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Am Freitag abend nach Sonnenuntergang ist Sabbathweihe.
Die Frau des Rabbinatskandidaten Dr. Speckowski erfüllte ihre Pflicht als Hausfrau und segnete mit fast religiöser Verklärung die beiden brennenden Kerzen, die auf dem festlich gedeckten Tisch in hohen silbernen Leuchtern standen, indem sie beide Hände langsam über die Flämmchen hinweg bewegte und Gebetssprüche murmelte.
Der Rabbinatskandidat kam im schwarzen Sabbathrock mit seinem Schwager aus der Synagoge, beide, der feierlichen Stimmung angepaßt, tief ernst. Er umarmte und küßte seine Frau und nahm mit ihr und Moritz Feigenbaum am Tische Platz.
Unter einer roten mit hebräischen Lettern bedruckten Decke lag ein Barches. Der Rabbinatskandidat holte das Festtagsbrot hervor, sprach im singenden Tonfall einen Segens- und Dankspruch, schnitt das Gebäck an und überreichte Frau und Schwager ein Teilchen. Ebenso goß er jedem ein Gläschen Rotwein ein und sprach auch hierfür einen bestimmten Segen, der den Dank an Gott für die verliehenen Gaben zum Ausdruck brachte. Dann wurde das Freitagsmahl, gefüllte Hechte in Milch und Butter gekocht, aufgetragen. Dr. Speckowski zögerte noch, zur Gabel zu greifen. Seine Frau und der Schwager sahen ihn verwundert an, namentlich dem letzteren war der Duft der köstlichen Speise allzusehr in die Nase gestiegen, und er wartete daher mit Ungeduld auf den Augenblick, wo er sich seines Fisches bemächtigen durfte. Der Rabbinatskandidat gab denn auch sofort eine Erklärung für sein Verhalten, indem er unter lautloser Stille fast feierlich sagte:
»Bei uns Juden ist es Pflicht, von dem, was uns der Herr beschert, mit den Armen zu teilen. Lassen wir daher einen der Ärmsten unter uns als Gast an unserem Tische sitzen. Als ich vorhin die Synagoge verließ, sah ich den Joel Gewürz, wie er in sich versunken und gedrückt nach Hause schlich. Ein Fremdling in seiner Umgebung, ohne den erwärmenden Schoß der Familie, wird seine Seele verdüstert und er leidet an den Menschen. Das Symbol der Sabbathlichter zeigt uns den Weg, wie wir unseren Mitmenschen auch das Licht der Seele bringen sollen. Also bitten wir ihn, zu uns zu kommen und wenigstens die Sabbathweihe in einer jüdischen Familie zu verbringen!«
Moritz Feigenbaum erhob sich sogleich, ließ seinen dampfenden Fisch im Stich und eilte hinaus, um den Wunsch seines Schwagers unverzüglich zu erfüllen.
Nach wenigen Minuten schob sich Joel Gewürz, mit einem schwarzen, schon etwas schäbigen Sabbathrock angetan, durch die Tür. Er war sehr verlegen, faltete die Hände und verneigte sich vielfach, während Moritz Feigenbaum ihn mit sanftem Nachdruck an den Tisch führte.
Der Rabbinatskandidat machte eine Handbewegung, die Gruß und Einladung zugleich ausdrückte, und nun begann die kleine Tischgesellschaft wortlos das leckere Mahl zu verzehren. Es folgte eine süße Speise und Nachtisch und zum Schluß gab es noch einen richtigen Kaffee mit selbstgebackenem Apfelkuchen.
Die Lichter brannten immer noch und der ganze Raum und die Menschen, die die warme behagliche Luft einatmeten, waren auch licht und froh und warm geworden und fühlten ein Dankbedürfnis für die herzerquickende Wohltat der Behaglichkeit.
Der erste, der dieser Empfindung Ausdruck verleihen wollte, war der Hausherr selbst. Er sprach von den Freuden, die ein gutes und frommes Weib dem Manne bereiten könne, von den Tugenden der Hausfrau, von dem innigen Familienband und dem Segen, der auf jedem Hause ruht, in dem die Liebe, die Eintracht und der Friede waltet.
Mit tränenfeuchten Augen und verklärter Zärtlichkeit blickte die junge Frau auf ihren Gatten, der ihr beide Hände entgegenstreckte und dann sein Weib innig in die Arme schloß und küßte.
Lautlose Stille. Der Rabbinatskandidat setzt seine schwarze Samtkappe auf und betet.
Er betet für sein Weib, das die Frucht seiner Liebe unter dem Herzen trägt, für ihre glückliche Niederkunft und die Gesundheit des Kindes. Er dankt für alle Güte, die ihm sein Gott gewährt und vor allem für das namenlose Glück, das er ihm in seinem Weibe bereitet habe, und er fleht den Segen des Himmels herab auf alle Menschen, damit auch denen, die an der Liebe leiden, die schönste, die herrlichste aller Freuden, das Familienglück beschieden sein möge.
»Amen!« murmelte die Tischgesellschaft.
Wieder lautlose Stille.
Dem Joel Gewürz hängt der Kopf tief auf der Brust, er atmet kaum vernehmbar und seine Augen sind verschlossen, weil er sich innerlich beschaut. So empfindet er die Mißgestalt seines Körpers wie eine entsetzliche Last und er sieht die Hoffnungslosigkeit, je ein liebes und frommes Weib zu besitzen wie einen schwarzen Schatten, der sein ganzes Dasein verdüstert. Und doch haben die Worte des Rabbiners sein Herz tief erschüttert. Sein ganzes Denken und Fühlen ist einem weiblichen Wesen geweiht, das er im Geiste liebkost wie das herrlichste Kleinod der Welt und das er kaum fühlbar und sichtbar umflattert wie der Schmetterling eine duftige Blüte, die schöne Esther Machschewes.
Auch auf Moritz Feigenbaum haben die Worte des Rabbiners tiefen Eindruck verursacht. Er ist das Gegenteil von Joel Gewürz, ein schön gewachsener Mann von anziehendem Wesen, klug, geschäftlich gewandt und wohlhabend, der alle Eigenschaften besitzt ein Weib glücklich zu machen. In ihm, dem tatkräftigen Menschen, setzten sich die Worte seines Schwagers nicht in tiefes Grübeln und seelisches Erdulden um, sondern in einen Entschluß, den er auch sofort zum Ausdruck bringt, indem er sich mit den Worten an den Rabbiner wendet: »Lieber Schwager, dein herzlich empfundenes Glücksgefühl, das dir wohl jeder gönnt, der von deiner großen Seele einen Hauch verspürt hat, gemahnte mich wieder einmal, wie einsam und verlassen doch ein Mann ohne Weib ist. Ich bin erst einige Wochen in deinem jungen Heim, aber diese kurze Spanne Zeit hat, verbunden mit dem Reiz des heutigen Abends, wo ich die Macht der Gattenliebe am tiefsten empfand, den Wunsch in mir reifen lassen, ein Weib zu nehmen. Und ich glaube, daß die Wahl, die ich getroffen, deinen Beifall finden wird. Von allen Mädchen, die mir bisher begegnet sind, hat mich keine durch ihre Bescheidenheit und Schlichtheit, wie auch durch den Glanz ihrer Schönheit so gefesselt, wie – Esther Machschewes!«
Der Rabbinatskandidat nickte zustimmend mit dem Kopfe, drückte seinem Schwager die Hand und rief ihm freudig »Masel tow!« Masel tow! = Gut Glück! entgegen, und die junge Frau überschüttete ihren Bruder mit Zärtlichkeiten und wünschte ihm, daß das Mädchen seiner Wahl sich als zukünftige Frau seiner prächtigen Mannestugenden würdig zeigen möge.
Nur einer verstummte plötzlich ganz und zuckte sichtbar zusammen: Joel Gewürz. – Sein Gesicht war aschfahl und der Blick, den er verstohlen auf den gegenüber sitzenden Moritz Feigenbaum warf, glich dem gebrochenen Auge eines Sterbenden. Es war ihm, als ob ein scharfes Messer ihn durchschnitten hätte von oben bis unten und er herabgleiten müßte von seinem Stuhle.
Zitternd und zaghaft erhob er sich, reichte dem Ehepaar die Hand, verneigte sich tief vor Moritz Feigenbaum, und Dankesworte murmelnd schlich er hinaus.
Auf der Treppe löste eine Tränenflut den harten Druck, der wie eine eiserne Klammer sein Herz einschnürte.
Auch Frau Machschewes hielt die Sabbathweihe und segnete die Lichter, die auf dem Tische standen. Neben ihr saß Noa Pufeles und vertrat wie immer an Festtagen den Hausherrn. Er sprach das Gebet über den Barches und verteilte die Stücke an seine Wirtin und Esther, die sich in ein Gebetbuch vertiefte. Der übliche Wein fehlte, denn Frau Machschewes beklagte sich schon darüber, daß die Fische, die sie für den heutigen Abend zubereitet habe, ein enormes Stück Geld gekostet hätten. Und als sie auch während der Mahlzeit immer wieder von dem teuren Fischgericht sprach, verspürte Herr Pufeles ein menschliches Rühren, langte in die Tasche und legte ein Dreimarkstück auf den Tisch.
Dies war freilich den religiösen Vorschriften entgegen, denn die Juden sollen am Sabbath weder handeln, noch überhaupt Geld in Empfang nehmen, aber bei Frau Machschewes siegte offenbar der Gedanke, daß der Zweck das Mittel heilige und so steckte sie das Silberstück schmunzelnd ein.
Hierdurch war denn auch das übliche Gespräch wieder in Gang gekommen, und die beiden erwähnten weder die Weihe des Abends noch berührten sie die Tugenden der Hausfrau, sondern beschäftigten sich lediglich mit Geldfragen und der Möglichkeit eines leichten und reichlichen Gewinnes.
Der schlaue Pufeles glaubte sich seinem Ziele am ehesten dadurch näher bringen zu können, daß er das Ausland als vorteilhafteste Einnahmequelle pries und die Zukunft der Esther streifte. Es wäre doch eine Erleichterung für Frau Machschewes, meinte er, die Tochter versorgt zu wissen und lächelnd fügte er hinzu: »Nu seh'n Se, wenn Ihr Töchterche, so ä scheine Moad, wie se is, über de Grenze geht, find't sich ä günstige Gelegenheit zu machen ä reichen Schiddach Schiddach = Heiratspartie und zu krieg'n ä gutten Mann. Und wenn se dann denkt an de liebe Mamme, die noch immer nich is geworden ä Kazinite, und se schickt und schickt de Dollarchen und de Paketchers mit Braten und Mehl und Butter und de scheinsten Kleider dazu, wie wird sich dann freu'n das Mammeherz und im Glück sich spiegeln de Frau Machschewes?!«
Und Frau Machschewes saß da und schüttelte zustimmend den Kopf. Sie schwelgte im voraus in all den Herrlichkeiten, die ihr Gast soeben verlockend geschildert, und von ihren Wangen kullerten Tränen der Freude und Rührung.
Ganz anders verlebte Frau Raja Diamant den Freitagabend. Auch sie segnete die Lichter, aber sie saß ganz allein an ihrem Tisch und anstelle des üblichen Fischgerichts verzehrte sie einige Butterschnitten und trank ein Glas Tee dazu.
Sie fühlte sich ganz vereinsamt, denn ihre Schlafburschen pflegten erst zu später Stunde nach Hause zu kommen, und die trostlose Öde um sie herum, das bange Gefühl des Verlassenseins, ohne Anhang, ohne Verkehr mit lieben Menschen, dazu die ständige Geldnot, die Wurzel alles Übels, ließen sie in grüblerische Gedanken versinken.
Frau Diamant verglich ihr Leben mit dem der anderen, die mit dem Gelde um sich warfen und sich jeden Lebensgenuß verschaffen konnten. Warum sollte nicht auch sie, die klug und gewandt genug war, zu einer auskömmlichen Existenz gelangen? Die letzte Aussprache mit Pufeles kam ihr in den Sinn, er schien ihr der Mann am rechten Platze, ohne Skrupel und Zagen die ganze Energie auf das Ziel gerichtet, ihm wollte sie sich künftig anschließen und seine Anregungen sollten ihr den Weg weisen, künftig ebenso im Gelde wühlen zu können, wie die anderen. Freilich wäre es nicht möglich gewesen, ihren früheren Beruf hier in Berlin auszuüben, da man ausländischen Hebammen keine Konzession zu erteilen pflegte. Aber das weibliche Element, dem sie sich den größten Teil ihres Lebens mit reichlichem Gewinn gewidmet, könnte in dem lasterhaften Berlin erst recht zu einer Goldquelle werden.
Frau Raja Diamant erinnerte sich zur Stunde der Sabbathweihe, daß sie Mädchen und Frauen in Lodz die Folgen eines sträflichen Liebesverkehrs beseitigt habe, und daß man nicht nur in der leiblichen Not die Zuflucht zu ihr genommen, sondern auch in der Sehnsucht nach dem Liebesgenuß. Und solcher Frauen und Mädchen wären in Großberlin viele Tausende und die Helferinnen von ihrer Art, die im Verborgenen wirkten, viele weniger kluge und geschickte Frauen als sie, hätten nicht nötig zu darben und brauchten sich am Feiertag nicht zu begnügen mit Brot und Tee.
Täglich fielen ihr die Anzeigen der Tageszeitungen in die Augen: »Rat und Hilfe in Frauenangelegenheiten«. Geheime Vampire der Opfer betörter Liebe, entsittlichter Frauen und – Kupplerinnen der Sinnenlust. Dies schien ihr der richtige Weg zum Golde – zum Lebensglück.
Die Lichter der Sabbathkerzen flackerten und warfen gespenstische Schatten auf das tief durchfurchte Gesicht.
Frau Diamant breitete ihre knochigen Hände segnend über die Lichter aus und ihre Augen schauten verklärt in die Ferne.
In der Wohnung des Hausbesitzers Gedalje Chili sah es heute zur Sabbathweihe freilich recht festlich aus. Der wohlhabende Herr Chili, mit sich und seinem Gott zufrieden, war sehr seelenvergnügt aus der Synagoge gekommen und fand den Tisch, außer mit dem üblichen Barches und dem Fischgericht noch mit allerlei süßem Backwerk bedeckt, denn Frau Toches, seine bewährte Wirtschafterin, hatte den ganzen Tag in der Küche gestanden und den Herd bedient. Die alte Frau war sonst, der Rasse entartet, von seltener Dummheit und Lebensfremdheit, aber im Kochen und Backen eine Meisterin. Und nur dieser einen Tugend, die alle ihre Schrullen in den Schatten stellte, hatte sie es zu verdanken, daß der Hausbesitzer sie bei ihrer Taubheit behielt.
Nach dem Segensspruch ging Herr Chili an die Bewältigung der vor ihm aufgestellten Leckereien. Er rieb sich vergnügt die Hände, schnalzte mit den Lippen und war dann für einige Zeit nicht mehr zu sprechen, da seine Zunge eine bessere Beschäftigung hatte.
Frau Toches indessen begnügte sich mit dem Fischgericht allein und während ihr Brotherr noch emsig bei der angenehmen Arbeit war, betete sie still vor sich hin und ihr eingefallener Mund sprach ab und zu halblaut hebräische Sätze im näselnden Gesinge, als ob sie den guten Appetit des Herrn Chili und seine auf diese Art bewiesene Dankbarkeit für ihre Werke segnen wollte.
Nach der üppigen Mahlzeit erhob sich der Hausbesitzer und ging laut prustend auf und ab. Sein Verdauungsspaziergang führte ihn auch ins Nebenzimmer, wo er seine Augen an dem stattlichen Lager der Felle und Stoffe weidete. Von hier aus ging es wieder zurück ins Wohnzimmer.
Die Kerzen, größer als die anderen im Hause, warfen ihr Licht auch auf den altertümlichen Schreibtisch am Fenster. Herr Chili setzt sich davor, zieht die mittlere Schublade heraus und beginnt, seine Schätze: Gold, Brillanten und Kassenscheine zu bewundern und zu zählen.
Frau Toches murmelt noch immer ihre Gebete, aber sonst herrscht Totenstille. Nur ab und zu klingt es vom Schreibtisch herüber nach Silber und Gold und es raschelt im papiernen Gelde, das die kleinen dicken Finger des Herrn Chili durchwühlt. Und auf sein Gesicht legt sich jene Ruhe der Selbstzufriedenheit, die alle Falten glättet und die Augen leuchten läßt, wenn der Mensch den Kampf ums Leben überwunden.
Die Sabbathweihe des Herrn Chili, die sich an jedem Freitag abend wiederholt.
Auch im Keller des Hauses brennen die Kerzen. Hier sitzt der Schneider Butterfaß mit seiner dicken Frau und zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, an dem kärglich bedienten Tisch. Zwar gibt es auch hier Barches und Fische, und die fette Buttersauce läuft der Hausfrau die wulstigen Lippen hinunter, aber der Schneider, trotz seiner Dürre, ist ein mächtiger Esser und er nörgelt, daß es keinen Nachtisch und keinen Kuchen gibt. Die ganze Woche rackere er sich ab, und wenn der Sabbath da ist, dann sei Schmalhans noch Küchenmeister.
Die dicke Frau Butterfaß seufzt, daß die Bluse zu platzen droht, und sie kaut mit beiden Backen, daß sie kein Wort hervorzubringen vermag, aber dennoch findet sich eine Ruhepause und sie beginnt zu klagen, daß das Wirtschaftsgeld nicht reiche, daß es an Kohlen fehle, den feuchten Keller zu heizen und niemals Geld da sei, um die Kinder anständig zu bekleiden. Unter solchen Umständen sei sie nicht imstande, noch Leckereien auf den Tisch zu bringen. Und wenn der Herr Butterfaß sich größere Genüsse leisten wollte, so möchte er gefälligst mehr Geld verdienen.
Diese dreiste Anspielung gefiel dem Schneider ganz und garnicht, denn er arbeitete wirklich von morgens bis abends und gönnte sich die ganze Woche keine Ruhe.
Die Keckheit seiner Frau stieg ihm daher in den Kopf, er schimpfte und fluchte, daß die Kinder Furcht bekamen und zu weinen begannen, und er jammerte, daß es ein Höllenleben sei, ein Schneider zu sein, der zu nichts komme trotz Fleiß und Mühe und aller Sparsamkeit.
Der dicken Frau Butterfaß fiel es garnicht ein, ihren Mann zu trösten, sie hatte längst ihre eigene Meinung über den Weg zum Reichtum, denn wenn der Schneider sich schon in aller Frühe abplagte, stand sie mit den Weibern der Nachbarschaft auf der Straße oder in den Geschäften umher und vernahm dies und jenes.
Und heute abend, wo die Sabbathkerzen brannten, schien ihr just der rechte Augenblick gekommen, auch ihrem Mann den Weg zu weisen, den er endlich zu betreten hätte, um zu einem ruhigeren Leben und zu Wohlstand zu gelangen. Und ihre Wangen glühten vor innerer Erregung, als sie, scheu sich umblickend, ob jemand etwas hörte, vorsichtig und leise sprach:
»Mei Sallileben, wie oft hab ich dir bedauert, wenn de den ganzen Tag krumm aufm Tisch gesessen, de Beine untergeschlagen und de Arme nebbich immer in de Höh geflitzt und genäht und genäht den geschlagenen Tag und de halbe Nacht. Und ich hab mer immer gesagt, von de Arbeit is noch keiner nischt ä Kozen geworden. Wirf deine scheinen Augen hin wo de willst, Sallileben, überall hab'n de Leite Geld, und de Weiber geh'n rum in Samt und Seide und mit Pelzen und Brillanten. Und keiner arbeite nischt wie du und rackert sich nischt ab wie du! Warum?! Weil se nischt de Pernosse Pernosse = Existenz hab'n von de Arbeit, sondern von de Chochme! Arbeit' lieber ä bissel wen'ger und geh hinaus unter de Jüuden und sieh zu, ob de nischt kannst mach'n auch solche Geschäft, wie jene. Und wie oft trifft's sich, daß ä Schneider kann kaufen ä Stück Geneiwe Geneiwe = gestohlene Ware, wo man könnt mach'n draus ä Anzug. Schon hättste verdient ä paar Goldstücker for nischt. Und ä paar Mal so im Jahr und man könnt anschaffen sich ä Lagerche von Stoffen und könnt aufmach'n ä richtiges Geschäft, ä Gardrobenladen. Und de brauchst nischt mehr zu sitzen auf'm Tisch mit de untergeschlagenen Beine und de Arme brauchen nischt mehr zu flitzen in de Höh' und de hast dann nischt mehr nötig zu nähen und zu nähen und deine Frau könnt auch gehen in Samt und Seide und mer könnt'n Kuchen backen und uns ä Gans kaufen zu jedem Schabbes. Ist's nich äsoi, mei Sallileben?!«
Die kleinen Sabbathkerzchen im Schneiderkeller drohten zu erlöschen. Herr Butterfaß schaute sinnend in das sterbende Licht.
»Nicht ä jeder ist gebor'n für solche Geschäft«, stöhnte er aus tiefer Brust, »ich bin gewesen ä ehrlicher Mann bis jetzt und hab gekonnt ruhig schlafen de Nacht. Wie Gott will!«
»Wie Gott will?!« fragte die Frau erstaunt, »und du denkst nicht an dein Weib und deine Kinder?!«
Die Lichter erloschen und hüllten den Keller in tiefe Dunkelheit.
»Gott wird helfen!« klang es leise aus dem Munde des Schneiders.