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VI.
Ein paar Blicke in die amerikanische Romanlitteratur.

Finden so im fernsten Lande
Gleiche Lust und gleiche Qual;
Spüren unsichtbare Bande;
Nennen's international.

I.

Vielleicht ist niemand besser im stande, eine Gesellschaft in intellektueller, moralischer und ästhetischer Hinsicht richtig zu taxieren, als ein Individuum von Geist und Bildung, das in und mit dieser Gesellschaft ausreichend verkehrt, ohne doch aus ihr hervorgegangen und ihr integrierendes Mitglied zu sein. Goethes Sentenz in Ottiliens Tagebuch: »Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat« konnte nicht wohl von einem Mitgliede des Standes, sie mußte von einem Civilisten ausgehen, wie umgekehrt gerade der »gebildete Soldat« den Civilisten um so manches, was dieser vor ihm in der größeren Freiheit der Bewegung und sonst voraus hat, beneiden dürfte.

Etwas Ähnliches, oder auch dasselbe findet statt, wenn es sich um die Wertschätzung von Nationen handelt. Auch hier springt die günstigere Position des Ausländers gegenüber dem Einheimischen in die Augen. Dieser, der sich stets nur nach dem eigenen Maße mißt, wird sich bald zu klein, bald zu groß schätzen; jener, dem sich für alles und jedes an der eigenen Nation ein Vergleichungspunkt bietet, 171 viel sicherer das richtige Maß zu finden wissen. Immer die Voraussetzung festgehalten, daß der Beurteiler ein denkender Kopf ist, Augen und Ohren zum Sehen und Hören und – nicht zum letzten – ausgiebige Gelegenheit hat, umfassende und eingehende Beobachtungen anzustellen.

In dieser günstigen Lage, wenn es amerikanisches Wesen zu taxieren gilt, befand sich Hjalmar H. Boyesen Im Spätherbst« 1895 raffte den Trefflichen in der Vollkraft seiner Jahre und seines Schaffens ein Gehirnschlag hinweg zum Schmerz seiner zahlreichen persönlichen Freunde, zu denen zu gehören ich mich rühmen durfte; zum Kummer seines wirklichen und seines Adoptiv-Vaterlandes, die beide gleiche Ursache hatten, auf den sinnigen Gelehrten, den reichbegabten erfolgreichen Novellisten und Lyriker stolz zu sein. – A. d. V.. Norweger von Geburt, hatte er, bevor er Amerika zum erstenmal sah, bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre Zeit genug gehabt, in Haus, Schule und Universität seine Heimat kennen, schätzen und lieben zu lernen. Dann, ursprünglich auf Wunsch und Antrieb des Vaters, eines begeisterten Verehrers der großen Republik jenseits des Oceans, vorläufig zu einem kürzeren Besuch hinübergegangen, hatte er schließlich so lange drüben gelebt, daß ihm, als er vor ein paar Jahren auf einer Erholungsreise nach dem Geburtslande bei seinem alten Freunde Björnson zu Gast war, es ihm schwer fiel, sich in seiner Muttersprache geläufig auszudrücken. Freilich, wenn man dreiundzwanzig Jahre lang – ein Menschenalter fast – nur die einst fremde Sprache gesprochen und geschrieben hat! Dazwischen allerdings auch deutsch, noch dazu ex officio. Denn Boyesen bekleidete seit länger als einem Decennium die Professur der deutschen Litteratur, erst an der Cornell-University, dann am Columbia-College, nachdem er, sich zu diesem Amte vorzubereiten, über Jahr und Tag in Deutschland verweilt und unter Zarnckes Leitung in Leipzig eifrig studiert hatte.

172 Aber zur Hauptsprache ward ihm doch die englische, und mußte es werden für jemand, der von dem brennenden Ehrgeiz erfaßt war, sich unter die amerikanischen Schriftsteller einzureihen, und sein Ziel erreichte, vier Jahre, nachdem sein Fuß amerikanischen Boden betreten: 1873 mit seinem ersten Roman »Gunnar«, welchen das »Atlantic Monthly« brachte – damals hinsichtlich der Autorität und des Wertes in litterarischen Dingen das vornehmste unter allen seinen Konkurrenten. Ein merkwürdiger Fall sprachlichen Aneignungsvermögens, der in der Literaturgeschichte wenige seinesgleichen haben dürfte!

Seit jenem erstaunlichen Siege des Genies und Fleißes rangierte Boyesen unbestritten unter den Schriftstellern der United States, und wenn man die besten Namen nannte, ward der seine schwerlich jemals ausgelassen. Nimmt man dazu, daß er mit einer Amerikanerin verheiratet und Vater von vier heranwachsenden Söhnen war, die sicher auf ihr amerikanisches Autochthonentum stolz sind; daß der vielbeschäftigte Mann noch immer, wenn es sein mußte, Zeit und Kraft hatte, sich in eine Wahlschlacht zu stürzen – zu der er sich nicht erst die Parole von seinen deutschen Freunden Carl Schurz und Oswald Ottendorfer, dem Verleger der »Newyorker Staats-Zeitung«, zu holen brauchte – wer könnte an der vollständigen Metamorphose dieses Nordlandssohnes in einen regelrechten Yankee zweifeln?

Nur, wer das alte »Naturam expellas« nicht für eine Phrase hält und bedenkt, daß die Eindrücke, die Gemüt und Geist in den Jahren der für alles empfänglichen Jugend empfangen, mit der Macht der Natur wirken und kein noch so langer späterer Aufenthalt in einem Adoptivlande sie gänzlich verwischen kann, so wenig, wie er den Typus der Rasse in seinen körperlichen und geistigen Vorzügen und 173 Gebrechen völlig zu wandeln vermag. Wäre das der Fall, so hätte Boyesen, der Romancier, vor seinen amerikanischen Brüdern in Apoll nicht das voraus gehabt, was ihn uns ebenso merkwürdig und wert macht: die bei aller Liebe für das Amerikanertum konservierte Unbefangenheit und Objektivität des Urteils dem amerikanischen Wesen gegenüber.

Und gerade deshalb möchte ich das Studium seiner Werke allen empfehlen, denen es um eine wirkliche Einsicht in dieses Wesen zu thun ist; insonderheit den vielen, die das Verlangen empfinden, die fragmentarischen und oberflächlichen Beobachtungen, wie man sie während eines vielleicht – man möchte sagen: immer zu kurzen Aufenthaltes drüben machen kann, zu vervollständigen und zu vertiefen.

Boyesen ist in seiner novellistischen Laufbahn in einer Weise vorgegangen, die seiner Bescheidenheit und Klugheit zu gleicher Ehre gereicht. Nachdem er sich, wie wir sahen, mit fast unglaublicher Schnelligkeit des Organs der fremden Sprache bemächtigt, widerstand er der Versuchung, der mancher andere erlegen wäre, die neue Kunst und Kraft nun auch sofort an amerikanischen Stoffen zu erproben. Er sagte sich, daß er dabei zweifellos den eingeborenen Dichtern gegenüber den Kürzeren ziehen müsse, und wählte sich für seine ersten novellistischen Versuche ein Feld, wohin wiederum jene ihm nicht folgen konnten, und das ihm doch eine poetische Ernte versprach, die man ihm in der neuen Heimat gern abnehmen würde. Dies Feld war seine alte Heimat, sein Norwegen, in das er sich von seinen Jugenderinnerungen zurücktragen ließ, um aus ihnen heraus eben jenen Roman zu schaffen, der ihm die Thür zum editorial room des »Atlantic Monthly« und mit ihr die Pforten der amerikanischen Litteratur öffnete. Und da er doch nun einmal Deutschland kannte und amerikanische Ohren gern von 174 der merkwürdigen Heimat alter Schlösser hören, deren Ruinen sich in den Fluten des Rheines spiegeln, weshalb nicht in »Des Normanns Pilgerfahrt« einen Abstecher dahin machen? Und nun einen Schritt weiter die »Tales from two Hemispheres« und eine lange Reihe anderer Geschichten schon auf amerikanischem Boden spielen, aber eingewanderte Nordländer beiderlei Geschlechts die Helden und Heldinnen sein lassen? Was er da schildert, er, der eingewanderte Nordländer, hatte es ja an seinem eigenen Fleisch und Blut erlebt, oder an dem seiner Landsleute miterlebt: namenloses Staunen über die fremde Welt; unsicheres Tasten nach einem Pfad, der in diese Wildnis führt; langsames Vorwärtskommen; kühnste Hoffnungen übergipfelnde Erfolge; lähmende, erschreckende, zur Verzweiflung und in den Tod treibende Enttäuschungen. Wahrlich ein reiches, dankbares Thema, das dann der Dichter auch auf das beste zu verwerten verstanden hat, ja, an dem er erst so recht eigentlich zum Dichter geworden ist. Unsere eigene Litteratur, so reich an trefflichen Novellen, dürfte wenige aufweisen, die sich mit »The Man who lost his name« an herzgewinnender Innigkeit und rührendem Pathos messen können Deutsch von mir unter dem Titel: »Einer, der seinen Namen verlor«, in Engelhorns Romanbibliothek. I. Jahrgang, Band 23..

Nun war der kühne Pionier weit genug in das Neuland vorgedrungen, hatte es nach allen Richtungen durchstreift, – es war ihm keine Wildnis mehr. Scheffelweise hatte er bereits Salz mit den Einheimischen gegessen, sie in ihrem Thun und Treiben bis in die intimsten Details wohl beobachtet, ihr Thun und Treiben, wie es sich für einen braven Adoptivsohn schickt, jahre- und jahrelang redlich mitgemacht – er durfte es wagen. Durfte wagen, in Rom wie ein Römer 175 zu sprechen in der Sprache, die ihm schon längst so geläufig war, daß er bereits über sie die Muttersprache zu vergessen anfing.

Es folgte seine letzte Periode: die seiner specifisch amerikanischen Romane.

Eine längere Reihe, von der ich nur über den einen etwas ausführlicher berichten will: »The Mammon of Unrighteousness«, der mir als das bedeutendere Werk erscheint und vielleicht gerade seines größeren Gewichtes wegen sich schwerer Freunde erwerben dürfte, als etwa »The Daughter of the Philistines« oder »Social Struggles«, die weniger tiefgründig und auch in einem leichteren Stil geschrieben sind. »Der ungerechte Mammon« – ein Titel, nebenbei so dunkel wie das Gleichnis im 16. Kapitel des Evangeliums Lucä von dem ungerechten Haushalter, der nachträglich für seine Durchstechereien von dem reichen Herrn höchlichst belobt wird. Ich vermute, es steckt ein gut Teil Ironie in dem rätselhaften Titel, und der Dichter will sagen, daß seine lieben Landsleute (er durfte sie jetzt so nennen) Vers 9 nur bis: »Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon« lesen und das Folgende »auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten« als eine cura posterior ansehen, über die man sich vorläufig den Kopf nicht zu zerbrechen braucht.

Hat er es wirklich sagen wollen? Die Antwort auf die Frage muß der Roman selbst geben, in dessen Vorrede der Autor versichert: »Mein einziges Bestreben in diesem Buche war, Personen und Verhältnisse zu schildern, die völlig und typisch amerikanisch sind. Ich habe alle romantischen Traditionen mißachtet und mich einfach bei jeder Verkommenheit gefragt, nicht, ob sie amüsant sei, sondern ob sie der Logik der Wirklichkeit ent 176spreche – in Farbe und Ton entspreche dem amerikanischen Himmel, dem amerikanischen Boden, dem amerikanischen Charakter.« Sollte sich nun herausstellen, daß seine nach der Natur gezeichneten Personen mit gänzlicher Hintansetzung der frommen Nutzanwendung des weltlichen Gebotes sich nur an dieses halten, so wäre freilich die Ironie offenbar. Und es stellt sich heraus als eine Regel, welche in ihrer Kraft und Ständigkeit durch die wenigen Ausnahmen nur bestätigt wird. Schleppen doch sogar diese wenigen Ausnahmen die Kette der Regel am Fuße hinter sich her! Da ist der alte Obed Larkin, vielleicht der originellste, am meisten typisch amerikanische Charakter des Romans. Er hat es aus ärmlichen Verhältnissen heraus durch eminenten, skrupellosen Geschäftssinn zu ungemessenem Reichtum gebracht und bei dem Landstädtchen, in welchem er residiert, ganz aus eigenen Mitteln eine vielbesuchte, mit allen wissenschaftlichen Notwendigkeiten reich ausgestattete Universität gegründet. Dabei ist er für sein Teil ein völlig ungebildeter Mensch geblieben, der seine Muttersprache weder richtig spricht noch schreibt; ohne höhere geistige Bedürfnisse, ohne eine Spur von Verständnis für das, was da auf seiner eigenen Universität getrieben wird; voll Verachtung gegen die Professoren, die er wie Schuljungen behandelt. Und warum er nun Millionen für das Institut ausgegeben hat und auszugeben fortfährt? Aus Ruhmsucht? Eitelkeit? Man sollte es meinen, und doch trifft es die Sache nicht ganz. Er hat das wenige, was er weiß, sich in saurer Arbeit selbst zusammensuchen müssen, furchtbar unter seiner Unwissenheit gelitten, wohl begriffen, daß Wissen Macht ist. Nun sollen andere es leichter und besser haben, ein Wunsch, in den der patriotische Gedanke hineinspielt, es werde so durch die Ausbreitung des Wissens der Glanz und Ruhm des Vater 177landes erhöht werden. Hier scheinen in einer Menschenseele die unglaublichsten Widersprüche vereinigt und die doch durch die Dichterkunst glaublich werden. Ich kann das nicht ins einzelne verfolgen; man muß es eben lesen.

Wo man denn auch das folgende Kuriosum kopfschüttelnd hinnehmen wird.

Dieser prosaischste der Menschen hat sich in seiner Jugend leidenschaftlich in eine schöne, extravagante, sittenlose Person verliebt, die es dann so arg treibt, daß er sie verstoßen muß. Aus der unglückseligen Ehe ist ihm ein Kind erblüht: seine Tochter Gertrud, ein sich herrlich entwickelndes Mädchen, das einzige Wesen auf Erden, für das in dem erkalteten Herzen des Sonderlings noch eine warme Stelle reserviert bleibt. Als Gertrud sich aber einfallen läßt, seinem Verbote zu trotzen und zu dem schlimmen Weibe, von dem sie erst jetzt erfahren hat, daß es ihre Mutter sei, nach Newyork eilt, verbietet er ihr die Wiederkehr in sein Haus; betrachtet sie als eine, die für ihn tot ist, gleichviel, ob die Unerfahrene in dem Babel am Hudson kläglich zu Grunde geht, oder nicht. Und es ist nicht sein Verdienst, wenn sie gerettet wird, sondern das ihres Vetters Aleck, der sie liebt und heiratet und mit ihr eine Ehe führt, welche im Vergleich zu der seines Bruders Horace mit der schönen Kate eine ideale zu nennen ist.

Die Schilderung dieser beiden Ehen nimmt die zweite Hälfte des Romans ein. Die erste Hälfte spielt in Toryville, jenem Landstädtchen, das der alte Obed zu einer Universitätsstadt gemacht hat. Die Brüder sind Advokaten und Kompagnons, aber sehr ungleicher Natur: der ältere, Horace, ein willensstarker, rücksichtsloser Streber; der jüngere ein weicher, uneigennütziger, sich in phantastischen Illusionen wiegender Träumer. Er hat sich, angewidert durch den Mammonismus, 178 der in Toryville zu Hause ist, nach der Metropole gewandt und fristet dort als Zeitungsreporter, dann als Hilfslehrer an einem Erziehungsinstitut ein nach amerikanischen Begriffen kümmerliches Leben, das nun seine geliebte Gertrud wohl oder übel zu teilen gezwungen ist. Mehr übel, als wohl. Sie kann nicht vergessen, daß sie als reiche Erbin geboren wurde, und quält den armen Aleck, trotzdem sie ihn liebt, mit ihren vornehmen Capricen und aristokratischen Velleitäten bis aufs Blut. Sie möchte den Gatten, der sich in denselben Aspirationen wiegt, als großen Dichter sehen, im Grunde nur, weil sie dann von den selbstverständlich enormen Erträgnissen seiner Bücher als Herrin einer fashionablen Villa in einem fashionablen Vororte der Hauptstadt ein fashionables Leben führen und es ihrer reichen Schwägerin einigermaßen gleichthun könnte.

Einigermaßen, denn das Vermögen des alten van Schaak aus einer der ältesten Knickerbockerfamilien, des Vaters von Kate, Horaces Gattin, ist unermeßlich. Niemand weiß das besser als Kate selbst, das Musterbild einer feinen amerikanischen Lady. »Miß van Schaak war eine hochgewachsene, schlanke Brünette mit schönen, regelmäßigen Zügen. Alles an ihr war klar, deutlich, scharf begrenzt. Ihre Lippen hatten feste, reinliche Rundungen; jede Linie, jeder Zug ihres Gesichts war von der höchsten Feinheit und deutete auf Jahrhunderte von Civilisation zurück. Dabei war sie so herausfordernd sauber, daß die Sauberkeit bei andern von einer geringeren Qualität erschien.«

Daß die geistigen und moralischen Qualitäten dieser exemplarischen jungen Dame ihrem Äußeren entsprechen werden, läßt sich voraussetzen. »Sie konnte augenscheinlich alles sein, was ihr zu sein beliebte; konnte bezaubern oder abstoßen mit demselben Vorbedacht und beliebte das letztere 179 ebenso oft zu thun als das erstere. Sie fühlte sich in der Lage einer Souveränin, um deren Gunst sich Tausende vergeblich bewerben, und sie war nicht gesonnen, von ihren Gunstbezeigungen einen verschwenderischen Gebrauch zu machen.«

Horace, ihr Gatte, ist natürlich der nächste dazu, das alles auf seine Kosten zu erfahren. Er hat, um die reiche Erbin heiraten zu können, in Toryville die Tochter des Geistlichen, die ihn liebt und mit der er versprochen war, sitzen lassen. Die Strafe für seinen Verrat läßt nicht auf sich warten. In den Augen der hochmütigen Aristokratin bleibt er, trotz seiner geschäftlichen Schneidigkeit, politischen Finesse und parlamentarischen Begabung, der Plebejer, der sich einfach ihren Launen zu fügen, nach ihrer Pfeife zu tanzen hat. Wie der Starke sich allmählich unter das Joch der noch Stärkeren beugen lernt, der Mammonsdiener in der Gattin die Oberpriesterin seines Gottes anerkennen und sich vor ihr demütigen muß – das wird uns mit einer Kunst vorgeführt, die unsere volle Bewunderung herausfordert. Für den Beteiligten ungemein beschämend und für den Leser ebenso ergötzlich ist die kleine Episode, mit der dieser eheliche Feldzug und zugleich der Roman schließt. Horace bekommt eines Tages ein Schreiben aus dem Kabinett des Präsidenten mit der Anfrage, ob er den Posten eines Botschafters am Petersburger Hofe annehmen würde. Eigentlich steht sein Ehrgeiz nach einer anderen Richtung – es ist dies eine Ausbiegung aus dem Wege zum Präsidentenstuhl, den er ambitioniert. Andrerseits ist die Ehre wieder so groß, und er weiß, daß es Kate Freude machen wird, wenn er acceptiert. Auf jeden Fall sieht er in dem Antrage nur eine Auszeichnung, die dem einflußreichen Senator gebührt, und durch die man sich seinen Beistand sichern will. 180 Nun bei dem Abschiedsdiner, das Vater van Schaar dem jungen Paare giebt, das morgen nach St. Petersburg abdampfen wird, ergeht sich Horaces Tischnachbarin in allerhand malitiösen Sticheleien und Anspielungen, die darauf hinauslaufen, daß es sich mit der Ernennung doch wohl anders verhalten möge, als Horace annehme, bis denn dieser unmutig ruft:

»Ich bitte Sie, sagen Sie mir ohne Rückhalt: hat irgend jemand, soviel Ihnen bekannt, diesen Posten für mich gefordert?«

»Ich weiß nicht,« antwortet sie.

»Was denn meinen Sie mit Ihren Insinuationen?«

»Ich meinte dies, daß Mr. van Schaar 20 000 Dollars von Kates und 25 000 von seinem eigenen Gelde an den republikanischen Wahlfond zahlte, damit man Ihnen diese Stelle gebe.«

Der Autor hat in der Einleitung versichert, daß in dem Roman nichts vorkomme, das nicht nach der Natur gezeichnet wäre. So müssen wir ihm denn auch die volle Verantwortung für einen Zug, wie den obigen, überlassen, der in unsern Augen einen bösen, allerdings für uns nicht mehr überraschenden Makel des amerikanischen Charakters illustriert.

Wie denn auch sonst in dem Buche gar manches zur Sprache kommt, was für das Amerikanertum nichts weniger als schmeichelhaft ist, so wenig, daß es eben nur ein Amerikaner sagen darf.

Und doch vielleicht nur einer sagen, es wenigstens so sagen konnte: mit dieser Unbefangenheit und zugleich tiefen Einsicht in den Kern der zur Sprache gebrachten Sache, der kein geborener Amerikaner war, sondern seine normannische Geradheit und Ehrlichkeit mit übers Meer gebracht und drüben so rein bewahrt hatte wie das Gletschereis seiner heimischen Berge.

181 Die amerikanische schöne Litteratur verdient, nachdem sie sich – es ist noch nicht eben lange her – von dem übermächtigen Einfluß der ausländischen Litteraturen – besonders der englischen – frei gemacht und ein völlig selbständiges Gepräge angenommen hat, von uns genauer studiert zu werden.

Als Vermittler zwischen unserer und der amerikanischen Denkweise könnte ich niemand wärmer empfehlen als unsern amerikanisierten Stammesverwandten Hjalmar Hjorth Boyesen.

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II.

In jedem Monat lassen unsere Verleger einen Schauer von einheimischen Romanen und Novellen auf den Markt herniederregnen. Eine große Zahl dieser Bücher ist von jungen Damen der gebildeten Kreise verfaßt und meist gesund im Ton und treffend in der Zeichnung der Charaktere. Die Lektüre ist angenehm, anregend und unterhaltend; der Humor (der eine allgemeine Gabe der amerikanischen jungen Damenwelt zu sein scheint) gefällig und fein; man gelangt naturgemäß zu der Erwartung, daß eine Schriftstellerin, die im stande ist, so zu debütieren, eine bedeutende Zukunft vor sich haben werde. Dennoch ist dies eher die Ausnahme als die Regel. In den weitaus meisten Fällen lassen die frühreifen und begabten jungen Damen nie wieder etwas von sich hören, oder ihrem ersten ruhmreichen Buche eine zweite Veröffentlichung folgen, die gleichbedeutend mit einer Niederlage ist, um dann vom Schauplatz der Öffentlichkeit in die Stille des häuslichen Lebens zurückzusinken.«

Es war Hjalmar Boyesen, der in einem seiner kritischen Essays diese Bemerkung machte. Sie ist ursprünglich nur auf die amerikanische Romanlitteratur, soweit sie aus weib 182lichen Federn stammt, gemünzt, könnte aber, wie sie dasteht, auch zur Kennzeichnung der analogen Zustände bei uns zu Lande dienen. Das weiß keiner besser, als wer in der Lage ist, jahraus, jahrein in kurzen Zwischenräumen mit Manuskripten aus zarten Frauenhänden beehrt zu werden, unweigerlich begleitet von der Bitte, der Verfasserin auf Pflicht und Gewissen sagen zu wollen, ob sie es wagen dürfe, mit diesem ihrem Erstlingswerk vor das Publikum zu treten. Man ist erstaunt über die Fülle von Geist, Gemüt, scharfer Beobachtung des Lebens, ja, auch technischer Gewandtheit, die man hier vereinigt findet; man darf aus Herzensgrunde loben; man thut es. Die Arbeit – Roman oder Novelle – wird gedruckt, und – es ist wieder einmal einer von den »weitaus meisten Fällen«, deren Signatur unser amerikanischer Freund oben gegeben hat.

Dabei ist nichts zu verwundern. Man darf wohl ohne Übertreibung sagen, daß jedes dem Jugendalter entwachsene Individuum der wohlsituierten, in einer von Bildungselementen aller Art durchtränkten Atmosphäre heimischen Minorität mit seiner Weltanschauung bis auf weiteres fertig ist, oder doch zu sein glaubt und nebenbei seinen kleineren oder größeren Roman erlebt hat. Besonders gilt es für das mit schärferer Beobachtungsgabe ausgestattete und um soviel früher reife Geschlecht. Noch Neophyten, gehören diese jungen Damen doch in ihrer Weise schon zu den Wissenden; und, sagt Cicero, »alle sind in dem, was sie wissen, hinreichend beredt«. Die Beredsamkeit dieses Wissens ist es, welche aus ihren Erstlingsarbeiten spricht, die, wenn sie auch den Schein der objektiven Form anstreben, fast ausnahmslos Ich-Novellen und -Romane sind; die Verfasserin selbst zur Heldin haben und jene in ihrem jungen Leben epochemachende Herzensgeschichte erzählen, in der 183 dann freilich niemand so gut Bescheid wissen kann als sie selbst.

Nun wäre es bitteres Unrecht, zu schließen, daß, falls dem soviel versprechenden Erstlingswerke kein zweites gleichwertiges, oder überhaupt keines mehr folgt, der Quell des Talents, aus dem es floß, ein für allemal erschöpft sei, die Begabung nur eben zu dieser Äußerung und zu keiner sonst gelangt habe. Die Kraft ist vielleicht durchaus nicht aufgebraucht, aber sie findet keine Förderung, stößt dagegen überall auf Hindernisse, die höchstens von einem ganz außerordentlichen Genie, wie es in der männlichen Sphäre gerade so selten ist, wie in der weiblichen, überwunden werden könnten. Da ist der Mangel an freier Bewegung; mit ihm die Schwierigkeit, das Beobachtungsfeld zu erweitern; die Unmöglichkeit, in gewisse Regionen einzudringen, ohne deren Erforschung die Kenntnis des Lebens und der Gesellschaft immer eine fragmentarische bleibt. Da ist endlich – und dieser Fall gehört weder zu den seltenen, noch den wenigst wünschenswerten – die Ehe, welche oft die dichterische Kraft des Mannes beflügelt, und die der Frau fast unweigerlich lahm legt, ihr wenigstens nahezu die Möglichkeit raubt, ihre nunmehrigen Erfahrungen in reinen Kunstgebilden auszuprägen. Daß die Kraft nicht erloschen ist, – die Kinder, der Gatte, die Freunde, die Gesellschaft ahnen, spüren, empfinden, wissen es. Wie arm wären sie alle ohne die Phantasie, die Anmut, den Witz, den bon sens der Frau, welche, anstatt mit den gesammelten Schätzen ihres Geistes, ihrer Erfahrung vor der Menge zu prunken, sie mit großherziger Uneigennützigkeit in aller Stille an die gerade Bedürftigen verteilt, ohne ihre linke Hand wissen zu lassen, was die rechte thut!

Und, um der Männerwelt, vielleicht auch sich selbst zu 184 beweisen, was sie könnten, wenn sie dürften, und können, wenn sie wollen, delegieren diese begabten Frauen dann von Zeit zu Zeit eine der Ihren, mit den Männern um den höchsten Preis zu ringen und oft genug, wie der biedere Götz von Bruder Martin sagt, »viel Ritter zu beschämen«.

Die amerikanische Litteratur hat sowohl auf dem epischen, als besonders auch auf dem lyrischen Gebiete nicht wenige solcher preiswerten Siegerinnen zu verzeichnen. Zu ihnen gehört als eine ihrer ersten jetzt lebenden Roman- und Novellendichterinnen Julien Gordon.

Selbstverständlich ein nom de plume. Der wirkliche Name der Dame ist Mrs. Julie Van Rensselaer Cruger, wie alle Welt weiß, soweit sie amerikanische Journale, insonderheit der Metropolen des Ostens liest. Denn in ihnen ist »Mrs. Julie Cruger« ein ständiger Artikel. Und nach amerikanischer Gepflogenheit nicht nur in ihrer litterarischen Qualität und Wertschätzung. Die kommen erst in zweiter Linie. Weitaus in erster steht die schöne, einer der vornehmsten Familien entsprossene, mit Glücksgütern aller Art reich gesegnete Dame. Und gewiß, wenn die Ausstattung ihres Hauses in Newyork und ihrer Villa in einem der fashionabelsten Vororte nur halb so prächtig, gediegen und geschmackvoll ist, wie die Reporter sie mit obligater Ausführlichkeit schildern, so kann man nur von ganzem Herzen einen Strahl des irdischen Glanzes, der die amerikanische Dichterin umgiebt, ihren deutschen Schwestern in Apollo wünschen.

Ein Gewicht auf dergleichen Äußerlichkeiten zu legen, erscheint uns banausisch, ja, ein wenig läppisch. Wohl nicht ganz mit Recht. Es ist eben nicht gleichgültig, in welchem Milieu sich der Dichter bewegt: ob in breiten oder engen Verhältnissen, ob in den oberen, mittleren, unteren Schichten 185 der Gesellschaft. Was wäre aus Goethe geworden, hätte er sich durchzukämpfen gehabt, wie Schiller? was aus Schiller, wäre ihm der Lebensweg geebnet gewesen, wie Goethe? Darüber zu grübeln mag müßig sein; verkennen wir deshalb den mächtigen Einfluß, welchen die Konstellation der Glücksgestirne, unter der sie geboren waren, auf die Entwickelung unserer beiden Dichterheroen hatte?

Und so ist auch der Umstand, daß sie sich von Kindheit auf im Schoße des Reichtums gewiegt hat, für Mrs. Crugers dichterische Begabung und Kunstübung bedeutungsvoll geworden. Sie ist nicht unbekannt mit den armen Leuten; und wenn sie aus deren dichten Scharen einen und den andern auf ihre Bühne bringt, weiß sie die Gestalt in Bewegung und Sprache mit voller Lebenswahrheit auszustatten. Auch Personen aus den mittleren Schichten der Gesellschaft gelingen ihr ausnahmslos. Aber ihre ganz eigentliche Domäne, in welcher sie völlig souverän schaltet, und die sie deshalb auch nur selten verläßt, ist doch die Gesellschaft der upper ten thousand, welche die Sorge um das tägliche Brot – das Schreckgespenst von Millionen und Abermillionen ihrer Mitmenschen – nur von Hörensagen kennen.

Dem Romandichter, der seine Stoffe allein oder mit Vorliebe aus stets derselben socialen Schicht nimmt, liegt die Gefahr, einseitig und monoton zu werden, bedenklich nahe. Selbst ihr eifrigster Bewunderer kann schwerlich behaupten, daß Mrs. Cruger dieser Gefahr immer ausgewichen ist. Gewisse Verhältnisse, gewisse Typen kehren beständig wieder. Der Übelstand würde sich noch unliebsamer bemerkbar machen, hätte die Dichterin nicht einen Vorsprung vor ihren Konkurrentinnen, den sie wieder ihrer exceptionellen Lebensstellung verdankt: die intime Kenntnis fremder Länder und Nationen. Sie ist in St. Petersburg und Paris so 186 ganz zu Hause wie in Newyork und gleicht nach dieser Seite unserer Ossip Schubin, an deren Art sie auch noch sonst oft erinnert. Aber freilich, wo sie geht und steht, sie bleibt Amerikanerin in ihren Empfindungen und Anschauungen. Selbst wenn sie sich über ihre Landsleute lustig macht – und sie thut das nicht selten – oder ihnen die derbsten Wahrheiten sagt – wozu sie sich oft gemüßigt fühlt, – es ist immer eine familiäre Angelegenheit, bei der man die Worte nicht auf die Goldwage zu legen braucht, wie es Pflicht des Ausländers ist, der sich auch – wir sahen es an Boyesen – ein in die Familie aufgenommener Fremder unterziehen muß.

Mrs. Cruger steht noch nicht lange in der Öffentlichkeit – etwa seit acht Jahren – und hat seitdem mindestens ebensoviele größere und kleinere Romane herausgegeben – eine Fruchtbarkeit, die mich vermuten läßt, daß in ihrem Pult, als sie ihn das erste Mal aufschloß, bereits einige dieser Arbeiten fertig lagen. Ich lernte sie zuerst durch »Mademoiselle Réséda« kennen, – eine Arbeit, welche mir sofort eine hohe Meinung von der Verfasserin einflößte; und diesen Respekt vor ihrem Können hat jedes ihrer folgenden Werke Die chronologische Reihenfolge der hauptsächlichen Romane ist: A succesful Man; Madmoiselle Réséda; A Doplomat's Diary (deutsch von mir in Engelhorns Bibliothek. VIII. Jahrgang. Band 8, unter dem Titel »Daphne«); A Puritan Pagan; Marionettes; Poppaea; A Wedding., ich will nicht sagen: erhöht, aber auch ganz gewiß nicht abgeschwächt. Streng kritisch genommen, stehen sie sämtlich hinsichtlich der dichterischen Begabung und Technik auf demselben ästhetischen Niveau und unterscheiden sich ausschließlich durch die größere oder geringere Breite und Tiefe des Vorwurfs. Nur von diesem Gesichtspunkt aus ist es, daß ich »A Puritan Pagan«, als den inhaltlich 187 vielleicht bedeutendsten ihrer Romane, zum Gegenstand einer etwas eingehenderen Betrachtung wähle.

Den Titel: »Ein puritanischer Heide« braucht man, brauchen wir Deutsche wenigstens, so ernsthaft nicht zu nehmen, mit welch inniger Überzeugung ihn die Dichterin auch niedergeschrieben haben mag. Von dem Puritanismus des Helden, auf den der ominöse Titel gemünzt ist, bekommen wir nicht viel zu hören und von seinem Heidentum, wo möglich, noch weniger. Oder es macht ihn uns seine Liebe zur Natur, seine Gleichgültigkeit gegen die offenbarten Religionen noch keineswegs zum Heiden, während freilich ein sogenannter »Freidenker« in den Augen eines respektablen Amerikaners kaum noch gesellschaftsfähig erscheint. Im übrigen ist er ein gentleman born and bred, gebildet, stattlich, tapfer und ein ausgezeichneter, gesuchter Rechtsanwalt, der schon nach wenigen Jahren die Erträgnisse seiner Praxis zu einer Million abrunden kann. Alles in allem ein höchst annehmbarer Freier für die einzige Tochter eines ebenfalls reichen, berühmten Privatgelehrten, der nebenbei in religiöser Beziehung denselben freien Ansichten huldigt wie sein Schwiegersohn, ohne daß ihm die gläubige Tochter daraus einen Vorwurf macht. Sie macht ihn auch nicht eigentlich ihrem jungen Gatten, und wenn die Ehe nicht glücklich ist, trotzdem alle äußeren Bedingungen dazu gegeben scheinen, so trägt in den Augen aller Verständigen Paula den größeren Teil der Schuld. Norwood ist nichts weniger als ein Wüstling, er ist nicht einmal, was man einen Lebemann nennt, nur ein Mann, der neben seinen sonstigen Qualitäten auch Fleisch und Blut und gesunde Sinne hat. Was soll ein solcher Mann mit einer Frau beginnen, die ihn, der sie beim Nachhausekommen im Garten unter Rosenbüschen findet und die Überraschte mit Küssen bedeckt, zornig wie 188 einen Verbrecher von sich stößt? Da muß man doch wahrlich für erleichternde Umstände plädieren, wenn er sich von diesem Muster steifleinener Respektabilität zu der hübschen, konzilianten kalifornischen Klientin hingezogen fühlt, und den beiden ein Moment kommt, von dem es im Buche heißt: »Sage man was man will, nur eines kann einen Mann in solch einem Momente retten; nur eines: die aus religiösem Glauben und der Hoffnung auf ein seliges Leben nach dem Tode geborene geistige Gnade.« – »Die hatte Norwood nicht«, wie die Verfasserin noch ausdrücklich versichert.

Damit ist denn der segenlose Ehebund vollends gebrochen. Paula, als ihr der von Gewissensbissen gequälte Gatte – die reizende Kalifornierin ist inzwischen bei der Geburt eines Kindes gestorben – sein Vergehen beichtet, flieht, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, aus dem Hause und lebt in völliger Trennung, ohne sich übrigens von dem Verbrecher gerichtlich scheiden zu lassen, bei ihrer alten Tante weiter. Ein übrigens ganz vergnügliches Leben in fashionablen Badeörtern und wo es sonst hübsch und amüsant ist; zuletzt in Paris, immer umgeben von einem großen Kreise vornehmer und eleganter Damen und Herren, ohne natürlich trotz aller sie umbuhlenden Schmeichelkünste die Grenzen zu überschreiten, welche einem Tugendmuster gezogen sind, das ihrem im blinden Heidentum verirrten Gatten auf den rechten Pfad zurückleuchten soll.

Der Ärmste ist unterdessen in sich gegangen, hat unzählige Reubriefe geschrieben, die selbstverständlich von der erzürnten Tugend zurückgewiesen werden, darüber graue Haare bekommen und, was die Hauptsache ist, »beten gelernt«. Endlich bringen verständige Freunde die beiden Selbstquäler, die sich von Herzen nacheinander sehnen, wieder zusammen; die Tugend verzeiht großmütig dem 189 reuigen Laster; der Heide ist bekehrt und Religion und Gesellschaft sind bis auf weiteres gerettet.

Dies die kurze Relation einer Geschichte, die dem deutschen Leser wunderlich genug erscheinen mag und vielleicht um so charakteristischer für das Amerikanertum ist oder doch für den Teil der amerikanischen Gesellschaft, den die Verfasserin hat schildern wollen. Eine so selbstherrliche junge Frau, die sich bei einer ersten, allerdings schwersten Beleidigung sofort auf die eigenen Füße stellt, jeden demütigsten Versuch einer Wiederannäherung des reuigen Gatten jahrelang grausam zurückweist, ohne sich auch nur einmal die Frage vorzulegen, ob sie selbst ihn nicht durch ihre übertriebene Korrektheit vom rechten Wege abgedrängt hat; sich dann in den Strudel eines von nichtigen Vergnügungen ausgefüllten Lebens ziehen läßt, dessen Wellen ihr bereits über dem hübschen kühlen Kopf zusammenzuschlagen drohen – eine solche von Selbstgefühl strotzende junge Dame, sage ich, möchte bei uns zu Lande nicht allzuhäufig gefunden werden. Ebensowenig, wie der hochgebildete Mann, der sich nach einer Verirrung schlechterdings nicht ins Rechte zu denken weiß, ohne den Umweg zu nehmen durch »the spiritual graces, born of religious beliefs and hopes«.

Aber freilich, wenn es drüben genau so zuginge wie bei uns, könnten wir uns die Reise hinüber sparen und ganz gewiß auch die Lektüre transatlantischer Romane. Gerade daß wir dort uns vielleicht bis zur Unheimlichkeit fremdartigen Zuständen begegnen, uns mit Menschen berühren, in deren Denkungsart und Handlungsweise wir uns schlechterdings nicht finden können, ist es ja, was uns interessiert und lockt. Und wenn uns, den amerikanischen Mann zu verstehen, auch weniger schwer fallen sollte, dürfte uns die amerikanische Frau desto öfter ein undurchdringliches Rätsel 190 sein, trotz allem, was man von ihr hört und etwa auch sieht. Unlösbare Widersprüche scheinen in ihrem Wesen vereinigt: Herzlosigkeit und Opferfreudigkeit, kühlste Berechnung und tollkühnster Wagemut, zähestes Kleben an den Regeln der pedantischsten Etikette und freieste Führung des Lebens. Und wie ließen sich diese schroffen Gegensätze nicht noch häufen! Ist es einem ernstlich um ihre Lösung und Vermittelung zu thun, kann ich ihm das Studium der Romane von Mrs. Cruger nicht dringend genug empfehlen. Sie kennt ihre Landsmänninnen wie wenige, und in dem Freimut, mit dem sie über sie spricht, in der eminenten Kunst, mit der sie uns sie darzustellen weiß, dürfte sie niemand übertreffen.

Wie sie denn auch sonst eine realistische Dichterin im besten Sinne des Wortes ist. Man sagt wohl von einem Meisterporträt, ohne die dargestellte Person je gesehen zu haben: Das muß ähnlich sein! Die Überzeugung der absoluten Treue ihrer Schilderungen, welcher Art sie auch sein mögen, verläßt uns bei ihr nie. Dabei verfügt sie, was sich nach dem Gesagten fast von selbst versteht, über eine ganz außerordentliche sprachliche Gewandtheit, die sie eben so sehr befähigt, eine Natur- oder Salonscene mit festen Strichen und satten Farben zu malen, wie die Redeweise eines Menschen oder die Windungen eines Gespräches bis in die feinsten Nuancen getreu wiederzugeben.

Man kann nicht behaupten, daß das Genre dieser Schriftstellerin groß sei: aber daß sie groß in ihrem Genre, wird man unbedingt einräumen müssen.

Und ich meine, wie die Lage der Kunst heutzutage nicht bloß bei uns, sondern bei allen Kulturnationen ist, will das immerhin etwas sagen.

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