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Siebentes Kapitel.

Das Märchen von dem Ogre, der Fee und dem jungen Jäger.

In einem großen, großen Walde, welcher einer Fee gehörte, lebte ein junger Jägersmann. Der war in einer Vollmondscheinnacht im Mai durch den Wald gestrichen, weil es ihm im Bette keine Ruhe gelassen hatte; und als er aus dem Hochwalde, wo die Tannen so dicht standen, daß der Mondschein nur auf den Wipfeln lag und manchmal an einem Stamme bis beinahe auf den Moosboden in gelblichem Schimmer herabzitterte, an den Rand der großen Halde trat, hatte er sie gesehen. Freilich nicht sogleich, denn was er anfangs sah, hatte er für bläuliche Nebelschleier gehalten, die über dem Wiesengras und über Ginster und Schlehen und Dornen auf und nieder und hin und her wallten, bis ihm plötzlich war, als hätte ein weißer Arm mit einer kleinen weißen Hand aus dem Nebel hervorgelangt. Darüber war er denn sehr verwundert gewesen und, anstatt nach Hause zu gehen, wie er ursprünglich gewollt, stehen geblieben und hatte weiter in den Nebel gestarrt, ob er den weißen Arm mit der kleinen weißen Hand wohl noch einmal sehen würde. Er wußte nicht, wie es zuging, aber nach und nach und immer deutlicher sah er, daß es gar keine wallende Nebelschleier waren, sondern die Schleiergewänder von Feen, die da tanzten. Die Gewänder waren bald bläulich, bald gelblich, bald weißlich, je nachdem der Mond darauf fiel; und ebenso waren die langen Haare der Feen bald heller, bald dunkler, nur die Arme und Hände blieben immer gleich weiß. Ob sie Füße hatten, konnte er nicht sehen; die waren immer von den langen Schleiergewändern verhüllt.

Dem jungen Jäger war es im Anfang eiskalt über den Rücken gelaufen; aber er hatte sich bald daran gewöhnt und war dann, weil er so etwas im Leben nie geschaut, ganz Auge und Ohr gewesen. Denn fortwährend hatte er auch eine ganz leise liebliche Musik gehört, nach deren Takte die Feen sich bewegten, hin und her, auf und nieder, bald gegen- und durcheinander, bald im Kreise schwebend, indem sie sich alle an den Händen faßten. Dann war immer eine Fee in der Mitte des Kreises. Die war noch viel schöner als alle anderen; und die anderen hatten sich im Schweben verneigt und ihr gehuldigt, wie ihrer Königin. Die Königin hatte goldiges Haar, das nicht von dem Mondschein, sondern von selbst zu leuchten schien, und tiefdunkle Augen, die auch von innen leuchteten so mächtig, daß sie den Mondschein überstrahlten, und der junge Jäger zuletzt nur noch die Augen sah und sonst nichts. Ohne zu wissen, was er that, hatte er ein paar Schritte hinein in die Halde gethan. Da knackte ein dürrer Zweig unter seinen Füßen: im Nu war die luftige Schar im Walde verschwunden, vor ihm aber stand die mit dem Goldhaar und den dunklen Augen.

Wie heißt Du? sagte sie mit einer Stimme, so leise und lieblich wie die Musik, die er vorhin gehört hatte. – Ich heiße Hubert, sagte er. – Und ich werde Dich Sonntagskind nennen, sagte sie; denn nur Sonntagskinder können uns sehen. – Dann werde ich Dich Maiennacht nennen, sagte er; denn wir Sonntagskinder können Euch nur in einer Maiennacht sehen. Und dann muß es auch noch eine Sonntagsnacht sein, wie heute. Aber Sonntagsmaiennacht, das ist zu lang. Ich denke, wir lassen es bei Maiennacht. – Sie lachte und sagte: mir ist es recht: ich habe, so wie so, noch niemals einen Namen gehabt; und der gefällt mir ganz gut. Nun laß uns ein wenig tanzen, Sonntagskind! – Ich kann wohl tanzen, sagte er; aber in der Luft, wie Du, Maiennacht, das kann ich nicht! – O, wie schade! sagte sie. Auf der Erde tanzt sich's nur schlecht, glaube ich, denn ich habe noch nie auf ihr getanzt. Gleichviel. Tanzen muß ich und will ich mit Dir.

Da tanzten denn die beiden im Mondschein auf der Wiese und dem jungen Jäger waren die Füße so leicht, daß er meinte, er berühre gar nicht den Boden, aber die Fee seufzte ein paarmal leise und plötzlich stieß sie einen kleinen Schrei aus und sagte: O weh, ich glaube, ich habe mir den Fuß vertreten. Das schadet nichts; es war doch schön.

Sie war aus seinen Armen auf den Boden geglitten; ihr langes Haar floß wie eitel Gold über das dunkle Moos, und die schönen Augen, die zu ihm aufblickten, waren wie halb gebrochen.

Ich will Dich nach Hause tragen, sagte er; wo wohnst Du?

Sie lachte und sagte: Im Walde, wo sonst? Und mit dem Nachhausekommen hat es keine Not, das wirst Du gleich sehen, wenn Du mich nur ein bißchen in die Höhe heben willst, nur so weit, daß meine Füße den Boden nicht mehr berühren.

Da hob er sie vom Boden auf und merkte, daß sie so leicht war wie eine Feder. Und plötzlich hielt er sie nicht mehr in seinen Armen, sondern sie schwebte vor ihm in der Luft.

Leb wohl, sagte sie, bis heute über ein Jahr! Da sehen wir uns wieder, hier an demselben Orte, zu derselben Stunde.

Ach, du lieber Gott, sagte er; ein Jahr ist eine lange Zeit.

Das ist so gut wie gar nichts, sagte sie, – für uns. Für Euch Menschen freilich! Ihr seid so vergeßlich. In einem Jahre wirst Du Maiennacht ganz vergessen haben.

Ich werde Dich nie vergessen, sagte er.

Das wollen wir sehen, sagte sie. Aber nun muß ich wirklich nach Hause; der Morgen dämmert schon herauf. Noch einmal: leb wohl, Sonntagskind! Und noch einmal: auf Wiedersehen!

Da sah er ihre Augen dicht vor den seinen, und über seine Lippen strich es wie ein weicher kühler Hauch. Dann schwand ihre Gestalt aufwärts, wie ein Nebel, der steigt. Nur ihre glänzenden Augen sah er noch. Dann war es, als ob aus den zwei Augen eines wurde. Und dann war es kein Auge mehr, sondern der Morgenstern, der über dem Walde stand. –

Als der junge Jäger am anderen Tage erwachte, glaubte er, er habe alles nur geträumt. Er würde es auch wohl weiter für einen Traum gehalten haben, da er viel wunderliches Zeug, besonders in Mondscheinnächten, zu träumen pflegte, wäre nicht der schmale goldene Ring an dem kleinen Finger seiner linken Hand gewesen. Er hatte nie einen Ring am kleinen Finger getragen, weil er überhaupt noch nie einen besessen hatte; so konnte er ihn nur von Maiennacht haben, obgleich er sich durchaus nicht zu erinnern vermochte, wie er an seine Hand gekommen. Nun wußte er freilich, daß es kein Traum gewesen, und er wirklich mit einer Fee getanzt habe, worüber er sehr glücklich und stolz war. Der Ring freilich machte ihm einigen Kummer, denn er konnte ihn, so viel er sich auch mühte, nicht vom Finger ziehen, was ihn sehr genierte, wenn ihn die Mädchen des Sonntags beim Tanz fragten, wer denn sein Schatz sei? Als sie das ein paarmal gethan und ihn arg verspottet hatten, kam er nicht wieder. Auch bereitete es ihm gar kein Vergnügen mehr, mit den Mädchen zu tanzen, nachdem er mit Maiennacht getanzt hatte. Ja, er mochte selbst die hübschesten nicht mehr ansehen, weil sie ihm im Vergleich zu ihr gar häßlich erschienen, und dabei wußte er zu seinem größten Leide nicht, wie sie ausgesehen hatte. Nur ihrer kleinen weißen Hände erinnerte er sich ganz deutlich und ihrer Augen wenigstens so weit, daß sie groß und dunkel und strahlend waren. Auch den eigentlichen Klang ihrer leisen süßen Stimme konnte er sich nicht zurückrufen, so viel er sich auch mühte und überhaupt Tag und Nacht an sie dachte, so daß er den Tag von der Nacht kaum noch zu unterscheiden wußte und nur immer rechnete, wie viele noch vergehen müßten, bis er sie wiedersähe. Essen und trinken mochte er gar nicht mehr. Darüber magerte er so ab, daß ihm die Kleider am Leibe schlotterten. Endlich ging aber doch das schreckliche Jahr herum, und es wurde wieder Mai; aber nun sollte seine Prüfung erst recht beginnen. Denn der erste Maitag war ein Montag; so mußte er noch sechs Tage bis zur Sonntagsnacht warten, worüber er denn beinahe vor Ungeduld und Sehnsucht gestorben wäre, wenn ihn nicht die sichere Hoffnung, seine Fee nun doch wiederzusehen, aufrecht erhalten hätte. Dann auf einmal in den allerletzten Tagen kam ihm die Furcht, ob sie wohl ihr Versprechen halten würde? Sein einziger Trost war der Ring, den sie ihm gewiß nur geliehen hatte, und er ihr also wiedergeben müßte. Aber was konnte freilich einer Fee an einem so kleinen schmalen Reifen gelegen sein? Nicht mehr, als an dem armen jungen Jäger, dem sie ihn gegeben, und den sie gewiß längst vergessen hatte!

Da kam die Sonntagsnacht. Eine Stunde, ehe der Mond aufging, war er schon auf der Halde. Dann stieg der Mond über die Bäume; aber es war nur die Sichel und dazu von Wolken überschleiert, so daß es kaum ein wenig heller auf der Halde wurde. Auch sah er nichts von den Feen, was ihm auch ganz lieb war, denn es verlangte ihn nach Maiennacht. Sie kommt gewiß nicht, sagte er traurig. Da fühlte er wieder den weichen kühlen Hauch auf seinen Lippen, und eine leise sanfte Stimme sagte: Willkommen, Du mein liebes Sonntagskind! – Er wußte gleich, daß es ihre Stimme war, und wunderte sich, wie er den süßen Klang jemals hatte vergessen können.

Wo bist Du, Maiennacht? sagte er, ich sehe Dich nicht.

Gieb mir meinen Ring! sagte sie.

Er griff nach dem Ring, der nun ganz leicht vom Finger glitt, und hielt ihn nach der Richtung, wo er glaubte, daß sie sei. Da sah er die kleinen weißen Hände und an dem Goldfinger derselben den Ring, der aber, um an dem Finger zu passen, viel kleiner geworden sein mußte. Und dann sah er sie selbst: ihr Goldhaar, ihre schimmernden dunklen Augen, ihren lächelnden Mund, und vor lauter Freude fing er an zu weinen. – Du liebes Sonntagskind, sagte sie, Du hast Dich wohl sehr nach mir gesehnt. Ich mich auch nach Dir. Es ist mir auch sonst nicht gut gegangen ohne meinen Ring. – Warum hast Du ihn mir denn gegeben? sagte er vorwurfsvoll; ich hätte auch ohne ihn immer an Dich gedacht. – Das wußte ich, sagte sie, und ich gab ihn Dir nicht Deinethalben, sondern meinethalben. Ich erkläre Dir das ein andermal, wenn wir erst besser miteinander bekannt sind. Jetzt wollen wir ein wenig spazieren gehen. Ich habe es inzwischen so ziemlich gelernt; Du mußt nur noch ein wenig Geduld mit mir haben.

So spazierten sie auf der Waldwiese, und es ging ganz leidlich. Nur manchmal schwebte sie in die Höhe, kam aber immer alsbald zurück und hing sich wieder in seinen Arm. Dann plauderten sie miteinander; sie wollte wissen, wie die Menschen leben, was sie treiben, wobei sie gar seltsame Fragen an ihn that, zum Beispiel: wie viel hundert Jahre seine Mutter alt gewesen sei, als sie starb? ob die Menschen, wenn sie stürben, zu einem Nebel würden, der in der Luft zerflattere? und ob er als Morgentrank den Tau aus Lilienkelchen vorziehe, oder den aus Rosen? Er antwortete, so gut er konnte; aber sie verstand ihn nie recht und sagte seufzend: ach, ein Menschenleben ist schwer zu begreifen, wir wollen lieber tanzen.

Da tanzten sie wieder. Nicht wahr, ich habe gut zugelernt! sagte sie; aber plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus und ließ ihn los. – Hast Du Dir wieder den Fuß vertreten? fragte er. – Ach nein, sagte sie; aber hast Du sie nicht gesehen, da auf dem dürren Tannenast? – Die große Ohreule? sagte er, mit den runden, glühenden Augen? – Das war keine Ohreule, sagte sie, das war die alte Hexe Uraka. Die ist mir grimmig feind. Die wird es nun den Kobolden erzählen, die klatschen es wieder den Gnomen, und so erfährt's am Ende der Geisterkönig. – Was denn? fragte er. – Daß ich mit einem Menschen getanzt habe. – Ist das so schlimm? fragte er. – Ach, sehr, sehr! sagte sie und dabei sah sie ihn mit traurigen Blicken an; es kann uns unser ganzes Glück kosten. Sie hat schon einen so großen Vorsprung. – Du willst fort? fragte er. – Ich muß, sagte sie und schwebte schon über ihm. – Wenn ich Dich nicht wiedersehe, sterbe ich, sagte er, die Arme zu ihr aufhebend. Da war sie wieder bei ihm in seinen Armen und sagte: Du sollst mich wiedersehen in der nächsten Sonntagnacht. Bis dahin, lebewohl, Sonntagskind! Und er fühlte wieder den kühlen, weichen Hauch auf seinen Lippen, aber flüchtiger als sonst, und dann stand er allein auf der dunklen Halde und ging traurig nach Hause.

In der nächsten Sonntagnacht war er wieder da eine Stunde, bevor der Mond aufging. Der war jetzt schon beinahe Halbmond, aber von Wolken dicht umzogen, daß es beinahe schwarze Finsternis auf der Halde war. Dazu sauste ein Sturm durch die hohen Tannen, und sie knackten und knarrten und stöhnten jämmerlich, als ob sie todkrank seien. – Sie fürchten sich so, sagte Maiennacht, und haben auch Ursach' dazu. Ach, liebes Sonntagskind, es ist eine schwere Zeit!

Er konnte heute in der Dunkelheit von ihr nichts sehen, nur ihre Augen und manchmal einen matten Schimmer von ihrem goldenen Haar und der kleinen weißen Hände. Und in dem Sturm klang ihre Stimme noch leiser, so daß er Mühe hatte, sie zu verstehen, trotzdem sie dicht bei ihm in dem Moose am Fuße einer Tanne saß, die so groß und dick war, daß sie nicht knarrte. – Ich bin so müde, sagte sie, es war eine so lange Reise. Ach, Sonntagskind, es steht schlimm, sehr schlimm, und es ist schrecklich, daß ich es Dir erzählen muß. Aber einmal mußtest Du es ja doch erfahren. Sieh, ich bin bei dem Geisterkönig gewesen, aber zu spät gekommen, er wußte schon alles und war furchtbar bös. Zuerst wollte er mich in eine Lemure verwandeln; Du weißt nicht, was das ist; es ist etwas ganz Entsetzliches. Als ich dann bat und flehte, mich nicht so grausam zu strafen, ließ er sich erweichen, nur zum Schein, denn die Strafe, die er mir nun auferlegt hat, ist womöglich noch entsetzlicher. Du hast von dem großen Ogre gehört, der nicht weit von meinem Walde in einem himmelhohen stählernen Schloß wohnt. Er frißt keine Menschen, sondern nur Tannen, nicht die ganzen Tannen, sondern nur Tannenwipfel, die ihm am besten schmecken; und weil er zu vornehm ist, selbst in den Wald zu gehen und sie sich zu brechen, läßt er von seinen Knechten die ganzen Tannen umhauen und zu sich in das Schloß fahren. Den Rest, den er nicht frißt, müssen die Knechte zersägen und in großen Scheiterhaufen verbrennen, damit die armen Leute nichts davon haben, denn die haßt er, und freut sich, wenn sie im Winter frieren und sich nicht einmal ihre Suppe kochen können. So hat er schon beinahe alle Wälder ringsumher im Lande aufgefressen; nur meinen Wald hat er nicht anrühren dürfen, weil ich von Natur ebenso mächtig bin wie er. Nun aber hat der Geisterkönig meine Macht so vermindert und seine so erhöht, daß er auch meinen Wald auffressen kann, wenn er will. Und er will es und morgen schon wird er damit anfangen.

Das ist schlimm, sagte Hubert; aber doch nicht so sehr. Wenn er diesen Wald auffrißt, ziehen wir in einen anderen; es giebt noch viele Wälder.

Für Dich, sagte Maiennacht, nicht für mich. Dies ist mein Wald; ich kann nur in ihm leben; stirbt er, so sterbe ich mit ihm. Hörst Du, wie die Tannen ächzen und stöhnen; sie wissen, daß der Ogre morgen kommt.

Ist denn da gar keine Hilfe? fragte Hubert traurig.

Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie: Ja, es giebt eine; und das ist eben die Strafe, die mir der Geisterkönig auferlegt hat, und die mir so entsetzlich ist wie Lemure zu werden, und viel, viel entsetzlicher als der Tod: ich soll den Ogresohn heiraten.

Das Scheusal! rief Hubert voll Entsetzen.

O, sagte Maiennacht; er ist kein Scheusal, wenigstens nicht äußerlich. Er ist ein schöner, feiner, junger Herr. Innerlich freilich ist er vielleicht noch böser als sein Vater: hochmütig, rachsüchtig und grausam gegen alle Welt, besonders die Armen, die er bis aufs Blut quält.

Was willst Du nun thun? fragte Hubert.

Lieber sterben als ihn heiraten, sagte Maiennacht.

Darüber war nun der Halbmond untergegangen, der Morgenstern blickte durch die jagenden schwarzen Wolken, und sie mußten sich trennen.

Am nächsten Morgen erwachte Hubert von einem entsetzlichen Lärm, der durch den sonst so stillen Wald hallte. Es waren aber die Ogreknechte, die in den Wald gedrungen waren und unter wüstem Schreien und Johlen die schönsten Bäume absägten und abhackten, an Stricken zu Boden rissen, auf Wagen luden und ins Ogreschloß fuhren. Das ging so den ganzen Tag durch bis die Sonne gesunken war, da mußten sie aufhören. Am zweiten Morgen kamen noch mehr Knechte und so am dritten Morgen und an den anderen Tagen, und unter ihren rohen Händen schwand der Wald, als ob er in Feuer aufginge. Hubert war außer sich; aber wie gern er auch sein Leben für Maiennacht gelassen hätte, er war allein und ihrer waren so viele; und mit seinem Tode wäre ihr ja nicht geholfen gewesen.

Du hast ganz recht, Sonntagskind, sagte Maiennacht bei der nächsten Zusammenkunft. Und ich denke auch, mit dem Leben davon zu kommen. Ich habe Botschaft an den Ogre gesandt durch die Hexe Uraka, die den Augenblick fürchtet, wo mir doch vielleicht der Geisterkönig seine Gnade wieder zuwendet. Die Sache liegt aber so: der Ogre weiß jetzt, daß ich lieber den Wald von ihm auffressen lassen, also sterben will, als seinen Sohn heiraten. Und da er beinahe schon alle Wälder im Lande aufgefressen hat, bleibt ihm noch immer etwas für seine alten Tage, wenn er meinen Wald bis dahin stehen läßt. Das sieht er auch ein; aber einen Tribut soll ich ihm doch zahlen: jeden Tag zehn hohe, gesunde junge Bäume.

Das ist freilich nicht viel, sagte Hubert, da dein Wald so sehr groß ist und in Anbetracht, daß die Ogreknechte jetzt täglich wohl dreihundert Bäume abgeholzt haben; aber endlich kommt es doch zu Hauf, und du mußt elend sterben, du liebe Maiennacht.

Wie lange wirst Du leben, liebes Sonntagskind? fragte sie.

Das wissen wir Menschen nicht, sagte er; mein Vater ist achtzig Jahre alt geworden.

Nicht mehr? sagte sie; das ist nicht viel; das halte ich schon aus.

Hubert wußte nicht, was Maiennacht damit sagen wollte, mochte sie aber nicht fragen, und sie fuhr auch schon fort:

Das ist noch nicht alles. Ich soll einmal wenigstens in dem großen Saale mit dem Ogreprinzen dreimal herumgetanzt haben.

Das wirst Du nicht thun! rief Hubert.

Es würde sonst aussehen, als ob ich den Prinzen verachtete, und das sei gegen die Ogre-Ehre.

O, thue es nicht! thue es nicht! sagte er flehend. Glaub mir, Maiennacht, das ist eine Falle, die Dir der Ogre stellt. Kannst Du denn wieder fort, wenn er Dich festhält und in den Schloßturm sperrt?

Nein, sagte sie; das kann ich nicht; außerhalb meines Waldes ist meine Macht nicht so groß.

Dann ist alles aus, sagte er weinend.

Sie weinte nicht, weil Feen nicht weinen können; aber ihre Augen schimmerten feucht, und ihre leise Stimme war sehr traurig, als sie sagte:

Mach' mir das Herz nicht noch schwerer, als es schon ist, Sonntagskind! Es muß sein. Weigere ich mich, so meldet es der Ogre dem Geisterkönig, und der macht mich zur Lemure. Ich will gern für dich sterben; aber eine so entsetzliche Schande kann ich auch um Deinethalben nicht auf mich nehmen. Also sei getrost, Sonntagskind! Ogres haben freilich wenig Ehre; aber ganz ehrlos sind sie nicht; und, wenn dieser auch sehr mächtig ist, den großen Geisterkönig, der den Treubruch bestraft, muß er doch scheuen.

Du liebst mich nicht, sagte Hubert traurig.

Ach, Sonntagskind, sagte sie; ich sehe wohl, ihr Menschen versteht Euch schlecht auf Liebe. Wenn Du wüßtest, was ich schon um Dich gelitten habe, Du würdest so nicht sprechen.

Er aber hatte sich in das Moos geworfen, das er mit den Händen zerwühlte, und stöhnte nur immer: Du liebst mich nicht.

Da legte sie die kleine Hand auf seine Schulter und sagte: Sei vernünftig, Sonntagskind! steh auf! und höre mich an! Das Versprechen, das ich dem Ogre gegeben, habe ich ihm auf meine Feenehre gegeben und muß es also halten. Hält er das seine auch, wie ich glaube, daß er es thun wird, so bin ich nächsten Sonntag wieder an dieser Stelle. Käme ich nicht, so ist der Ogre treulos gewesen und hat mich in den stählernen Turm eingeschlossen. Des zum Zeichen werde ich Dir meinen Ring senden.

Wie willst Du das anfangen, wenn Du eingeschlossen bist? fragte er.

Ich rufe den ersten besten Vogel aus meinem Walde an, der an dem Turmfenster vorüberfliegt, sagte sie; der bringt ihn Dir.

Aber Du kannst ja selbst fliegen, sagte er.

Nur in meinem Walde, erwiderte sie; so wird er mich auch zu dem Fest in dem stählernen Schlosse durch eine Karosse abholen, und wenn Du mich befreit hast, wirst Du mich auf Deinen Armen in den Wald zurücktragen müssen.

Ach, wie gern will ich das thun, Maiennacht, sagte er. Aber wie soll ich es mit dem Ogre und seinem Sohne und all den greulichen Knechten aufnehmen?

Bist Du für mich und meine Liebe zu sterben bereit? fragte sie.

Ja, das bin ich, erwiderte er.

Ein tapferer und kluger Mann und der bereit ist, für seine Liebe zu sterben, vermag sehr viel; sagte sie. Aber das ist noch nicht alles.

Was ist es sonst? fragte er.

Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie mit so leiser Stimme, daß er es nur eben verstand: Sieh, Sonntagskind, als ich Dir das erste Mal meinen Ring gab, wollte ich Dich auf die Probe stellen, ob Du mich liebtest und mir den Ring nach einem Jahre wiederbrächtest. Es war ein großes Wagestück von mir, denn ohne meinen Ring bin ich keine Fee mehr, sondern ein Menschenkind und ein sehr schwaches, und wenn die Köhlerfrau, die mir zu Dank verpflichtet ist, und bei der ich mich während des Jahres in Pflege gethan, nicht so gut zu mir gewesen wäre, lebte ich heute schon nicht mehr. Nun kann eine Fee ihren Ring einmal auf Probe weggeben und wiedernehmen. Giebt sie ihn zum zweitenmale weg, kann sie ihn nicht wieder von dem Finger ziehen, an den sie ihn gesteckt hat. Verstehst Du mich, Sonntagskind?

Ja, Maiennacht, sagte er, ich verstehe Dich, und jetzt wollte ich es mit hundert Ogres aufnehmen. Ach, Maiennacht, wie glücklich werden wir sein!

Hast Du auch bedacht, sagte sie, daß es möglicherweise nur ein kurzes, ein sehr kurzes Glück ist?

Meinst Du, ich könne Dich nicht noch besser pflegen als die Köhlersfrau! sagte er. Ich will Dich pflegen und hegen und küssen und herzen; ich werde so glücklich sein; wir werden so glücklich sein.

Er lachte und weinte vor Freuden durcheinander, und, da sie nicht weinen und auch nicht eigentlich lachen konnte, so lächelte sie nur, und er merkte nicht, wie traurig das Lächeln war.

In der nächsten Sonntagsnacht kam Maiennacht nicht. Er hatte es nicht anders erwartet, ja, er war froh, daß sie nicht kam. Denn sie hatte nicht gesagt, daß sie ihn, auch wenn der Ogre sie frei ließe, heiraten würde, und am liebsten wäre er noch in derselben Nacht, wie er da ging und stand, bloß mit seinem Hirschfänger bewaffnet, in das stählerne Schloß gegangen und hätte die Ogres, Vater und Sohn, zum Kampfe gefordert. Ihre Botschaft mußte er also abwarten, und als er am nächsten Abend am Waldesrande nach der Seite zu, wo das Ogreschloß lag, auf und niederging, sah er einen Falken, der hoch oben in den Lüften seine Kreise zog, wie der Falk es thut, wenn er nach Beute späht. Plötzlich kam der Falk auf ihn herabgeschossen, wie ein Stein, der fällt. Aber so schnell der Falk auch war, der Geier, der plötzlich von einem Tannenwipfel in der Nähe aufstieg, war noch schneller, packte den Falken und hätte ihn zerrissen und den Ring, den der Falk im Schnabel trug, erbeutet, wenn der den Ring nicht hätte fallen lassen, gerade auf den kleinen Finger von Huberts linker Hand, die er in seiner Angst um den Falken hoch in die Höhe gestreckt hatte. Da ließ der Geier den Falken los, der in den Wald flog, und stürzte sich auf Hubert, ihm den Ring vom Finger zu reißen. Hubert aber zog seinen Hirschfänger und hackte ihm den nackten Kopf ab, der zu einer Schlange wurde, die in den Sumpf schoß, während der Körper als Kröte eilends durch das Moos davonkroch, woraus Hubert sah, daß der Geier niemand anders als die Hexe Uraka gewesen war.

Da küßte Hubert den Ring, den er nun Zeit seines Lebens am Finger behalten sollte, und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse. Den Weg konnte er nicht verfehlen, denn schon von weitem sah er einen blutroten Schein, als wenn da ein ganzes Dorf in Flammen aufging. Es waren aber die großen Scheiterhaufen, in welchen der Ogre die Tannen verbrennen ließ, damit die armen Leute im Winter frören und sich ihre Suppe nicht kochen könnten. Die Scheiterhaufen lagen rings um das Schloß herum, so daß sie wie eine Feuermauer waren; und in der Mitte ragte das Schloß von Stahl, das in dem Schein des Feuers aussah, als ob es glühte. Zwischen zwei Scheiterhaufen, die ein bischen weiter als die anderen auseinanderlagen, sprang Hubert so schnell hindurch, daß ihm nur der grüne Jägerrock hier und da angesengt wurde, gerade auf das Schloßthor zu, welches zu seiner Verwunderung weit offen stand. Auf dem Schloßhof aber liefen die Knechte wirr durcheinander und einer kam auf ihn zu und fragte, ob er der Arzt wäre? Er sagte auf geradewohl: ja. – Du wirst auch was Rechtes helfen, sagte der Knecht, zwanzig von uns auf einmal haben schon mit aller Gewalt daran gezogen: er steckt zu tief im Schlunde. – Der Tannenwipfel? fragte Hubert auf gut Glück. – Was sonst? sagte der Knecht. In seinem Ärger darüber, daß die Prinzessin Fee unseren Prinzen nicht heiraten will, trotzdem er sie da in den Turm gesperrt hat, aus dem sie nie wieder in ihren Wald kommt, hat er sich voll Tannenwipfel gestopft, immer zwei auf einmal, und dabei ist ihm einer im Schlunde stecken geblieben. – Ich werde ja sehen, sagte Hubert, Führe mich zu ihm! Wo ist Hoheit, der Prinz? – Bei dem Herrn Vater, sagte der Knecht, damit, wenn der Herr Vater ersticken sollte, er ihm gleich den goldenen Schlüssel vom Gürtel nehmen kann, der zu dem Turm führt, in dem die Prinzessin Fee gefangen sitzt, und den ihm der Herr Vater bis jetzt nicht hat anvertrauen wollen. – So ist keine Zeit zu verlieren, dachte Hubert, und laut sagte er: Geh voran, ich folge Dir.

Der Knecht ging voran, und Hubert folgte ihm in die große Halle, wo der Ogre auf einem Lager aus Bären- und Wolfsfellen lag. Um das Lager her in einiger Entfernung standen viele Knechte mit finsteren Mienen, dicht neben dem Lager der Ogre-Prinz, wirklich ein hochgewachsener junger Mann, der bildhübsch gewesen wäre, wenn er nicht so böse, wüste, grausame Augen gehabt hätte. Der Ogre selbst aber war ein entsetzliches Scheusal, länger und dicker als die längste und dickste Tanne, und röchelte so entsetzlich, daß die ganze Halle bebte.

Du weißt doch, sagte der Ogreprinz zu Hubert, daß wenn Du meinen Vater nicht kurierst, Du lebendig verbrannt wirst? – Natürlich weiß ich das, erwiderte Hubert. Und wenn ich ihn heile? – Da wirst Du auch verbrannt, sagte der Prinz höhnisch, und nur zum Lohn vorher erst tot geschlagen. – Das ist ein schlimmer Handel, sagte Hubert, und ich muß sehen, wie ich mich daraus ziehe.

Der Ogre hatte die Augen zu, aber den gräßlichen Mund weit auf, so daß Hubert bequem in den Hals sehen konnte, nachdem er zwei Stühle übereinandergestellt und hinaufgestiegen war. – Der Fall ist schwer, aber nicht hoffnungslos, sagte er; der Tannenwipfel liegt verquer und kann nicht mehr herausgezogen, wohl aber heruntergestoßen werden, wozu ich eine kräftige dreißigjährige Tanne vorschlage, von der die Zweige und Nadeln sorgfältig entfernt sind. Ich habe unten auf dem Hofe welche liegen sehen. – Er mag keine ganzen Tannen, sagte der Prinz höhnisch. – Der kranke Ogre, der alles gehört hatte, machte eine Faust gegen den Prinzen und winkte heftig mit der anderen Hand den Knechten, zum Zeichen, daß man die Tanne bringen solle. Die wurde gebracht, und vierzig Knechte versuchten sie so weit in die Höhe zu heben, daß sie sie dem Ogre in den offenen Mund stoßen konnten, brachten es aber nicht fertig. – Vielleicht ist Hoheit selbst so gütig, sagte Hubert. – Da stieß der Ogre sich selbst die Tanne in den Schlund mit solcher Gewalt, daß die Spitze am Nacken wieder heraus kam und er auf der Stelle tot war. Im Nu hatte der Prinz den goldenen Schlüssel zum Turm mit seinem Schwerte von dem Ledergürtel des toten Vaters abgeschnitten und lief damit fort; aber Hubert sprang ihm nach und holte ihn im Schloßhofe ein, als er schon ganz nahe am Eingange zum Turm war. Schlüssel oder Tod! schrie Hubert; Tod oder Schlüssel! schrie der Prinz zurück. Nun erhob sich zwischen den beiden ein furchtbarer Kampf, während die Knechte, die den Prinzen haßten, in dichtem Kreise umherstanden, neugierig, wer wohl Sieger bleiben möchte. Hubert in seinem grünen Jägerrock hatte keine Waffe als seinen Hirschfänger, der Prinz aber stak vom Kopf bis zu den Füßen in einer Rüstung von poliertem blauen Stahl und hatte ein zweihändiges Schwert mit einer so scharfen Schneide, daß, wenn es im Heruntersausen eine von Huberts braunen Locken traf, die im Nachtwinde wehten, es diese glatt durchschnitt. Hubert kämpfte wie ein Verzweifelter um seine Fee, aber was konnte er mit seinem Hirschfänger gegen die stählerne Rüstung ausrichten! Da sah er auf dem Boden den goldenen Schlüssel, den der Prinz hatte fallen lassen müssen, weil er sein Schwert mit beiden Händen führte. Den raffte er auf, trotzdem er wohl einen Centner schwer war, und schlug damit dem Prinzen den Helm vom Kopfe. Nun geriet der Prinz in fürchterliche Wut, und Hubert wäre verloren gewesen, hätte er nicht in diesem Augenblicke Maiennacht gesehen, wie sie, die Hände ringend, oben am Fenster des Turmes stand. Da nahm er noch einmal alle Kraft zusammen und schlug den Prinzen mit dem goldenen Schlüssel auf die Schläfe, daß er wie eine gefällte Tanne in seiner stählernen Rüstung niederrasselte und auf der Stelle tot war. Hubert sah sich nicht weiter nach ihm um, sondern schloß die Turmthür auf, stürmte die steile Wendeltreppe hinauf, nahm seine Maiennacht in den Arm, trug sie hinab in den Hof und hinaus aus dem Schloß, noch eben zur rechten Zeit. Denn die Knechte, außer sich vor Freude über den Tod ihrer Tyrannen, hatten die Scheiterhaufen auseinandergezerrt und mit den brennenden Tannen das Schloß an allen vier Ecken angezündet, daß es, trotzdem es von Stahl war, brannte, als wäre es von Stroh, und die Glut taghell hinter Hubert her leuchtete, als er seine Maiennacht in den Wald trug, den er erreichte, als gerade der Morgenstern über ihm aufging. Hubert aber trug Maiennacht nicht in sein Haus, sondern zu dem alten Eremiten im Walde, der vor seiner Zelle kniete und den jungen Tag im Gebet begrüßte, und als er sein Gebet verrichtet, sie einsegnete, so daß sie von Stund' an Mann und Frau waren.

So war denn Hubert sein Herzenswunsch erfüllt, und er wäre überglücklich gewesen, nur daß Maiennacht fortwährend kränkelte und sichtbar von Tage zu Tage hinschwand. Sie klagte aber nie, sondern sagte immer, es wäre nichts, das Menschenleben sei nur im Anfang ein wenig schwer; sie würde sich mit der Zeit schon daran gewöhnen. Hubert sah auch, welche Mühe sie sich gab, daß es aber über ihre Kräfte ging, nur einen Bissen Brot hinunterzubringen, trotzdem es der Bäcker aus dem feinsten Weizenmehl eigens für sie gebacken hatte. Wenn Wildbret auf den Tisch kam, überfiel sie ein Schauder, daß Hubert es schnell wieder wegtrug und in den Garten ging, zu sehen, ob nicht an schattigen Stellen noch ein bißchen von dem Morgentau in den Blumen hing. Davon genügte ihr der viertel Fingerhut voll, den er ihr brachte, und sie dankte ihm, während sie ihn gierig austrank, mit dem holdseligsten Lächeln. Ich will ja so gerne leben, sagte sie, weil ich Dich so lieb habe. – Aber ich sehe, sagte Hubert in seinem Jammer, daß es über Deine Kräfte geht, und obschon es mein höchstes Glück ist, daß Du meine Frau und immerfort bei mir bist, so wollte ich doch, Du nähmest Deinen Ring zurück und würdest wieder Fee, wenn ich Dich dann auch nur in den Sonntagsnächten des Maienmonds sehen kann. – Damit ist es nun nichts mehr, sagte sie. Ich habe Dir gesagt: Wenn eine Fee ihren Ring zum zweitenmal an ein liebes Menschenkind gegeben hat, ist sie keine Fee mehr und kann nie wieder Fee werden. Das habe ich alles gewußt, und bei den Köhlersleuten auch gesehen, wie schwer es ist, Mensch zu sein. Aber weil ich Dich so sehr lieb gehabt habe, habe ich es auf mich genommen, und es ist mir nicht leid und wird mir nie leid werden, außer wenn ich sehen müßte, daß es Dir leid ist und Du mich nicht mehr liebst. – Ich werde Dich immer lieben, Maiennacht, sagte er, das weißt Du. – Dann werde ich immer glücklich sein, Sonntagskind, sagte sie.

Aber Maiennacht wurde zusehends schwächer, so daß sie keinen Schritt mehr gehen konnte, und er sie stets tragen mußte, was er ja mit tausend Freuden gethan haben würde, nur daß er wohl spürte, wie sie von Tag zu Tag dahinschwand, und als das Jahr um war und die Maiennacht wieder kam, an welcher er sie aus dem Ogreschlosse befreit hatte, er nur noch einen Schatten von ihr in den Armen hielt.

So trug er sie auch in einer Nacht im Mondschein vor dem Försterhause auf und ab, weil sie geklagt hatte, daß ihr das Atmen drinnen so schwer werde, und fragte sie, ob es ihr draußen besser sei?– Ja, sagte sie, viel, und schmiegte sich dicht an ihn.

Da trug er sie wieder eine Weile auf und ab, dann hob sie sich ein wenig in seinen Armen, aber er sah von ihr kaum noch etwas als ihre Augen, die aber auch schon wie von ferne zu schimmern schienen; ebenso wie ihre Stimme wie ferne, leise Musik klang, obwohl sie dicht an seinem Ohr war und er jedes Wort deutlich verstand. – Sonntagskind, sagte die Stimme, erschrick nicht! der letzte Augenblick von unserem Glück ist da. Der Geisterkönig hat Erbarmen mit mir gehabt und mir erlaubt, als Fee zu sterben und in dem Äther zu zerrinnen, aus dem wir Feen gewoben sind. So lebe wohl, Du mein geliebtes Sonntagskind!

Da fühlte er sie nicht mehr in den Armen, sondern nur noch den weichen kühlen Hauch ihres Atems auf seinen Lippen, der ein paarmal wiederkam, als könne sie nicht von ihm lassen, bis er schwächer und schwächer wurde und dann nicht zurückkehrte. Er breitete sehnend die Arme nach oben, wohin sie geschwebt war, aber er sah nur ein silbernes Schleierwölkchen, das im Strahl des Mondes zerfloß.

Ach, sie ist nicht tot, rief er; sie hat Dich nur verlassen und ist wieder Fee geworden.

Da lief er in den Wald zu der Halde, auf der er sie mit ihren Gespielinnen hatte tanzen sehen. Die waren auch wieder da und tanzten im Mondenschein, nicht fröhlich, wie damals, sondern in langsamem, feierlichem Reigen, wobei sie die weißen Hände rangen, die seltsam von ihren Schleiergewändern abstachen, die heute nicht weiß und silberblau waren, wie in jener Stunde, sondern schwarz, wie schwärzeste Nacht, trotzdem der Mond so hell darauf schien. Da wußte er, daß Maiennacht nicht wieder eine Fee geworden, sondern in der Luft zerflossen war und nie wiederkommen würde. Vor Jammer und Weh schrie er laut auf; da waren die Feen verschwunden. Er warf sich in das Moos und weinte so, daß ihm das Herz brach. Es kann aber nicht weh gethan haben, denn als man ihn am nächsten Morgen auf derselben Stelle tot fand, sah sein Gesicht ganz verklärt aus. Die Leute meinten, es sei von der Sonne, die eben über die Tannenwipfel in die Halde schien. –

Haben Sie schönen Dank! sagte Frau Körner, als Justus schwieg. Es hat mir sehr gefallen. Wann haben Sie das gedichtet?

In der letzten Zeit, erwiderte Justus.

Ist es Ihnen gleich als ein Ganzes aufgegangen?

Ach nein! es ist immer eines zum anderen gekommen; ich habe es wohl zehnmal umgedichtet, besonders den Schluß.

Er ist ein wenig kurz geraten.

Ich hatte noch einen andern längeren, in welchem Hubert Eremit wird, nachdem Maiennacht gestorben ist.

Bitte erzählen Sie den auch! Eremit?

Ja, Maiennacht hat ihm das Versprechen abgenommen, daß er sich nach ihrem Tode nicht tot weinen, sondern als ein rechtschaffener tüchtiger Mann weiter leben will. Und weil er in der ganzen Gegend keinen rechtschaffeneren Menschen kennt, als den alten Eremiten, geht er zu dem, sich ihm als dienender Bruder anzubieten. Der nimmt ihn gern auf; er dient ihm mehrere Jahre, bis der Alte gestorben ist und er an seine Stelle treten kann.

Ich denke, es ist so, wie es jetzt ist, poetischer, sagte Frau Körner. Was meinen die Damen?

Der klugen Frau war ihre Absicht gelungen, über das lästige Schweigen, welches nach einem derartigen Vortrag in einer Gesellschaft zu entstehen pflegt, möglichst schnell wegzukommen. Überdies hatte sie die Anwesenden, während Justus erzählte, genau beobachtet und dabei eigentümliche Bemerkungen gemacht. Von den Gesichtern um den Theetisch hatte kein einziges den Ausdruck unbefangenen Zuhörens getragen, am meisten noch das von Miß Brown, die mit niedergeschlagenen Augen dagesessen und nur ein paarmal still in sich hineingelächelt hatte. Isabel hatte sich offenbar Mühe gegeben, eine Miene zu machen, als ob die ihr bekannte Geschichte sie im Grunde wenig interessiere, war dabei aber immer blasser und blasser geworden, und die dunkeln Augen hatten aus dem blassen Gesicht mit einem triumphierenden Glanz gestrahlt; Sybille hatte mit dem Ausdruck einer völlig Verzauberten dagesessen, welche die Empfindung der Gegenwart und ihres eigenen Daseins so völlig verloren hat, daß sie nicht einmal die Thränen spürt, die ihr aus den starren, weitgeöffneten Augen über die Wangen rinnen; – ein vollkommenes Gegenbild zu Armand, dessen Miene immer finsterer geworden war, und der aus den gesenkten Augen von Zeit zu Zeit grollende, wütende Blicke bald auf den Erzähler, bald auf Isabel warf. Das hätte Frau Körner ein paarmal fast zum Lachen gebracht; aber sehr widerwärtig, ja unheimlich war ihr das malitiöse Lächeln gewesen, das wiederholt um die dünnen Lippen von Mademoiselle Margot gezuckt, und der Blick, den sie dann jedesmal auf Doktor Müller geworfen und dieser verständnisvoll erwidert hatte. Für Frau Körner stand zweierlei fest: einmal, daß der Erzähler selbst und Isabel die Helden der Geschichte waren, und es für Justus besser gewesen wäre, wenn er die Geschichte nicht erzählt hätte.

Indessen hatte der Gewittersturm sich ausgetobt. Die fast völlige Nacht, die er heraufbeschworen, war wieder dem Abend gewichen, wenn es auch beharrlich weiter regnete. Frau Körner bat, wenigstens das Ende des Regens abzuwarten; aber es war ein Diener aus dem Schlosse da mit der Botschaft, der Herr Graf wünsche die sofortige Rückkehr der Herrschaften. Die beiden aus dem nahen Marstall schnell requirierten geschlossenen Wagen waren vorgefahren. Man verabschiedete sich von der gütigen Wirtin. Auf der kurzen Rückfahrt nach dem Schloß wurde in dem Wagen, in welchem die vier Damen saßen, kaum ein Wort, in dem, in welchem Doktor, Müller und seine beiden Zöglinge Platz genommen, kein Wort gesprochen.


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