Objekte beziehen, die wir bewundern. Dieser Grund bewegt mich gleichfalls, hier noch eine Definition der Verachtung beizufügen.

5. Verachtung ist die Vorstellung von irgendeinem Dinge, welches den Geist so wenig berührt, daß der Geist selber durch die Gegenwart des Dinges mehr bewegt wird, sich das vorzustellen, was nicht an dem Dinge selbst ist, als was an ihm ist (siehe Anm. zu Lehrsatz 52 dieses Teils).

Die Erläuterungen von Hochachtung und Geringschätzung übergehe ich hier, da meines Wissens keine Affekte ihren Namen von ihnen erhalten.

6. Liebe ist Lust, verbunden mit der Idee einer äußeren Ursache.

Erläuterung. Diese Definition drückt das Wesen der Liebe ganz klar aus; dagegen die anderen der Schriftsteller, welche die Liebe als den Willen des Liebenden, sich mit dem geliebten Gegenstande zu vereinigen, definieren, nicht das Wesen der Liebe, sondern eine Eigenschaft derselben ausdrückt. Weil nun das Wesen der Liebe nicht hinlänglich von den Schriftstellern eingesehen worden ist, konnten sie auch von ihrer Eigenschaft keinen klaren Begriff haben, und daher kam es, daß man allgemein ihre Definition für höchst dunkel hielt. Man bemerke aber, daß, wenn ich sage, es sei eine Eigenschaft des Liebenden, seinem Willen gemäß sich mit dem geliebten Gegenstande zu vereinigen, ich unter Wille nicht eine Beistimmung oder Beratschlagung der Seele oder einen freien Entschluß verstehe (denn daß dieser etwas Fingiertes ist, haben wir Lehrsatz 48, T. 2 bewiesen), noch auch die Begierde, sich mit dem geliebten Gegenstande zu vereinigen, wenn er nicht da ist, noch auch in seiner Gegenwart zu verharren, wenn er da ist, denn es kann Liebe ohne diese oder jene Begierde gedacht werden, sondern vielmehr, daß ich unter Wille die Befriedigung verstehe, welche in dem Liebenden durch die Gegenwart des geliebten Gegenstandes ist, durch welche die Lust des Liebenden verstärkt oder doch wenigstens genährt wird.

7. Haß ist Unlust, verbunden mit der Idee einer äußeren Ursache.

Erläuterung. Was hier zu bemerken ist, ist aus dem in der Erläuterung zur vorigen Definition Gesagten leicht zu ersehen (siehe außerdem die Anm. zu Lehrsatz 13 dieses Teils).

8. Zuneigung ist Lust, verbunden mit der Idee eines Gegenstandes, welcher zufällig Ursache der Lust ist.

9. Abneigung ist Unlust, verbunden mit der Idee eines Gegenstandes, welcher zufällig Ursache der Unlust ist (siehe hierüber Anm. zu Lehrsatz 15 dieses Teils).

10. Verehrung ist Liebe zu dem, welchen wir bewundern.

Erläuterung. Wir haben Lehrsatz 52 dieses Teils gezeigt, daß die Bewunderung durch die Neuheit eines Gegenstandes entsteht. Wenn es also geschieht, daß wir das, was wir bewundern, uns oft vorstellen, werden wir aufhören, es zu bewundern, und wir sehen also, daß der Affekt der Verehrung leicht in einfache Liebe überschlagen kann.

11. Verhöhnung ist Lust, die daraus entspringt, daß wir uns vorstellen, es sei etwas, was wir verachten, in einem Gegenstande, den wir hassen.

Erläuterung. Insofern wir einen Gegenstand, den wir hassen, verachten, insofern sprechen wir ihm Dasein ab (siehe Anm. zu Lehrsatz 52 dieses Teils), und insofern empfinden wir (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) Lust. Da wir aber annehmen, daß der Mensch das, was er verhöhnt, dennoch haßt, so folgt, daß diese Lust keine reine ist (siehe die Anm. zu Lehrsatz 47 dieses Teils).

12. Hoffnung ist unbeständige Lust, die aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges entspringt, über dessen Ausgang wir in gewisser Hinsicht im Zweifel sind.

13. Furcht ist unbeständige Unlust, die aus der Idee eines zukünftigen oder vergangenen Dinges entspringt, über dessen Ausgang wir in gewisser Hinsicht in Zweifel sind (siehe hierüber Anm. 2 zu Lehrsatz 18 dieses Teils).

Erläuterung. Aus diesen Definitionen folgt, daß es keine Hoffnung ohne Furcht und keine Furcht ohne Hoffnung gibt; denn wer in Hoffnung schwebt und über den Ausgang eines Dinges im Zweifel ist, von dem nimmt man an, daß er sich etwas vorstellt, was das Dasein des zukünftigen Dinges ausschließt, und also insofern Unlust empfindet (nach Lehrsatz 19 dieses Teils), und folglich, solange er in Hoffnung schwebt, fürchtet, daß die Sache nicht erfolgen möchte. Wer aber dagegen in Furcht ist, d. h. über den Ausgang eines Dinges, das er haßt, in Zweifel ist, stellt sich auch etwas vor, was das Dasein dieses Dinges ausschließt, und hat also (nach Lehrsatz 20 dieses Teils) Lust, und folglich insofern Hoffnung, daß die Sache nicht erfolgt.

14. Zuversicht ist Lust, die aus der Idee eines künftigen oder vergangenen Dinges entspringt, bei dem die Ursache des Zweifelns gehoben ist.

15. Verzweiflung ist Unlust, die aus der Idee eines künftigen oder vergangenen Dinges entspringt, bei dem die Ursache des Zweifelns gehoben ist.

Erläuterung. Aus Hoffnung entspringt also Zuversicht und aus Furcht Verzweiflung, wenn die Ursache des Zweifelns über den Ausgang eines Dinges gehoben ist. Dies kommt daher, weil der Mensch das vergangene oder zukünftige Ding sich als daseiend vorstellt und als gegenwärtig betrachtet, oder weil er sich etwas anderes vorstellt, was das Dasein der Dinge ausschließt, welche ihm Zweifel erregten. Denn obgleich wir über den Ausgang der Einzeldinge (nach Folgesatz zu Lehrsatz 31, T. 2) nie gewiß sein können, so kann es doch kommen, daß wir über ihren Ausgang keinen Zweifel hegen. Denn wir haben (siehe Anm. zu Lehrsatz 49, T. 2) gezeigt, daß es ein anderes ist, über ein Ding nicht in Zweifel sein, ein anderes, die Gewißheit von einem Dinge haben, und daher kann es kommen, daß wir durch die Vorstellung eines vergangenen oder zukünftigen Dinges mit demselben Affekt der Lust oder Unlust affiziert werden, wie durch die Vorstellung eines gegenwärtigen Dinges, wie wir in Lehrsatz 18 dieses Teils bewiesen haben (siehe diesen nebst der Anm.).

16. Freude ist Lust; verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, das unerwartet eingetroffen ist.

17. Gewissensbiß ist Unlust, verbunden mit der Idee eines vergangenen Dinges, das unerwartet eingetroffen ist.

18. Mitleid ist Unlust, verbunden mit der Idee eines Übels, welches einen anderen betroffen hat, den wir uns als unseresgleichen vorstellen (siehe Anm. zu Lehrsatz 22 und Anm. zu Lehrsatz 27 dieses Teils).

Erläuterung. Zwischen Mitleid und Mitgefühl scheint kein Unterschied zu sein, wenn sich nicht etwa Mitleid auf einen einzelnen Affekt bezieht, Mitgefühl aber auf einen dauernden Zustand.

19. Zugeneigtheit ist Liebe zu jemand, der einem anderen Gutes getan hat.

20. Entrüstung ist Haß gegen jemanden, der einem anderen Böses getan hat.

Erläuterung. Ich weiß, daß diese Wörter nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche etwas anderes bedeuten, meine Absicht ist aber nicht, die Bedeutung der Wörter, sondern die Natur der Dinge auseinanderzusetzen und diese mit solchen Ausdrücken zu bezeichnen, deren Bedeutung, wie sie der Sprachgebrauch gibt, nicht gänzlich von der Bedeutung abweicht, worin ich sie gebrauchen will. Diese Erinnerung gilt ein für allemal. Siehe übrigens über die Ursache dieser Affekte im Folgesatz zu Lehrsatz 27 und der Anm. zu Lehrsatz 22 dieses Teils.

21. Überschätzung ist, aus Liebe von jemanden mehr halten, als recht ist.

22. Geringschätzung ist, aus Haß von jemanden weniger halten, als recht ist.

Erläuterung. Überschätzung ist also eine Wirkung oder Eigenschaft der Liebe, und Geringschätzung eine Wirkung oder Eigenschaft des Hasses. Daher kann die Überschätzung auch definiert werden als Liebe, insofern sie den Menschen so affiziert, daß er von dem geliebten Gegenstande mehr hält, als recht ist, und dagegen Geringschätzung als Haß, insofern er den Menschen so affiziert, daß er von dem, den er haßt, weniger hält, als recht ist. Siehe hierüber die Anm. zu Lehrsatz 24 dieses Teils.

23. Neid ist Haß, sofern er den Menschen so affiziert, daß er über das Glück eines anderen Unlust empfindet, während er über das Unglück eines anderen sich freut.

Erläuterung. Der Gegensatz von Neid ist gewöhnlich Mitgefühl, welches man also gegen die gebräuchliche Bedeutung des Wortes so definieren kann.

24. Mitgefühl ist Liebe, insofern sie den Menschen so affiziert, daß er sich über das Glück eines anderen freut, und daß er andererseits über das Unglück eines anderen Unlust empfindet.

Erläuterung. Man vergleiche übrigens über den Neid die Anm. zu Lehrsatz 24 und die Anm. zu Lehrsatz 32 dieses Teils. Dies also sind die Affekte der Luft und der Unlust, welche mit der Idee eines äußeren Dinges als Ursache notwendig oder zufällig verbunden sind. Ich gehe nunmehr zu den anderen über, welche mit der Idee eines inneren Dinges als Ursache verbunden sind.

25. Selbstzufriedenheit ist Lust, die daraus entspringt, daß der Mensch sich selbst und sein Tätigkeitsvermögen betrachtet.

26. Niedergeschlagenheit ist Unlust, die daraus entspringt, daß der Mensch sein Unvermögen oder seine Schwäche betrachtet.

Erläuterung. Die Selbstzufriedenheit ist der Niedergeschlagenheit entgegengesetzt, insofern wir unter ihr Lust verstehen, die daraus entspringt, daß wir unser Tätigkeitsvermögen betrachten. Insofern wir aber unter ihr auch Lust verstehen, verbunden mit der Idee irgendeiner Tat, die wir nach freiem Entschlusse des Geistes ausgeübt zu haben glauben, ist ihr Gegensatz Reue, die wir so definieren:

27. Reue ist Unlust, verbunden mit der Idee irgendeiner Tat, die wir nach freiem Entschlusse des Geistes ausgeübt zu haben glauben.

Erläuterung. Die Ursachen dieser Affekte haben wir in der Anm. zu Lehrsatz 51 dieses Teils und Lehrsatz 53, 54 und 55 dieses Teils nebst der Anmerkung dazu aufgezeigt, über den freien Entschluß des Geistes siehe aber Anmerkung zu Lehrsatz 35, Teil 2. Hier müssen wir übrigens noch bemerken, daß es nicht zu verwundern ist, wenn überall allen Handlungen, die man gewöhnlich unrechte nennt, Unlust folgt, und denen, die man rechte nennt, Lust. Denn aus dem oben Gesagten erkennen wir leicht, daß dieses größtenteils von der Erziehung abhängt. Die Eltern haben nämlich dadurch, daß sie die ersteren tadelten und die Kinder oft wegen derselben verwiesen, diese dagegen berieten und lobten, bewirkt, daß die Regungen der Unlust mit den ersteren, die der Lust aber sich mit den letzteren verbanden, was auch durch die Erfahrung selbst bewiesen wird. Denn nicht alle haben einerlei Gewohnheit und Religion, sondern vielmehr, was bei dem einen heilig ist, bei anderen unheilig, und was bei dem einen ehrbar, bei dem anderen schimpflich. Je nachdem also jemand erzogen ist, reut ihn eine Tat oder rühmt er sich derselben.

28. Hochmut ist, aus Liebe zu sich von sich mehr halten, als recht ist.

Erläuterung. Der Hochmut unterscheidet sich also dadurch von Überschätzung, daß diese sich auf einen äußeren Gegenstand bezieht, der Hochmut aber auf den Menschen selbst, der von sich mehr hält, als recht ist. Wie übrigens die Überschätzung eine Wirkung oder Eigenschaft der Liebe, so ist der Hochmut eine Wirkung oder Eigenschaft der Eigenliebe; man kann ihn also auch definieren als Liebe zu sich selbst oder Selbstzufriedenheit, insofern sie den Menschen so affiziert, daß er mehr von sich hält, als recht ist (siehe Anm. zu Lehrsatz 26 dieses Teils). Zu diesem Affekt gibt es keinen Gegensatz; denn niemand hält aus Haß gegen sich weniger von sich, als recht ist; ja niemand hält von sich weniger, als recht ist, insofern er sich vorstellt, er könne dies oder jenes nicht; denn wovon sich auch der Mensch vorstellt, daß er es nicht könne, so stellt er sich dies als notwendig vor, und wird durch diese Vorstellung so disponiert, daß er das in der Tat nicht tun kann, wovon er sich vorstellt, daß er es nicht könne. Denn so lange er sich vorstellt, daß er dies oder jenes nicht könne, so lange ist er auch nicht bestimmt, es zu tun, und folglich ist es ihm so lange unmöglich, es zu tun. Wenn wir hingegen auf das achten, was von der bloßen Meinung abhängt, so werden wir uns als möglich denken können, daß ein Mensch weniger von sich hält, als recht ist; denn es ist möglich, daß, wenn ein Trauriger seine Schwäche betrachtet, er sich vorstellt, er werde von allen verachtet, während doch die anderen nichts weniger denken als daran, ihn zu verachten. Außerdem kann ein Mensch weniger als recht ist von sich halten, wenn er in der Gegenwart sich etwas mit Bezug auf die Zukunft abspricht, worüber er ungewiß ist; wie, wenn er glaubt, nichts Gewisses begreifen zu können, und nichts als Schlechtes oder Schimpfliches zu begehren oder zu tun usw. Ferner können wir sagen, daß jemand weniger, als recht ist, von sich hält, wenn wir sehen, daß er aus zu großer Furcht vor Schaden das nicht wagt, was andere seinesgleichen unternehmen. Diesen Affekt also, den ich Kleinmut nennen will, können wir dem Hochmut entgegensetzen; denn wie aus der Zufriedenheit mit sich selbst Hochmut, so entspringt aus der Niedergeschlagenheit Kleinmut, den wir also auf folgende Weise definieren:

29. Kleinmut ist, aus Unlust weniger von sich halten, als recht ist.

Erläuterung. Wir pflegen zwar oft dem Hochmut die Demut entgegenzusetzen; aber dann achten wir mehr auf die Wirkungen als auf die Natur beider. Denn wir pflegen den hochmütig zu nennen, der sich zu sehr rühmt (siehe Anm. zu Lehrsatz 30 dieses Teils), der von sich nur Tugenden und von anderen nur Fehler herzählt, der vor allen den Vorzug haben will, und der mit solcher Gravität und solchem Prunke auftritt, wie diejenigen, die weit über ihm stehen. Dagegen nennen wir den demütig, der öfter errötet, der seine Fehler eingesteht und die Tugenden anderer herzählt, der allen nachgibt, und der endlich mit gesenktem Haupte einhergeht und allen Schmuck verschmäht. Übrigens sind diese Affekte, nämlich Demut und Kleinmut, sehr selten, denn die menschliche Natur, an sich betrachtet, strebt ihnen aus allen Kräften entgegen (siehe Lehrsatz 13 und 54 dieses Teils). Daher sind die, welche für die Demütigsten und Kleinmütigsten gehalten werden, häufig am ehrsüchtigsten und neidischsten. 30. Ruhm ist Lust, verbunden mit der Idee einer Handlung von uns, die wir uns als von anderen belobt vorstellen.

31. Scham ist Unlust, verbunden mit der Idee einer Handlung, die wir uns als von anderen getadelt vorstellen.

Erläuterung. Siehe hierüber Anmerkung zu Lehrsatz 30 dieses Teils. Hier ist noch der Unterschied zwischen Scham und Schüchternheit anzuführen. Scham ist die Unlust, welche der Handlung folgt, deren wir uns schämen, Schüchternheit aber ist die Furcht oder Besorgnis vor der Scham, wodurch der Mensch abgehalten wird, etwas Schimpfliches zu begehen. Der Schüchternheit pflegt man die Unverschämtheit entgegenzusetzen, die eigentlich kein Affekt ist, wie ich seines Ortes zeigen werde; aber (wie ich schon erwähnt habe) die Benennungen der Affekte beziehen sich mehr auf ihren Gebrauch als auf ihre Natur. Hiermit habe ich die Affekte der Lust und Unlust, deren Auseinandersetzung ich mir vorgenommen hatte, abgeschlossen. Ich gehe also zu denen über, die ich zur Begierde rechne.

32. Sehnsucht ist die Begierde oder das Verlangen nach dem Besitze eines Dinges, welche durch das Andenken an das Ding genährt wird und zugleich durch das Andenken an andere Dinge, die das Dasein des begehrten Dinges ausschließen, eingeschränkt wird.

Erläuterung. Wenn wir eines Dinges gedenken, werden wir, wie schon oft erwähnt, eben dadurch disponiert, es aus demselben Affekt zu betrachten, als ob das Ding gegenwärtig wäre. Diese Disposition oder dies Streben wird aber, solange wir wachen, meist von den Vorstellungen der Dinge gezügelt, welche das Dasein dessen, welches wir gedenken, ausschließen. Wenn wir daher an ein Ding denken, welches uns mit einer Art von Lust erfüllt, so bestreben wir uns eben damit, es mit demselben Affekt der Lust als gegenwärtig zu betrachten. Dies Streben wird jedoch alsbald von dem Andenken an die Dinge gezügelt, welche das Dasein jenes Dinges ausschließen. Daher ist Sehnsucht eigentlich Unlust, die jener Lust entgegengesetzt ist, welche aus der Abwesenheit des gehaßten Dinges entspringt (siehe hierüber Anm. zu Lehrsatz 47 dieses Teils). Weil aber die Benennung Sehnsucht sich auf Begierde zu beziehen scheint, so rechne ich diesen Affekt zu den Affekten der Begierde. 33. Wetteifer ist Begierde nach einem Dinge, welcher sich dadurch in uns erzeugt, daß wir uns vorstellen, andere hätten dieselbe Begierde.

Erläuterung. Wer flieht, weil er andere fliehen, oder wer fürchtet, weil er andere fürchten sieht, oder auch, wer deshalb, weil er einen anderen sich die Hand verbrennen sieht, seine Hand zurückzieht und solche Bewegungen macht, als hätte er seine eigene Hand verbrannt, von dem sagen wir wohl, daß er eines anderen Affekt nachahmt, nicht aber, daß er ihm nacheifert; nicht weil wir für die Nacheiferung eine andere Ursache als für die Nachahmung kennen, sondern weil es gewöhnlich ist, nur den nacheifernd zu nennen, der das nachahmt, was wir für anständig, nützlich oder angenehm halten. Man vergleiche auch über die Ursache des Wetteifers Lehrsatz 27 dieses Teils mit der Anmerkung. Warum aber meistenteils mit diesem Affekte Neid verbunden ist, darüber siehe Lehrsatz 32 dieses Teils mit der zugehörigen Anmerkung.

34. Dank oder Dankbarkeit ist die Begierde oder das Trachten der Liebe, wonach wir dem wohlzutun suchen, der uns aus gleichem Liebesaffekte eine Wohltat erwiesen hat (siehe Lehrsatz 39 mit der Anm. zu Lehrsatz 41 dieses Teils).

35. Wohlwollen ist die Begierde, dem wohlzutun, den wir bemitleiden (siehe die Anm. zu Lehrsatz 27 dieses Teils).

36. Zorn ist die Begierde, durch die wir aus Haß angereizt werden, dem Böses zuzufügen, welchen wir hassen (siehe Lehrsatz 39 dieses Teils).

37. Rachsucht ist die Begierde, durch die wir aus gegenseitigem Hasse angereizt werden, dem Übles zuzufügen, der uns aus gleichem Affekt Schaden zugefügt (siehe Folgesatz 2 zu Lehrsatz 40 dieses Teils mit der Anm.).

38. Grausamkeit oder Wut ist die Begierde, wodurch jemand angereizt wird, dem Böses zuzufügen, den wir lieben, oder den wir bemitleiden.

Erläuterung. Man setzt der Grausamkeit die Milde entgegen. Diese ist aber keine Leidenschaft, sondern eine Macht des Geistes, wodurch der Mensch seinen Zorn und seine Rachsucht mäßigt. 39. Angst ist die Begierde, ein gefürchtetes größeres Übel durch ein kleineres zu vermeiden (siehe Anm. zu Lehrsatz 39 dieses Teils).

40. Kühnheit ist die Begierde, wodurch jemand angereizt wird, etwas mit Gefahr zu tun, was seinesgleichen zu übernehmen fürchten.

41. Ängstlichkeit wird dem beigelegt, dessen Begierde durch Furcht vor einer Gefahr eingeschränkt wird, welcher sich andere seinesgleichen mutig unterziehen.

Erläuterung. Ängstlichkeit ist also nichts anderes als Furcht vor einem Übel, das die meisten nicht zu fürchten pflegen. Deshalb rechne ich sie nicht zu den Affekten der Begierde. Doch habe ich sie hier erklären wollen, weil sie, insofern wir die Begierde betrachten, dem Affekt der Kühnheit wirklich entgegengesetzt ist.

42. Bestürzung wird dem beigelegt, dessen Begierde ein Übel zu vermeiden durch die Anstaunung eines gefürchteten Übels gehemmt wird.

Erläuterung. Die Bestürzung ist also eine Art der Ängstlichkeit. Weil sie aber aus einer doppelten Besorgnis entspringt, kann sie näher definiert werden als Furcht, die den verdutzten oder schwankenden Menschen so festhält, daß er das Übel nicht abwenden kann. Ich sage verdutzt, insofern wir erkennen, daß seine Begierde, das Übel abzuwenden, durch die Anstaunung gehemmt wird; schwankend aber sage ich, insofern wir sehen, daß eben diese Begierde durch die Furcht vor einem anderen Übel gehemmt wird, welches ihn ebensosehr quält. Daher kommt es, daß er nicht weiß, welches von beiden er abwehren soll (siehe hierüber Anm. zu Lehrsatz 39 und Anm. zu Lehrsatz 52 dieses Teils), über Ängstlichkeit und Kühnheit aber siehe Anm. zu Lehrsatz 51 dieses Teils.

43. Menschenfreundlichkeit oder Leutseligkeit ist die Begierde, das zu tun, was den Menschen gefällt, und zu unterlassen, was ihnen mißfällt.

44. Ehrgeiz ist unmäßige Begierde nach Ruhm.

Erläuterung. Ehrgeiz ist die Begierde, durch welche alle Affekte genährt und verstärkt werden (nach Lehrsatz 27 und 31 dieses Teils), und dieser Affekt ist also beinahe unbezwinglich; denn solange der Mensch von irgendeiner Begierde gefesselt wird, wird er notwendig zugleich von dieser gefesselt. Auch die vorzüglichsten Menschen, sagt Cicero,In der Rede für Archias II. werden am meisten vom Ruhm geleitet. Sogar die Philosophen setzen ihren Namen den Büchern vor, die sie über die Geringschätzung des Ruhmes schreiben usw.

45. Schwelgerei ist unmäßige Begierde oder auch Liebe zum Schmausen.

46. Völlerei ist die unmäßige Begierde und Liebe zum Trinken.

47. Geiz ist die unmäßige Begierde und Liebe zum Reichtum

48. Wollust ist auch Begierde und Liebe zur fleischlichen Vermischung.

Erläuterung. Man pflegt diese Begierde zum Begatten, mag sie gemäßigt sein oder nicht, Wollust zu nennen. Weiter haben diese fünf Affekte (wie ich in der Anm. zu Lehrsatz 56 dieses Teils erinnert habe) keinen Gegensatz. Denn die Leutseligkeit ist eine Art der Ehrsucht (siehe Anm. zu Lehrsatz 29 dieses Teils); daß seiner Mäßigkeit, Nüchternheit und Keuschheit eine Macht des Geistes, nicht aber eine Leidenschaft anzeigen, ist schon erwähnt. Und wenn es auch möglich ist, daß der Geizige, Ehrsüchtige oder Furchtsame sich des Übermaßes in Speise, Trank und Begattung enthält, so sind dennoch Geiz, Ehrsucht und Furchtsamkeit der Schwelgerei, Trunkenheit oder Wollust nicht entgegengesetzt. Denn der Geizige sehnt sich gewöhnlich danach, sich in anderer Speise und Trank zu übernehmen; der Ehrsüchtige aber wird, wenn er nur hoffen darf, daß es verborgen bleibt, sich in keinem Ding mäßigen, und wenn er unter Trinkern und Wollüstigen lebt, eben deshalb, weil er ehrsüchtig ist, mehr zu diesen Lastern geneigt sein, und der Furchtsame schließlich tut das, was er nicht will. Der Geizige, obgleich er, um den Tod zu vermeiden, seine Schätze in das Meer wirft, bleibt dennoch geizig, und wenn der Wollüstling betrübt ist, weil er seiner Lebensweise nicht frönen kann, hört er deshalb nicht auf, wollüstig zu sein. Überhaupt beziehen sich diese Affekte nicht sowohl auf das wirkliche Schmausen, Zechen usw., als auf das Verlangen und die Liebe selbst dazu. Es kann also diesen Affekten nichts entgegengesetzt werden als Edelsinn und Seelenstärke, worüber im folgenden.

Die Definition der Eifersucht und der übrigen Seelenschwankungen übergehe ich, teils weil alles dieses aus einer Zusammensetzung der schon definierten Affekte entspringt, teils weil die meisten keine Namen haben; dies zeigt, daß es für den Lebensgebrauch hinreicht, sie nur in allgemeinen Zügen zu kennen, übrigens ist aus den Definitionen der Affekte, die wir erläutert haben, klar, daß sie sämtlich aus der Begierde, der Lust oder Unlust entspringen, oder vielmehr, daß es keine außer diesen dreien gibt, deren jeder mit verschiedenen Namen belegt zu werden pflegt, je nach den verschiedenen Beziehungen und äußerlichen Merkmalen. Wenn wir nun auf diese ursprünglichen und auf das, was wir oben von der Natur des Geistes gesagt haben, unser Augenmerk lichten wollen, so können wir diese Affekte, sofern sie sich nur auf den Geist beziehen, folgendermaßen definieren:

Allgemeine Definition der Affekte

Der Affekt, auch Leidenschaft der Seele genannt, ist eine verworrene Idee, durch welche der Geist eine größere oder geringere Daseinskraft seines Körpers, oder eines Teils desselben bejaht als vorher, und durch deren Gegebensein der Geist selbst bestimmt wird, eher dies als etwas anderes zu denken.

Erläuterung. Ich sage zuerst, der Affekt oder die Leidenschaft der Seele ist eine verworrene Idee. Denn wir haben bewiesen (siehe Lehrsatz 3 dieses Teils), daß der Geist nur insofern leidet, als er inadäquate oder verworrene Ideen hat. Dann sage ich, durch welche der Geist eine größere oder geringere Daseinskraft seines Körpers oder eines Teils desselben bejaht als vorher. Denn alle Ideen, welche wir von Körpern haben, bezeichnen mehr den wirklichen Zustand unseres Körpers (nach Folgesatz 2 zu Lehrsatz 16 dieses Teils) als die Natur des äußeren Körpers. Diejenige aber, welche die Form des Affekts ausmacht, muß den Zustand des Körpers oder eines Teiles desselben bezeichnen oder ausdrücken, den der Körper selbst oder ein Teil desselben dadurch hat, daß sein Tätigkeitsvermögen oder seine Daseinskraft vermehrt oder vermindert, erweitert oder eingeschränkt wird. Wenn ich aber sage, größere oder geringere Daseinskraft als vorher, so ist zu beachten, daß ich darunter nicht verstehe, daß der Geist den gegenwärtigen mit dem vergangenen Zustand des Körpers vergleicht, sondern vielmehr, daß die Idee, welche die Form des Affektes ausmacht, etwas von dem Körper bejaht, was wirklich mehr oder weniger Realität in sich schließt als vorher. Und weil das Wesen des Geistes darin besteht (nach Lehrsatz 11 und 13, T. 2), daß er das wirkliche Dasein seines Körpers bejaht, und wir unter Vollkommenheit das eigentliche Wesen des Dinges verstehen, so folgt also, daß der Geist zu größerer oder geringerer Vollkommenheit übergeht, sobald es geschieht, daß er von seinem Körper oder einem Teil desselben etwas bejaht, was mehr oder weniger Realität in sich schließt als vorher. Wenn ich also oben gesagt habe, das Denkvermögen des Geistes werde vermehrt oder vermindert, so konnte ich nichts anderes darunter verstehen, als daß der Geist eine Idee von seinem Körper oder einem Teil desselben gebildet hat, welche mehr oder weniger Realität ausdrückt, als er von seinem Körper bejaht hatte. Denn die Vorzüglichkeit der Ideen und das wirkliche Denkvermögen wird nach der Vorzüglichkeit des Objektes geschätzt. Endlich habe ich hinzugefügt, daß durch deren Gegebensein der Geist selbst dazu bestimmt wird, mehr an dies als etwas anderes zu denken, um außer der Natur der Lust und Unlust, welche der erste Teil der Definition erläutert, auch die Natur der Begierde auszudrücken.


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