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Isabel hatte sich, nachdem Justus sie verlassen, die enge Wendeltreppe hinauf in das Schlafzimmer begeben, Toilette für eine Ausfahrt mit Christine zu machen.
Ich muß notwendig noch einige Sachen für den Herbst haben, hatte die kleine Frau gestern abend zu ihr gesagt; und will morgen vormittag in die Stadt. Bitte, begleiten Sie mich! Ich weiß, ich habe keinen Geschmack; die Leute hängen mir immer die tollsten Sachen auf, in denen ich selbst mich hinterher lächerlich finde. Und nun gar jetzt – ich würde in der Freude meines Herzens den ganzen Gerson aufkaufen. Da müssen Sie mir helfen? Wollen Sie?
Isabel hatte zugesagt. Um ein Uhr wollte Christine sie abholen. Es war jetzt zwölf. Sie saß vor dem Spiegel und hatte ihr Haar schon halb arrangiert. Jetzt lagen die Hände müßig im Schoß, sie betrachtete nachdenklich ihr Bild im Spiegel.
Das Alte »Frau Königin« kam ihr in den Sinn – nicht zum erstenmale bei solcher Gelegenheit – und sie pflegte es bei: »Ihr seid die schönste« bewenden zu lassen. Heute wollte Schneewittchen mit im Spiel sein. Es hatte ja neulich nur der Glassarg gefehlt, und kein Maler hätte sich ein schöneres Schneewittchen träumen können. Tausendmal schöner, als die Königin? Das nun wohl nicht; aber wenn sie es für ihn wäre? Sie hat, was mir fehlt; was er jedenfalls jetzt schon an mir vermißt, und auf die Dauer immer schmerzlicher vermissen wird. Ich kann ihm nicht in seine hohen Regionen folgen. Sie kann es; sie geht ihm womöglich voran. Ich fürchte keine, sie allein. Daß sie ihn liebt, ihn schon immer geliebt hat – das ist sonnenklar. Und seine Augen standen voll Thränen – ich habe es deutlich gesehen. Er weint so leicht! Ich weiß nicht, warum ich kaum weinen kann. Heute nacht freilich – ich hoffe, er hat es nicht gehört. Es war so grausam, denken zu müssen, daß er ebenso glücklich wäre ohne mich und vielleicht glücklicher, wenn er nur seine geliebte Poesie hätte. Ich hasse diese Poesie. Ich will ihn für mich allein. Wer weiß denn, wie lange ich ihn habe? wie lange er mich hat? Wenn ich es ihm sagte? er es nicht erst hinterher aus dem Briefe erführe, wo es dann freilich zu spät ist und ihm und mir nichts mehr helfen kann. Und das Glück, das ich ihm bereiten wollte? das ich ihm bereite! Ja, er ist glücklich. Nicht wahr, mein Sonntagskind, du bist glücklich trotz alledem?
Sie breitete die Arme aus und lächelte, sie wieder sinken lassend, ihr Spiegelbild an.
Ich glaube, diese närrischen Leute mit ihren überspannten Ideen und Gefühlen sind ansteckend. Sandor ist doch eigentlich der einzige von ihnen, der ein ganz klarer Kopf ist und weiß, was er will. Schade um ihn! Der geht mir nun auch verloren. Diese thörichten, ungeschickten Männer! Nicht einer weiß sich in solcher Situation zu fassen, Haltung zu bewahren. Sie sind und bleiben Schuljungen; selbst die klügsten, selbst Leute, wie Sandor. Ich will nur hoffen, daß er sich wenigstens ihm gegenüber nicht verrät. Es wäre fatal. Eberhard wird die kleine Lektion gestern abend hoffentlich geholfen haben. Der arme Mensch! er war ganz außer sich. Freilich, er ist mir nicht gefährlich. Sandor – das ist wirklich ein interessanter Mann und ich bin überzeugt: seine Ironie und Kälte – alles nur Komödie, und innerlich glüht und gährt es. Er – pah! – er so wenig wie ein anderer. Das bißchen Herz, das ich noch habe – Zeit meines Lebens gehabt habe – gehört ihm. Ich weiß eigentlich nicht, weshalb. Aber es ist nun einmal so. Basta!
Sie war mit ihrer Toilette fertig und hatte bereits den Hut in der Hand, um wieder hinabzugehen, als gepocht wurde und Friedrich durch die verschlossene Thür fragte: Ob die gnädige Frau für Frau Doktor Eberhard zu sprechen sei?
Führen Sie die Frau Doktor in den Salon! sagte Isabel durch die Thür.
Sie war noch einmal vor den Spiegel getreten.
Ich habe heute meinen beau jour, sagte sie vor sich hin. Das ist immer erfreulich, besonders wenn man einer guten Freundin gegenüber stehen soll, die gekommen ist, einem eine Scene zu machen.
Als sie in den Salon kam, fand sie Edith, die eben von Friedrich hereingeführt wurde. Sie ging ihr mit ausgestreckter Hand entgegen.
Es ist so lieb von Dir, daß Du Dich nach mir umsiehst! Es war die Hitze in den Zimmern, die wirklich grausam war. Aber willst Du Dich nicht setzen? Der Hut hier bedeutet nur, daß ich in einer halben Stunde mit der kleinen Gräfin shopping fahren soll. So haben wir noch reichlich Zeit for a little chat.
Edith hatte ihre Hand genommen, eben nur die Fingerspitzen berührend. Sie war sehr blaß; die Ränder unter ihren Augen erschienen noch schwärzer als gestern abend. Die sonst so großen, schönen, klar blickenden Augen selbst waren kleiner und wie undurchsichtig; die Lider an den Rändern gerötet.
Das giebt einen Sturm, sprach Isabel bei sich, und laut sagte sie, sich Edith, die sich in einen Fauteuil hatte sinken lassen, gegenüber setzend:
Und nun: Was ist das mit Dir und mit Deinem Mann? Man kennt Euch beide nicht wieder. Was hat es zwischen Euch gegeben? Ich habe das Gefühl, daß Du gekommen bist, mit mir darüber zu reden.
Das ist allerdings meine Absicht, erwiderte Edith, die ein ruhiges Sprechen augenscheinlich Mühe kostete. So, wie es ist, kann es nicht bleiben.
So, wie es ist? Ja, aber, wie ist es denn?
Was fragst Du mich! rief Edith, die sich nicht länger beherrschen konnte. Du weißt sehr wohl, was ich von Dir zu fordern gekommen bin: daß Du nicht wieder in Deine alten Künste fällst, wenigstens nicht meinem Manne gegenüber; daß dies Dein Coquettieren mit ihm aufhören muß; daß Du Dich, wenn Du kannst, erinnerst, daß Du Dich einmal meine Freundin genannt hast.
Dieser letzte Appell ist allerdings nötig, erwiderte Isabel gelassen. Die Dinge, die Du vorher gesagt hast, waren hart genug, auch einer sehr soliden Freundschaft den Todesstoß zu geben.
Habe ich etwa nicht recht? rief Edith leidenschaftlich. Thust Du jetzt nicht wieder, was Du jeder Zeit gethan hast, und hast Deine Freude daran, wenn Du mit Deinen schönen Augen und Deinem süßen Lächeln die Männer um ihr bißchen Verstand bringst? Stammt Deine Flirtation mit meinem Mann nicht etwa schon aus Karlsbad, von wo er zurückgekommen ist – ah! Die ersten Tage war nichts zu merken; er war heiter und gut, wie immer. Und auf einmal fing das Gift an zu wirken, und es kam über ihn wie ein hitziges Fieber. Und daran wärst Du nicht schuld? Was kannst Du darauf erwidern?
Daß von allem, was Du da vorbringst, nur eines allerdings richtig ist, entgegnete Isabel: ich meine, was Du von dem bißchen Verstand der Männer gesagt hast. Aber ich kann doch nichts dafür, daß sie nicht mehr haben. Wie darf mir daraus ein Vorwurf gemacht werden? Und noch dazu von Dir? Wenn eine, so hast Du doch wahrhaftig überreiche Gelegenheit gehabt, Dich von dem traurigen Faktum zu überzeugen und es in die Rechnung Deines Lebens zu ziehen. Denke an die Nacht in Rodek, als Du mir am Kamin die Geschichte Deiner Jugend erzähltest! Ich bin Dir für so vieles zu Dank verpflichtet. Für nichts so sehr als für diese Geschichte.
Und so ist es, wie Du Deinen Dank beweist! erwiderte Edith heftig. Ja, ich habe Dir mein Leben geschildert, um Dich zu warnen. Was hat die Warnung geholfen? Du hast geheiratet – freilich! zum zweitenmale sogar. Hindert es Dich, zu thun, als ob Du nicht verheiratet wärest? Die Männer sind dumme Fische – ja, und zehnmal ja! Macht sich das eine Frau, die ihren Mann wirklich liebt, zu nutze, und wäre sie noch so schön, noch so liebenswürdig, noch so verwöhnt? Sagt Sie sich nicht: es ist genug; ich darf und will zufrieden sein? Du thust das genaue Gegenteil. Vor Dir ist keiner sicher: nicht mein Mann, nicht Sandor –
Bleiben wir bei Deinem Mann! warf Isabel ein.
Und ich behaupte, daß Du Dein Netz ebenso nach Sandor geworfen hast, und daß er ebenso in Deinem Netze ist.
So ist auch er ein dummer Fisch.
Aber mein Mann ist keiner! Er ist ein kluger, großdenkender, großherziger Mensch, und es gehört schon eine diabolische Kunst, wie die Deine, dazu, ihn in sein Garn zu locken.
Edith hatte ihr Spitzentaschentuch zu einem kleinen Klumpen zusammengeballt, den sie jetzt wieder lösen mußte, um sich über die heißen Augen zu fahren. Isabel lächelte.
Nimm es mir nicht übel, Schatz, sagte sie; aber Du bist wirklich ein wenig absurd, und von Logik ist in Deinen Reden keine Spur. Du konstatierst, daß die Männer dumme Fische sind. Und wenn ich das nun acceptiere und zu meiner Entschuldigung gebrauchen will, rufst Du: aber mein Mann ist kein dummer Fisch! Wollte ich nun fortfahren: und hat sich doch von Dir seiner Zeit in Dein diabolisches Garn locken lassen, würdest Du wieder sagen: Das ist ganz was anders! Nein, lieber Schatz, es ist immer dieselbe Geschichte. Wir wollen geliebt sein und werden darum geliebt. Ob das eine Heirat zur Folge hat, oder haben kann – es ist eins, wie das andere. Das ist die Höhe der Unmoral, wirst Du sagen, wenigstens in Deiner jetzigen Stimmung. Ich sage: nein! und gewiß nicht für eine Frau, die das Spiel ganz durchschaut hat und über eines sich vollkommen klar ist. Darüber, daß die Liebe der Männer gar nicht aus dem Herzen kommt, sondern nur aus einem Gemisch von Sinnlichkeit und Phantasie. Gegen die brutalen Forderungen der ersteren kann sich jede anständige Frau mit Leichtigkeit schützen; gegen die Aspirationen der Phantasie braucht sie keinen Schutz. Die ist ein bunter Schmetterling, der sich tagsüber kühn in den blauen Lüften schaukelt, und am Abend läßt er die Flügel hängen und am nächsten Morgen ist er tot. Ach, Liebste, wie viele solcher schönen Schmetterlingsleichen haben wir nicht in unserer Sammlung! Ich kann sie nicht mehr zählen, und Du auch nicht. Hat es nun einen Sinn, wenn wir beiden verständigen alten Frauen darüber uns die Augen – hier, Schatz, nimm mein Taschentuch! Deines ist wirklich nicht mehr zu brauchen – ich sage: wenn wir uns darüber die Augen ausweinen, anstatt uns ins Gesicht zu lachen über – pardon! ich hätte beinahe abermals: die dummen Fische gesagt.
Aber wie soll es denn nun werden? fragte Edith, um deren schönen Mund bereits wieder ein zaghaftes Lächeln spielte.
Das wird ganz von Dir abhängen, entgegnete Isabel. Thust Du nicht desgleichen und läßt Deinen Mann gewähren, so übernehme ich jede Bürgschaft, daß nach ein paar Wochen – was sage ich? – nach ein paar Tagen er sich seines kleinen Rausches schämen und genau, aber genau so sein wird, wie immer. Wenigstens weiß ich einen anderen und besseren Rat nicht zu geben. Weißt Du einen?
Nein; erwiderte Edith kleinlaut.
So lassen wir's dabei! vielleicht kommt einmal die Zeit – und kommt vielleicht bald, – wo Du und noch andere sagen werden: sie war doch viel besser, als wir gedacht haben. Und nun gieb mir einen Kuß; ich höre die Klingel gehen; es ist jedenfalls die Gräfin.