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Der »Chammer« als Detektiv.

Wenige Tage nach dem Einbruch bei Chill stolzierte die Breitenbach in ganz neuem Gewande am Arm des »Schlidderhujo«, der seinerseits wieder den Eindruck eines vollkommenen Gentlemans machte. Da das Diebesgut innerhalb 24 Stunden verkauft worden war, brauchte er sein Heil in der Flucht nicht zu suchen. An dem Kauf der Felle und Stoffe hatte sich, wie nicht anders erwartet werden konnte, die ganze Gegend beteiligt, und mit Ausnahme kleinerer Stücke war die Ware auch bald aus Berlin und zum Teil auch über die Grenze verschoben.

Frau Butterfaß, die in einem benachbarten Bäckerladen von den Mezzies Mezzies = billige Ware erfuhr und Gelegenheit hatte, einige Abschnitte Stoff billig zu kaufen, glaubte, ihren Mann damit zu erfreuen. Der Schneider war aber sehr unglücklich, als die holde Gattin die gestohlene Ware ins Haus brachte und wußte nicht, was er damit anfangen sollte. Er sagte sich, wenn er den Stoff verkaufe, könnte man ihn wegen Hehlerei einsperren, verkaufe er ihn nicht, dann verliere er eben sein Geld. Frau Butterfaß aber, die recht heftige Vorwürfe von ihrem Mann bekam, wußte auch hier wieder Rat. Sie meinte, es würde sich schon jemand finden, der einen Anzug bestelle und weit weg ginge, man brauche nur darauf zu achten, den Stoff keinem Einheimischen, sondern nur einem Fremden anzubieten.

Inzwischen war die Polizei doch nicht ganz untätig gewesen. Die geraubte Ware konnte zwar nirgends ermittelt werden, aber man sah sich denn doch die Hausbewohner etwas genauer an, weil man überzeugt war, daß nur Personen, die mit den Gepflogenheiten des Herrn Chill sich vertraut gemacht hatten, das Verbrechen ausgeführt haben konnten. Hierbei stellte die Polizei fest, daß dem in dem Hause als Gelegenheitsarbeiter gemeldeten Hugo Schramm wegen seiner empfindlichen Vorstrafen die Tat wohl zugetraut werden konnte. Eine plötzliche und geheime Haussuchung während der Abwesenheit des Verbrechers förderte zwar nichts Verdächtiges zutage, aber trotzdem wurde »Schlidderhujo« dauernd überwacht und Kriminalbeamte beobachteten unauffällig das Haus.

Joel Gewürz, der sich oft auf der Straße herumdrückte, weil er hoffte, seine geliebte Esther zu sehen, kam mit einem solchen Beamten bald in Unterhaltung. Er erzählte, ohne zu wissen, wen er vor sich habe, von allem, was sein Herz bedrückte, von Pufeles, dem eingewanderten Galizier, der sich jetzt einen fremdländisch klingenden Namen zugelegt habe und die Mädchen und Frauen so gewaltig beherrsche, daß sie sich von ihm an Bordelle verschachern ließen. Von den Frauenzimmern wußte er zu sprechen, die in dem Hause wohnten und sich plötzlich so elegant zu kleiden verständen und von dem Zuhälter, der vor kurzer Zeit noch ohne Halskragen herumlief und jetzt aussehe, wie ein Großkaufmann. Dies alles könne er als armseliger Uhrmacher, der kaum sein Brot verdiene, nicht begreifen. Wenn er Metallarbeiter wäre, wie der Kunze, der täglich mit einem Auto bis zur Weinmeisterstraßenecke fahre und immer mit anderen Mädchen am Arm gesehen werde und fast jeden Abend betrunken sei, ja, wenn er, der armselige Uhrmacher, auch Metallarbeiter wäre, dann würde er aus anderen Augen schauen. Aber so bei seiner kleinen verwachsenen Gestalt, ohne äußere Eleganz, gingen ihm die Mädchen aus dem Wege. Und die eine, um derentwegen er auf der Straße stehe, weil ihr Anblick ihm immer wieder neuen Lebensmut gebe, habe ihn zwar in der vorigen Woche, als er ihr einen Heiratsantrag machte, ausgelacht, aber er wolle die Hoffnung trotzdem nicht verlieren, weil er überzeugt sei, daß das Treiben des Pufeles und seiner Bande doch einmal ans Tageslicht kommen würde. Und dann werde seine geliebte Esther, aus den Klauen des Mädchenjägers befreit, wohl anderer Meinung werden. Er habe schon dafür gesorgt, daß ein Freund das Mädchen überwache und ihm über alles, was vorgehe, Mitteilung mache. Sollte der Pufeles auch gegen seine Esther etwas unternehmen, dann würde er schon im geeigneten Augenblick aus dem Hinterhalt hervorspringen und das Mädchen retten.

Dies sei überhaupt noch der einzige Lebenszweck, der ihn aufrecht erhalte. Denn, im Vertrauen gesagt, habe er noch einen gefährlichen Nebenbuhler, einen stattlich gewachsenen jungen Mann aus hochfeiner Familie, der sogar in seiner Gegenwart die Absicht ausgesprochen habe, das Mädchen zu heiraten. Hier werde aber nicht die schöne Gestalt, sondern die Intelligenz den Sieg davon tragen. Denn es sei doch natürlich, daß das Mädchen ihm aus Dankbarkeit die Hand reiche, wenn er es aus einer gefährlichen Lage befreit haben werde.

Dem Kriminalbeamten machte die Offenherzigkeit des kleinen Männchens viel Vergnügen. Er schmunzelte zwar über die geschilderten Liebesschmerzen und hatte wenig Hoffnung zu dem Selbstvertrauen des Buckligen, vermittels seiner Intelligenz einen stattlichen Nebenbuhler aus dem Felde zu schlagen, aber er hielt dennoch weitere Zusammenkünfte mit dem redseligen Uhrmacher für sehr wichtig, weil er hoffte, aus dessen Schwätzereien gewisse Anhaltspunkte für den Einbruch oder andere Verbrechen zu ermitteln.

Aus diesem Grunde zeigte er sich sehr teilnehmend und riet dem Joel Gewürz, seine Beobachtungen nur fortzusetzen und wenn er nach irgendeiner Richtung hin etwas Verdächtiges entdecke, sei es Diebstahl, Hehlerei oder Mädchenhandel, sofort zum nächsten Polizeirevier zu gehen und Anzeige zu erstatten.

Inzwischen war es Pufeles und seinem Helfer gelungen, Frau Machschewes zu überreden, ihre Zustimmung zu geben, daß Esther nach Rotterdam übersiedle, wo ihr eine Anstellung als Kassiererin in einem jüdischen Hotel geboten wurde.

Aufgrund der gefälschten Korrespondenz und eines ebenfalls gefälschten raffiniert zu Gunsten des Mädchens ausgeklügelten Vertrages, nach dem nicht nur die Kassiererin bei geringer Arbeitszeit ein glänzendes Gehalt bekommen sollte, sondern die Mutter auch mit einer monatlichen Rente von einigen hundert Gulden bedacht war, hielt Frau Machschewes das vorzügliche Angebot für einen besonderen Glücksfall und sich selbst für eine beneidenswerte Rentnerin. Sie bedankte sich daher sehr lebhaft bei Pufeles für seine uneigennützigen wirklich freundschaftlichen Bemühungen und bereitete nun alles für eine baldige Reise vor.

Als Esther von dem Pakt zwischen ihrer Mutter und Pufeles Kenntnis bekam, war sie zwar im ersten Augenblick etwas verblüfft, denn der Gedanke, zukünftig auf sich selbst angewiesen, unter fremden Leuten zu sein, ging ihr nicht so schnell in den Sinn, und sie weinte im Verborgenen manche Träne. Andererseits aber wurde sie so von Langeweile geplagt, daß sie sich nach einer Beschäftigung, die zugleich Zerstreuung sein sollte, sehnte, zumal die Vergnügungen in der Wohnung des Pufeles, nachdem ihre weibliche Eitelkeit befriedigt war, anfingen recht eintönig zu werden.

Als einziges Hindernis, das sie seelisch noch zu überwinden hatte, blieb ihre Neigung zu Moritz Feigenbaum, von dem sie sich auf längere Zeit nicht trennen mochte.

Bei der nächsten Zusammenkunft wurde die Frage der Übersiedlung nach Rotterdam eingehend erörtert. Der junge Mann war sehr erschreckt, als er von der geplanten Reise hörte und wollte nichts davon wissen, da er die Anstellungsgeschichte für Schwindel hielt. Das Mädchen beteuerte aber, daß alles einwandfrei gehandhabt und von ihrer Mutter gründlich geprüft worden sei. Sogar eine Bestätigung des deutschen Konsulats in Rotterdam habe beigelegen, wonach es sich um ein erstklassiges vornehmes Hotel und um ehrenwerte Besitzer handle.

Moritz Feigenbaum konnte sich an diesem Tage so ohne weiteres nicht entschließen, er wollte über diesen Fall erst mit seinem Schwager beraten.

Auch der Rabbinatskandidat machte ein sehr bedenkliches Gesicht, als er von der Anstellung des Mädchens in Rotterdam erfuhr, und seine persönliche Überzeugung von unlauteren Machenschaften seiner Landsleute konnte auch durch das angebliche Empfehlungsschreiben des deutschen Konsulats nicht verdrängt werden. Schließlich aber kam man darin überein, daß es andererseits vielleicht nicht ungünstig wäre, wenn Esther Machschewes aus ihrer jetzigen Umgebung herauskäme, nur müßte man verhindern, daß sie in Rotterdam unter Umständen in eine noch schlechtere Gesellschaft verschachert würde. Und das Endergebnis der Beratung war, am nächsten Tage nach Esther's Abreise Moritz Feigenbaum nach Rotterdam zu schicken, wo er in dem fraglichen Hotel Wohnung nehmen und die weitere Entwicklung der Dinge beobachten könnte.

Der junge Mann war mit dieser salomonischen Lösung der wichtigen Frage sehr zufrieden und auch Esther freute sich unbändig, als sie bei der nächsten Zusammenkunft davon erfuhr.

Nunmehr wurde der Tag der Ausreise festgesetzt und Pflaumenhaft bekam von Pufeles den Auftrag, eine Unzahl Koffer, unter ihnen auch solche der Esther Machschewes, zu einer bestimmten Stunde aus seiner Wohnung abzuholen und nach dem Bahnhof Friedrichstraße zu schaffen.

Pflaumenhaft hatte sich bisher als stiller und scharfer Beobachter erwiesen und erkannte auch diesmal, daß Esther nicht allein nach Rotterdam reisen werde, sondern mit ihr drei andere junge Mädchen, die mit Pufeles und Frau Diamant wochenlang vorher in Unterhandlung gestanden hatten.

Ebenso verdächtig war es ferner, daß Pufeles und sein Helfer, der geheimnisvolle Fremde, den Transport nicht nur begleiteten, sondern Pflaumenhaft auch strenge Anweisung gaben, über die Reise zu niemand zu sprechen und die Fahrkarten und Gepäckscheine nur einem von ihnen auszuhändigen. Selbst Frau Machschewes und deren Tochter sollten nicht erfahren, daß noch andere Mädchen mit ihr dieselbe Reise unternähmen. Pufeles versprach dem Gepäckversorger Pflaumenhaft schließlich für sein Schweigen und eine glatte Abwicklung der Sache eine besondere Vergütung, die er ihm in Form eines vordatierten Schecks bei der Abfahrt überreichen wollte.

Der Zimmergenosse des Joel Gewürz war als anspruchsloser Mensch keiner Bestechung zugänglich, wenn sein Gewissen dadurch belastet werden sollte. Außerdem war sein Haß gegen alle Kapitalisten und gegen Pufeles im besonderen so groß, daß er es für seine Pflicht hielt, wenigstens dem kleinen Uhrmacher von seinen Wahrnehmungen Kenntnis zu geben und vielleicht zur Aufdeckung einer Schmutzerei gegen Esther Machschewes beizutragen.

Als Joel Gewürz von der geplanten Abreise seines Idols in Begleitung des Pufeles, des Fremden und dreier Mädchen erfuhr, geriet er in die größte Aufregung und gebärdete sich wie toll.

Seine Verzweiflung wuchs von Stunde zu Stunde, weil er sich den Tatsachen gegenüber völlig machtlos fühlte. Da erinnerte er sich der mehrfachen Unterhaltungen mit dem unbekannten Herrn auf der Straße und es fiel ihm dessen Rat ein, sich bei etwaigen Verdachtsmomenten sofort an das nächste Polizeirevier zu wenden.

Schnell entschlossen eilte er wie er ging und stand nach der nächsten Polizeiwache in der Alexanderstraße und war nicht wenig erstaunt, dort seinen Ratgeber anzutreffen, der sich lächelnd als Kriminalbeamter legitimierte.

Da der Uhrmacher aus eigenen Beobachtungen nichts angeben konnte, wurde Pflaumenhaft, auf den er sich berief, zur Vernehmung nach der Wache geholt und ein umfangreiches Protokoll über alle Verdachtsmomente unter Angabe und Beschreibung der Persönlichkeiten aufgenommen.

Am nächsten Tage promenierten schon vom frühen Morgen an vier Kriminalbeamte unverdächtig auf dem Bahnsteig des Bahnhofs Friedrichstraße, von dem die Züge nach Holland abgelassen werden. Der Vorsicht wegen hatte sich die Polizei nicht auf die Angaben Pflaumenhafts in bezug auf die Abfahrtszeit verlassen, weil gewiegte Verbrecher aus Furcht vor Überraschungen oft noch im letzten Augenblick ihre Entschlüsse ändern und mit einem früheren Zuge abdampfen.

Diesmal aber bedurfte es der polizeilichen Vorsicht nicht; denn Pufeles war seiner Sache so sicher, daß er eine Viertelstunde vor Abgang des festgesetzten Zuges in Begleitung seines Helfers erschien und die bereits anwesende Weiblichkeit, bestehend aus Frau Machschewes, deren Tochter und drei anderen Mädchen nebst deren Anhang freundlich begrüßte. Die drei Mädchen wurden als Bekannte des Herrn Samson vorgestellt, der sich denn auch mit ihnen verabredungsgemäß bis zur Einfahrt des Zuges unterhielt, während der Galizier mit Esther und deren Mutter ein heiteres Gespräch begann.

Der Zug kam langsam und prustend heran. Frau Machschewes wurde etwas nervös und verfärbte sich. Der Augenblick des Abschieds stieg ihr trotz aller geldlichen Interessen ins Gemüt. Ihre Augen feuchteten sich und einige Tränentropfen kullerten hastig und verstohlen die Wangen hinunter. Pflaumenhaft, der hinzu kam, um den ihm versprochenen Bankscheck vor der Abfahrt in Empfang zu nehmen, lenkte die Aufmerksamkeit der Beteiligten etwas auf sich.

Als die drei Mädchen aber mit Samson eingestiegen waren, begann Frau Machschewes wieder zu weinen. Esther zögerte etwas, um ihrer Mutter dann heftig weinend um den Hals zu fallen.

Der Galizier, innerlich selbst sehr erregt, äußerlich jedoch kalt und entschlossen, riß das Mädchen mit sanfter Gewalt von der Mutter und war gerade im Begriff, sie die Stufen des D-Zuges hinaufzuschieben, als ein Kriminalbeamter die Hand auf seine Schulter legte und ihn für verhaftet erklärte. Ebenso wurde Samson mit den drei Mädchen aus dem Zuge geholt und Frau Machschewes ebenfalls für verhaftet erklärt.

Die Wirkung dieses raschen polizeilichen Zugriffs war eine verblüffende, aber dennoch bei den Verhafteten sehr verschieden.

Esther konnte nicht begreifen, um was es sich handelte, sie schaute sich fragend um, blickte auf die vier bürgerlich gekleideten Männer mit den ernsten Gesichtern und war erstaunt, daß ihre Mutter so herzzerbrechend weinte, obwohl ihr niemand etwas tat. Und noch weniger verstand sie es, als Frau Machschewes sich aufs Bitten verlegte und immer wieder beteuerte, sie hätte doch nichts verbrochen und man möge sie doch freigeben. Auch die anderen drei Mädchen konnten sich den Vorgang nicht erklären, sie schienen nur betrübt, daß die Reise jetzt allem Anscheine nach verzögert werden würde. Vergebens bemühten sich die ahnungslosen Verwandten dieser Mädchen von den Kriminalbeamten eine Aufklärung über den Vorfall zu erlangen, sie wurden kurzerhand mit dem Bemerken abgewiesen, sie möchten sich morgen früh nach dem Polizeipräsidium begeben.

Samson trug sein Schicksal mit zynischer Gleichgültigkeit, er befand sich offenbar nicht das erste Mal in solcher peinlichen Lage, und das Lächeln, das um seine schmalen Lippen spielte, schien anzudeuten, daß er berechtigte Gründe habe, bald wieder freigelassen zu werden.

Für Pufeles bedeutete die Verhaftung offenbar einen harten Schlag, denn er verlor für einen Augenblick die Fassung und schien umzubrechen. Sein Gesicht wurde plötzlich grau und grün und seine sonst so blitzenden Augen verloren an Glanz. Er murmelte verlegen einige unverständliche Worte vor sich hin und blickte sich scheu um. In seinem Gehirn aber jagten die Gedanken durcheinander und suchten bohrend nach einem Ausweg zur Flucht. Und je eindringlicher er sich geistig damit beschäftigte, wie er dem vernichtenden Geschick entgehen könnte, desto ruhiger wurde er äußerlich. Sein Gesicht bekam allmählich wieder die natürliche gelbe Färbung und die Augen blitzten vielleicht noch lebhafter und listiger als sonst.

Lächelnd und mit gleichgültigster Miene folgte er den Kriminalbeamten zur Sperre.

Als die Gruppe aber an einem jener Fahrstühle vorbeikam, die das Gepäck von der Aufgabestelle in Wagen nach dem Bahnsteig zu befördern haben, und der leere Fahrstuhl sich schon in die Tiefe zu senken begann, sprang er mit einem kurzen Satz über das niedrige Absperrungsgitter, und da diese Fahrstühle nicht angehalten werden können, sauste er mit dem Gepäckbeamten in die Tiefe.

Diese verwegene Flucht war das Werk einer einzigen Sekunde.

Zwei Kriminalbeamte liefen natürlich sofort nach der Abfertigungsstelle, aber von Pufeles war selbstverständlich keine Spur mehr zu entdecken.

Eine noch am selben Tage vorgenommene Haussuchung ergab denn auch ein reichhaltiges Belastungsmaterial für die verschiedenartigsten Verbrechen, insbesondere den einwandfreien Beweis der vollzogenen Verkuppelung der Mädchen an holländische Freudenhäuser.

Joel Gewürz hatte sich rechtzeitig eingefunden, um, hinter dem Wartehäuschen versteckt, den Ausgang des polizeilichen Unternehmens beobachten zu können. Sein Herz hüpfte vor Freude, als er sah, wie die Beamten zugriffen und so die Abfahrt verhinderten. Die Flucht des Hauptschuldigen, die auf dem Bahnsteig ungeheures Aufsehen erregte, ließ ihn kühl, denn der Gedanke, sein Estherchen nun in Sicherheit zu wissen, beherrschte sein Gemüt völlig und machte ihn überglücklich. Er kam sich beinahe selbst wie ein Held vor. Und aus diesem in ihm erwachten Selbstbewußtsein schöpfte er auch den Mut, sich an die Gruppe heranzuschleichen und das Mädchen auf der Straße anzusprechen, als es von Pflaumenhaft nach Hause begleitet wurde.

Esther Machschewes weinte auf dem ganzen Wege still vor sich hin, weil ihr Herz wegen der Abwesenheit der Mutter so beklommen war und sie nicht wußte, wann sie ihre Mutter wiedersehen würde.

Joel glaubte gerade in dieser Verfassung den besten Anknüpfungspunkt zu haben, er trat langsam an ihre Seite und sprach ruhig und tröstend auf sie ein. Die Sache sei für ihre Mutter gar nicht so schlimm, wie es aussähe, denn sie habe sich schließlich nur von dem Galizier und seinem Helfer betören lassen und es sei sehr wahrscheinlich, daß Frau Machschewes vielleicht schon morgen aus der Haft entlassen werden würde. Er erzählte ferner von dem furchtbaren Geschick, dem das Mädchen durch das polizeiliche Eingreifen entgangen sei, von den Lasterhöhlen, denen sie zugeführt werden sollte und so weiter mehr.

Mit dem Taschentuch vor dem Gesicht schritt Esther ruhig einher. Das Geflüster ihres ungebetenen Begleiters machte nicht den geringsten Eindruck auf sie. Inzwischen war die Grenadierstraße bereits erreicht und der verliebte Uhrmacher hatte immer noch nicht seinen Haupttrumpf ausgespielt. Jetzt, kurz vor dem Hause, war es endlich die höchste Zeit. Seine Stimme wurde lauter und fester, als er nun im Bewußtsein, eine Heldentat begangen zu haben, näher an das Mädchen herantrat und sagte:

»Liebes Estherchen, daß Ihre Reise Sie ins Verderben gestürzt hätte, dürfte für Sie nun wohl nicht mehr zweifelhaft sein. Sie wären elend untergegangen, denn Sie befanden sich in Händen ruchloser Mädchenjäger. Ihre Rettung ist mein Werk, ich allein habe die Tat vollbracht, Sie aus den Klauen der Bordellkuppler zu befreien und so Ihr Leben zu retten! Sie haben mich neulich zwar verlacht, als ich Ihnen meine grenzenlose Liebe gestand, aber nach dem, was ich für Sie getan, werden Sie mich wohl mit anderen Augen betrachten. Und ich hoffe, daß Sie mir, Ihrem Lebensretter, aus Dankbarkeit Ihre Liebe schenken werden. Gott wird's Ihnen lohnen, daß Sie mich armen Menschen glücklich machen!«

Sie waren vor dem Hause angelangt. Joel Gewürz griff jetzt nach der Hand des Mädchens, gleichsam als Besiegelung des Bundes, vielleicht wollte er ihre Hand auch zum Dank an seine Lippen führen. Esther aber riß sich schnell los, reckte den Kopf trotzig in die Höhe und ihre Augen funkelten wie glühende Kohle, als sie den kleinen Uhrmacher anwetterte:

»Also Sie waren es, der mir meine Mutter nahm, Sie unverschämter Strolch! Und daß man uns vom Bahnhof runterholte, war ihr Werk und Sie rühmen sich noch, das getan zu haben. Sie Meschüggener?! Man sollte Sie dafür verprügeln wie einen Hund! Wenn Sie es noch einmal wagen sollten, mir näher zu treten, werde ich die Polizei rufen lassen!«

Schnell drehte sich das Mädchen um und verschwand im Hausflur.

Der unglückliche Uhrmacher wußte nicht wie ihm geschehen. Er konnte weder weinen noch lachen, so sonderbar fremd und völlig unerwartet schien ihm das Benehmen des Mädchens, daß er traumverloren dastand und in den Hausflur starrte, durch den Esther soeben verschwunden war.

Pflaumenhaft, der sich während des ganzen Weges um das Geflüster seines Zimmergenossen zu dem Mädchen, das in ihrer Mitte ging, nicht gekümmert hatte, war allerdings leidlich überrascht, einem so plötzlichen und heftigen Auftritt beizuwohnen. In seiner nüchternen Denkungsart legte er dem Vorfall keine weitere Bedeutung bei, da ihm aus den Erzählungen des Uhrmachers schon bekannt war, wie Esther Machschewes seine Werbung vor einigen Wochen abgewiesen hatte.

In der Voraussetzung nun, daß es sich heute wieder um eine schroffe Ablehnung des Mädchens, sogar mit Rücksicht auf die beleidigenden Ausdrücke um endgültigen Schluß der ganzen Liebelei handelte, nahm Pflaumenhaft nun seinen Zimmergenossen unter den Arm und sagte burschikos zu ihm: »Siehste, Joelchen, nu haste genug, jetzt biste dauernd kuriert! S' is gut für dich, daß es so gekommen, sonst wärste noch ganz meschügge geworden!«

Der kleine Uhrmacher ließ sich nur mit sanfter Gewalt vom Flecke bewegen. Seine Knie schwankten und die Zunge schien ihm gelähmt, denn er war nicht imstande, nur ein einziges Wort hervorzubringen. Der Kopf hing ihm schwer auf der Brust und bewegte sich langsam hin und her – ein stummes Erstaunen und Verzagen.

Es war keine leichte Aufgabe für Pflaumenhaft, seinen Zimmergenossen in die Mansarde zu schaffen. Zum Glück befand sich Frau Schüßler in der Wohnung, die sich sogleich um ihn bemühte und ihn, nachdem sie erfahren, was vorgefallen, durch gutes Zureden und Liebkosungen zu trösten versuchte.

Joel Gewürz lag noch immer wie geistesabwesend auf dem Bett. Nur in langen Zwischenräumen brach er mit gebrochener klagender Stimme in die Worte aus:

»Wo ist Gottes Allmacht und Gerechtigkeit und wo die Menschenliebe?! – Mit Blindheit geschlagen ist die Welt –, Herr Gott, erbarme dich!« Frau Schüßler glaubte ein Gebet zu hören und faltete andächtig die Hände.


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