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Madame Trullemaier wider Erwarten – Schwach verändert die Wohnung – Poll in der Luft und Alexius auf der Erde – Feier des Widersehens unter einer Kanne und unter einer Pumpe.
Daß Madame Trullemaier den Auszugfeiernden und so spät Heimgekehrten nicht strahlend in lieblichem Humor wieder empfing, bedarf keiner besonderen Betheuerung. Sie hatte den Text der Predigt schon gewählt, Einleitung und Mittelstück in ihrem Haupte schon ausgearbeitet, nur den Schluß überließ sie dem Stegreife und ihrer erprobten Geistesgegenwart in der Redekunst. Sofort stemmte sie die beiden Arme in die Seiten, eine Bewegung, die merklich zur Unterstützung der kräftigsten Stellen beitragen soll, wie erfahrene Hausfrauen wissen wollen, und fragte, mit der ganzen Wucht eines niederschmetternden Blickes: »Wo war denn der Bruder Liederlich?«
Mindestens hatte sie gehofft, Poll noch Tags darauf mit dem Hute stark nach einer Seite und einem sehr verrätherischen Zuge um die Augen zu sehen. Als aber dies nicht eintraf, Poll ruhig, nett, wie er weggegangen, wieder vor ihr stand, mit ernster stiller Haltung, fand sie plötzlich den ganzen kühnen Bau ihrer Redebilder, Blumen und Anspielungen wanken und über den Haufen geworfen.
»Meine beste Madame . . . es ist nichts Erfreuliches . . . und es ist besser, Sie fragen nicht weiter.«
Nun war's gefehlt! Einer Frau sagen, sie möge auf eine Neuigkeit, die sie erfahren könnte, verzichten, das konnte nur einem Menschen geschehen, wie Poll Hinze, der viel 215 von Philosophie sprach! Doch der Fehler schlug halb und halb zu seinem Besten aus; denn augenblicklich fand sich von Seite der Madame ein köstlicher Rest von gestern vor, augenblicklich mußte er davon kosten und sich an den Tisch dazu setzen. Die andere Hälfte der Folge war freilich das Erzählen und daß Madame, wenn Alles zu Ende war, noch immer neue Fragen entdeckte, ohne deren Beantwortung zu bleiben sie sich nicht entschließen mochte.
Doch nahm sie so vielen Antheil, gebrauchte ihre Schürze an den Augen so oft und seufzte so tief über die »armen, armen Leute,« daß Hinze eine ganz andere Meinung von ihr faßte und ihr endlich zusagte, um was sie ersuchte, nämlich, wenn Brunk einmal mit seinem Leierkasten in die Straße käme, ihr den Mann zu zeigen, so wie Liese auch. Denn, sagte Madame, sie sei auch Mutter, und wenn ihrem Alexi was geschähe, so wäre sie auch untröstlich über das liebe feine Blut! –
Wer aber der Meinung wäre, kommender Tage hätte Poll mehr Traurigkeit in sich dringen lassen, als eine Theerdecke Regenwasser aufnimmt, der thäte seinem Kaninchentheaterdirektorscharakter und seiner »Philosophie« sehr Unrecht.
Man mußte z. B. nur den Kutscher und den Auflader des zum Uebersiedeln in die neue Behausung Schwach's gedungenen Möbelwagens, über ihren heutigen Arbeitskollegen vernehmen, um zu wissen, wie er wieder im Allgemeinen gestimmt sei! Man konnte auch in dieser Beziehung Madame Fiedler beachten, die aus ihrer Thüre zu ebener Erde herauskam und über das »ewige Gelächter« da draußen zankte. Sie stellte die Frage: ob die Leute denn glauben, ihr Haus sei ein Tanzboden und heute sei Kirchtag? Diese naive Frage wurde durch verdoppeltes Gelächter, zur höchsten 216 Unzufriedenheit der Hausgebieterin beantwortet. – Der Träger schwur, es mögen ihn neunundneunzigtausend Teufel verzehren, wenn er nicht jede Woche einen Tag um die Hälfte oder gar gratis arbeiten wolle, wenn's mit Poll wäre, und der Kutscher betheuerte, seine Pferde zögen heute besser als sonst.
Der Wagen wurde hoch bepackt, und je höher die Dinge sich aufthürmten, je konfuser die als brauchbar erklärten Stühle und Tische ihre Beine herumstreckten, je verzweifelter sich Matrazen und sonstige biegbare Gegenstände zwischen diesem Gewirre herumwanden, je seltsamer, klappernder und beweglicher die Küchengeräthe waren, desto höher stieg die Laune Poll Hinze's.
Ihn zu sehen, hoch oben auf dem Wagen, dessen Gepäck bis in den ersten Stock reichte, in der Mitte von Wäschbündeln, Saucepfannen, Zimmerbesen, Wasserkufen und anderen Geräthen, auf einer Matraze sitzen, etwa einen Topf oder ein Sieb als Hauptbedeckung, und freundliche Grüße an die Vorübergehenden ertheilend, oder mit sehr zuvorkommender Höflichkeit in die Fenster erster Etage hineinsendend, deren Bewohner von dieser in solcher Höhe vorüberkommenden Figur äußerst überrascht wurden – ihn so zu sehen, war sehr gemüthserquickend. – Als er aber sogar einen blechernen Trichter hervornahm und darauf, wie auf einem Waldhorne, sehr rührende Melodien blies, erheiterte er einen sehr beträchtlichen Theil der Straßenjugend, unter welcher plötzlich, wie ein Geist aus der Theaterversenkung, ein Junge mit einem grünen Frack und gelben Hosen erschien, einige Packete und einen Wust von Zetteln unter dem Arm tragend.
Dieser Junge hatte dem Virtuosen zuerst nicht so recht ins Gesicht geguckt und hopste unter den andern Jungen 217 nur rasch nach der verführerischen Melodie herum, wie die Geister im Oberon nach Hüons Horn. Hiebei versetzte er jenem Gefährten eine »Kopfnuß«, oder diesem einen »Rückenfleck« und brachte auf seinen Hut hiedurch einen Schauer von Püffen herab, die demselben die sonderbarsten Formen verliehen. Als der Junge aber, nach den ersten Anstrengungen, hinauf sah und den Waldhornbläser geistig erfaßte, dieser auch, nach einigen scharfen Blicken, dem Zeisiggrünen mit besonderem Augenzwinkern herabnickte, fand eine äußerst rührende Erkennungsszene statt.
»Hoh, Dicker!« schrie Alexius zu ihm hinauf. »Napoleonhändler, platzgeregneter Venusmann, zerflossener Herkules – hoho, wie sieht man aus!«
»Junge, bist Du's?«
»Freilich bin ich's! – Was macht Muttern? – Der Millionär bei gutem Geblüt?«
»Junge, Du bist mein Mann! – Halt an, Kutscher,« rief Poll; »ich verfüge mich auf die Erde, wie gewöhnliche Menschen – ich sehe einen Freund! Hoh Rösser, hoh! . . . da bin ich!« Und er sprang aufs Pflaster, umarmte Alexis und drückte ihn so an die Brust, daß dessen Nase tüchtig an der Schwarzrothgestreiften gepreßt wurde, was nicht geschah, ohne daß Spuren auf derselben zurückblieben.
»Nur nicht zu viel Liebe!« rief Alexis parodistisch-tragisch, um zu zeigen, daß er das richtige Verständniß der Gefühle besitze.
»Junge, hol mich der Teufel, Du bist mein Freund, und ich bin Dir was schuldig!«
»Sehr gut; ich lasse mich nicht spotten, und nehme was mir gezahlt wird, und wenn's noch so viel!«
»Recht sollst Du haben! Du hast mein Glück gemacht, 218 Du bist der Genius vom Platzregen, der Engel mit zeisiggrünen Flügelchen . . . komm . . . kannst Du ein bischen Spiritus vertragen?«
»Ein bischen? Versuchen Sie's ob nicht viel! Und wenn's d'rauf ankommt sehr viel!«
»Nur nicht großmäulig! Was trinkst Du am liebsten?«
»Alles, aber Kümmel noch lieber!«
»Junge, Du harmonirst mit meinen Gefühlen, komm!« Und er nahm ihn unter den Arm. Eine vergoldete Kanne hing, in der Nähe, den Leuten ober den Köpfen, als wollte sie etwas 'rausgießen, was aber glücklicherweise, oder für Durstige leider, nie geschah. Dieses Zeichen war maßgebend, da gingen sie ein.
Es war eine räucherige »Schwemme.« Wenige Leute und ein Harfenist waren vorhanden.
Da mußte man Alexis sehen, mit welcher Miene er eintrat! Nicht als gälte es einen Scherz mit ihm, sondern als wäre er ein vielerprobter Mann, der die ernsten Familien-Sorgen-Falten seines Gesichtes durch einige Stimulation glätten zu wollen beabsichtige. Als wäre er Poll's gleichberechtigter Kamerad, so gut als irgend Einer, und übe dieser nur eine Gegengefälligkeit für mannigfaltige Artigkeiten, die er, Alexis, Jenem in Schenken schon oftmals erwiesen.
»Kümmel, einfach?« fragte Poll mit einem Nicken und Augenzwinkern.
»Einfach? Nichts Einfaches! Dubbl, sehr Dubbl!«
Poll drückte ein Auge zu und lächelte auf das Schenkmädchen.
»Und jetzt trink! – Sollst leben Grüner!«
»Halten Sie an – erst für's schöne Geschlecht!« sagte 219 Alexis und hob zwinkernd sein Glas gegen das Schenkmädchen.
»Teufelsjunge! Also das schöne Geschlecht läßt Dir auch keine Ruhe?«
»Was auch? Schon lange nicht! Mein Herr hat ein Heirathsbureau, und wenn er mich nicht bald verheirathet, so weiß ich nicht, wozu er da ist!«
»Hahaha!« brach Poll sammt dem Mädchen aus.
»Lachen Sie nicht, ich bin der Mann dazu!« sagte Alexius parodistisch und schlug sich den Hut halb über die Nase.
»Kourage ist auch was werth!« sagte Poll.
»Nun, wenn Sie Kourage haben, zahlen Sie noch einen!«
»Auf das kommt's nicht an; aber Junge, wenn Du bespitzt wirst?«
»Ei, wer keinen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann!«
»Ja, aber dann setzt es Keile!«
»Den wollte ich sehen!« sagte Alexius, ballte die Fäuste und stellte sich kampfbereit, als fühle er eine Armee in seiner Faust.
»Gut; sollst noch einen haben; aber schwach.«
»So? Dann zahlen Sie zwei Schwache, ich weiß, Sie sind ja jetzt immer bei Schwach's.«
»Teufelsjunge! hast Du denn auch eine Mutter gehabt?«
»Na, kennen Sie sie denn nicht?« Alexius zwinkerte schon mit den glänzenden Aeuglein. »Herrjeh, sind Sie doch jetzt schon so lange mit der Madame Trullemaierin beisammen und kennen meine Mutter nicht?«
»Bist Du . . . .?« sagte Poll. 220
»Ein Trullemaier? – yes!«
»Ale . . . .«
»Alexi – sehr yes!«
»Bei . . . .
»Schnepselmann's?«
»Schnepselmann's!«
Ein bedeutendes Nicken.
»Donner, Junge, hol mich der Daus, sei mir gegrüßt!« – Poll nahm ihn und drückte ihn jetzt wieder, aber ernster an die Weste.
»Kennen Sie mich nun ganz?«
»Ei, was das Schicksal für Geheimnisse macht, das ist groß! – Nun Junge, da ist meine Hand, und ich gebe Dir meine aufrichtige Freundschaft!«
»Und ich verschenke Ihnen auch meine Freundschaft! hier meine Hand d'rauf!« und er streckte ihm gravitätisch die Rechte entgegen.
Poll schüttelte sie und lachte.
»Sollst leben Kamerad!« rief Alexis schon in der ersten Stufe des Höheren, und trank sein Glas aus.
»Sollst leben!« lachte Poll.
»Sein wir Du und Du!« rief Alex in Begeisterung. »Keinen Standesunterschied; der Meinige ist auch grün! – Und warum ist keine Musik da zum großen Feste? – Spielt auf alter Harfenzupfer, saitengespannter Flederwisch! Musik, Musik!«
Der Harfenist griff lachend in die Saiten und spielte eine Polka.
»Polka, das ist recht,« sagte Poll sehr lustig; »das wird meinem ältesten Freunde gut thun!«
»Können Sie tanzen?« 221
»Das will ich meinen!«
»Tanzen wir Ein's!«
»Gut.«
»Aber nicht Polka, das ist dummes Zeug, Katschuka, das ist das Rechte!«
»Katschuka? Kannst Du denn?«
»Das will ich meinen! Hat mir einen Dreier gekostet beim feinsten Tanzmeister.«
»Also vorwärts, aufgespielt, laß sehen!«
Der Harfenist begann die Katschutscha und Alexi schürzte seine Aermel auf, sprang mitten ins Zimmer, und begann wirklich in seiner Art die Biegungen und Wendungen der spanischen »Kachucha.« Er hopste dazu und lächelte verführerisch dabei, schnalzte mit der Zunge, statt mit den Kastagnetten, und verdrehte die Augen.
»Bravo, nur zu!« rief Poll, klatschte in die Hände und tanzte um ihn herum, wie der liebegirrende Partner einer reizenden spanischen Donja. Keiner Hofbühne hätten diese lockenden Mienen, diese wohlgerundeten Gliederwendungen, dieses plastische Vor- und Zurückbiegen, dieses engelhafte Lächeln, diese vielsagenden Blicke zur Unzierde gereicht. Und es ist zu wetten, der Tanz wäre von den beiden Exekutanten zur Wiederholung verlangt worden. Namentlich was den Part betrifft, der die Dame darstellte!
»Sehr gut, bravo!« riefen alle Anwesenden. Poll verlangte noch rascher, rascher, und er stampfte den raschen Takt mit dem Fuße, der Harfenist taktirte tüchtig nach, und Poll wirbelte und drehte um die kniende Donja Alexia.
»Halten Sie auf! halten Sie auf! Es geht zu geschwinde, mir wird schwindlig! Halten Sie auf!« 222 rief Alexius plötzlich und tappte mit den Händen gerade vor sich, in die Luft.
Doch Poll winkte dem Harfenisten, dieser klimperte immer d'rauf los, und Poll endete nicht. – Da wankte Donja Alexia – machte allerlei sonderbare Gesten – und endlich neigte sie sich seitwärts – auf den Boden.
»Das ist das Rechte!« sagte Poll gelassen, als wäre die längst erwartete Krisis endlich eingetreten. »Das wollte ich. So, mein Junge! – Sie,« wendete er sich zum Schenkmädchen, »haben Sie eine gute Pumpe im Hause?«
»Ja, im Hofe, Sie sehen sie gleich von der Thüre aus.«
»Komm mein Brüderchen – ich werde Dich schon auffrischen!« – Poll hob Alexi bei dem Kragen in die Höhe und trug ihn, wie einen Gliedermann, nach der Pumpe. Hier rettete er den Zeisiggrünen vorerst vor jeder Beschädigung durch Nässe, band dem innigen Freunde das Halstuch los, schlug das Hemd weit zurück und rief dem Hausknecht zu, der als »aide de camp« mitgekommen war: »Losgepumpt!« – Der Pumpenstiel knarrte sofort, und ein richtiger kalter Strahl rieselte auf Alexius' Haupt! – Poll rieb ihm dasselbe tüchtig ein. Alexius stöhnte und ächzte, Poll hielt ihm jedoch fortwährend den Kopf, ja zuweilen den offenen Mund unter die Röhre. Die Röhre goß unaufhörlich, und Alexius schlug endlich nach einiger Zeit die Augen neu belebt auf.
»Wie ist Dir?« fragte Poll.
»Sehr schwindlig, aber schon besser!«
»Zugepumpt!«
Und von Neuem arbeitete die Pumpe und von Neuem arbeitete Poll von allen Seiten auf Alexius ein. Dieser 223 erklärte sich endlich wohl. Sehr blaß war er, aber er versicherte »wohl.«
»Wohl Junge?«
»Wohl!«
»Sehr wohl!« sagte Poll befriedigt. »Und jetzt Lebewohl – auf Wiedersehen!«
»Sie, hören Sie!« und Alexi nahm seinen freundlichen Gastereigeber bei der Hand. ». . . . Aber Muttern . . .«
»Verschwiegen wie das Grab!«
»Verstehen Sie mich?« und er winkte mit den Fingern und Augen.
»Ganz gut; hast Du noch etwas zu sagen?«
»Nein.«
»Aber ich will Dir was sagen. Traue den guten Freunden und dem Spiritus nie nicht! Das sage ich Dir und ist die Philosophie von Kunibert Apollonius Hinze. – Merke Dir mich und vergesse Dich selber nicht!«
»Gehen Sie zum . . . .!«
»Gut, ich gehe, und Deine Mutter werde ich schön grüßen!«
Somit schieden die Helden, jeder seiner Wege gehend. Poll entschuldigte die Verzögerung sehr leicht, für Alexius jedoch schwebten auf dem dunklen Horizonte Gewitterwolken, die wahrscheinlich elektrisch gefüllt waren und auch mit Schlägen losbrachen, worüber aber keine sichere Kunde zu erlangen möglich war. 224