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XI.

Es war ein sehr weites und hohes Gemach, in welchem ich kaum eine Einzelheit erkennen konnte, da es, nach Westen gelegen, so ganz von dem rötlichen Widerscheine einer letzten höchsten Abendwolke erfüllt war, daß ich im ersten Momente nicht einmal die Lampen bemerkte, von denen eine auf einem großen Tisch in der Mitte, ein paar andere in den Ecken auf Postamenten brannten. Ich hatte, eintretend, Reisetasche und Mütze auf einen Sessel neben der Thür gelegt, während der Herzog bis zu dem Tisch geschritten war, an welchem er sich jetzt in einem Armstuhl niederließ, mich auffordernd, zu ihm zu kommen und auf einem Sessel vor ihm Platz zu nehmen. Ich gehorchte, vorsichtig über den glatten Marmorfußboden schreitend, der nur da, wo er saß, und an einigen anderen Stellen mit Teppichen belegt war. Mein Fuß war so lange auf Moosboden getreten; und die marmorne Pracht, die mich umgab, sowenig ich auch davon unterscheiden konnte, machte einen schauerlichen Eindruck auf mich, da mir unwillkürlich der weite von Blumenduft erfüllte Raum, in welchem die beiden einzigen Personen zu verschwinden schienen, die niedrige, von Menschen wimmelnde dunstige Waldschenke in Erinnerung brachte.

Und mit ihr das Bild des jungen wüsten Gesellen, der nicht seines Vaters, des Bauern, Sohn sein sollte, sondern eines anderen, dem ich nun gegenübersaß, und in dessen Gesicht ich verstohlen nach der verhängnisvollen Aehnlichkeit spähte.

So fielen denn die Antworten, die ich dem Herzog auf seine mancherlei in der bei ihm gewohnten raschen und kurzen, oft abspringenden Weise gestellten Fragen gab, recht mangelhaft und verworren aus. Ich fühlte das wohl; er aber schien es nicht zu bemerken, obgleich er sonst dergleichen ungebührliche Zerstreutheit sofort und streng rügte. Ich hatte den Eindruck, als ob er selbst mit irgend etwas, das mit seinen Fragen in keinem Zusammenhange stehe, innerlich beschäftigt sei und an meinen Antworten so wenig ein Interesse nehme, als an seinen aufs Geratewohl gestellten Fragen. Oder an der Relation seiner Berliner Erlebnisse, in die er, ich weiß nicht wie, geraten war, und in welcher »der Mann, dessen Namen er nicht zu nennen brauche,« die hergebrachte unliebsame Rolle spielte. Zugleich sagte mir eine Stimme, daß dies Etwas, was ihn innerlich beschäftige, sich auf Adele beziehen müsse; er hatte sie sicher nicht uns allein lassen heißen, damit wir das völlig unfruchtbare Gespräch miteinander führen konnten.

Und ich schien mich nicht getäuscht zu haben. Plötzlich traf ihr Name mein Ohr, nicht: Adele, sondern: Frau von Trümmnau, wie er sie immer mir gegenüber nannte.

Sie erinnern sich, fuhr er fort, was ich Ihnen an dem Abend vor meiner Abreise sagte. Ich weiß, daß Sie einen lebhaften Anteil an der liebenswürdigen Dame nehmen, wie sie selbst – was Sie sich immerhin als ein Kompliment anrechnen dürfen, – sich nicht minder lebhaft für ihren jungen Protegé interessiert. Als ein solcher echauffierten Sie sich, wie billig, neulich abends für Ihre Dame; und ich glaube, ich geriet darüber ebenfalls in einen größeren Eifer, als just nötig war – sich zum wenigsten in der Folge nötig erwiesen hat. Ich will nicht sagen, daß Frau von Trümmnau gestern abend – ich bin bereits seit gestern abend zurück – und selbst noch heute nicht auf ihre Emanzipationsideen zurückgekommen ist. Sogar mit einiger Lebhaftigkeit. Aber meine alte erprobte Erfahrung und Welt-, Menschen- und Herzenskunde haben einmal wieder recht behalten. Sie konnte denn doch nicht in Abrede stellen, daß das Bild des famosen Russen in den Jahren ein wenig stark eingedunkelt ist und verhältnismäßig an seinem Zauber verloren hat. Und nebenbei vermutlich vice versa, obgleich ich ein zu höflicher Mann bin, einer schönen Frau gegenüber auf diese Seite der Medaille auch nur hinzudeuten. Uebrigens bedurfte es dessen nicht, da sich ohnedies die Vorteile ihrer hiesigen Situation für ihre klugen Augen ganz von selbst in das rechte Licht gestellt hatten. Enfin; wir beide: Frau von Trümmnau und ich, haben unsere kleine Differenz à l'aimable ausgeglichen; und ich teile Ihnen das mit, weil ich weiß, daß es Sie freuen wird, und damit Sie dieser Ihrer Freude, wenn die Rede, wie wahrscheinlich, zwischen euch beiden darauf kommt, einen diskreten Ausdruck geben.

Ich war starr. Denn von zwei Dingen konnte nur eines sein: entweder Adele hielt trotzdem an ihrer Liebe fest und hatte also gelogen, als sie dieselbe scheinbar preisgab; oder sie hatte sie wirklich preisgegeben und dann den Mann verraten, an dessen Halse sie vor meinen Augen gehangen. War aber das letztere der Fall – und in meiner verzweifelten Stimmung hielt ich es für wahrscheinlich, um es im nächsten für gewiß zu halten – nun, es gab eine Zeit, wo meine eifersüchtige Liebe darüber aufgejauchzt hätte. Jetzt nicht mehr. Jetzt, wo ich ihr nach so schweren Herzenskämpfen voll und rein entsagt, empfand ich nichts als Empörung über einen so schimpflichen Verrat des Herzens um die dreißig Silberlinge elender weltlicher Vorteile. Mochte sie denn hinfahren auf dem stolzen Glücksschiff mit den seidenen Segeln, das zu verlassen ich im Begriff war, und nun gewiß verlassen wollte!

Es scheint, dieser Ausgang hat Sie überrascht? sagte der Herzog, als ich beharrlich schwieg, mit einem Stirnrunzeln des Erstaunens.

Ja, Hoheit, erwiderte ich entschlossen; er hat mich überrascht, und ich gestehe, auf eine peinliche Weise.

Ich bitte gehorsamst, mir das zu erklären; sagte er, indem sich die Falten auf seiner Stirn vertieften.

Ich fürchte, Hoheit wird von meiner Erklärung wenig befriedigt sein, fuhr ich fort, nun, da die Entscheidung gekommen war, mit jener Festigkeit, an welcher es mir, Gott sei Dank, in solchen Momenten noch nie gefehlt hatte. – Ich halte dafür, daß es das angeborene Recht jedes Menschen ist, sich sein Schicksal nach seinen Ueberzeugungen und nicht zum wenigsten nach den Bedürfnissen seines Herzens zu gestalten. Wer dies Recht aufgibt, macht sich zum Sklaven, schmiedet sich an die Kette, und wäre sie von Gold. Und um so schlimmer, wenn sie von Gold ist, denn dann liegt der Preis gleich bei der Ware; und dem Sklaven bleibt nicht einmal der armselige Trost, sich einbilden zu können, er habe seine Freiheit verschenkt.

Ich hatte sicher geglaubt, vielmehr ich hatte gehofft, der Herzog werde das nicht von seinem Schützling geduldig hinnehmen; ich hatte mich getäuscht. Die Falten von seiner Stirn waren verschwunden, als er jetzt nach einer kleinen Pause ruhig, fast freundlich erwiderte:

Das klingt alles recht schön und gut, und ungefähr habe ich dergleichen schon oft selbst gesagt. Sie vergessen nur in diesem Falle eines: daß in der Wagschale nicht immer gerade Gold zu liegen braucht, oder ein Brennusschwert, oder dergleichen rohe Dinge. Daß es wiederum eine Ueberzeugung und ein Herzensbedürfnis sein kann, wie eben in diesem Falle. Zugegeben, Frau von Trümmnau bringt ein Opfer; aber sie bringt es mir – jemandem, dem sich dankbar zu erweisen, den zu lieben, sie sich verpflichtet fühlt. Dankbarkeit und Liebe sind keine sklavischen Gesinnungen; und man darf sie acceptieren, wie ich es thue, ohne sich damit zu einem Tyrannen zu erniedrigen.

Es war das erste Mal, daß der Herzog seinem Verhältnis zu Adele mir gegenüber einen so unzweideutigen Ausdruck gab, und ich fühlte mich halb entwaffnet. Nur halb: denn auf den heiligen Glanz des Verhältnisses von Vater zu Kind und Kind zu Vater fiel der dunkle Schatten des Wilddiebs oben »vom Walde«; und unten im Thal war ich eben durch die Mühle gekommen, in der eine Dame gewohnt, die für sich selbst auf Liebe und für ihr Kind auf ein Vaterherz Anspruch erhoben hatte und – damit abgewiesen war. Mit der Heiligkeit der Naturbande schien es hier also doch nur mißlich zu stehen. Mich aber fesselte an ihn kein Band, das ich nicht hätte zerreißen dürfen, ohne göttliche und menschliche Gesetze zu verletzen. Was denn zögerte ich?

Für den Moment hatte ich aber schon zu lange gezögert, denn er fuhr, offenbar mein Schweigen für sich deutend, in einem Tone fort, der jetzt fast herzlich klang:

Sehen Sie, Sie wissen nichts vorzubringen; und ich freue mich, offen gestanden, Sie überzeugt zu haben. Schon deshalb, weil ich, nachdem dieser Stein des Anstoßes für Sie beseitigt ist, mit Ihnen selbst glattere Bahn zu haben hoffe. Frau von Trümmnau sagt mir, daß Sie mit Hartnäckigkeit daran festhalten, Ihr Verhältnis zu mir als ein passagères zu betrachten – als einen Besuch gewissermaßen, den Sie mir auf meine Einladung machen, und der, wie jeder Besuch, einmal sein Ende finden wird. Ich wünsche, daß Sie diese Auffassung fallen lassen. Selbstverständlich sind Sie mir gegenüber vollkommen frei und Herr Ihrer Handlungen und Entschlüsse. Daß Sie, wie Sie Frau von Trümmnau gesagt haben, mein Schuldner wären, weil ich Sie aus Ihren alten Verhältnissen gelöst und Ihnen die Mittel gewährt habe, ein halbes Jahr oder so unter Weißfischs Leitung die Schauspielkunst zu studieren, ist mit Ihrer Erlaubnis falsch. Das Gegenteil findet statt: nachdem ich Sie aus Ihren alten Verhältnissen gelöst, habe ich auch die Verpflichtung, weiter für Sie zu sorgen. Es ist ein glücklicher Zufall, wenn ich in der Lage bin, das in einem Umfange zu können, der vielleicht nicht meinen Wünschen entspricht; aber ein glänzendes Los, wollte ich es Ihnen bieten, würde Sie, wie Sie einmal gesinnt, nur abschrecken. Ich biete Ihnen auch keines; ich biete Ihnen überhaupt nichts als die Möglichkeit, sich im Leben, in der Gesellschaft einen Platz zu erringen, der Ihrer Begabung und Ihren Neigungen entspricht. Quaeritur: was ist das für ein Platz? welcher Art könnte er wohl sein? Lassen Sie mich noch ein wenig weiter reden; vielleicht gelange ich ebendahin, wohin Sie wollen, oder helfe Ihnen ein noch dunkles Ziel leichter finden. Die Schauspielerei ist, denke ich, für uns beide abgethan. Das Soldatenhandwerk ist Ihnen durch die Schwäche Ihres rechten Armes unmöglich geworden, und ich weiß kaum, ob ich Sie deshalb bedauern soll. Aus Gründen, die ich Ihnen, der Sie meine politische Gesinnung kennen, nicht auseinanderzusetzen brauche, und welche dieselben sind, die es mir zur Ueberzeugung machen, daß Sie auch im Zivildienst eine wahre Befriedigung nicht finden würden. Heutzutage ist das prahlerische französische l'etat c'est moi für uns zur traurigen Wahrheit geworden; und wem das gegen den Strich geht, der soll doch um Himmelswillen aus dem Staatsdienst bleiben. So steht Ihnen also nur noch die Pforte zur Kunst offen, und glücklicherweise gleich zu der obersten aller, der Dichtkunst, für die Sie, soweit ich die Sache verstehe, eine nicht gewöhnliche Begabung haben. Bilden Sie diese Begabung aus, indem Sie, in Parallele damit, sich selbst ausbilden, ich meine: an Ihrer übrigen Bildung rüstig weiter arbeiten. Das kann auf mancherlei Weise geschehen, und ich habe mir auch bereits ein curriculum Ihrer nächsten Jahre ausgedacht und Frau von Trümmnau mitgeteilt, die ganz damit einverstanden ist. Daß wir, Frau von Trümmnau und ich, dabei auf unsre Kosten zu kommen suchen, c'est à dire: Sie so viel als möglich in unsrer Nähe behalten wollen, werden Sie begreiflich finden. Damit genug für heute. Und jetzt gehen Sie auf Ihr Zimmer! Auf Wiedersehen in einer Stunde beim Thee!

Er winkte mit der Hand; ich erhob mich, an allen Gliedern wie gelähmt. Gegen seinen Zorn wäre ich gewaffnet gewesen, gegen seine Güte war ich machtlos. Ach, und er hatte so gütig gesprochen, wie noch nie; so wohlwollend, so bittend fast, ohne auch nur einmal den Fürsten durchblicken zu lassen, so ganz nur als ein älterer, reiferer, besorgter Freund! Und da war mir denn, während er sprach, gewesen, wie damals, als ich und Fritz Brinkmann unser leckes Boot gegen Strom und Wellen zum Ufer zwingen wollten und es nicht konnten und endlich die Ruder sinken ließen und sagten: wenn der Wind nicht umgeht, sind wir verloren. Damals ging der Wind um, aber jetzt – Ich schwankte fast über den Marmorboden nach der Thür, durch die wir eingetreten waren.

Da kommen Sie in den Park! sagte der Herzog hinter mir her.

Ich wollte nur meine Reisetasche holen; erwiderte ich verwirrt.

Ja so! apropos Reisetasche! Haben Sie das Buch gefunden, das ich Ihnen hatte hineinlegen lassen? Ja, Hoheit!

Wissen Sie, daß es eigentlich ein wenig unfreundlich von Ihnen ist, mir darüber auch nicht ein Sterbenswort zu sagen? Sie haben es am Ende nicht einmal gelesen?

Doch, Hoheit.

Oder nicht goutiert. Man schweigt sich doch nicht aus über ein Buch, an dem man Freude gehabt hat. Nun?

Was soll ich sagen, Hoheit?

Ich hatte mich auf seinen Anruf wieder gewandt, und wir standen uns jetzt, da er sich inzwischen ebenfalls erhoben, einander nahe gegenüber. Aber die herzgewinnende Freundlichkeit, die vorhin seine Züge belebt hatte, war völlig verschwunden, und hatte einem finsteren Ausdruck Platz gemacht, welcher sich besonders um die Augen konzentrierte, die starr und gläsern auf mich geheftet waren.

Was Sie sagen sollen? rief er mit unterdrückter Heftigkeit. Schöne Frage! da darf ich wohl in Ihrem Sinne antworten? Der gute Herr hätte besser gethan, die Hände von dem Spiel zu lassen, das er nicht versteht; nur wir verstehen, wir, die Poeten von Gottes Gnaden! Meinen Sie das? Dilettantenkram! Verse, wie sie jeder machen kann! Schülerarbeit! nicht wert, einem Meister vorgelegt, von einem Meister beurteilt zu werden! So sagen Sie es doch! Oder hätte der Herr Poet von Gottes Gnaden nicht einmal den Mut seiner Meinung?

Lassen mich denn Hoheit auch nur zu Worte kommen?

Er biß sich auf die Lippen und aus seinen Augen schoß ein zorniger Blitz.

Ich danke Ihnen für diese Lektion; sagte er mit bebender Stimme. Nun die andere, wenn ich bitten darf.

Jetzt – jetzt war der entscheidende Augenblick da. Ich fühlte es bis in den letzten Nerv. Jagte er mich weg, weil ich seine Verse nicht loben wollte, nun, so war die Freiheit, die ich bei ihm genießen sollte, eitel Schein und Lüge; so war es – von allem anderen abgesehen – mein Recht und meine Pflicht, dieser Lüge ein Ende zu machen mit Schrecken, wenn es sein mußte, lieber, als das Grauen dieser Lüge endlos weiter zu schleppen.

Er hatte den Platz, auf dem er mir gegenüber gestanden, verlassen und ging mit Schritten, die von dem marmornen Fußboden widerhallten, auf und ab. Ich folgte ihm mit den Augen. Ich wußte, wie tief es ihn kränken würde. Ich hätte meine rechte Hand hingegeben, es ihm zu ersparen, aber es mußte ja sein.

So sagte ich denn leise und traurig: Hoheit werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich mich nie für einen Poeten von Gottes Gnaden ausgegeben habe. Ich habe mich für einen solchen in meinem Inneren auch noch nie gehalten, und ebensowenig für einen Kenner in poetischen Dingen, der zu einem Urteil berechtigt wäre, und dessen Urteil einen Wert hätte. Ich kann nichts geben, als meine subjektive Empfindung; und wenn also Hoheit darauf bestehen, daß ich dieselbe über Ihre Gedichte äußere, so muß ich allerdings sagen –

Ich kam nicht weiter. Eine schmale Seitenthür dicht neben dem gewaltigen Kamin hatte sich geöffnet, und Adele war in das Gemach getreten, eilenden Schrittes auf den Herzog zugehend, der sich in diesem Momente halbwegs zwischen jener Thür und mir befand. Was soll das heißen? rief er heftig. Sie antwortete nicht, sondern kam vollends an ihn heran und suchte seine Hand zu fassen, die er ihr entzog.

Wer hat Dich gerufen? herrschte er sie an; Du weißt, ich liebe dergleichen Ueberraschungen nicht. Oder bin ich nicht mehr Herr in meinem eigenen Hause?

Sie hatte nun doch seine Hand ergriffen und war, dieselbe festhaltend, an seiner Seite niedergesunken, mit leisen, flehenden Worten, in die sich manchmal ein lauteres Schluchzen mischte, zu ihm emporsprechend, der sich vergebens loszumachen suchte, wobei er fortwährend die blitzenden Augen auf mich gerichtet hielt.

Und während ich so, ein stummer Zeuge dieser seltsamen Scene, dastand, kam plötzlich jene wunderlichste aller Empfindungen über mich: daß man das, was da um uns geschieht, schon einmal erlebt hat. In diesem Saale, in welchem jetzt der Abendschimmer längst erloschen war, und dessen mächtigen Raum die spärlichen Lampen nur so weit erhellten, daß ein gespenstischer Schein von den weißen Statuen an den Wänden flimmerte; und aus den Wandgemälden, an deren gewaltigen goldenen Rahmen hier und da ein rötlicher Reflex aufblinkte, ein nackter Menschenleib tauchte, oder ein unheimliches Gesicht, wie wenn jemand durch die Wand herein- und auf mich niederschaute – in diesem Saale war ich schon einmal gewesen zu eben dieser Stunde. Und den hohen Mann mit den blauen blitzenden Augen, den hatte ich gesehen an eben derselben Stelle; und eine Frau hatte vor ihm gelegen – gerade so auf den Knieen, seine Hand festhaltend, die er ihr entziehen wollte; in leisen, schluchzenden Worten, die ich nicht verstand, zu ihm emporsprechend. Nur eines war nicht da, und ich sah es doch: das Kind, welches neben der Frau, die seine Mutter war, auf den Knieen gelegen und auf seiner Mutter Geheiß die gefalteten Händchen zu ihm emporgestreckt hatte – das Kind, das ich gewesen war!

Ich, der ich da stand, und mich nach einem Gegenstand bückte, welcher dem Herzog, als er sich niederbog, Adele aufzuheben, aus der Tasche geglitten, sich ihm von der Kette gelöst haben mochte – ich weiß es nicht – und auf dem Marmorboden bis zu mir gerollt war und jetzt zu meinen Füßen lag, der ich mich bückte, es aufzuheben, und es jetzt in der Hand hielt: ein Medaillon, dessen Kapsel in dem Moment, als es zur Ruhe gelangte, aufgesprungen war, als wollte es dem Träumer zu Hilfe kommen, und ihm seinen Traum deuten.

Es war nicht mehr nötig gewesen: er hatte auch so das Furchtbare voll begriffen.

Und nun packte es ihn und schüttelte ihn, daß ihm die Glieder flogen; es dunkel wurde um ihn her, und er meinte, er müsse zu Boden sinken. Und daß ihn dann der Marmorboden verschlingen möchte!

Ich hatte mich doch aufrecht erhalten, aber wohl für einen Moment das Bewußtsein verloren. Eine Berührung gab es mir wieder: Es war Adele, die mich an beiden Händen gefaßt hatte und mit schreckensbleichem Gesicht zu mir ausschaute. Und nun sah ich auch den Herzog. Er stand, um mehrere Schritte näher als vorhin, aber noch immer in einiger Entfernung, mit einer finsteren, gespannten Miene auf mich, auf uns blickend:

Auf uns! auf mich und – auf sie, die ich so grenzenlos geliebt hatte!

Entsetzen!

Ich schleuderte das schöne Weib von mir, als wäre es eine giftgeschwollene Natter und stürzte aus dem Saal in die Nacht hinein.

Wie ich den Weg durch die vielverschlungenen Pfade des Parks gefunden habe – ich weiß es nicht. Ich rannte nur fort, denselben Weg, den mich vorhin der alte Müller geführt hatte, denselben Weg, den mich meine Mutter getragen hatte in ihren Armen, während die Sterne droben schimmerten. Und blickte jetzt wieder zu ihnen auf, aber nicht mehr mit den wundernden Kinderaugen – mit den Augen eines Verzweifelten, den sie zu verhöhnen schienen in ihrer stillen Majestät.

Nun quillen sie hervor in hellerem Glanz, denn der Park liegt hinter mir, und ich eile den schmalen Pfad über die Wiese hin dem Bache zu und dem Rauschen, das immer lauter wird. Aber ich weiß, es ist nicht der Bach, der so rauscht; es ist der Wasserberg, der ganz schwarz ist, nur daß weiße Streifen über ihn hingleiten, die im Licht der Sterne flimmern. Und hart an dem Wasserberg geht es über den Steg, von dem mich der Mann mit den blauen blitzenden Augen an jenem Morgen weggetragen hat, als ich hier auf der Wiese gespielt hatte, die aber keine Wiese war, sondern ein Wald von hohen nickenden Halmen, über denen riesengroße bunte Schmetterlinge gaukelten.

Und da ist der Steg, und da ist der schwarze Wasserberg mit den phosphorisch flimmernden weißen Streifen. Hier hat die Mutter mit mir gestanden, hier an dieser Stelle. Und sich so über das schwanke Geländer gebogen; und so schoß unter dem Steg das Wasser siedend und gurgelnd dahin.

Das dünne Geländer, das eigentlich nur eine Stange ist, biegt sich unter meiner Last. Wenn es bricht! Es ist heut mehr Wasser im Bach, als dem Müller lieb ist! Und um das Schwimmen mit dem lahmen Arme wird es wohl mißlich stehen. So kann's bald vorüber sein.

Eine schwere Hand legt sich mir auf die Schulter, und eine große Gestalt steht neben mir. Ich habe sie vor dem Donner des Wasserberges nicht kommen hören, und es ist so dunkel, daß ich nur eben die Umrisse der Gestalt sehe. Aber er ist es nicht, vor dem ich fliehe. Er! wie käme auch er hierher!

Wer sind Sie?

Ich bin der Müller Siebenpfeiffer. Wer Sie sind, junger Herr, das brauche ich nicht zu fragen. Ich hab' Sie auf den ersten Blick erkannt an der großen Aehnlichkeit. Sie sind ihr wie aus den Augen geschnitten. Kommen Sie von hier weg, junger Herr! der Ort ist schon einmal ein böser Ort für Sie gewesen. Und mir scheint, er könnt' es noch einmal werden.

Der Alte hatte mich mit einer Kraft, die mir unwiderstehlich scheint, am Arm ergriffen und von dem Stege geführt. Ich kann eben keinen Widerstand leisten, denn meine eigene Kraft ist gebrochen; und als wir jetzt den Hof erreichen, muß ich mich schwer auf seine Schulter stützen.

Kommen Sie ins Haus! sagt er.

Ich kann nicht, erwidere ich; ich muß fort, fort. Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, helfen Sie mir von hier!

Morgen, wenn Sie wollen; heute nicht mehr.

Sie versprechen es mir?

Ja, das thue ich.

Und wenn man mich hier sucht?

Soll man Sie nicht finden, wenn Sie nicht gefunden sein wollen.

Lieber sterben!

Just so sagte Ihre Mutter auch.

Wir stehen vor der Hausthür, in der eine Matrone erscheint, die, das Licht mit der Hand schützend, uns entgegenleuchtet.

Bist Du's, Alter?

Ja, Alte! Und ich bringe da jemand, den Du schon kennst.

Herr Gott!

Still! Hinein ins Haus! und mach' das Licht aus!

Er hat uns durch die Thür geschoben, die er hinter uns zudrückt. Die Alte hat das Licht ausgeblasen. Ich stehe mit ihr auf dem dunklen Flur hinter der Hausthür. Auf dem Pflaster des Hofes klappern Pferdehufe. Eine unbekannte Stimme fragt; die tiefe Stimme des Alten antwortet. Dann wieder das Klappern von Pferdehufen. Als sie verklungen sind, öffnet der Alte die Thür, die er hinter sich abschließt. Dann reißt er ein Schwefelholz an.

Es war der Reitknecht Martens, sagt er; sie haben schon Boten nach allen Richtungen geschickt.

Er leuchtet mir mit dem wieder angezündeten Licht ins Gesicht. Die alte Frau schlägt vor Verwunderung die Hände zusammen.

Sagte ich es nicht? ganz wie seine Mutter. Und er will auch nicht gefunden sein. Hörst Du, Alte?

Ich höre schon; erwidert die Matrone. Mir ist's recht. Wenn's nach mir gegangen wäre, der im Schloß hätt's nie erfahren, daß Du sie aus dem Wasser gezogen hast; und es auf dem Gewissen behalten müssen zu allem anderen.


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