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»Ich halte es doch nicht für richtig, meine Liebe, daß du wie ein Dienstbote arbeitest, wenn du es mit all deinem Geld jeder Dame im Lande gleich tun kannst.«
Frau Mauring, die Besitzerin des Hauses Georgstraße 144, rieb sich das Gesicht mit ihrer schwarzen Alpakaschürze ab und blickte das Mädchen zweifelhaft und wie abbittend an, demgegenüber sie nach dem Testament von Gottfried Haller ihre Haltung und ihr Benehmen einer vollständigen Wandlung unterzogen hatte.
»Ach, du lieber Gott, was macht es denn aus, ob ich hundert Pfennig oder tausend Mark bekommen habe, so lange Sie noch niemand fanden, die an meine Stelle tritt, wenn ich gegangen bin. Ich habe es gar nicht so eilig, vornehm zu werden, und bin, wie immer, bereit, meine Arbeit zu tun. Sie brauchen sich darüber keine Kopfschmerzen zu machen.«
Es waren erst zwei Tage seit ihrem Besuch bei dem Anwalt Brand vergangen, und da er ihr geraten, unter Frau Maurings Dach zu bleiben, bis er für ein anderweitiges, besser passendes Unterkommen für sie gesorgt, so hatte Miranda ohne viel Federlesens den Vorschlag gemacht, ihre bisherige Stellung im Hause als Mädchen weiter zu behalten und Brands Nachrichten abzuwarten.
»Bekümmern Sie sich nur nicht um mich,« fuhr Miranda fort, ließ die zusammengedrehte Schürzenecke fallen und hob von dem Tisch einen großen Haufen fertiger Teller ab. »Sie brauchen sich wirklich nicht darüber zu quälen, daß ich meine Arbeit tue, so lange mir das gefällt. Sie nahmen mich in Ihren Dienst, als ich kaum mehr als ein junges Zicklein war, und deshalb will ich mich auch jetzt nicht ins Wohnzimmer wie eine feine Dame setzen, ohne daß Sie ein anderes Mädchen haben, das Ihnen die Arbeit verrichtet.«
So abgestumpft die Frau durch ihren jahrelangen Verkehr mit unzufriedenen und schlecht zahlenden Mietern auch geworden war, so sah sie dem Mädchen doch jetzt durch einen Nebel von Tränen in die braunen Augen. Nichts in ihrem langen, arbeitsvollen und öden Leben hatte sie so gerührt, wie der Entschluß des Mädchens, den Dienst weiter zu versehen, nachdem sie das ja gar nicht mehr nötig hatte.
»Sie sind ein gutes Mädchen,« sagte sie und streichelte Mirandas Schultern mit bebender Hand, »und Sie werden dafür auch eines Tages belohnt werden, merken Sie sich, was ich Ihnen sage: Wenn ich Sie auch mal behandelt habe, wie ich es hätte nicht tun sollen, so bedauere ich das.«
»Schon gut, schon gut,« antwortete Miranda vergnügt. »Quälen Sie sich doch nicht über alte Dinge,« und dann trug sie den Haufen Teller an den Ausguß, ließ das Wasser laufen und sang mit frischer, jugendlicher Stimme ein Volkslied zu ihrer Arbeit.
Frau Mauring verließ die Küche und arbeitete oben mit einem dankbareren und weicheren Herzen, in dem schwachen Bewußtsein, daß die menschliche Natur doch nicht so ungeheuerlich schlecht sei, wie sie das bisher stets angenommen und daß selbst die Mädchen schließlich nicht der Teufel in sterblicher Gestalt wären, wie sie sich das in ihrem Kopf immer ausgemalt hatte.
Miranda klapperte lustig mit ihren Tellern und Schüsseln beim Abspülen und sang immer lauter, je hurtiger ihr die Arbeit vonstatten ging, bis die klaren Töne aus dem kleinen Spülraum in das Erdgeschoß und von da in die Straße hinausdrangen, in der in diesem Augenblick ein eleganter Wagen entlang fuhr.
Der Klang der Haustürglocke unterbrach mit schrillem Ton das Singen Mirandas. Sie trocknete die Hände an ihrer Schürze und schickte sich an, hinaufzugehen und die Tür zu öffnen, als sich Frau Maurings eilige Schritte hören ließen und diese selbst mit erhitztem Gesicht und vor Erregung keuchend in der Küche erschien. Sie konnte bei dem schnellen Atmen zuerst gar nicht sprechen.
»Ach, du meine Güte, Miranda,« sagte sie endlich, das »Malchen« und das »Du« hatte sie sich seit einigen Tagen abgewöhnt, »da ist eine Dame, die Sie zu sprechen wünscht; das feinste Auto, das ich je gesehen habe – Chauffeur und Diener, ganz vornehm!«
»Was will sie denn von mir? Wer ist sie denn?«
»Das habe ich mir nicht zu fragen erlaubt,« entgegnete Frau Mauring vorwurfsvoll. »Ach, sie hat so was Großartiges und sieht auf einen hinunter und dann sagt sie: »Ist Fräulein Miranda Mühe zu Hause?«, so hochmütig, wie man sich nur denken kann.«
»Ei nun, Sie haben ihr gesagt, daß Fräulein Mühe zu Hause ist, und haben sie gebeten, sich im Wohnzimmer hinzusetzen und eine Minute zu warten.«
»Ich sagte, ich würde Sie sofort holen, und ach, du lieber Himmel, da stecken Sie nun in Ihrem alten Rock und mit der schmutzigen Schürze! Können Sie nicht hinauflaufen und Ihr Sonntagskleid anziehen?«
»Das tue ich nicht.« Miranda schüttelte ihren Lockenkopf. »Ich frage nichts nach den eleganten Damen. Wenn sie unaufgefordert zu mir kommen, so müssen sie mich nehmen, wie sie mich finden,« und mit dieser bündigen Erklärung spazierte sie aus der Küche und die Treppe hinauf.
Das »Wohnzimmer« war ein kleines und besonders düsteres Hinterzimmer, das Frau Mauring bei Staatsgelegenheiten wie dem Empfang von einigen Freundinnen zu einer Tasse Kaffee oder einem Sonntagsnachmittagsschläfchen, zu benützen pflegte. Die Möbel standen dicht aneinander gedrängt, ohne Rücksicht auf Eleganz oder Geschmack. Ein Diwan von Roßhaar war an die Wand gerückt, ein Glasschrank mit zahllosen Gegenständen verschiedenster Art angefüllt und ein Bücherschrank, in dem billige Volksausgaben der Klassiker und Hintertreppenromane bunt durcheinander gewürfelt waren, bildeten das Gegenüber. Ein großer runder Tisch versperrte tatsächlich den ganzen übrigen Raum des Zimmers, das zum Ueberfluß noch zwei Lehnsessel beherbergte, die auf Erneuerung ihres Roßhaarpolsters harrten.
Die Aussicht aus dem sehr niederdrückend wirkenden Zimmer vermochte auch nicht das Gemüt zu erheben. Das Fenster blickte auf einen kleinen, von Häusern eingeengten Hinterhof, den eine Menge straff gezogener Leinen kreuzte, von denen die Familienwäsche im Wind hin und her flatterte.
Frau Bendler wandte sich von diesem langweiligen Anblick schaudernd ab und richtete ihr Auge auf den großen runden Tisch, auf dem sich eine Bibel, ein Band Schiller in Goldschnitt und ein Bukett geschmacklosester Wachsblumen unter einer Glasglocke befanden.
»Du lieber Himmel!« sagte sie zu sich, »was ist das für ein Haus! Ist Gottfried Haller wirklich verrückt gewesen oder hatte er vielleicht einen geheimen Grund, sein Geld einem Mädchen zu vererben, das hier haust? Und weshalb in aller Welt, kommt die Person denn nicht zu mir?« fragte sie sich voll Aerger, daß ein Dienstmädchen es wagte, sie warten zu lassen.
Nun ließ sich ein Schritt im Korridor vernehmen, und Frau Bendler sah zur Tür, die sich langsam öffnete, um eine Gestalt hereinzulassen, bei deren Anblick der Dame der großen Gesellschaft, die sich stets so gut zu beherrschen wußte, der Atem stockte.
Einem Heiligenschein gleich wurde zuerst ein Kranz flammender, roter Haare im Zimmer sichtbar, dann ein sommersprossiges Gesicht, aus welchem ein paar sonderbar glänzende, goldbraune Augen mit einem Ausdruck blickten, den Frau Bendler sich nicht zu erklären vermochte. Eine große, grobe Schürze bedeckte des Mädchens schmächtige Gestalt und verlieh ihm eine ganz formlose Erscheinung. Und obgleich die Hände keineswegs plump geformt, so waren sie doch rauh und rot. Auf all diesen wenig versprechenden Einzelheiten haftete sofort Frau Bendlers scharfer Blick, aber der in ihrem schlauen Kopf entworfene Plan und ihre durch langjährige Erfahrung gesammelte Weltklugheit ermöglichten es ihr, ihr süßestes Lächeln aufzusetzen und ihre vornehm behandschuhte Rechte mit dem ganzen Eifer auszustrecken, mit dem ein hochgeschätzter Freund begrüßt zu werden pflegt.
»Mein liebes Fräulein Mühe,« sagte sie in ihrem sanftesten Ton. »Sie müssen mir verzeihen, wenn ich Sie völlig unzeremoniell besuche. Ich habe aber von unserem lieben Freund, Herrn Arthur Darberg, von Ihnen gehört und hoffe, Ihnen nützlich sein zu können.«
»Ich bin mit Herrn Darberg nicht bekannt,« lautete die Antwort, und ein Blick aus Mirandas Augen gab Frau Bendler das ungewohnte Gefühl, eine Abweisung erfahren zu haben.
»Ich weiß, ich weiß. Er hat mir von dem sonderbaren Testament erzählt, das – sozusagen – Sie und Herrn Darberg zusammengeführt hat, und ich glaubte, daß Sie an mir eine Stütze finden würden.«
Mirandas braune Augen forschten in dem Gesicht ihres Besuches – fragend und mit einer gewissen Bewunderung. Die zarten künstlichen Farben des Teints von Frau Bendler gewährten einen hübschen Anblick, und ihre grauen Augen, die jetzt den Ausdruck lächelnder Freundlichkeit trugen, hatten etwas ungemein Anziehendes. Die graziös gebaute Kappe von blassen Veilchen, unter der kurzes Blondhaar seitlich hervorlugte, das weiche Lila ihres tadellos sitzenden Kostüms stimmten außerordentlich gut zu ihren Augen und ihrer Gesichtsfarbe. Ihre ganze Erscheinung wirkte auf das kleine Dienstmädchen wie eine Offenbarung, konnte Miranda sich doch nicht erinnern, in ihrem ganzen Leben einer Dame gegenüber gestanden zu haben. Trotz Bewunderung machte sich doch eine gewisse Zurückhaltung, das ganze Mißtrauen ihres Standes in der zaudernden Antwort geltend, die Miranda den glatten Worten der Dame entgegensetzte. »Sie wollen mir nützlich sein, eine Stütze? Ich weiß nicht, wie Sie das meinen. Ich tue, was mir Herr Brand sagt. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
Frau Bendler setzte sich auf einen der wackligen Sessel, indem sie Miranda andeutete, sich auf den anderen niederzulassen. Das Mädchen schien aber offenbar mehr Vertrauen zu sich zu haben, wenn es stehen blieb. Es hielt sich deshalb ganz aufrecht und beobachtete die Mienen der Dame mit der wachsamen Vorsicht eines aufmerksamen Tieres.
»Ich bin nicht ohne Herrn Brands Einwilligung zu Ihnen gegangen,« entgegnete Frau Bendler sanftmütig, »da ich weiß, daß er in gewissem Sinne Ihr Vormund ist. Ich besuchte ihn zuerst, und er billigte den Vorschlag vollständig, den ich Ihnen machen wollte.«
»Einen Vorschlag?« wiederholte Miranda. In ihren Augen stand eine erhöhte Wachsamkeit, und sie schloß den Mund mit einer ihren Jahren weit vorauseilenden Entschiedenheit.
»Ja – einen Plan, auf den Sie hoffentlich gern eingehen werden, meine Liebe. Es würde mich sehr freuen, wenn ich für Herrn Gottfried Hallers Patenkind und Erbin etwas tun könnte.«
»Kannten Sie den alten Herrn?« kam es in rascher Frage von dem Mädchen und fand in einem Seufzer von unendlichem Pathos die Antwort.
»Ich kannte ihn – einst – es ist schon lange her, als wir beide noch jung waren.« Nach einer kleinen Pause und einem weiteren, sehr ausdrucksvollen Seufzer: »Und meine – meine alte Freundschaft zu ihm weckte in mir sogleich das Verlangen, ihm nützlich zu sein.«
Sie sah das Mädchen fast bittend an, dessen gerade jugendliche Gestalt und helle, scharfe Augen ihr die unangenehme Empfindung gaben, sich im Nachteil zu befinden.
»Was könnten Sie denn für mich tun?« fragte Miranda.
»Nun, meine Liebe, es ist doch nötig, daß Sie bei jemand wohnen, und dann müssen Sie doch in die Gesellschaft durch jemand eingeführt werden, der mit Ihren Gewohnheiten bekannt ist. Ich habe mir gedacht, daß Sie vielleicht eine Zeitlang bei uns wohnen könnten.«
»Bei – Ihnen – wohnen?« Die braunen Augen weiteten sich in ganz unverfälschtem Erstaunen. »Ach, nein. Ich sollte meinen, das ginge doch nicht so im Handumdrehen, wenn Sie mir auch eine Menge Dinge beibringen könnten. Das könnten Sie doch?«
»Ich würde mein Bestes tun,« entgegnete Frau Bendler liebenswürdig, viel zu sehr darauf bedacht, ihren Plan auszuführen, um auch nicht die geringste Gelegenheit zu versäumen, sich bei der Erbin einzuschmeicheln.
»Meine Tochter Stella und ich wohnen zusammen in einem kleinen niedlichen Häuschen, in dem wir jedoch sehr häufig Freunde bei uns sehen. Auch gehen wir viel in Gesellschaft, so daß ich Ihnen versprechen kann, Sie gut einzuführen und zu beschützen.« Frau Bendler schmückte ihre Sätze mit ihrem bezauberndsten Lächeln, das Miranda mit offener Gutmütigkeit erwiderte, wobei sie ihre herrlichen Zähne zeigte.
»Beschützen,« wiederholte sie nicht ohne gewisse Anstrengung und lachte dabei in recht wohlklingender Weise. »Ich soll mich beschützen lassen, wer das geahnt hätte! Weiß Gott, ich kenne mich selbst nicht mehr.« Mit plötzlichem Ernst: »Ich weiß aber, daß ich noch viel zu lernen habe. Der alte Herr hat mir furchtbar viel Geld hinterlassen, da muß ich nun eine Dame aus mir machen. Und das werde ich auch tun; ganz bestimmt!«
Wider ihren eigenen Willen mußte Frau Bendler den entschlossenen Ausdruck um den Mund und den festen, glänzenden Blick der braunen Augen bewundern, die die energischen Worte bekräftigten. Sie war keine alltägliche Menschenkennerin, und ebenso wie es dem Anwalt Brand ergangen, begriff sie sofort, welchen kraftvollen Charakter dieses junge Mädchen besaß.
»Aber trotzdem werde ich es schon zu behandeln wissen,« dachte sie zuversichtlich. Nach dem schnellen Gedanken sagte sie dann laut: »Meine Tochter und ich werden Ihnen nach Kräften beistehen. Herr Brand wird das Weitere mit Ihnen besprechen, und wenn Sie zu uns kommen wollen, so werden wir uns freuen, Sie zu jeder Zeit, die Ihnen beliebt, bei uns zu sehen.«
»Natürlich werden Sie doch das alles nicht umsonst für mich tun?« meinte Miranda, während sich Frau Bendler nicht ohne Schwierigkeit von ihrem unsicheren Sessel erhob. »Sie müssen doch etwas dafür haben?«
Frau Bendler zuckte zusammen. Mit einer solchen Klugheit dieses Mädchens hatte sie nicht gerechnet und die Absicht gehegt, ihren Vorschlag als ein großmütiges, liebenswürdiges Anerbieten der Gastfreundschaft erscheinen zu lassen, indem sie es dem Anwalt Brand anheimgab, die finanzielle Seite der Erbin zu unterbreiten.
»Ach, meine Liebe,« entgegnete sie mit einem Versuch, zu scherzen, der ihr aber lange nicht so gut gelang, wie sie es gewünscht hätte, »lassen Sie uns die abscheulichen geschäftlichen Fragen doch nicht erörtern. Meine Idee ging einfach dahin, Sie auf einen unbeschränkten Besuch zu uns zu bitten, und ich hoffte, Sie würden uns erlauben, Sie zu bemuttern und Ihnen bei allem mit Rat zur Hand zu gehen, was Sie nicht völlig verstehen. Ich sagte das Herrn Brand, und er –«
»Fragte er Sie nicht, was wir dafür zu bezahlen hätten?« unterbrach Miranda sie schnell. »Wenn ich ihn richtig beurteile, so wird er doch nichts umsonst annehmen und mich das auch nicht tun lassen.«
»Was Sie für ein kluges Mädchen sind,« erwiderte Frau Bendler. »Als ich ihn bat, Ihr Kommen zu uns als Besuch zu betrachten, erklärte er, zu solchem Besuch nur dann seine Zustimmung geben zu können, wenn wir ein geschäftliches Abkommen träfen. Aber ich – ich mag kaum –«
»O, dann ist alles in Ordnung,« warf Miranda wieder hurtig ein. »Ich nehme keine Gefälligkeiten an, wenn Sie mich richtig verstehen, und habe Geld genug, um alles zu zahlen. Ich bin gern bereit, zu Ihnen zu kommen, und finde es sehr freundlich von Ihnen, mich aufzufordern, aber ich bezahle auch dafür.«
Frau Bendler unterdrückte einen geziemenden Schauder über das Gehörte, das sie als Roheit betrachtete, und es gelang ihr, an dessen Stelle ein Lächeln herauszubringen.
»Ich liebe Offenheit über alles« – eine Bemerkung, die auf ihre unverdorbene Zuhörerin nicht ohne Wirkung blieb – »und will Ihnen gestehen, daß ich durchaus nicht reich bin, im Gegenteil. Ich nehme Ihren Entschluß deshalb sehr gern an. Ich wollte, ich könnte es mir leisten, aus unserem Verkehr jedes Geschäftliche fernzuhalten, ich bin aber leider dazu nicht in der Lage.«
»Ach, dann ist ja alles ganz in der Ordnung,« entgegnete Miranda, der ein großer Teil der Phrasen ihres Besuches doch ein Buch mit sieben Siegeln geblieben war. »Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie so gut waren, zu mir zu kommen, und ich werde heute nachmittag noch zu Herrn Brand gehen und ihn fragen, wie er über die Sache denkt, und sobald meine Frau hier mich entbehren kann, komme ich zu Ihnen, um ein bißchen bei Ihnen zu bleiben.«
»Sie arbeiten hier doch jetzt nicht mehr?« rief Frau Bendler mit Entsetzen in Stimme und Blick. »Sie können doch unmöglich für – für die Frau, die mir die Tür öffnete, arbeiten? Das ist ja geradezu entwürdigend für Sie – es –«
»Aber, um Gottes Willen, zu arbeiten ist doch nicht entwürdigend,« versetzte Miranda mit dem blitzenden Lächeln, das ihr ganzes Gesicht so vollständig veränderte. »Frau Mauring ist gut gegen mich gewesen, und ich werde ihr doch jetzt nicht übel mitspielen und sie in Verlegenheit lassen, nur weil ich Geld geerbt habe. Das sieht Miranda Mühe nicht ähnlich. Ich bin eine von denen, die zu ihren Freunden hält.«
Der letzte Satz klang Frau Bendler noch angenehm in den Ohren, als sie rasch heimwärts rollte, und verlieh ihr das tröstliche Gefühl, daß sie sich schließlich doch später für alle Unbequemlichkeiten entschädigt sehen würde, die jetzt aus ihrem Wagnis entstehen mochten.
Miranda kehrte, nachdem sie ihre neue Freundin hatte wegfahren sehen, langsam und nachdenklich in die Küche zurück, um Frau Mauring mit dem Vorgefallenen bekannt zu machen. Die Frau hörte mit weit aufgesperrten Augen und offenem Munde der wunderbaren Geschichte zu, und ihre sonstige Zungenfertigkeit beschränkte sich augenblicklich auf die Sätze:
»Grundgütiger Himmel! – Ob man je so was gehört hat! – Mir bleibt der Verstand stehen!«
Es lag etwas Ehrfürchtiges in ihrem Blick, den sie auf Miranda richtete, nachdem diese fertig erzählt hatte. Dann folgte eine geradezu begeisterte Bemerkung von Frau Mauring:
»So lange ich lebe, habe ich noch kein glücklicheres Mädchen gesehen als Sie. Wie eine Dame im Hause einer Dame zu leben! Ich hoffe, Miranda, Sie sind auch wirklich für das Glück dankbar, das Ihnen so in den Schoß gefallen ist.«
Miranda sah sie schweigend an. Die braunen Augen blinzelten verschmitzt.
»Die Dame weiß ganz gut, wo das Brot mit Butter bestrichen ist. Wenn Herr Brand sagt, daß ich zu ihr gehen soll, werde ich es tun.«
*
Dieselben Worte wiederholte Miranda dem Anwalt, als sie ihm einige Stunden später in seinem Büro gegenüber saß und den Vorschlag von Frau Bendler mit ihm besprach.
»Ich glaube, Sie können kaum etwas Besseres tun als den Vorschlag von Frau Bendler anzunehmen,« meinte der Anwalt.
Ein schwaches Lächeln umschwebte seinen Mund, als er sich den schreienden Gegensatz zwischen den beiden vorstellte: die elegante Dame der großen Welt und die durch ihre Tracht nahezu entstellte Figur des kleinen Mädchens, das ihm auf demselben Stuhl jetzt gegenüber saß und seine Ansichten über die Lage mit einer so ruhigen Sicherheit äußerte. Brands Gefühl für Humor wurde aufs Neue dadurch angeregt.
»Ich will ja auch darauf eingehen. Irgendwo muß ich die Sachen doch lernen, die ich wissen will, und sie wird mich gerade so gut lehren wie jede andere.«
»Gewiß.« Brand war etwas betroffen. »Frau Bendler nimmt in der Gesellschaft eine hervorragende Stellung ein und wird Ihnen deshalb in dieser Beziehung sehr nützlich sein können. Sie ist eine überaus liebenswürdige Dame und wird sich Ihrer bestens annehmen. Haben Sie sie nicht auch entzückend gefunden?«
Miranda blinzelte, und in ihren Mundwinkeln zuckte es.
»Bei meiner Seele, ja. Die Butter schmolz nur so auf ihrer Zunge.« Sie kicherte. »Sie hat auch eine hübsche, sanfte, katzenartige Stimme und auch sanfte Katzenpfötchen, nicht wahr?«
»Mein liebes Kind, was meinen Sie damit?« Er war wirklich überrascht. »Auf mich machte Frau Bendler einen geradezu entzückenden Eindruck, wie ich schon sagte,« wiederholte er mit Nachdruck.
»Aber natürlich wird sie den gemacht haben,« lautete die kluge Antwort. »Sie wird sich doch einem Herrn, wie Ihnen, nicht anders geben. Weiß Gott, ich kann aber die Tatzen unter den Samtpfötchen gut erkennen, sie werden mich aber nicht kratzen, ich passe auf!«
»Mein liebes Kind,« begann Brand wieder, doch Miranda beugte sich vor und unterbrach ihn, nicht grob, aber mit großem Ernst.
»Das ist ganz richtig,« wiederholte sie ihre Lieblingsredensart. »Sie sagen, daß sie mich alles lehren wird, was mir fehlt, und das genügt. Ich habe sie mir aber scharf vorgenommen, glauben Sie mir nur, und ich kann sehen, daß ihr noch ein Plan im Kopfe steckt neben dem, gut gegen mich zu sein.«
»Aber!« Mehr konnte der Anwalt nicht sagen, er war zu sehr verdutzt, daß dieses kluge Kind aus dem Volk so vieles mehr gesehen haben wollte, als seine eigenen erfahrenen Augen.
Dann nach einer Weile: »Ich hoffe, daß, wenn Sie zu Frau Bendler gehen, Sie sie nicht fortwährend mit Ihrem Mißtrauen verfolgen werden oder Dinge sehen wollen, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Es ist doch schließlich sehr gütig von der Dame, sich Ihrer anzunehmen und Ihre Beschützerin zu sein. Sie macht sich wegen einer Fremden dadurch viel Umstände, das dürfen Sie doch nicht vergessen.«
»Das vergesse ich auch nicht!« Ihre Lippen schlossen sich mit dem festen Druck, an den sich Brand allmählich gewöhnte. »Aber sie tut das doch nicht alles aus reiner Liebe zu mir? Sie wird doch dafür bezahlt?«
»Sie machte mir das sehr freundliche Anerbieten, Sie als Gast bei sich aufzunehmen, aber –«
»Sie hatte nicht die Absicht, das wirklich zu tun,« fuhr das Mädchen rasch fort und lachte mit dem ganzen Gesicht. »Sie sagte mir auch, mich als Freundin aufzunehmen, aber ich sah sofort, daß das nicht ihr Ernst war. Ich bin ihr vollständig auf die Sprünge gekommen.«
Der Anwalt war sprachlos. Ja, dieses scharfsinnige Mädchen hatte ihn übertrumpft und seinen männlichen Verstand in den Schatten gestellt. In seiner langen Praxis war ihm noch kein solches Mädchen vorgekommen, und er blickte es mit einer gewissen Nervosität an, als es jetzt aufstand und noch weiter sprach:
»Ich gehe aber trotzdem zu ihr. Sie können sich mit ihr, sobald es Ihnen beliebt, verständigen. Ich muß nun einmal lernen, wie man eine Dame wird, und je eher ich damit beginne, desto schneller lerne ich es. Ich möchte wohl wissen, wie Fräulein Bendler darüber denkt, daß ich bei ihnen wohne. Vielleicht wird sie sehr dagegen sein.«
Brand hatte nicht den Vorzug, Fräulein Bendler zu kennen, aber er begriff recht gut, wie viel Wahres in den Worten seiner jungen Klientin steckte.
Er sah der sonderbar gekleideten Gestalt nach, als sie die Stufen, die aus seinem Zimmer führten, hinabschritt, und er stellte sich vor, welches Aufsehen diese Erscheinung in Frau Bendlers elegantem Salon machen würde.