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3. Kapitel.

Gemäß der Verabredung zwischen ihm und dem Anwalt sprach Darberg im Lauf dieses Nachmittags im Büro vor, um das Ergebnis der Erkundigungen über Miranda Mühe zu erfahren.

Der junge Mann hatte sich kaum dem Anwalt auf dem Stuhl gegenüber gesetzt, den Miranda vor einigen Stunden eingenommen, als Brand begann:

»Es ist zwecklos, lieber Darberg, die Dinge abschwächen zu wollen, und ich glaube, Sie gehören wie ich zu denjenigen Menschen, die es vorziehen, etwas Unangenehmes sofort zu hören, statt daß man um den Berg mit sanften Redensarten herumgeht.«

»Gewiß! Sagen Sie mir das Schlimmste nur gleich heraus. Ich schließe aus Ihren Andeutungen, daß dieses Fräulein Mühe unbedingt die Erbin ist und mir jeder Einspruch dagegen erübrigt.«

»So ist es. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie leid es mir tut, Ihnen das bestätigen zu müssen. Fräulein Mühe ist ganz zweifellos die Person, der Herr Haller sein Geld vermachte, und ich fürchte, der Schlag wird Ihnen nicht durch die Mitteilung erleichtert, daß Ihre glückliche Rivalin nicht mehr und nicht weniger als ein Mädchen für alles in einem Haus ist, in dem möblierte Zimmer vierten Ranges vermietet werden.«

Darberg blickte den Anwalt mit der Miene eines völlig Verdutzten an.

»Mädchen für alles bei einer Zimmervermieterin,« wiederholte Darberg. »Hat der alte Herr denn wirklich seinen Verstand zusammengehabt, als er auch nur einen Augenblick dachte, ich würde ein solches Mädchen zur Frau nehmen, auch wenn sie eine Millionärin ist?«

»Wie ich Ihnen schon neulich sagte, Herr Haller war einer der gesündesten und klügsten Leute, mit denen zusammen zu sein ich je das Vergnügen hatte,« lautete die trockene Antwort. »Und Sie wissen auch, Herr Darberg, daß er weder körperliche, noch geistige Abnahme seiner Kräfte zeigte – bis zur Zeit seiner letzten Krankheit.«

»Ich muß sogar zugestehen, daß er auf mich den Eindruck eines sehr gesunden Mannes machte, als ich ihn zuletzt sprach,« meinte Darberg mit grimmigem Lächeln. »Aber jetzt, nach einem halben Jahr? Beim Himmel, nein, ich kann's nicht glauben! Als Sie dieses Patenkind auf mich losließen, Herr Anwalt, habe ich wenigstens geglaubt, daß die Erbin eine Dame sein müsse, wenn auch in ärmlichen Verhältnissen.

Aber ein Dienstmädchen! Ein ungebildetes Geschöpf! Es ist unsinnig, anzunehmen, daß mein sonst so lieber alter Herr seine fünf Sinne zusammen hatte, als er mir diesen Streich spielte.«

»Ich verstehe Ihre Zweifel vollkommen, Herr Darberg, aber lassen Sie mich Ihnen ein für allemal die Versicherung geben, daß sie unbegründet sind. Herr Haller wußte recht gut, was er tat, als er sein zweites Testament machte, und ob er nun guten Grund dazu hatte oder es aus minder guten Gründen tat, seine gesunde geistige Verfassung steht außer aller Frage.«

»Ich kann mir natürlich den Luxus zweifelhafter Prozesse jetzt nicht gestatten,« meinte Darberg, »und hege auch überhaupt nicht die Absicht, einen Kampf zu beginnen, den ich wahrscheinlich doch verlieren muß. Es bleibt mir einfach nichts anderes übrig, als das ruhig hinzunehmen, was ich als schreiende Ungerechtigkeit bezeichne.«

»Ich muß auch sagen, daß es mir als durchaus nicht schön gegen Sie gehandelt erscheint, doch, da wir die Gründe des alten Herrn nicht kennen, möchte ich über seine Handlungsweise auch kein abschließendes Urteil fällen.«

»Für mich ist die Angelegenheit abgeschlossen,« sagte Darberg und zog die Achseln. »Das Mädchen für alles wird schwerlich auf das Geld durch eine Heirat vor drei Jahren verzichten, ich muß zu vergessen suchen, was hätte sein können, und mich ins Unvermeidliche fügen. Uebrigens, wie schaut das Mädel aus? Es ist doch immerhin interessant zu wissen, durch welche Art Wesen ich geprellt wurde.«

»Ich will Ihnen zuerst die schlimmste Seite zeigen,« begann der Anwalt, aber Darberg unterbrach ihn sofort mit höhnischem Lachen:

»Kann es denn überhaupt etwas anderes als schlimmste Seiten geben? Ein Mädchen – für –«

»Ein Mädchen für alles – ja!« vollendete Brand mit einem ganz unerwarteten Gefühl der Verbitterung gegen Darberg und einem ebenso unvernünftigem Verlangen, Miranda Mühe gegen ihn zu schützen, »ja, ein rotblondes Dienstmädchen, das falsch spricht und Kleider trägt, die selbst mir, der davon gar nichts versteht, komisch vorkommen, aber –«

»Ach, wozu das Aber?!« meinte Darberg ungeduldig und schob, indem er sich erhob, den Stuhl mit einem scharrenden Geräusch zurück, das seinen Aerger zu verkörpern schien. »Jedes Ihrer Worte bestätigt meine Ueberzeugung, daß die Angelegenheit für mich endgültig erledigt, ist. Kein Geld auf Erden könnte mich veranlassen, ein Mädchen zu heiraten, wie Sie es schildern, selbst wenn –«

»Sie ist nicht hervorragend anziehend, das gebe ich zu,« fuhr Brand durch die Unterbrechung unbeirrt fort, aber –«

»Hervorragend anziehend,« – der junge Mann lachte wieder – »eine rothaarige dumme Trine. Mein lieber Herr –«

»Und obgleich die junge – hm – Dame noch sehr unbestimmte Begriffe von dem Wert ihrer Erbschaft hat,« fuhr Brand fort, indem er noch immer auf die zornigen Worte seines Zuhörers nicht achtete, »so hegt sie doch nicht die Absicht, sich von ihr zu trennen, zu gleicher Zeit ist sie keineswegs davon erbaut, durch Ihren Verlust zum Vorteil zu kommen. Sie ist ein Kind aus dem Volke – aber –«

»Das ist Ihr drittes Aber!« rief Darberg ungestüm. »Was sind also die lobenswerten Eigenschaften des Mädchens?«

»Sie besitzt ungemein viel Mutterwitz,« lautete die prompte Antwort, »hat eine über das Durchschnittsmaß weit hervorragende Charakterstärke und ist von einem blühenden Ehrgeiz beseelt.«

»Sehr anerkennenswerte Eigenschaften, die ihr recht nützlich sein können; ich wünsche ihr, daß ihr höchster Ehrgeiz Befriedigung findet, vielleicht heiratet ein Prinz sie. Es gibt ja manchen armen Prinzen, der gegen seine Geburt recht gleichgültig ist. Zufällig lege ich doch mehr Wert darauf, eine Frau zu nehmen, deren Erziehung und Vorleben tadellos sind. Ihr Mädchen für alles mag also getrost ein Krönchen tragen.«

»Das mag und kann kommen, es sind schon seltsamere Dinge passiert.« Brands Augen zwinkerten belustigt. »Ich glaube jedoch nicht, daß sich der Ehrgeiz von Fräulein Mühe so weit versteigt. Sie hat offenbar nur den Wunsch – sich – sich auf Ihr Niveau zu erheben, um Sie für Ihren Verlust zu entschädigen und –«

»Mich zu entschädigen? Pah! Um des Himmels willen, machen Sie es doch dem Menschenskind ganz klar, daß ich durchaus nichts von ihm nehmen werde. So tief bin ich denn doch noch nicht gesunken, um mich von einem Mädchen für alles unterstützen zu lassen. Ich bitte nochmals, es ihr deutlich zu sagen, daß ich mir unter keinen Umständen einen Pfennig Geld von ihr schenken lassen würde,« wiederholte er wütend und sprang auf, als ob ihn der Gedanke daran schon wie eine Demütigung stachelte.

»Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß Fräulein Mühe die Absicht hat, Ihnen Geld anzubieten,« entgegnete der Anwalt mit mildem Spott. »Verstehe ich nun richtig, daß Sie fest entschlossen sind, Ihres Paten Vorschlag endgültig auszuschlagen, gemeinsam mit seinem anderen Patenkind den Vorteil seines Erbes zu genießen?«

»Wenn Sie damit sagen wollen, daß ich mich Fräulein Mühe um Geld verkaufen soll, so steht mein Entschluß allerdings ganz fest. Ob sie mich heiraten möchte oder nicht, ich lehne diese Verbindung meinerseits nachdrücklichst ab. Selbst wenn ich frei wäre, würde ich weder sie noch eine andere des Geldes wegen heiraten, ich bin glücklicherweise aber nicht frei.«

»Nicht frei?« Der Anwalt erhob den Kopf und blickte den jungen Mann fragend an. Ein Schatten von Verlegenheit trat in Darbergs offenes Gesicht, aber seine blauen Augen wichen doch der Frage nicht aus, die in den ausdrucksvollen Zügen Brands lag.

»Nein – ich bin nicht frei,« wiederholte er. »Unsere Hochzeit muß jetzt natürlich verschoben werden, nachdem mich mein Pate so lieblich überrascht hat, aber die Veränderung in meinen Aussichten übt auf meine Verlobung keinen Einfluß.«

»Dann sind Sie der jungen Dame also vollständig sicher?«

»Vollständig sicher,« wiederholte Darberg stolz, »und da wir beide noch sehr jung sind, können wir warten, wie manche anderen warten mußten. Es ist für sie schwer und auch für mich, unsere Verbindung auf ungewisse Zeit hinauszuschieben, aber ich bin überzeugt, sie wird warten.«

Diese Zuversicht stützte sich auf unbegrenztes Vertrauen, nicht auf Selbsttäuschung, und des alten Herrn Augen feuchteten sich fast. In einem weitentlegenen Eckchen seines sonst nicht sonderlich weichen Herzens versteckten sich Gefühle und Romantik, und Darberg stieg in seiner Achtung wegen des Glanzes, der in des jungen Mannes Augen aufleuchtete, und wegen des Lächelns, das seinen Mund umschwebte, als er so stolz von der Geliebten sprach.

»Darf ich Sie beglückwünschen, und ist es sehr indiskret, wenn ich nach dem Namen Ihrer Verlobten frage? Oder ist die Sache noch ein Geheimnis?«

»Nein, durchaus nicht.« Darberg lächelte glücklich. »Meine Braut heißt Stella Bendler. Am Tage vorher, ehe Sie mich zu sich riefen, um mir mein Unheil mitzuteilen, hatten wir beschlossen, im Juni Hochzeit zu machen. Jetzt –«

Er unterbrach sich mit einem Seufzer.

»Ich bedaure Sie aufrichtig,« sagte der Anwalt. »Gerade in solcher Zeit muß sich ein Schlag wie dieser doppelt fühlbar machen.« Er schwieg, und plötzlich fielen ihm Mirandas Worte ein: »Vielleicht hat Herr Darberg ein Mädchen gern, das Herrn Haller nicht gefiel,« weshalb er nach einer Pause fortfuhr:

»Sie hatten mit dem alten Herrn keine Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich Ihrer Verlobung, Herr Darberg?«

Darberg wurde rot und zog die Stirne kraus.

»Es geht mir wider den Strich, etwas auch nur scheinbar Respektwidriges über den Toten zu sagen, aber der alte Herr benahm sich – sagen wir – recht, recht sonderbar in dieser Frage. Als ich ihm von Stella erzählte, wurde er ganz – ganz aufgeregt.«

»Sie stritten sich mit ihm?«

»Ich war natürlich sehr verdrießlich, als er über Stellas Mutter recht Häßliches sagte und noch viel mehr andeutete. Frau Bendler ist eine liebenswürdige Dame, und als ich ihm das sagte, lachte er mich geradezu aus und –«

»Vielleicht fiel dann von beiden Seiten in der Aufregung manches Wort, das man lieber nicht gesprochen hätte? Möglicherweise hegte Herr Haller für Sie ganz ehrgeizige Heiratspläne und Ihre Verlobung störte diese. Aus Ihren Andeutungen entnehme ich, daß Fräulein Bendler kein Vermögen besitzt.«

»Sie und ihre Mutter sind allerdings nicht reich, aber vornehme Frauennaturen, Damen bis in die Fingerspitzen, und Stella ist eine Schönheit. Herr Haller behauptete, Frau Bendler in ihrer Jugend gekannt und auch Stella gesehen zu haben. Er forderte tatsächlich von mir die Aufhebung meiner Verlobung.«

»Und das lehnten Sie ab?«

»Natürlich tat ich das. Was kümmerten mich seine unterstellten Geschichten aus Frau Bendlers Jugendzeit und all die anderen Märchen, die er mich glauben machen wollte, um mich zu überreden. Ich lehnte es einfach ab, ihm weiter zuzuhören, und erklärte ihm, mir meine Gattin selbst wählen zu wollen und es niemand zu gestatten, über Stellas Mutter alte Lügen aufzutischen. Wir gingen nicht sehr freundschaftlich auseinander.«

»Und das war das letztemal, daß sie mit ihm zusammen waren?«

»Ja.«

»Dann ist es nicht schwer, den Grund für das zweite Testament zu finden. Er war unstreitig sehr böse auf Sie, da Sie seine Wünsche nicht zu beachten und auf seine klugen Worte nicht zu hören geneigt waren.«

»Klugen Worte!« wiederholte Darberg zornig. »Lächerliche, törichte Worte! Er sagte Dinge von Stellas Mutter und von Stella selbst, die ich schwer vergessen, noch weniger vergeben konnte, und er verhöhnte mich geradezu, weil ich mich nicht von ihm beeinflussen lassen wollte, meine Verlobung aufzuheben. Gewiß, wir zankten uns, und wahrscheinlich hat mein Entschluß, mit Stella durch dick und dünn zu gehen, ihm Veranlassung gegeben, sein erstes Testament umzustoßen und mich zu enterben. Er war äußerst hartnäckig, um nicht zu sagen, dickschädelig, wenn er seinen Willen durchkreuzt sah.«

»Er war aber auch ein sehr gerechter Mann, das dürfen wir nicht vergessen, Herr Darberg! Ein einfacher Streit oder Meinungsverschiedenheit würden ihn nicht dazu haben verleiten lassen können, in dem schwankend zu werden, was er einmal für richtig erkannt hatte.«

»Nun, wenn das zweite Testament richtig ist, dann gehen unsere Ideen über Recht und Unrecht aber leider weit auseinander, verehrter Herr. Ich bleibe bei meiner Ansicht, wenn mein Pate bei Aenderung seines Testaments geistig gesund war, er diese Aenderung doch in einem Augenblick hochgradigen Eigensinns getroffen hat, weil er es nicht durchsetzen konnte, daß ich genau so dachte wie er. Ich nenne es hochgradigen Eigensinn.«

»Ueber diesen Punkt zu debattieren, ist zwecklos,« sagte Brand und schüttelte den Kopf. »Unter diesen Verhältnissen werden Sie also wohl darauf verzichten, mit Fräulein Mühe zu sprechen?«

»Ich soll Fräulein Mühe sprechen? Aber ich wüßte wirklich nicht, zu welchem Zweck. Muß es denn überhaupt geschehen?«

»Keineswegs. Da Sie nicht die Absicht haben, sie zu heiraten, bin ich für diesen Fall seitens des Erblassers zu ihrem Vormund bestellt, bis sie mündig wird oder sich verheiratet. Ich muß eine Dame ausfindig machen, die sich ihrer annimmt, sie erzieht und ihrer nunmehrigen Lebensstellung entsprechend ummodelt, aber Sie –«

»Ich habe nichts mit ihr zu schaffen,« unterbrach Darberg ihn schnell. »Gott sei Dank! Und noch einmal, Sie machen ihr gründlich klar, daß mein Entschluß unwiderruflich ist. Ich bin nicht frei, um sie heiraten zu können, und wäre das der Fall, so würde mich auch keine Macht der Erde dazu bringen. Und was die Entschädigung betrifft, so verhungere ich lieber, als etwas anzunehmen,«

Mit kurzem Gruß stürmte Darberg nach diesen Worten hinaus.


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