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Früh am nächsten Morgen fand sich Justus Wise im Hause des Finanzmannes am Berkeley Square ein. Er hatte sich von den Strapazen und Aufregungen des Vortages erholt und sah so frisch und lächelnd wie der junge Morgen aus.
Aus seine Anfragen erfuhr er, daß Fräulein West eine vorzügliche Nacht verbracht hatte und sich auf dem Wege der Besserung befinde. Herr Georg Millbank war nicht im Hause. Er war am Abend zuvor fortgegangen und noch nicht zurückgekehrt. Man hatte keine Nachrichten von ihm, dagegen hatte Butt eine Depesche für ihn.
Justus dankte dem alten Diener und machte sich auf den Weg nach der Brutonstraße.
Mit besorgtem Blick betrachtete er die Außenseite des »Marquis von Granby«. Ob der alte Millbank gestorben war, oder hatte er noch Zeit gefunden, dem jungen Manne seine Geschichte zu erzählen?
Sobald er die Bar betrat, beruhigte ihn die Frau des Besitzers über den ersten Punkt.
»O, Herr Wise, wie froh bin ich, daß Sie gekommen sind! Es geht dem armen Herrn heute morgen etwas besser. Aber welch' schreckliche Geschichte! Und daß so etwas in unserem Hause passieren mußte! Der Doktor hofft, daß er ihn doch noch durchbringen kann. Meinem Mann stand wirklich der Verstand stille, als er zurück kam und alles hörte. Er wollte zur Polizei schicken, aber der alte Herr wollte davon nichts hören. O du mein Herrgott, wie ging er dagegen an! Er ist ein so netter Herr und der junge Herr, sein Sohn, ganz reizend. Was mag das nun alles zu bedeuten haben? Hatten sie sich gezankt? Mein Mann sagt, er hätte das von dem andern Herrn nie geglaubt. Der verhielt sich hier so ruhig und mein Mann sagt, daß er ihn schon lange Zeit gekannt habe und daß er in der City ein großer Mann sei. Aber hier ist ja der junge Herr. Sieht er nicht schlecht aus?«
Georg Millbank sah allerdings bleich und kummervoll aus. Es schien ihm aber große Freude zu bereiten, als er Justus im Gespräch mit der Wirtin fand.
»Ach, wie nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind, Herr Wise, mein Vater hat so sehnsüchtig nach Ihnen verlangt. Er ist sehr schwach, aber ich glaube, es ist doch noch Aussicht vorhanden, daß er durchkommt, nachdem Sie zurückgekehrt sind. Ueber den Verlust der Anteilscheine jammert er kläglich.«
Justus führte ihn in das kleine Zimmer, in dem er und der ältere Millbank am Tage vorher gesessen hatten und wo ihr unberührter Brandy noch auf dem Tisch stand.
»Hat er Ihnen alles erzählt?« fragte Justus.
»Ja, ich glaube alles. Sie wissen, daß es derselbe Mann war, Wyvill, der Sophie verwundete und sie beraubte und der ihn hier mit dem Messer stach und dem Tode nahebrachte. Mein Vater will es aber der Polizei nicht anzeigen. Er ist darauf versessen, die Anteilscheine zurück zu bekommen, die seiner Meinung nach ein gewaltiges Vermögen für mich bedeuten und er fürchtet sich, daß sich die Sachen mit den anderen Anklagen, die gegen diesen Mann vorliegen, sehr komplizieren und vielleicht den Verlust des Geldes herbeiführen können. Er hat mir gesagt, was er ist und in welcher Lage er sich befindet.«
Justus nickte. »Führen Sie mich zu ihm hinauf, mein lieber, junger Herr, ich glaube, ich kann ihn leicht beruhigen.«
Der ältere Millbank, der noch in dem Zimmer war, in dem Justus ihn verlassen hatte, aber jetzt im Bett lag und wohl verpflegt, befand sich in einem halben Dämmerzustände, als die beiden Herren das Zimmer betraten. Beim Anblick von Justus raffte er sich auf und sprach mit seiner ruhigen Stimme wie früher:
»Ach, Sie sind zurückgekommen, wo sind Sie denn gewesen? Haben Sie den Schuft gefunden? Ich habe mich ganz krank gegrämt nach Nachrichten von Ihnen.«
Justus zog das Päckchen aus seinem Rock. Die Banknoten blieben in der Tasche.
»Ich habe Ihre Anteilscheine gefunden, auch die Ihres Freundes. Hier sind Sie.«
»Sie haben sie?« kam es gleichzeitig von Vater und Sohn.
»Ja, sehen Sie nach, ob alles in Ordnung ist.«
Dann erzählte Justus nach Ueberreichung des Paketes seine Erlebnisse und so bescheiden, wie er es der Sachlage entsprechend für angemessen hielt.
Aufmerksam horchten die beiden zu und voller Furcht und mit zitternden Fingern prüfte der ältere Millbank die Papiere.
Als Justus geendet, sagte Millbank: »Es ist alles in Ordnung! Georg, Du bist ein gemachter Mann, denn du hast nicht nur allein meinen Anteil, sondern auch die Hälfte Duntons. Die andere Hälfte bekommt das Mädchen aus dem Hotel, in dem Peter abgestiegen war. Er hatte das so bestimmt, falls ihm etwas zustoßen sollte, obwohl er nie daran gedacht hatte, so bald aus dem Leben scheiden zu müssen. Vielleicht sind Sie der Meinung, daß es richtiger gewesen wäre, Wyvill früher verhaften zu lassen oder wenigstens ihn früher der Polizei anzuzeigen, aber bedenken Sie nur, was alles davon abhing. Ich weiß, Peter würde ebenso gehandelt haben und nun hat der Mann mich auch noch zu töten versucht.«
»Aber du wirst nicht sterben, Vater. Jetzt eben, wo wir uns wiedergefunden haben. Du mußt besser werden und du, Sophie und ich gehen wieder ans Kap oder nach Australien.«
Der alte Millbank schüttelte den Kopf und betrachtete den Sohn mit seinen scharfen und doch traurigen Augen.
»Ich werde nicht besser werden, mein Junge. Es geht mit mir zu Ende, aber ich habe erreicht, was ich wollte, dank unserm Freunde hier, Herrn Wise. Du wirst dafür sorgen, daß er zu seinem Rechte kommt, darauf kann ich mich verlassen. Er ist unser Retter gewesen. Er hat dich für mich gefunden, mein Junge, dann jenem Schurken die Niederlage bereitet und uns unser Vermögen wieder verschafft. Wirklich, Herr Wise, wir stecken tief in Ihrer Schuld.«
Justus errötete. »Ach, es ist wirklich nicht der Rede wert. Bei einem Geschäft, wie ich es habe, kommt dergleichen schon vor, ich habe nichts außergewöhnliches getan.«
Georg Millbank ergriff seine Hand und drückte sie. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, ich werde versuchen, Ihnen das zu beweisen. Um einen Dienst bitte ich Sie noch, sagen Sie uns genau, wo Sie den Mann getroffen haben, damit wir ihn der Gerechtigkeit überliefern können. Ich werde selbst heute noch dorthin gehen und seine Verhaftung veranlassen.«
Nach einer Weile sagte der alte Millbank: »Es war ein Kampf zwischen ihm und mir. Ich war bis zum Wahnsinn wütend auf ihn und hätte ihm das Genick gebrochen, wenn er mir nicht mit seinem Messer zuvorgekommen wäre. Er ist ein Schurke, der jede Strafe verdient, aber man wird ihn nicht hängen und es gelingt mir nicht einmal, ihn in die Hölle zu bringen, die ich zwanzig Jahre erduldete. Er hat aber dein liebes Mädchen angefallen und dafür kannst Du ihn zur Rechenschaft ziehen. Ich sterbe und habe an meine eigenen Sünden zu denken. Da ich mein Eigentum zurückbekommen habe, bin ich mit ihm fertig.«
Er schloß die Augen einige Minuten, Georg sah Justus an.
Dieser beantwortete seine unausgesprochene Frage.
»Die Polizei wird ihn sicher bald haben. Ich weiß, daß er nicht imstande ist, sich ins Ausland zu flüchten und überdies wird West jetzt sprechen.«
Der ältere Millbank fing diesen Namen auf.
»Ich halte West nicht für so schlecht, wie es den Anschein hat. Wyvill drang stets auf ihn ein. West würde die Sache nicht durchgeführt, er würde mir doch schließlich meinen Anteil zurückgegeben haben. Gewiß wird er sprechen. Er ist bestraft worden und hat seine Strafe auch jetzt, da er zwecklos wartet, denn die Anteilscheine sind ihm doch auf immer verloren. Er muß aus dem Gefängnis heraus. Du mußt veranlassen, daß der Kommis seine Geschichte erzählt. Es wäre auch für den Vater deiner zukünftigen Frau – ich kann aber jetzt nicht mehr sprechen, Georg, ich fühle mich sehr erschöpft. Gib mir von der Medizin. Wann, sagte der Doktor, daß er zurückkommen würde?«
»Ich glaube, da kommt er gerade, ich kenne schon seinen Schritt.«
Justus blieb noch einige Augenblicke im Zimmer, während der Arzt den Patienten untersuchte. Offenbar war dessen Zustand ein sehr ernster. Der Arzt empfahl größte Ruhe und hielt es für das beste, daß nur der junge Millbank sich bei seinem Vater aufhielt.
Justus verabschiedete sich deshalb.
Er begab sich in sein Bureau, wo er sich schon eine Zeit lang nicht hatte sehen lassen und wo er von seinem Angestellten sehnsüchtig erwartet wurde.
Unterwegs bereitete ihm der Gedanke eine große Befriedigung, daß er doch nicht selbst mit den Anteilscheinen nach dem Kap ausgewandert war. Er sagte sich, daß die Dinge sich für ihn vorzüglich gestaltet hätten, zumal es ein Vergnügen sei, mit Leuten wie Millbank Vater und Sohn zu tun zu haben. Das Wyvill bald von der Polizei ergriffen würde, war ihm ebenfalls sehr angenehm. Jener hatte nicht die Zeit gefunden, ihn zu erkennen und so würden sich für ihn wegen der tausend Pfund Sterling keinerlei Schwierigkeiten ergeben können. In Anbetracht der Gefahr, die er einem so leicht zur Mordwaffe greifenden Menschen gegenüber bestanden hatte, glaubte er die Summe reichlich verdient zu haben.
Als Justus Wise in sein Bureau zurückkehrte, erfuhr er, daß der Angestellte des Wapiti-Syndikates bereits die Anzeige gemacht hatte.
Nachdem Wyvill geflohen, war sein Geschäft in Trümmer gegangen. Ohne die ihn zum Schweigen verdammende Anwesenheit seines Chefs hatten Gewissensbisse und Furcht den jungen Menschen überwältigt. Er hatte die ganze Angelegenheit sich vom Herzen gesprochen und befand sich nun unter Polizeiaufsicht, während man zugleich dem Generalsekretär eifrigst nachspürte.
Seines unrechtmäßigen Besitzes sowohl wie seines letzten Geldes beraubt und dadurch auch außerstande, nach dem Kap zu gehen, hatte sich Wyvill wieder nach London zurückbegeben und war verhaftet worden. Er hatte seine Missetaten eingestanden und dann in seiner Zelle einen Selbstmordversuch gemacht.
In anbetracht, daß Dunton seinen Mörder zuerst geschlagen hatte, wurde dieser nicht wegen Mord, sondern wegen Totschlag verurteilt und West, der als Helfershelfer nach der Tat angeklagt war, erhielt nur ein nominelles Urteil, das auf die Untersuchungshaft angerechnet, ihn sehr bald der Freiheit wiedergab. Alsdann mußte er sich zwar bankerott erklären, kehrte jedoch nach der Hochzeit Georg Millbanks mit Sophie nach dem Kap in Begleitung von Gertie Tillet, jetzt Frau West, zurück. Es gelang West sehr bald, sich ein neues Vermögen zu verschaffen. Frau West hofft auf ein Haus in Park Lane, bekanntlich einem sehr vornehmen Teile Londons.
Justus Wise ist nicht mehr Privatagent. Er ist Eigentümer der Firma »Equitable Trafalgar Square Banking Company, London,« einer großen Firma mit nahezu hundert Angestellten. Man kann bei ihm auf ein einfaches Akzept zu 2½ Prozent per Jahr borgen und zu einem Zinssätze von 7 Prozent per Jahr Geld in Verwahrung geben. Die Firma ordnet alle Angelegenheiten mit Gläubigern, die einen Schuldner zum Bankrott drängen und gibt Auskünfte über die Kreditfähigkeit von Kunden oder kauft zweifelhafte Forderungen. Die Firma ist auf allen Gebieten industrieller und kommerzieller Art tätig, kauft Automobile und verkauft sie, kauft Börsenpapiere usw. usw. Kurz gesagt, die Firma »macht alles« und ihr Besitzer – schwimmt in Geld ...
Carl Seifert, Buchdruckerei, Köstritz/Leipzig.