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12. Kapitel.

Der Tag war naß, unbarmherzig naß, genau ein solcher Tag, wie ihn ein gastfreundlicher Schloßherr nicht liebt, wenn die Zahl seiner Gäste den Höhepunkt erreicht, und genau ein solcher Tag, an dem Stadtleute es vorziehen, nicht mitten auf dem Lande vergraben zu sein.

Stella Bangler stand vor dem Fenster des luxuriösen Zimmers, das ihrer Mutter von Frau v. Cönnern angewiesen war, und blickte auf die wenig einladende Landschaft hinaus. Ihr hübsches Gesicht hatte einen mürrischen Ausdruck, der ihre Züge verbitterte. Auch in ihrer Stimme klang der Verdruß durch, als sie sich vom Fenster abwandte, um mit ihrer Mutter zu sprechen, die in einem Lehnstuhl neben dem Ofen saß. –

»Ich hasse diese langweiligen Schlösser. Sieh dir nur einmal den Garten und den Wald an, nichts als Regentropfen. Das unaufhörliche Geräusch des Tröpfelns fällt mir auf die Nerven.«

»Dann sind deine Nerven besonders empfindlich,« lautete die trockene Antwort. Diese neue nörgelnde Verdrießlichkeit ihrer sonst so friedfertigen Tochter ärgerte Frau Bendler, der solche Stimmungen bei anderen unerträglich waren.

»Die letzten beiden Jahre haben meinen Nerven auch übel genug mitgespielt,« entgegnete Stella, ihrerseits über die Antwort ihrer Mutter erregt. »Zuerst veranlassest du mich, meine Verlobung mit Arthur aufzuheben, den ich wirklich liebte,« – Frau Bendler spitzte verächtlich die Lippen – »dann zwangst du mich, Edgar zu heiraten, obgleich ich ihn gar nicht liebte.« Ihre Stimme bebte, als sich ihre Blicke mit denen ihrer Mutter kreuzten, die so hart, kalt und überlegen waren, »Ja. du weißt recht gut, daß ich in Wirklichkeit Edgar nicht liebte,« fuhr sie fort, als ob sie eine Antwort zu widerlegen hätte, und sprach in kläglichem Ton: »Aber ich mußte ihn heiraten, und jetzt – jetzt stehe ich allein in der Welt und bin furchtbar unglücklich.«

Das eigene Mitleid mit ihrer traurigen Lage trieb ihr zwei dicke Tränen in die Augen, und als sie ihr die Wangen herunterflossen, seufzte sie und trocknete ihr Gesicht mit dem schwarzgeränderten Taschentuch. Sie bedauerte sich selbst sehr aufrichtig und war überzeugt, daß sich gerade ihr Leben ganz besonders unglücklich gestaltet habe, und je länger ihre Gedanken bei ihrem eigenen großen Kummer verweilten, um desto schneller flossen die Tränen und um so tiefer wurden ihre Seufzer.

Frau Bendler beobachtete ihre Tochter mit einem eigenen rätselhaften Lächeln und sagte dann plötzlich mit Nachdruck:

»Meine liebe Stella, nun höre einmal mit dem Weinen über eingebildeten Kummer auf und höre mich lieber an. Ich erfuhr gestern abend eine Neuigkeit, die deine Tränen trocknen wird.«

Das schwarzberänderte Taschentuch verschwand schnell von Stellas Gesicht, und die dramatischen kleinen Seufzer hörten mit einer Schnelligkeit auf, die Bände sprach, entweder über die bedeutende Selbstbeherrschung oder über die Oberflächlichkeit des Kummers der jungen Witwe.

»Neuigkeiten? Was für welche und wie können sie mich berühren?«

»Du hast viel so ins Blaue hinein geredet über das Elend, das ich dir durch meinen Rat verursacht habe, deine Verlobung mit Darberg zu lösen und den Baron Bangler zu heiraten; wenn das jemand hörte, so sollte man glauben, daß ich dich zu irgendeinem Schritt zwinge, obgleich dir, wie du ganz gut weißt, es völlig freistand, nach deinem eigenen Ermessen zu handeln.«

»Nach eigenem Ermessen zu handeln?« Stella lachte laut auf. »Ich glaube nicht, Mutter, daß ich das je konnte. Doch darüber wollen wir jetzt nicht streiten. Was sind denn deine Neuigkeiten?«

»Du beklagtest dich gerade darüber, daß ich dich von Arthur Darberg getrennt hätte, und deutetest an, daß dir diese Trennung das Herz gebrochen. Vielleicht hast du Gelegenheit, diesen Schaden wieder gut zu machen. Ich hörte, Arthur kommt nach Deutschland zurück.«

»Er kommt zurück?« Stella errötete. »Was will das für mich bedeuten? Nichts!« fuhr sie fort. »Er wird von mir doch nichts mehr wissen wollen, nachdem ich ihn in so schmählicher Weise behandelt habe.«

»Allgütiger Himmel, Stella, sei doch nicht so albern,« rief Frau Bendler im Tone schärfster Erbitterung. »Bis zu meinem Tode werde ich mich wundern, wie ich an eine solche Tochter gekommen bin. Du hast Arthur sehr gut behandelt. Du warst ehrlich gegen ihn. Er muß dich deshalb achten. Du erklärst ihm –«

»Ich log ihm etwas vor,« unterbrach Stella sie ruhig – »oder vielmehr du tatest das für mich. Du sagtest ihm, ich liebte ihn nicht genug, um seine Frau zu werden, und dabei liebte ich ihn aufrichtig und – heiratete einen anderen.«

Ihr kurzes Eheleben hatte Stella gelehrt, mutiger gegen ihre Mutter zu sein, so daß sie ihr nicht mehr so gefügig war als in früheren Zeiten.

»Wenn du Arthur wirklich so geliebt hast, wie du jetzt behauptest, dann wundere ich mich, daß du so schwächlich warst, ihn aufzugeben,« sagte sie höhnisch.

»Wunderst du dich wirklich darüber, Mutter«? Stella trat plötzlich neben Frau Bendler und sah in ihrem langen schwarzen Kleid sehr groß und imponierend aus. »Du weißt recht gut, was mich Arthur aufgeben ließ,« sagte sie, heftiger werdend. »Du warst stets imstande, mich das tun zu lassen, was du wünschtest. Vielleicht kannst du das heute noch,« schloß sie weich und ließ den Arm schlaff mit der hilflosen Gebärde herabsinken, die für einen schwachen Charakter so bezeichnend ist. »Ich vermute, du schmiedest jetzt schon wieder Pläne für mich,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, in der sie ihrer Mutter Gesicht, auf dem noch ein verächtliches Lächeln schwebte, mit forschenden Blicken betrachtet hatte. »Weshalb hast du mir das von Arthur gesagt? Willst du uns wieder zusammenführen? Was hätte das für einen Zweck? Ich bin nicht reich, er ist es auch nicht, wenn er nicht in Australien ein Vermögen erworben hat – was könnte es also ihm oder mir nützen, wenn wir uns wieder sähen? Er täte besser daran, Malchen Mühe zu heiraten. Malchen Mühe ist in Mode – weil sie Geld hat.«

Stella hatte mit wachsendem Verdruß gesprochen, und die letzten vier Worte erinnerten an die Art eines verzogenen neidischen Kindes. Sie trat von Frau Bendler zurück und durchwanderte das Zimmer, während ihre Mutter sie mit verächtlichem Lächeln beobachtete.

»Du kommst in einem Atemzug zu hundert Schlüssen,« sagte die Aeltere endlich, »deshalb ist es schwer, zu wissen, ob du vernünftigen Vorschlägen zugänglich bist und sie versteht.«

»Was hast du für Vorschläge zu machen? Wenn du neue Mittel und Wege hast, Geld zu schaffen und mir eine große Mitgift geben kannst, dann hat es Sinn und Zweck, daß ich Arthur wiedersehe. Er hatte mich sehr lieb« – ein verliebtes Lächeln überzog langsam ihr reizendes Gesicht – »ja, er hatte mich sehr lieb, er besaß gerade die anbetende, lächerliche Verblendung, wir sie manchen Mann betört, und ich glaube, er würde sie noch haben, wenn er mich wieder sieht. Ich – ich habe mich doch nicht sehr verändert.« Stella blieb vor dem hohen Spiegel am Kleiderschrank stehen und betrachtete ihr Bild mit einiger Befriedigung. Sie gehörte zu den glücklichen weiblichen Wesen, denen tiefe Trauer ungemein gut steht, ihr Gesicht und Hals blendeten geradezu durch ihre Weiße, die sich von dem sie umgebenden tiefen Schwarz abhob. »Jedenfalls doch nicht zu meinem Nachteil verändert, Mutter?« Die Frage klang fröhlich.

»Nein, das hast du nicht – du hast dich sogar zu deinem Vorteil verändert und weißt das ganz gut,« entgegnete Frau Bendler. »Und du wirst ohne Zweifel noch weiter diese tiefschwarzen Kleider tragen und solange du nur irgend kannst, weil sie dir vorzüglich stehen – nicht etwa aus Trauer um den braven Edgar.«

»Der brave Edgar. Nein, um ihn trauere ich nicht sehr tief. Weshalb sollte ich das auch? Ich habe ihn nie geliebt, und er war schon einen Monat nach unserer Hochzeit gar nicht mehr nett gegen mich. Aber sicherlich trage ich noch einige Monate Schwarz: es steht mir ja so vorzüglich.«

»Ja, – Schwarz steht dir ganz vorzüglich, und ich gebe dir auch gern zu, daß du ein sehr hübsches Gesicht hast, aber ich frage mich – glaubst du, daß du auch Gemüt besitzest?«

Stella hielt in ihren langsamen Bewegungen vor dem Spiegel inne, um ihre Mutter mit ihren weitgeöffneten blauen Augen überrascht anzustarren. Ihre kindlichen Lippen bebten.

»Gemüt? Weshalb sprichst du so, als ob du daran zweifeltest?«

»Das tue ich auch,« lautete die schroffe Antwort. »Denkst du wohl jemals an etwas anderes als an deine Toiletten und dein Aussehen?«

Die reizenden Lippen kräuselten sich in rührender Weise, in die blauen Augen traten Tränen.

»Ich weiß nicht, weshalb du so hart und unfreundlich mit mir sprichst,« sagte Stella kläglich. »Ich habe nichts getan, das dich dazu veranlassen könnte. Ich weiß nicht, weshalb du mich so schlecht behandelst.«

»Benimm dich nicht unsinnig,« sagte die Mutter streng und in dem Ton, der nie versagte, die weinerlichen Anfälle Stellas zu unterdrücken. Du hast übrigens gar keinen Grund zum Weinen. Ich bin weder hart noch unfreundlich gegen dich. Im Gegenteil, ich erzähle dir eben, daß Arthur Darberg, den du zu lieben vorgibst, bald nach Deutschland zurückkommt, und daß ich mein Bestes tun werde, euch wieder zusammenzuführen.«

»Aber das hat doch keinen Zweck, wenn weder er noch ich Geld haben,« seufzte Stella. »Es wird dann wieder das alte Elend sein. Er heiratete besser Malchen Mühe – Malchen hat Haufen Geld – und – und Schönheit und alles.«

»Aber, liebe Stella, deine Phantasie läuft mit dir davon. Malchen Mühe steht jetzt weit über Arthur. Sie wird höher steigen wollen als zu einer solchen Null, wie er ist. Ich glaube, Frau Grau denkt an einen Grafen für sie.«

Mit der beharrlichen Hartnäckigkeit eines schwachen Charakters wiederholte Stella: »Also was nützt es, daß ich Arthur wiedersehe. Wenn er kein Vermögen hat, können wir uns doch nicht heiraten. Er soll sich nur in Malchen verlieben.«

»Er soll Malchen nicht heiraten – wenn ich in die Speichen des Rades greifen kann«, sagte Frau Bendler mit einem so boshaften Blick und voll Haß, daß Stella sich entsetzte. »Gottfried Hallers Geld muß an Arthur kommen – und an dich als Arthurs Frau. Malchen Mühe soll Arthur nicht heiraten, so lange ich das verhindern kann. Das lächerliche Testament muß umgangen werden.«

»Weshalb erregst du dich denn noch immer so über das Testament«, sagte Stella nachdenklich, »und ich wundere mich, daß du so entschlossen bist, Malchen an der Erfüllung der Wünsche ihres Paten zu verhindern. Es scheint, als ob –«

»Als ob was?« fragte Frau Bendler scharf. Ihre Nerven waren gespannt, ihre Stimmung auf einen unerträglichen Grad der Siedehitze gebracht.

»Als ob du Grund hättest, dem verstorbenen Herrn Haller zu trotzen«, antwortete Stella, »sonst wüßte ich nicht, weshalb du Arthur mir aufdrängen und von Malchen zurückhalten solltest.«

Ohne ein Wort der Erwiderung abzuwarten, verließ Stella das Zimmer – sie hatte ihren Pfeil abgeschossen.

Ihre Mutter rang nach Atem.

»Als ob du Grund hättest, dem verstorbenen Herrn Haller zu trotzen.« Die Worte schienen noch in Stellas klarer Stimme im Zimmer widerzuhallen, und einen Augenblick überwältigte sie die entsetzliche Furcht, daß ihre Tochter in der neuerwachten Schlauheit zu tief in ihrer Mutter Hoffnungen und Pläne eingedrungen sei.

»Es kann doch nur ein Zufall gewesen sein«, dachte sie dann nach einigen Minuten ruhiger Ueberlegung. »Stella kann den Schlüssel zur Vergangenheit nicht besitzen, sie kann ihre Hand nicht darauf legen – und doch ist es sonderbar, daß sie gerade das gesagt hat.«

»Als ob du Grund hättest, dem verstorbenen Herrn Haller zu trotzen«, und ehe das Echo dieser Worte verklungen war, erhoben sich aus längst vergangenen Zeiten Visionen und starrten ihr wieder ins Antlitz.

»Ein Trotz gegen – Gottfried Haller?«

Wie lange war es her, daß sie – und ein anderer in dem Unterholz gestanden hatten, das neben dem Garten ihres Vaters lag. Es war das kleine Haselnußwäldchen, in dem sie in den noch weiter zurückliegenden Tagen ihrer unschuldigen Kindheit Schlüsselblumen gepflückt hatte. Der andere, der neben ihr in dem Haselnußbusch gestanden, hatte eine feste Hand ihr auf die Schulter gelegt an jenem Aprilmorgen, eine feste, aber zärtliche Hand, die mit einer sanften und doch zwingenden Berührung auf ihr gelastet. Seine Stimme klang ihr so deutlich in den Ohren wie eben noch Stellas Stimme, und die Worte, die er zu ihr gesprochen, und die ein halbes Menschenalter unter der Decke der Selbstsucht und des Bösen, das sie darauf gehäuft, verborgen gelegen, kehrten jetzt zu ihr zurück.

»Bedenke wohl – ich setze auf dich, meine Geliebte, mein ganzes Vertrauen. Wenn du mich enttäuschest, werde ich meinen Glauben an Weiblichkeit und Güte für immer verlieren.

»Dich enttäuschen?« – Es war ihre eigene Stimme, die geantwortet, und sie hatte die Augen zu ihm mit dem Lächeln erhoben, das, wie sie wußte, nie versagte, ihn zu ihrem Sklaven zu machen. »Wie sollte ich dich enttäuschen, Geliebter?«

Und dann hatte sie ihm gestattet, sie in seine Arme zu schließen und Küsse auf ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Haar niederfluten zu lassen – ihr Worte leidenschaftlicher Liebe zuzuflüstern – ihr zu versprechen, sich einen Namen zu erobern und ein Vermögen um ihres Besitzes willen. Und während der ganzen Zeit, da er ihr heiße Liebesworte sagte, während der ganzen Zeit, da sie seine Lippen die ihrigen berühren ließ und sich an ihn mit dem Versprechen ewiger Liebe anschmiegte, befand sich in ihrer Tasche der Brief, der ihre Treue einem anderen Mann verpfändete.

»Ein Trotz – gegen – Gottfried Haller?«

In jenen fernen Tagen war Gottfried Haller ein Mann von keiner Bedeutung und ohne Mittel gewesen, auch lag nicht die kleinste Wahrscheinlichkeit vor, daß seines Onkels großes Vermögen jemals ihm zufallen würde. Drei Leben standen zwischen ihm und diesem Reichtum, und obgleich Liebeständeleien Marie Nobel sehr angenehm waren, so schreckte sie die Aussicht auf Armut, und sie gestattete ihrem jungen Verehrer nur deshalb, ihr den Hof zu machen, weil sie es für klug und sicher hielt, zwei Pfeile für ihren Bogen zu haben. Und weil sie, bis sie ganz, ganz sicher war, daß die Aufmerksamkeiten des Hauptmannes Bendler in einem Heiratsantrag gipfeln würden, es eben so gut fand, Gottfried Haller zu gestatten, weiter ihr anerkannter Verehrer zu bleiben.

Da sein Vertrauen auf einen Grund von der Beständigkeit des Flugsandes aufgebaut war, erwog sie nicht weiter, das kümmerte sie auch nicht. Sie hatte die Absicht, sich das Leben auf das beste einzurichten, und es bedeutete für sie nicht das mindeste, über wie viele Herzen sie rücksichtslos einherschritt auf dem Wege zu ihrem Erfolge.

Eine andere Vision aus vergangener Zeit trat plötzlich vor ihr Auge, und selbst im Schutz ihres Zimmers auf Schloß Mainard schauderte sie bei der deutlichen Erinnerung angstvoll zusammen. Das Gesicht des Mannes, der sie an jenem Aprilmorgen in dem Haselnußbusch geküßt, hatte sich nun in Bitterkeit und Haß verwandelt, als er, nicht zufrieden mit einem liebenswürdig abgefaßten Absagebrief, auf eine Zusammenkunft mit ihr bestanden und im Laufe dieser stürmischen Unterredung ihr Wahrheiten ins Gesicht geschleudert hatte, die sie vor ihm bangen und zittern ließen. Alle Versuche, sich zu rechtfertigen, und ihr Handeln zu erklären, waren von seinen unerbittlichen Worten voll Hohn und Spott, mit denen er sie unbarmherzig überschüttete, zunichte gemacht worden. Sie hatten in ihrem Herzen kein Schamgefühl erweckt, als Gottfried Haller sie vor so langen Jahren gesprochen, und auch heute taten sie das nicht, sondern sie erneuerten in ihr nur das Gefühl des stärksten Unwillens gegen den Mann, der es gewagt hatte, ihre unsagbare Falschheit und ihre Untreue so offen darzulegen.

»Ein Trotz gegen Gottfried Haller?«

Ja, wahrlich, wahrlich, sie empfand Trotz und Haß gegen ihn. Frau Bendlers Gefühle gegen Gottfried Haller waren im Laufe der Jahre immer noch gehässiger geworden. Die Veranlassung zu seinem zweiten Testament war kein Geheimnis für die Frau, die er ebenso zu hassen gelernt, wie er sie früher unendlich liebte, und wenn sie ihn gelegentlich in der Gesellschaft traf, lange Zeit nach der herzlosen Behandlung, die sie ihm hatte widerfahren lassen, so konnte sie sich immer aufs neue überzeugen, daß Gottfried Haller ihr weder verziehen, noch ihr Unrecht vergessen hatte.

Als er die reiche Erbschaft seines Onkels angetreten, empfand sie das als ein sie persönlich hart betroffenes Unglück, zumal ihre eigene Ehe, vom materiellen Standpunkt aus betrachtet, sich als ein völliger Fehlschlag erwies. Und obgleich sie alle ihre Kräfte spielen ließ, so wollte es ihr doch nie gelingen, nach dem Tod ihres Mannes Gottfried Haller wieder an ihre Seite zurückzubringen. Bei den wenigen Gelegenheiten ihres Zusammentreffens war sie sich voll bewußt, daß er mit seinen scharfen Augen all ihre Pläne durchschaute und jedes noch so fein ersonnene Manöverchen erkannte. Sie hatte sich dann eingebildet, daß sie durch Förderung der Verlobung Stellas mit seinem Erben, Arthur Darberg, es nun doch zuwege gebracht, den alten Herrn zu überlisten. Aber als sie dann in der Folgezeit zu ihrem Verdruß entdeckte, daß Gottfried Haller doch nicht zu überlisten war, als sie den Inhalt seines Testaments erfuhr und die sonderbare Art, wie er über sein Geld verfügte, da wurde es ihr so klar, als ob er es ihr mit seinen eigenen Worten gesagt hätte, daß Gottfried Haller dennoch als Sieger über sie ins Grab gesunken sei.

Lange, lange Zeit, nachdem Stella sie verlassen hatte, saß sie noch im Zimmer und grübelte über Vergangenheit und Zukunft nach. Ueber die Ursachen, die sie nach Rache gegen Gottfried Haller sich sehnen ließen, und über die ihr zu Gebote stehenden Mittel, diese Rache zu kühlen. Malchen Mühe als gefeierten Gast auf Schloß Mainard zu begegnen, war ein harter Schlag für sie, und nur eine lange und sorgfältig geübte Gewohnheit, sich selbst zu beherrschen, befähigte sie, dem Mädchen in schicklicher Weise entgegenzutreten. Schon die einfache Aussicht, daß Malchen in ihrer jetzigen Entwicklung imstande sein könnte, auf Arthur Darberg anziehend zu wirken, erweckte ihre schlimmsten Leidenschaften, so daß sie sich fast vor sich selbst fürchtete. Sie konnte – nein – sie wollte Malchen nicht gestatten, schließlich über sie zu triumphieren; sie konnte unter keinen Umständen müßig zusehen, wie sich Gottfried Hallers Wünsche einer Erfüllung näherten.

»Wenn Malchen nur aus dem Weg geräumt wäre« – das war der stetig wiederkehrende Gedanke – »wenn Malchen aus dem Weg geräumt wäre – dann bekäme Arthur das Geld – dann könnten er und Stella wieder zusammenkommen – und Gottfried Haller und ich wären quitt.«


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