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Eberhards Prophezeiung, daß die Behörde sich um Justus' Handel mit Herrn von Lipper nicht bekümmern würde, war in Erfüllung gegangen. Sie hatte es um so leichter gehabt, die klugen Augen fest zu schließen, als Herr von Lipper – wie Eberhard es ebenfalls vorausgesagt – bereits am vierten Tage nach der Affaire zu seinen Penaten – den Cotillonsorden und -Schleifen, welche die Wände seiner Lieutenantsklause dekorierten – zurückgekehrt war in Begleitung seines Mentors, des Barons von Secken. Hauptmann von Florisdorf hatte seine Wette, daß der Mann in Weiß nicht wieder auf der Bildfläche erscheinen werde, gegen Baron Grumbach gewonnen.
Aber in einem hatte sich Eberhard geirrt: er hatte die ausgezeichnete Akustik von Karlsbad weit unterschätzt. Das Publikum war von allem unterrichtet, als ob es vom ersten bis zum letzten Moment Augen- und Ohrenzeuge gewesen wäre. In den Einzelheiten freilich gingen die Relationen der Geschichte, die so eifrig kommentiert wurde und deren einzig richtige Darstellung jeder zu geben behauptete, sehr weit auseinander, und nur darüber konnte nicht gestritten werden, daß der Held derselben als Preis seiner Bravour sich den Star der Saison für immer erobert habe.
So war denn das Paar, wo und wann immer es sich blicken ließ, der Gegenstand der von allen Seiten konzentrierten Aufmerksamkeit und Neugier – ein Etwas, das Justus mit gutem Humor ertrug und Isabel als ein Selbstverständliches hinnahm. Sie hatte von dem Tage ihrer Verlobung an die Trauerkleidung abgelegt und erschien nur in lichten Gewändern zu Justus' Entzücken und zur Freude des Publikums, das seinen Liebling so womöglich noch schöner und anmutiger fand.
Denn Isabel war nicht nur der Star der Saison, neben dem die schöne Engländerin an der Seite des Lord Glenmore und die üppige Beauté, die vor ein paar Jahren »zugleich mit dem Könige von Holland« hier gewesen war, völlig in den Schatten traten, sie war auch wirklich der Liebling des Publikums, wenigstens so weit dasselbe aus männlichen Seelen bestand. Wofür sich denn die Damenwelt dadurch schadlos zu halten suchte, daß sie auf Justus' Stirn das unverkennbare Siegel des Genius entdeckte, die Leihbibliotheken durch fortwährende Nachfragen nach seinen Schriften in Verzweiflung brachte und das graue Haupt des alten Postboten, zu dessen Sprengel die Goldene Harfe gehörte, nicht aus dem verwunderten Schütteln kommen ließ über die Menge der farbigen Stadtbriefchen für »den Herrn von Arnold«, in welchen besagter Herr um eine Zeile von seiner Hand, womöglich ein kleines Verslein, oder auch nur um seinen Namenszug unter eine beigefügte Photographie seiner werten Person in Kabinettsformat ebenso dringend wie höflich gebeten wurde.
So kommt denn auch etwas von ihrem Glanz in seine niedere Hütte, sagte Sandor zu Eberhard, mit dem Kopfe nach der Marktbrunnenhalle winkend, wo Isabel an Justus' Seite auf ihrem gewöhnlichen Platze an der Balustrade stand, umgeben von dem Kreise ihrer Bewunderer, aus welchem sich die Freunde nur entfernt hatten, ihren zweiten Becher am Sprudel zu trinken, von dem sie eben durch das enge Gäßchen auf den Marktplatz zurückkamen.
Der Kreis war heute besonders groß. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß es der letzte Tag sei, an welchem der Star für Karlsbad leuchten würde, um morgen hinter dem hochzeitlichen Schleier auf lange – wer konnte wissen, ob nicht für immer – zu verschwinden. Da war die alte Excellenz von Grumbach mit dem schwarzgewichsten, emporgezwirbelten Schnurrbart; da war der schlanke Hauptmann von Florisdorf in seiner kleidsamen Interimsuniform mit den Phantasiesporen unter dem in wohlberechneten Falten über die aristokratischen Füße fallenden Beinkleid; da war ein ganzes Kontingent von älteren und jüngeren Herren: civilen Groß- und Kleinwürdenträgern, Offizieren, vom greisen General bis zum jüngsten Lieutenant. Nur zwei der bis dahin eifrigsten Habitués fehlten: Professor Hasler und sein kunstgeschichtlicher Kollege Lükke, die, nachdem sie erst eine und dann noch eine zweite Woche zugelegt, endlich doch nun die Koffer hatten packen müssen, in wilderem Streit als jemals über die ästhetischen Principien und nur darin einig, daß ein anmutigeres, schöneres Geschöpf als Justus' Braut weder jemals im Tepelthal noch sonst irgendwo auf Erden erschienen sei.
Sie ist wirklich ein köstliches Phänomen, sagte Sandor, und wenn ich Justus wäre, so würde ich jeden Morgen einen polykratischen Ring in das Meer werfen und mit dem Verlobungsring den Anfang machen.
Sie sind nicht gescheidt, Sandor, sagte Eberhard.
Es giebt Leute, die vom Gegenteil überzeugt sind, unter anderen ich selbst, erwiderte Sandor, den letzten Schluck aus seinem Becher schlürfend; und darum würde mir, wäre ich an seiner Stelle, bei so viel Gottähnlichkeit höllisch bange werden. Sie haben gewiß auch eine sehr schöne Frau – der ich mich nebenbei in Ihrem nächsten Briefe zu Füßen zu legen bitte – aber sie ist ebenso klug, wie sie schön, ebenso bescheiden, wie sie klug und ebenso nachsichtig, wie sie bescheiden ist, welche letztere Tugend zum Exempel Ihnen in diesem Moment zu gute kommen würde, wo Ihre sehnsuchtsvollen Blicke schon wieder nach der Zauberin drüben schweifen.
Sie haben kein Recht, mir daraus einen Vorwurf zu machen, der Sie bis über die Ohren in eben diese Zauberin verliebt sind, rief Eberhard mit einem halb verlegenen Lachen.
Was ich auch niemals in Abrede stellen werde, erwiderte Sandor. Aber wenn das am dürren Holze meiner vierzig Junggesellenjahre geschieht, – freilich, dürres und grünes Holz, es ist in diesem Falle ganz gleich, es brennt eben alles lichterloh, sobald der Glanz ihrer Augen es nur gestreift hat. Und die schöne Brandstifterin steht dabei und reibt sich vergnüglich die kleinen weißen Hände. Wen das, wenn er zufällig der Gatte ist, auf die Länge nicht um seinen Verstand bringt, so hatte er eben keinen zu verlieren.
Und ich wette alles gegen nichts, daß er ihn behält, sagte Eberhard eifrig. Es giebt geborene Aristokraten, auch wenn sie in einer Hütte das Licht der Welt erblickten, und geborene Plebejer, auch wenn ihre Wiege an den Stufen eines Thrones stand. Und nach meiner Erfahrung kommt im Leben eines Menschen alles darauf an, ob er ein geborener Aristokrat ist, oder nicht. Ist er es, so kann ihm das Schicksal nichts anhaben, mag es nun bona oder adversa fortuna sein. Ich kenne, wie Sie wissen, Justus' Vergangenheit sehr genau. Er befand sich als Knabe unter den Händen einer ganz schwachen Mutter und eines halb tollen Vaters in einer Lage, in der tausende einfach verwildert wären – er war und blieb »fein, eigen, bedächtig und stolz«, wie die jungen venetianischen Edlen, die eines schönen Tages Doge werden können. Nicht anders ist er später aus schiefsten, verzwicktesten Verhältnissen, in die ihn der Zwang der Not gedrängt hatte, gerade und unversehrt hervorgegangen. Und so, wird er sich auch in diesem neuen Verhältnis bewähren, das gewiß nicht schief und verzwickt ist, aber – ich muß es einräumen – einer so schönen, und dabei so eigenartigen, selbstherrlichen Frau gegenüber, den ganzen Mann erfordert.
Sie würden mich völlig mißverstehen, erwiderte Sandor, wenn Sie glaubten, daß ich Justus nicht für einen ganzen Mann halte. Er heißt wirklich nicht umsonst justus, der Gerechte, und tenax propositi: fest an dem haltend, was er sich einmal vorgenommen, ist er auch. Kenne ich sein früheres Leben nicht so genau, wie Sie, so habe ich ihn desto schärfer beobachtet, so lange er nun in Berlin ist. Es ist ein schwieriges Pflaster für jeden, ein doppelt und dreifach schwieriges für einen Litteraten. Es ist ihm wahrlich nicht leicht geworden, sich heraufzuarbeiten, denn er hatte anfangs nicht einen einzigen Freund als Professor Richter, der doch eigentlich außerhalb der specifisch-litterarischen Kreise steht; und wenn ein Mensch nicht weiß, wie man für sich Reklame macht, so ist es Justus. Dazu kommt, daß die ästhetische Richtung, die er verfolgt, der heute herrschenden so ziemlich schnurstracks entgegengesetzt ist. Sie wissen, daß ich es mit der letzteren halte, ja, daß man mir hier und da die Ehre erweist, mich den kritischen Führer derselben zu nennen. Das hat mich aber nie verhindert, in Justus außer dem Menschen, der es mir nun einmal angethan hat und den ich liebe, den wirklichen Poeten anzuerkennen, der fest an seine Ideale glaubt und ruhig seines Weges geht, es ärgere sich daran die ganze oder die halbe Welt. Ich denke, Sie werden mit diesem Lob aus meinem Munde zufrieden sein. Dennoch ist mein ceterum censeo: er kann mit einer Frau, die, außer von ihrem Mann, noch von der ganzen Männerwelt bewundert sein will; für die, was ihm zumeist am Herzen liegt, entweder gleichgültig oder unverständlich ist, wenn es ihr nicht gar absurd erscheint, nicht in einen Glückshafen einlaufen, oder, wie wir Berliner drastisch sagen: Die Sache wird schon schief gehen.
Gut! sagte Eberhard, und nun setzen wir den Fall, nicht Justus, sondern Sie, Doktor juris Siegfried Sandor, wären der Begünstigte, würden Sie da Frau von Schönau heiraten, oder nicht?
Aber lieber heute als morgen! rief Sandor.
Weiter wollte ich nichts wissen! sagte Eberhard lachend.